Kotzen

„Keine Szenen übers Kotzen spielen“ – dieses Johnstone-Gebot hatte sich dermaßen in meinem Hinterkopf eingebrannt (und tatsächlich sieht man selten eine gute Szene, in der gekotzt wird), dass ich wohl noch nie in einer Impro-Aufführung gekotzt habe. Am letzten Freitag dann als Nebenfigur eine kotzende Partyleiche gespielt. Fast hatte der Tabu-Bruch etwas erlösendes. (Dabei hat man ja als Spieler sonst kaum Probleme, Mörder zu spielen.)
Dann noch mal über Johnstone nachgedacht: Es war ja keine Szene übers Kotzen, sondern das Kotzen war nur ein nebensächliches Element, dem nicht einmal viel Bedeutung zukam.
Knack deine Tabus!

„Durchgedreht“

Der ca. sechste Versuch, Improtheater ins Fernsehen zu bringen, ist wieder einmal völlig misslungen. Dafür können wir fünf Gründe nennen:

  1. Jörg Tadeusz als Moderator ist eine intellektuelle und geschmackliche Zumutung. In keinem Augenblick interessiert er sich für das, was er macht, worüber er spricht oder mit wem er spricht. Das gilt für „Die Profis“ auf Radio Eins, seine Talkshow, den von ihm moderierten Poetry Slam, und es wäre ein Wunder, wenn er sich nur ein bisschen mehr als absolut notwendig mit Improtheater beschäftigt hätte. Das Schlimmste aber: Tadeusz hat keinen Humor. Lasst ihn meinetwegen Schlager-Wunschsendungen moderieren.
  2. Die Sendung wird in Köln produziert. Das ist schon fast eine Garantie für billigsten Ich-setze-mir-eine-Perücke-auf-und-dann-lacht-das-Publikum-schon-Humor.
  3. „Durchgedreht“ versucht, Improtheater einen politischen Dreh zu geben. Das ist an sich löblich, da gerade diese Kombi hierzulande fehlt. Nun könnte man die Möglichkeit des Improtheater nutzen, wirklich tagesaktuell auf die Themen einzugehen und der Sache wirklich Biss zu geben. Stattdessen Genre-Replay-Softporno zwischen Obama und Merkel. Bruhaha.
  4. Die Schauspieler. Man setzt auf Parodisten und den allgegenwärtigen Hoecker. Was es bräuchte: Intelligente, humorvolle, schlagfertige Schauspieler.
  5. Und überhaupt!

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Melanie – Format

Habe bisher das schöne Format „Melanie“ noch nicht auf einer deutschen Impro-Seite gefunden. Deshalb also hier:
Die Grundlage von Melanie funktioniert wie ein freier Harold, also eine Collage aus Szenen, Songs, Games usw. zu einem Begriff. Ein Spieler ist „Melanie“. Melanie hält Monologe, und kann in Szenen eingreifen oder sie beenden. Im besten Fall tut sie das stilvoll, also nicht als Regisseur, sondern sie ähnelt eher einem Engel. Sie kann Charaktere oder Szenen kommentieren (verbal oder besser noch: physisch). Und: Sie wird von den anderen Spielern nie angespielt oder kommentiert.

Das Format entstand angeblich in Chicago in Zusammenarbeit von Del Close mit einer speziellen Spielerin namens Melanie, für die der Harold auf diese Weise abgewandelt wurde.

Und ist das alles improvisiert?

