Die besten Impro-Games sind  in ihrer Grenzziehung so konzipiert, dass sie unsere Kreativität freisetzen.

So ist das  ABC-Spiel ungeeignet für Spieler, die extreme Schwierigkeiten mit dem Alphabet haben (etwa weil sie Legastheniker sind) aber auch für Spieler, die das Spiel bereits Hunderte Male gespielt haben und für die die Limitierung keine mehr ist.

Sie haben so wenig Regeln wie möglich (im besten Fall nur eine). Sie stellen sich uns in den Weg, damit wir uns selbst nicht im Weg stehen. Sie führen unseren Geist und unseren Körper auf Pfade, die diese zuvor nicht betreten haben. Sie lassen uns als Team etwas erschaffen, das uns alleine nie eingefallen wäre, ja, das größer ist als die Summe seiner Teile. Für uns als Improspieler bedeutet das, das wir die durch die Spielregeln gesetzten Grenzen nicht als Willkürlichkeit auffassen, sondern als freudig zu meisternde Beschränkung. (Oder hat sich je ein Fußballspieler darüber beschwert, dass er den Ball nicht einfach mit den Händen werfen darf, was doch viel bequemer wäre?)
Spiele, die mit Regeln überfrachtet sind, verlieren ihren Reiz sowohl für die Spieler als auch fürs Publikum. Man erlebt solche Spiele bisweilen in Theatersport-Shows, in denen die Spieler und Teams darauf hoffen, dass sie den Unterhaltungswert durch immer krassere Herausforderungen steigern können. Da werden dann Armreden mit Synchronisations-Spielen kombiniert, Lyrik-Impro mit Kauderwelsch, Opern-Gesang mit dem Spiel „Stehen/Sitzen/Liegen“. Sicherlich ist das ab und zu mal unterhaltsam, aber bei Lichte betrachtet, werden die Spieler daran gehindert, die Grenzen der Limitierungen ganz auszuloten. Aber auch für den Zuschauer ist das irritierend. Man kann sich weder auf das Eine noch auf das Andere richtig einlassen. In Varietés finden sich manchmal ähnliche Dummheiten, wie etwa ein seiltanzender Zauberkünstler vor, der einem auf dem Schlappseil Kartentricks präsentiert: Man schenkt letztlich dem Seiltanzen und der Zauberei nur die halbe Aufmerksamkeit.
Für improvisierte Langformen und Impro-Show-Formate gilt Ähnliches. Allzu oft unterliegen Improspieler dem Drang, ihr gesamtes Können in eine Langform stecken zu wollen und diese dadurch zu überfrachten. Das augenfälligste Beispiel ist hier der Gesang. Wenn man sich zum Beispiel in einer Horror- oder Krimi-Langform bewegt, sprengt ein improvisiertes Lied meist die aufgebaute Spannung. Sicherlich gibt es hier Ausnahmen – schön gemachte Krimi-Musicals – aber man sollte sich fragen, ob es die Form verträgt.

An einem meiner enttäuschendsten Impro-Abende als Zuschauer musste ich ansehen, wie eine großartig improvisiertes Shakespeare-Drama dadurch verunstaltet wurde, dass die Sprecher der Monologe von außen synchronisiert wurden. Als ich die Spieler später fragte, warum sie das getan hatten, antworteten sie: „Weil wir das so gut können.“

Show-Formate leiden an Überfrachtung, wenn man für ihre Erklärung länger als eine Minute braucht. So werden manche Theatersport-Shows mit Dutzenden Gimmicks aufgepeppt, die für sich genommen oft ungeheuer witzig sind, aber am Ende die Szenen in einem Wust von buntem Drumherum untergehen lassen.

Im Grunde genügen ja für eine Theatersport-Show zwei Mannschaften und ein Moderator/Schiedsrichter. Die Abstimmung kann durchs Publikum und/oder Punktrichter erfolgen. Dieses Grundreglement verträgt allenfalls noch ein Gimmick. Aber die Theatersport-Shows sind leider zu oft mit „La Ola“ und anderen Wenn-dann-Publikums-Interaktionen gespickt, Strafkörbe werden verteilt, die Spieler müssen langwierige Rituale zu Beginn und am Ende der Show durchführen. Ob die Zuschauer solcher Shows sich hinterher auch nur an eine einzige Szene erinnern werden?

Umgekehrt fokussiert gerade die Regelknappheit die Spielenergie in eine bestimmte Richtung: Das bereits erwähnte sehr physische Aufmerksamkeits-Spiel „Sitzen/Stehen/Liegen“ gewinnt gerade dann seine komische Dynamik, wenn es nicht noch „angereichert“ wird, sondern sich die Spieler genau auf diese eine Aufgabe konzentrieren können.

Regelknappheit
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