(Ergänzung: Diese Gedanken habe ich bearbeitet und weiter ausgeführt im Buch „Improvisationstheater. Band 8: Gruppen, Geld und Management


Mit kaum einem Begriff wird in der darstellenden Kunst und besonders im Improtheater so viel Schindluder getrieben wie mit „Professionalität“. Wenn wir uns den üblichen Sprachgebrauch anschauen, werden unter Professionalität drei verschiedene Dinge verstanden:

  1. Die berufsmäßige Ausübung der Kunst, d.h. dass man seinen Lebensunterhalt damit verdient.
  2. Eine bestimmte routinemäßige Haltung zur Kunst, insbesondere Fokus, Achtsamkeit und das Vermeiden persönlicher Allüren und Zimperlichkeiten.
  3. Die Qualität der Kunst.

Ich verwende hier Professionalität hauptsächlich im ersten und im zweiten Sinne des Wortes. Das hat mit folgenden Überlegungen zu tun. Zunächst ist, wer von seiner Kunst leben kann, ein professioneller Künstler. Das sagt noch nichts über die Qualität dessen aus, was er tut. Man schalte den Fernseher an und schaue sich eine beliebige Mixed Comedy-Show an. Neben einigen Genies sieht man erstaunlich viele Bühnenkünstler, die eine Menge Geld dafür erhalten, Abscheulichkeiten zum Besten zu geben, auf Minderheiten herumzuhacken, Plattitüden über Politiker aufzusagen und Vorurteile des Publikums zu bestätigen. Und doch sind es Profis. Sie haben große Mühen auf sich genommen, ein gewisses Talent mitgebracht und sicherlich auch ein bisschen Glück gehabt, um dorthin zu kommen, wo sie heute sind.
Ähnlich ist es auch in der Improtheater-Szene. Die Tatsache, dass jemand viel Zeit und Mühe in die schauspielerische und die Impro-Ausbildung gesteckt hat, dass er zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist und nun in einem erfolgreichen Ensemble spielt, erhöht zwar die Wahrscheinlichkeit für hohe Impro-Qualität, ein Garant ist sie aber nicht.
Ein berühmtes Beispiel aus der bildenden Kunst ist Vincent Van Gogh, der sich zu Lebzeiten mit seiner Kunst kaum über Wasser halten konnte, heute aber von Kritikern, Liebhabern und dem breiten Publikum ungeheuer geschätzt wird. Und natürlich gibt es solche Künstlertypen und -Gruppen auch im Improtheater: Sie gehen neue Wege, die nur von wenigen verstanden werden, sind aber vielleicht auch nur unfähig oder ungeschickt, ihre Arbeit angemessen zu vermarkten.  Oder sie haben einen Hauptberuf, den sie lieben und von dem sie nicht lassen wollen.
Und umgekehrt: Nur weil du erfolglose Avantgarde betreibst und nicht weißt, wie du dich über Wasser halten kannst, bedeutet das nicht, dass deine Impro-Kunst zu großartig ist, um von anderen verstanden zu werden. Es gibt eben auch miese Avantgarde.

Professionalität als Haltung und Einstellung (d.h. Professionalität im zweiten Sinne) ist eine Voraussetzung, um überhaupt dauerhaft erfolgreich Improtheater ausüben zu können. Sicherlich kann man eine Reihe von Flausen und Mickrigkeiten überspielen, aber sich dauerhaft unprofessionell zu geben, bringt einen nicht auf einen grünen Zweig – weder künstlerisch noch finanziell. Zur professionellen Haltung gehören folgende Facetten.

