(Ergänzung: Diese Gedanken habe ich bearbeitet und weiter ausgeführt im Buch „Improvisationstheater. Band 8: Gruppen, Geld und Management


„Das ist aber überhaupt nicht professionell!“ Irgendwann hört jeder diesen Satz – im Backstage oder bei einer Gruppensitzung, man liest ihn als Argument in einer Online-Diskussion oder im E-Mail-Verkehr.
Wenngleich Professionalität als Haltung eine wichtige Tugend ist, wie wir gesehen haben, so gerät sie auch rasch zum Totschlag-Argument. Das Webdesign, dass einem nicht gefällt, das Outfit eines Kollegen, sogar bestimmte Show-Formate werden mit dem Professionalitäts-Besen vom Tisch gefegt.
Aber: Wenn man sich nur an den Standards anderer Spieler und Gruppen orientiert, erlahmt die eigene Phantasie. Ich frage mich bei manchen auf Hochglanz und Eleganz getrimmten Flyern von einigen Impro-Gruppen, wo denn das Spielerische bleibt. Aus Furcht davor, nicht wie eine Volkshochschul-Theatertruppe rüberzukommen, wirken sie wie Consultants aus dem Londoner Finanzdistrikt. In welcher Profi-Impro-Gruppe würde heute ein Flyer goutiert werden, in der ein Typ mit Perücke in einem Blumentopf sitzt und darüber in Krakelschrift mit Filzstift „Lass knacken, Oppa“ geschrieben steht? Mit diesem Plakat warb einer der erfolgreichsten deutschen Komiker für seine Tour im Jahr 2015 – Helge Schneider.
Schlimmer noch ist es, wenn es um die „Professionalität“ von Impro-Shows geht. Ich habe erleben müssen, wie darum gestritten wurde, ob der Schiedsrichter eines Theatersport-Matches eine Trillerpfeife haben müsse, und beide Seiten warfen der der anderen Unprofessionalität vor. Impro-Konventionen werden verteidigt, Experimente ausgebremst, alles unter dem Deckmantel der Professionalität.
Das große Köln-Concert improvisierte Keith Jarrett auf einem Flügel, der verstimmt war und bei dem die Pedalen klemmten. Aber manche Improtheater-Musiker zicken bei technischen Fragen wie pubertierende Mädchen. So ernst man technische Details auch nehmen soll – als Impro-Künstler muss man auch mit dem Unperfekten umgehen können.
Sound-Checks auf Kleinstbühnen werden mit Verweis auf Professionalität ins Unendliche gezogen, als würde man die Mailänder Scala füllen wollen, nur um schließlich einen halben Song ins Mikro zu gröhlen, bei dem der Techniker auch noch nachjustieren muss.
Und schließlich habe ich auch erlebt, wie das Schauspiel oder die Improvisation von Impro-Spielern als unprofessionell bezeichnet wurde. Der „Unprofessionell!“-Vorwurf ist das hohlste Argument von allen. Eine schauspielerische Geste erzielt ihre Wirkung oder nicht. Ein Impro-Angebot ist stark oder schwach, reichhaltig oder unklar. Ein Satz verständlich oder nicht. Eine Szene temporeich oder lahm. Eine Show lief gut, mittelmäßig oder miserabel. Ein Spieler muss an seiner Präsenz oder seiner Akzeptierfreude arbeiten. Das sind alles Kategorien, mit denen man eine Show, eine Szene oder auch einen Spieler beobachten und nötigenfalls auch beurteilen kann. Aber das Schlagwort „Unprofessionell“ hilft niemandem weiter.

Amateure und Profis (6) – Professionalität als Falle
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