Die Frage, ob auch wirklich alles improvisiert ist oder ob es nicht doch heimliche Plot- oder gar Text-Absprachen gibt, wird wohl nie verschwinden. Ich finde es auch nicht schlimm, wenn die Frage in aller Unschuld nach einer Show gestellt wird. Aber es gibt eben auch die ewig skeptischen Zuschauer, die während der ganzen Show nach „dem Trick“ suchen. Oder Zuschauer, die einem einfach nicht glauben. Vor einem Monat spielten wir ein komplett improvisiertes zweistündiges Stück im Stil von Tennessee Williams. Einziger Ausgangspunkt war der vom Publikum vorgeschlagene Titel. Vier Tage später die Internet-Rezension: Das Stück sei überzeugend vorgetragen worden. Aber „zu Beginn der Aufführung sollten die Zuschauer den Namen des Stückes bestimmen. Das war es dann auch mit dem Improvisationstheater.“ Denn wenn das alles improvisiert sein sollte, dann hätten ja die Spieler genial sein müssen.
So geschmeichelt man sich dabei auch fühlen mag, es ist doch erstaunlich, dass diese Art von Zuschauern es der Show nicht gönnen können, „genial“ zu sein. Und sich selbst den Genuss nicht gönnen, etwas Großartigem beizuwohnen.
Aber wir sollten nicht in de Falle tappen, den Zuschauern durch Extra-Gimmicks „beweisen“ zu wollen, dass alles improvisiert ist; denn erstens verwässert man dann die eigene Show für sich und die Mehrheit der Zuschauer und zweitens, das zeigt die Erfahrung, werden die Skeptiker stets Skeptiker bleiben.

Pantomime im Improtheater

Gute Impro-Schauspieler haben auch immer eine gewisse pantomimische Kraft. Andererseits unterscheidet sich die Pantomime, die wir auf der Impro-Bühne brauchen doch von der clownesken Form, die sich im 20. Jahrhundert etabliert hat. Jeder hat den prototypischen wandabtastenden, auf dem Boden gleitenden Clown vor Augen, der mit dem Einsatz des gesamten Körpers imaginäre Türen öffnet, Ballons aufbläst und Rosen pflückt. Dieser Stil ist für unsere Zwecke einen Tick zu groß. Er thematisiert das Mimen zu sehr. Die Präsentation des physischen Darstellens ist ja bei uns meist nur ein Aspekt unter vielen. Da wir aber auch körperlich deutlich machen müssen, was wir tun, ohne es zu benennen, (Türen öffnen, Gegenstände tragen, Kleidung aus- und anziehen usw.) gehen wir einen Mittelweg zwischen dem Großmachen des Marcel-Marceau-Stils und dem theatralen Minimalismus, der keine Pantomime braucht, weil sämtliche Requisiten vorhanden sind.

Think inside the box

„Everybody says: ‚Think outside the box‘. If you think outside the box, other improvisers can’t work with you. So I teach people to think inside the box, that we can work with them. But the fashion goes otherwise nowadays.“


Die Frage ist natürlich, ob meine Box und deine Box dasselbe sind. Meine Offensichtlichkeit verträgt sich vielleicht nicht mit deiner und umgekehrt. Das heißt, dann ist wieder radikales Akzeptieren gefragt. Aber natürlich hat Johnstone hier Recht: Originell sein wollen, witzig oder geistreich erscheinen wollen wegen der Bewunderung oder des schnellen Lachers sind der Tod der Szene.… Weiterlesen

Interview Keith Johnstone

„Often the improvisers only know how to accept ideas. That’s not good enough. You have to know what the other person wants. You have to be good at giving them what they want, because if you do it’s the same with the audience.“
„If you do short term improvisation, and if the third or fourth scene isn’t a disaster, you’re in trouble, because the audience starts looking at it like show business and they expect it getting better and better. Biut it’s not like that. You’re performing risky actions in search for a miracle. You don’t get miracles if it’s all safe. (…) Show business covers all the tracks, it hides the faults.“
„In a really good game the best improvisers sometimes lose. And then it’s unpredictable, it’s fun to see it.“
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Some questions – Ein paar Fragen

Why do improv shows have to be emceed?
Why do impro pros follow sheepishly a storytelling fetishism? [edit: This is not about games vs. storytelling but about narrative vs. anti-narrative. Modern theater has developed non-narrative forms of performance. Improv players don’t seem to watch these kind of shows.]
Why is everybody talking about some great mask workshops but hardly anybody ever performs improv shows with masks?
Why are you walking the old paths?

