Karl Valentin berichtet, dass er 1912 in der Singspielhalle auftrat und den Besitzer mehrmals bat, die Bühne erneuern zu lassen. Endlich gab dieser nach. Es wurde entschieden, dass der Abriss der alten Bühne direkt nach der Vorstellung begonnen werden sollte, die Arbeiter würden, wenn sie rund um die Uhr arbeiten würden, die neue Bühne bis zum nächsten Tag errichtet haben.
Valentin hatte nun den Einfall, die Bühne nicht erst nach der Vorstellung, sondern schon währenddessen abzureißen.
„Wir hatten als Schlusskomödie eine Bauernszene, bei der ein Bauer zu spät nach Hause kommt und von der Bäuerin eine Gardinenpredigt erhält. Der Bauer bekommt deshalb Streit mit seiner Frau, fängt an zu toben und schlägt mit den Fäusten auf den Tisch; sonst tat er nichts. Im Ernstfalle würde der Bauer vielleicht im Jähzorn die Möbeleinrichtung demolieren. Das könnte er doch eigentlich heute machen, dachte ich mir, denn die alte Bühne brauchen wir morgen sowieso nicht mehr. Gut. Ich teilte meine Idee dem Bauern mit, sonst niemand, nicht einmal der Bäuerin (…) Als die Gardinenpredigt zuende war, ergriff der Bauer nicht nur das Wort, sondern auch das Beil und schrie: „Jetzt wird’s mir aber amol zu dumm, Himmisapprament“, und ein wuchtiger Hieb zertrümmerte gleich die Zimmertüre. (…) Dann schrie er zum Fenster hinaus: „Großknecht, da geh rei.“ Ich erschien ebenfalls mit einem Beil – und nun ging es los.
Alle, der Besitzer des Frankfurter Hofes, die Besitzerin, die Stammgäste, das Publikum und die Bäuerin – alle sperrten Augen und Mund auf, als die ganze Bühne vor ihren Augen in Trümmer zerfiel. Sogar die Gäste flogen aus dem Saal, weil sie glaubten, die Schauspieler seien wahnsinnig geworden. Kopfschüttelnd verließen die Gäste die Singspielhalle und einige meinten: ‚Die haben aber natürlich gespielt.'“
(Karl Valentin in „Autobiographisches und Vermischtes“ – Piper)

Improvisierte Grenzüberschreitung 1912

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