Dienstag, 14. April 2009
The land of the free. Die Vorstellung, doch immerhin die Möglichkeit zu haben, alles verwirklichen zu können, was man mag, ist hier immer noch unglaublich tief verwurzelt. Ob das etwas damit zu tun hat, dass das Land eine Einwanderungsgeschichte hat, die erzählt, dass man aus der Unfreiheit hierherkam? Somit erklärt sich auch der geringere Freiheits-Optimismus jener, die auf diese Geschichte nicht zurückschauen – die Schwarzen und die Ureinwohner.
Freiheit, so sehen wir im Musterland des Kapitalismus, äußert sich für viele natürlich, in der Freiheit der Wahl, in der Vielfältigkeit der Wahloptionen. Welche Erdnussbutter wähle ich? Welches Auto fahre ich? Untersuchungen zu Konsumfreiheit zeigen, dass es hier einen Punkt gibt, an dem das Ganze kippt. Wenn wir die Wahl haben zwischen kratzigem Klopapier oder gar keinem Klopapier sind wir unzufrieden, da wir tatsächlich einen physischen Mangel empfinden. Wenn wir aber in der Kaufhalle vor 45 Klopapier-Sorten stehen, werden wir gezwungen zu entscheiden. Nehmen wir das Billigste, das Komfortabelste, das ökologisch Korrekte, das mit dem besten Blatt/Cent-Verhältnis, das was der Ehepartner mag, das was die Kinder mögen oder soll man einmal das Grüne ausprobieren? Wir entscheiden uns schließlich für eines und in der Schlange vor der Kasse kommen wir ins Grübeln, ob wir die richtige Entscheidung getroffen haben. Aber da wir nicht nur Klopapier kaufen, sondern auch Salatdressing, Toastbrot, Butter, Zahnpasta, Joghurt (um nur ein paar Produkte mit extremem Sortiment zu nennen), stehen wir mit tendenziell schlechtem Gewissen an der Kasse. Was die Produkte des täglichen Bedarfs betrifft, so ist es vielleicht noch relativ leicht, sich auf ein paar Dinge einzuschießen und den Rest auszublenden, wenn es uns gelingt, Werbung und die Neuanordnung der Regale im Supermarkt zu ignorieren. Was aber ist, wenn wir uns z.B. ein Auto kaufen? Oder ein Handy. Im Grunde hat hier jeder nach dem Kauf das Gefühl, die falsche Wahl getroffen zu haben. Die gigantische Möglichkeit, auswählen zu können, verschiebt auch die Verantwortung. Hast du auch wirklich den richtigen Lebenspartner gefunden? Könnte es nicht noch jemanden geben, der besser zu dir passt? Wenn du noch ein kleines bisschen wartest. Erich Fromm vermutete schon in "Die Kunst der Liebe" (wahrscheinlich ohne empirische Daten), dass Paare, die sich den Partner aussuchen können, nicht unbedingt glücklicher sind, als solche vor 200 Jahren, in denen man nehmen musste, wen man abkriegte. Es geht heute wie damals darum, ob man zum Lieben fähig ist. Natürlich würde niemand zurückwollen in einen Zustand, in dem man die Partner zugewiesen bekäme, aber wir sehen das Problem: Wir können die Freiheit nicht schätzen, wenn uns die vielen anderen Möglichkeiten im Nacken sitzen, seien es die Dutzenden Klopapiersorten oder die Milliarden anderer möglicher Lebenspartner, der andere Job, das andere Hobby, der andere Wohnort, die andere Medizin. Die zu große Auswahl führt schließlich oft auch zur Paralyse. Statt sich für irgendetwas zu entscheiden (und somit das Risiko einzugehen, nur die zweitbeste Wahl getroffen zu haben), entscheiden sich immer mehr Menschen gar nicht mehr. Sie zappen durchs Fernsehprogramm, sie zappen durch Kurzzeitbeziehungen oder lassen Möglichkeiten, ihr Leben nachhaltig zu verbessern, verstreichen. Beim Kantinenlesen haben wir die Erfahrung gemacht, dass wir mehr Bücher verkaufen, je geringer das Sortiment ist. Die lange Liste verschiedener Auftritte eines Kollegen in seinen E-Mails führt dazu, dass ich diese schließlich gar nicht lese. Mit anderen Worten – das Ganze ist auch ein Problem für die Anbieter.
