Der folgende Text ist ein Abschnitt aus dem Buch „Improvisationstheater. Band 3. Die Magie der Szene“.


Als Impro-Spieler ist es deine große Aufgabe, deinen Mitspielern aus der Patsche zu helfen. Wenn du also aus dem Off bemerkst, dass eine Szene dabei ist, sich komplett zu verheddern, wirr, unklar oder bedeutungslos zu werden, dann solltest du dich fragen: Wie rette ich die Szene?

1. Inhalte verstärken

Wenn sie merken, dass die Szene abrutscht, verfallen manche Spieler in Aktionismus und bieten irgendetwas Lustiges an, was mit der ursprünglichen Szene nur am Rande zu tun hat. Sie wischen quasi das bereits Etablierte beiseite und hoffen, nun mit „etwas Besserem“ die Szene zu retten.

Flora und Thea sind verloren in einer Laber-Szene. Sie haben schon vier verschiedene Themen angesprochen: Ihre Jobs, ihre Töchter, die letzten Wahlen und die Frage, ob die katholische Kirche Feuerbestattung zulassen sollte.
Energievoller Auftritt Markus: „Schatz, unser Pinguin ist aus dem Swimmingpool abgehauen!“

Man kann nur hoffen, dass die beiden Spielerinnen auf das kuriose Angebot eingehen werden. Doch man muss sagen, dass Markus die Szene nicht gerettet, sondern eigentlich eine völlig neue Szene begonnen hat.
Zuhören! Nicht ausdenken!
Nimm etwas, das bereits in der Szene etabliert wurde und mach das groß. Warum einen Pinguin erfinden, wenn bereits eine Tochter etabliert wurde?

Energievoller Auftritt Markus: „Schatz, Cora ist verschwunden!“

Während die erste „Rettung“ so wirkt, als sei die Szene gar nicht gespielt worden, sind wir hier froh, dass Markus die beiden gerettet hat, da er die bereits erwähnte Tochter wieder aufgriff. Welches Material wiedereingeführt wird, ist ziemlich unerheblich. Tendenziell wohl das, was am meisten emotionalen Schwung verspricht. Der Rest steht uns als später zu integrierendes Material immer noch zur Verfügung.

2. Helden verstärken

Gerade in Anfangsszenen bleibt es zwischen den Spielern manchmal unklar, um wen es geht, selbst wenn sie das Thema schon gefunden haben.

Etabliert sind Hannah und ihre Mutter.
Hannah: „Mama, dieses Studium wäre für mich der Traum meines Lebens.“
Mutter: „Hannah, ich kann dir das nicht finanzieren. Ich brauche das Geld für meine nächste Ausstellung.“
Hannah: „Ich habe die Zusage vom Dekan von Harvard persönlich.“
Mutter: „Und ich muss jetzt alles in die Werbung stecken. Diese Ausstellung ist meine letzte Chance.“

Das Verhältnis der beiden ist klar. Ebenso der Konflikt. Beide Figuren haben Helden-Potential, aber als Zuschauer werden wir uns kaum für beide Figuren mit derselben Intensität interessieren. Als außenstehende Mitspieler ist unsere Aufgabe, zu sehen, ob es den beiden gelingt, sich rasch zu einigen, wer die Heldin ist und notfalls helfend einzugreifen. Indem man eine der beiden Figuren stärker fokussiert, wird sie von größerem Interesse, ein Signal, das die Spielerin der anderen Figur hoffentlich erkennen wird.

Hannah: „Ich habe die Zusage vom Dekan in Harvard persönlich.“
Mutter: „Und ich muss jetzt alles in die Werbung stecken. Diese Ausstellung ist meine letzte Chance.“
Vater (betritt die Szene, gestisch unterstreichend, er habe zugehört): „Dann muss deine Ausstellung eben warten. Die Ausbildung deiner Tochter hat Vorrang.“

Dadurch, dass der Vater sich auf die Seite der Tochter stellt und dass er die Mutter direkt anspricht, verstärkt den Fokus auf die Mutter. Denn auch wir fragen uns: Wird die Mutter ihre Karriere zugunsten ihrer Tochter nun beerdigen oder nicht? Zu diesem Zeitpunkt wäre die Intervention aber auch umgekehrt plausibel:

Hannah: „Ich habe die Zusage vom Dekan in Harvard persönlich.“
Mutter: „Und ich muss jetzt alles in die Werbung stecken. Diese Ausstellung ist meine letzte Chance.“
Vater (betritt die Szene): „So ist es. Nimm Rücksicht auf deine Mutter. Außerdem wirst du es als Frau in Geometrie immer schwer haben – eine Männerwelt, was will man machen? Bleib noch ein Jahr bei uns in Reutlingen, hilf mir bei der Buchhaltung, und wenn du dann immer noch so versessen auf die Rechnerei bist, wirst du auch in Stuttgart einen Studienplatz finden.“

 

Im Off – Wie man eine Szene rettet
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