– Wieso sollen Impro-Shows anmoderiert werden?
– Weshalb folgen die meisten Profis dem Storytelling-Fetischismus?
– Wieso schwärmen immer wieder Impro-Spieler von Masken-Workshops, aber man sieht nie Masken-Shows?
– Warum gehen die meisten Ensembles doch die Pfade, die andere für sie ausgetreten haben?
(Fragen, die in mir entstanden, nachdem ich den Film „AG Geige – ein Amateurfilm“ sah.)

Das Kleine Zuhören und das Große Zuhören

Wir können ganz allgemein zwischen dem Kleinen Zuhören und dem Großen Zuhören unterscheiden. Das Kleine Zuhören bezieht sich dabei eher auf den Moment, die unmittelbare Szene, das Große Zuhören eher auf die Gesamt-Story.
Die üblichen Impro-Games befassen sich vor allem mit dem Kleinen Zuhören, da es die Voraussetzung für das Akzeptieren ist: Was wird gesagt? Welche emotionale Bedeutung hat das Gesagte? Welches Timing wird angeboten? usw.
Für Storys brauchen wir aber auch das Große Zuhören: Welches Angebot ist das Story-Angebot? Wohin geht der Schwung der Story bzw. (in den Worten von Dixon) was ist das „Versprechen“ der Geschichte?
Die Schwierigkeit besteht natürlich darin, beides gleichzeitig zu tun. Das Große Zuhören darf uns nicht von der authentischen Reaktion des Moments ablenken. Das Kleine Zuhören darf uns nicht davon abhalten, das Gesamtbild aus den Augen zu verlieren.

Fokus bei Anfängern und Profis

„2010 beobachteten Johan Koedijker und sein Team von der Universität Amsterdam, dass Tischtennisspieler auf bestimmte Situationen völlig unterschiedlich reagieren – je nachdem, seit wie vielen Jahren sie schon an der Platte stehen. Beobachteten die Spieler gezielt ihre Schläge und kommentierten jeden Kontakt von Ball und Schläger mit dem Wort »Winkel«, waren die Geübten plötzlich weniger erfolgreich.Anfänger hingegen profitierten von der Beobachtung des eigenen Schlags sogar. Eine höhere Spielgeschwindigkeit hatte demgegenüber genau den gegenteiligen Effekt: Die Profis spielten weiter wie selbstverständlich jeden Ball übers Netz, während ungeübte Spieler fünfmal so viele Fehler machten wie vorher. Für Anfänger scheint es also hilfreich, der Bewegung genug Zeit und Aufmerksamkeit zu widmen, während Profis ohne viel Nachdenken besser agieren. Sie tun am besten daran, automatisierten Bewegungsmustern freien Lauf zu lassen.“ (Gehirn und Geist 6/2013)
Das heißt auch für uns Improspieler (und Künstler überhaupt): Für jedes Stadium brauchen wir einen anderen Fokus. Ein Anfänger sollte sich vielleicht stark aufs Akzeptieren konzentrieren. Später studiert man Story-Strukturen. Dann wieder sollte der Fokus auf das Timing gehen, die Figur usw. Und vielleicht kommt man wieder zurück an den Anfang: Noch radikaleres Akzeptieren…
Auf jeden Fall muss man wegkommen vom Fokus der Außenwahrnehmung auf den eigenen Körper. Diese lässt den Sportler erlahmen und den Schauspieler affig wirken.
Weiteres zum Thema in Choke. What the Secrets of the Brain Reveal About Getting It Right When You Have To