Aber für unseren Glückshaushalt kann das nur heißen, sich zu entscheiden und diese Entscheidung so zu behandeln, als sei es die beste der Welt.
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"Where were you, Dan? Last night I talked to Mick Napier. And I told him you liked his book." Immerhin Mick hätte ich also gestern noch treffen können. David und Kim streiten, wann die Personalausweisregel eingeführt wurde. Kim meint, nach 9/11. David ist überzeugt, es habe nichts damit zu tun.
Heute Abend also unser erster Auftritt – "One World One Stage" nennen sie das Ganze.
Draußen ist es nicht nur kühl, sondern ein fieser Wind hält einen davon ab, längere Spaziergänge unternehmen zu wollen. Die windy City macht ihrem Namen alle Ehre.
Alles, was umfallen kann, wird auch umfallen, es sei denn, man beschwert es mit Sandsäcken.
Überall in Chicago.
Wenn ich Steffi nicht hätte, wäre ich wohl nie ins Aquarium gegangen. Die Chicagoer zeigen sich von ihrer coolen Seite. Während wir eingemümmelt in der Schlange frieren, langweilen sie sich in Shorts und T-Shirt.
Bei uns würde hier ein Aquarium neben dem nächsten stehen, daneben trockene Erläuterungen über Kategorien, Lebensgebiet, Fressfeinde usw. In den USA geht es um Spiel. Man könnte das als Disney-World-Prinzip verunglimpfen. Aber im Grunde ist es das spielerische Prinzip, das auch die penibelsten Forscher bei der Stange hält, die Faszination der Tiefsee, für den seltenen Fisch, für die kuriosen Launen der Natur in tiefen Gewässern. Sehenswerte Schautafeln, Das Bedürfnis der Kinder, immer alles anfassen zu wollen, wird kanalisiert. Vorträge nicht etwa trocken gehalten, sondern mit einer unglaublichen Lebendigkeit.
Das Aquariums-Cafeteria ist noch trauriger als die bei IKEA, nur dass man vom Fenster der Cafeterien IKEA Waltersdorf/Spandau/Tempelhof keinen Blick auf eine der großartigsten Städte der Welt genießt
Am Abend "One World One Stage". Mark Sutton begrüßt uns und bereitet mit uns die Show vor. Ich frage mich, woher ich ihn kenne. Die Frage werde ich mir bis zum Ende des Festivals nicht beantworten können. "International" ist natürlich etwas übertrieben: Japan, Niederlande, USA, Deutschland, Kanada, Israel. Die Niederländer sind eigentlich Chicagoer, die gerade in Holland leben. Es gibt genau einen Kanadier, der immerhin auch ein wenig Französisch beherrscht. In diesem Sinne sind die Japaner am "internationalsten", die gerade mit einem Jetlag gerade eintreffen und kaum ein Wort verstehen. Kenne ich Greg Shapiro von vor sechs Jahren, als wir mit Jochen Schmidt und Bohni eine grauenhafte Comedy/Impro-Show in Amsterdam gesehen haben?
Die Israelis rocken die Bühne, und die Internationalisten geben sich hinterher mit einer Game-Show zufrieden. Auf was sonst soll man sich hier einigen, da nicht nur die Sprache ein Hindernis darstellt, sondern offenbar auch gravierende improtechnische Gräben sich auftun. Einige spielen schon jahrzehntelang Impro, andere haben gerade vor Kurzem ein paar Workshops besucht. Es gelingt uns dann doch recht gut, uns zu integrieren. Unser extrovertiertes Spiel wird gelobt.
Show-Fotos (c) Jerry A. Schulman
Am Ende beeindrucken uns doch die Hawaiianer und die Israelis am meisten. Auf der After-Show-Party (diesmal zum Glück im Theater, nicht in einer Bar), bieten die Japaner T-Shirts mit Unterschriften vom letzten Jahr an. Preis: 20 Dollar. Ziemlich schnell zeigt sich, dass niemand daran Interesse hat. Aber sie bleiben eisern hinter ihrem T-Shirt-Tischchen stehen.