  1. Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit
    Es fängt damit an, dass du einfach das erledigst, worauf du dich mit der Gruppe geeinigt hast: Pünktlich zu den Proben kommen, Auftritte nicht versäumen, E-Mails lesen und beantworten. Ebenso zuverlässig sei man in der Zusammenarbeit mit Kunden (die z.B. eine Show gebucht haben) und anderen Kooperationspartnern (z.B. den Betreibern der Location) zuverlässig zu erweisen: Termine einhalten, Probleme rechtzeitig und klar kommunizieren.
  2. Kompetenz
    Kompetenz in der Kunst ist nicht etwas, was man irgendwann einmal erlernt hat, sondern sie ist immer wieder zu erneuern. Denn wie jede andere Kunst auch bleibt Improvisationstheater nicht stehen. Wenn du also seit zwanzig Jahren (vielleicht sogar finanziell erfolgreich) deinen alten Stiefel fährst, dann verhältst du dich unprofessionell, weil du deine Kompetenz nicht schärfst.
  3. Rücksicht, Höflichkeit, Respekt und Integrität
    Wer sich einen Ruf als professionell handelnder Improspieler erarbeiten will, sollte andere so behandeln, wie man selbst behandelt werden will. Seid rücksichtsvoll gegenüber Fehlern und Schwächen anderer. Respektiert eure Kollegen – das Barpersonal, die Kassierer und Techniker. Respektiert die Impro-Kollegen inner- und außerhalb eurer Gruppe. Egal, welchen Stil sie spielen, egal ob euch das gefällt, was diese tun, egal ob es Profis oder Amateure sind, respektiert sie! Und (ich wiederhole mich) lästert nie! Seid ehrlich und loyal. Nehmt eure Kollegen in Schutz gegenüber Lästerern. Beklagt euch nicht über frühere Mitspieler.
  4. Engagement
    Engagiert sein ist nicht nur eine Frage des Bühnenverhaltens, sondern auch im Miteinander wichtig. Auch „Kleinigkeiten“, die nicht unmittelbar mit dem Auftritt zu tun haben, werden ernst genommen. Das heißt nicht, dass alle immer zu jeder Kleinigkeit dieselbe Meinung haben müssen. So können wir z.B. unterschiedlicher Meinung sein, ob die Gruppenfotos noch etwas taugen oder ob wir neue brauchen. Die professionelle Haltung zeigt sich darin, dass wir die Frage und die Sorge ernst nehmen.
    Engagement bedeutet darüber hinaus, dass wir Auftritte und Proben ernst nehmen, also pünktlich und ausgeruht erscheinen, dass wir bereit sind, all unsere Fähigkeiten beizusteuern, statt Auftritte nur „abzuarbeiten“, und zwar auch dann, wenn wir dieses Publikum nie wieder sehen werden.
  5. Persönliche Verantwortung
    Je größer die Gruppe und je stärker die Hierarchie, umso einfacher ist es für den Einzelnen, sich zurückzulehnen und einfach mitzusurfen. Wenn zum Beispiel die zwanzig Mitglieder einer größeren Gruppe aufgefordert werden, sich online einzutragen, wann sie proben können, kann man einfach die anderen die Arbeit machen lassen und sich dann an die Gruppenentscheidung dranhängen. Aber professionell ist das nicht, da sich persönliche Verantwortung auch im Kleinen zeigt.
  6. Persönliches so weit wie möglich heraushalten
    Vielleicht ist dies der schwierigste Professionalitäts-Aspekt im Improtheater, denn schließlich ist Improtheater eine sehr persönliche Angelegenheit. Das heißt, wenn wir sensibel spielen, werden wir nicht umhin kommen, große Teile unserer Persönlichkeit anderen zu offenbaren. Im Improtheater wird man seine Kollegen so nah kennenlernen wie in kaum einem andere Beruf. Man erfährt von den Vorlieben und Abneigungen anderer, man lernt ihre Stärken und ihre Schwächen kennen. Entscheidend ist, diese Nähe nicht zu missbrauchen (offenbarte Schwächen zum Beispiel in einer Diskussion als Argumentationswaffe zu nutzen), persönliche Probleme nicht so weit in die Gruppe hineinzutragen, dass sie sie belasten, und Berufliches nicht persönlich nehmen. Und zu guter Letzt: Als professioneller Improspieler musst du im Prinzip mit jedem anderen Improspieler improvisieren können, unabhängig davon, ob du ihn leiden kannst oder nicht, denn hier zählen nur fachliche Aspekte.

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Ergänzung 2019: Diese Gedanken wurden später ausgeführt in Dan Richter: „Improvisationstheater. Band 8: Gruppen, Geld und Management“

Amateure und Profis (1) – Professionalität als Haltung
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