Spielfreude und Die Kraft der Grenzen

In seinem Buch Free Play beschreibt Stephen Nachmanovitch zwei Formen von Spiel, die zueinander in gewissem Gegensatz stehen: Play und Game. Play bezeichnet das ungehemmte Spielen, das freie Moment des Spiels, das Kindliche, das Närrische. Ein Game hingegen bezeichnet die Grenzen des Spiels, die schon durch die Bezeichnung deutlich werden: Fußball-Spiel, Sinfonie, Versteck-Spiel, oder (im Fall von Improtheater) Einwort-Geschichte, ABC-Spiel, Harold usw.
Um Harmonie, Schönheit, Qualität zu erreichen, brauchen wir eine gewisse Balance zwischen beidem. Ein Game, das nicht spielerisch betrieben wird, wirkt hölzern und fad. Man stelle sich ein Fußballspiel vor, bei dem der Hauptfokus der Spieler darin besteht, nur ja keinen Fehler zu begehen, den Ball nie ins Aus zu schießen, nie ins Abseits zu geraten usw. – das Spiel würde unendlich langsam und vorsichtig wirken, ohne Schmackes. Oder man stelle sich vor, statt eines Dirigenten würde man ein Metronom vor das Sinfonieorchester stellen. Große Künstler wissen oft sehr genau um die Regeln ihres Genres, an denen sie sich abarbeiten und die sie auch gezielt übertreten. Mein Lieblingsbeispiel in der dramatischen Kunst ist der Filmklassiker „Psycho“. Nach der ersten Szene denken wir, wir hätten es mit einem Liebesfilm zu tun, später führt uns Hitchcock auf die falsche Fährte eines Krimis, und erst nach einer Dreiviertelstunde wissen wir, dass wir in einem Horrorfilm sind. Und vor unseren Augen verschwindet die Heldin des Films, als die Geschichte erst richtig losgeht.
Das Game setzt uns Grenzen, an denen sich unsere freigelassene Kreativität abarbeiten kann. Fehlen diese Grenzen, wird das Spiel konturlos, schwammig, und man fragt sich: Was soll das? Kinder bemerken schon früh, dass „einfach so“ spielen langweilig wird. Auf dem Spielplatz werden deshalb immer wieder Regeldiskussionen geführt. Man stelle zwei Spieler, die noch nie Improtheater gespielt haben, auf die Bühne, und sage ihnen: „Fangt mal an.“ Nur in den seltensten Fällen, wird da etwas sinnvolles entstehen. Die Genialität von Spolin und Johnstone besteht nämlich darin, durch extreme Beschränkungen selbst Impro-Anfänger zu kreativen Glanzleistungen zu bewegen. Ein gut ausgebildeter Impro-Spieler hat gelernt, seine Kreativität auf verschiedene Wege immer wieder zu kanalisieren. Er erkennt in freien Szenen ein Game, sobald es in der Luft liegt. Er erkennt den Stil der Story, das Tempo der Szene, den Wechsel von Status, die sprachliche Ebene, usw. usf. Interessant ist hier, die historische Entwicklung der recht freien Form „Harold“ zu beobachten. Es ist eigentlich erstaunlich, wie formal streng diese Langform von Del Close in den 70er Jahren entwickelt und später beschrieben wurde . Heutzutage spielt den Harold im Grunde jeder, wie er will. Übriggeblieben ist lediglich, dass ein einziges Wort als Inspiration für eine Langform gewählt wird.
Vor den sehr frei orientierten Harold-Shows von Foxy Freestyle brainstormten wir manchmal noch über die gestalterischen Möglichkeiten, die sich einbauen ließen: Monologe, Gesang, Tanz usw. Wir waren nicht unzufrieden mit unseren Harolds, aber dennoch gab es immer wieder Abende, bei denen das Publikum (und wir selber) auch mit der Schulter zuckten. Neben großartigen Harolds wirkte das Ganze doch manchmal wie eine formlose, leicht unkonzentrierte Jamsession, die wir freilich immerhin mit einem grandiosen Finale zu enden vermochten. Irgendwann beschäftigten wir uns mit dem Thema Surrealismus und beschlossen dann, einen Harold in diesem Stil aufzuführen. Es war, als hätte die stilistische Beschränkung unsere Fesseln gelöst, als könnten wir erst jetzt unsere Fähigkeiten formvollendet einbringen.
Sowohl als Einzelspieler als auch als Gruppe braucht man immer wieder die Neujustierung: Brauchen wir mehr Game oder mehr Play. Mehr Spiel oder mehr Spielen.

Langform „Strangers In The Night“

Liebe Impro-Welt!
Hier eine Langform, die ich vor einiger Zeit für kleine Ensembles und Gruppen entwickelt habe.
Sie heißt „Strangers In the Night“ und ist inspiriert vom Song „I Never Talk To Strangers“ von Tom Waits und eine Show von Unexpected Productions, die ich im Juni 2010 sah.

