Keith Johnstone sagte einmal sinngemäß, wenn eine Improgruppe nicht wenigstens in zehn Prozent ihrer Shows scheitert, hat sie ein echtes Problem. Man kann ihm insofern zustimmen, als dass es ein Zeichen von Stagnation sein kann, wenn alles zu glatt läuft. Die Gruppe arbeitet dann womöglich nicht am oberen Ende ihre Könnens. Als ich vor ein paar Jahren die legendären Crumbs scheitern sah (sie versemmelten nicht die gesamte Show, sondern nur eine Szene), war ich beinahe froh, sie quasi auch nur mit Wasser kochen zu sehen. Man verstehe mich nicht falsch: Ich fühlte keine Schadenfreude, sondern es war wie ein kalter Wasserguss, zu erleben, dass die beiden Impro-Füchse nicht auf Sicherheit spielen, sondern sich auch mal konzeptionell verrennen. Wie sehr müssen sich Improvisierer langweilen (oder vor Neuem fürchten!), wenn sie Woche für Woche über Jahre hinweg immer wieder dieselbe gut funktionierende Show erfolgreich aufführen.
Vielleicht aber sollten wir das Scheitern mal genauer betrachten. Es ist ja nicht gemeint, dass man bewusst scheitern soll oder bewusst schlecht spielen, wie um zu “beweisen”, dass man improvisiert. Scheitern in Kauf zu nehmen bedeutet, die Improvisation ernst zu nehmen, Risiken einzugehen:
Anspruchsvolle Lyrik zu improvisieren.
In einem großen Ensemble Storys mit mehreren Ebenen zu erfinden.
mehrstimmig den gleichen Text improvisierend zu singen.
Einen wagemutigen Improvisierer können wir uns vorstellen wie einen Jongleur, der noch einen zusätzlichen Ball wirft, im Wissen, dass die Gefahr zu droppen erhöht wird. Die Kunst besteht darin, die Grenze zu finden und immer wieder neu auszuloten. Um im Bild zu bleiben: Wenn ich nicht in der Lage bin, drei Bälle in der Luft zu halten, ist es einfach dämlich mit fünfen zu beginnen.

Wann ist eine Show gescheitert? Das zu beantworten, mag schwierig sein: Als Daumenregel kann man sich fragen:
Hat die Show mir gefallen?
Hat die Show meinen Mitspielern gefallen?
Hat die Show dem Publikum gefallen?
1. Wenn die Show sowohl dir als auch deinen Mitspielern gefallen hat, dem Publikum aber nicht, müsst ihr nicht unbedingt in Panik verfallen. Ihr seid in dem Punkt gescheitert, zu kommunizieren, was ihr auf der Bühne zu sagen habt. Wahrscheinlich seid ihr gerade auf dem Wege der künstlerischen Weiterentwicklung. Euer Konzept ist vielleicht noch nicht ausgereift genug, dass die Zuschauer es wirklich goutieren können. Geduld ist gefragt. Oft genügt ein Drehen an dem einen oder anderen Schräubchen.
2. Wenn die Show nur dir oder nur dir und dem Publikum gefallen hat, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass du in die Ego-Falle getappt bist. Entweder die Show ist deine Kopfgeburt oder du hast dich auf Kosten der Mitspieler profiliert. Höre genau auf das Feedback deiner Mitspieler.
3. Wenn die Show nur dir missfallen hat, dann könnte es sein, dass du heute auf einem Negativ-Trip unterwegs bist. Das Scheitern wird von dir größer wahrgenommen als es eigentlich ist.
4. Wenn es allen gefallen hat oder wenn es allen missfallen hat, dann habt ihr kein Problem. “Was? Wieso haben wir kein Problem, wenn alle die Show furchtbar finden?” “Weil ihr nach wie vor dasselbe wollt. Ihr seid zwar gescheitert, aber eure Reise geht in dieselbe Richtung. Und wahrscheinlich bleibt euch euer Publikum treu, wenn ihr es nicht gerade über Monate hinweg enttäuscht.”)

Problematisch wird es, wenn die Wahrnehmung der Mitspieler untereinander auf Dauer dissonant bleibt. Die einen fanden es großartig, die anderen wollen etwas anderes und spielen nur widerwillig mit. Bevor das sich als Muster verfestigt, solltet ihr miteinander reden.

Ergänzung 2019: Diese Gedanken wurden später noch ausgeführt in Dan Richter: “Improvisationstheater. Band 8: Gruppen, Geld und Management”

Scheitern
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