Die Ausgangssituation ist, dass zwei Fremde gezwungen sind, die Nacht miteinander zu verbringen – in einem Bahnhofs-Café, im Warteraum einer Intensivstation, einem Schnell-Imbiss.
Im Laufe der Zeit bricht die natürliche anfängliche Distanz nach und nach auf, und die beiden nähern sich emotional an, je mehr sie vom anderen erfahren.
Am Ende, wenn sie einander am nächsten sind, müssen sie sich voneinander trennen.

Zur technischen Umsetzung: Man lasse sich vom Publikum den Schauplatz geben. (Impro-Falle: Recht häufig nennen Zuschauer hier „eingesperrt sein im XY-Laden“. Das ist einmal OK, aber man landet dann doch recht bald immer wieder im selben Szenario. Nehmt, was euch inspiriert.) Eine kurze Ausstattung der Figuren und der Grund, warum diese jeweils die Nacht an diesem Ort verbringen müssen. Optionen: Man kann die Figuren so ausstatten lassen, dass der andere Mitspieler die Charakteristika nicht hört. Das ergibt fürs Spielen noch einen besonderen Reiz. Außerdem lassen wir uns manchmal noch ein oder zwei Objekte geben, die wir einbauen.
Wenn eine Figur etwas aus ihrem Leben berichtet, springen wir in eine Rückblende, und der zweite Spieler übernimmt das jeweilige Gegenüber.

Praktische Tips: Die Figuren sollten beide auf die eine oder andere Art sympathisch sein, schließlich muss das Publikum und die andere Figur lange mit ihr auskommen. Beide Charaktere sollten ein gewisses Interesse am anderen haben, aber nicht mit der Tür ins Haus fallen, schließlich hat man es mit einem Fremden zu tun.

Das Format ist nicht story-getrieben. Man versuche also nicht, in die Flashbacks eine reißende Story zu  quetschen. Es geht um Charaktere und Emotionen.

Optional lässt sich das Format auch zu dritt spielen: Der dritte Spieler kann in der Ausgangssituation einen schweigenden Dritten spielen (z.B. den Kellner im Bahnhofsrestaurant), der aber in den Flashback-Szenen sämtliche Gegenfiguren übernimmt.

Das Leiden des Helden

Sinngemäß schreibt Keith Johnstone: „Im Zweifel – martere die Heldin.“ (Bin gerade zu faul, das genaue Zitat herauszusuchen.)
Umgekehrt: Wer leidet, ist der Held. Als Nebenfigur sollte man nicht die eigenen Probleme zu sehr auf den Tisch packen (es sei denn, man ist explizit der Antagonist mit der eigenen Agenda).
Vor allem aber muss die Heldin auch zu leiden bereit sein. In vielen kurzformatigen Shows erlebe ich es, dass im Hin und Her des Schlagabtauschs kein Leiden zu sehen ist. Leiden braucht Zeit. Ich muss dem Angebot des Partners die Möglichkeit geben zu entfalten. Blaffe also nicht zurück.

Alkohol auf und hinter der Bühne

Mir scheint, das Thema Alkohol wird in der Improszene etwas unterbelichtet, so als hätte es nichts mit dem Improvisieren oder den Spielern wirklich zu tun, sondern sei eine Begleiterscheinung.
Dabei lässt sich wunderbar an großen Bühnenkünstlern die Rolle von Alkohol und Drogen nachvollziehen.
Es beginnt vielleicht damit, dass die ersten Shows etwas so Ungewöhnliches sind, dass ihr Gelingen ein Grund zum Feiern ist. Und Feiern geht nun mal, so der Glaube, mit Alkohol einher. So wird die die Show beendende Sauferei zur Gewohnheit. Das mag noch gut gehen, wenn man alle zwei Wochen einen Auftritt hat. Wird aber das Auftreten zur Profession, gehören bald Alkohol und Beruf zusammen.

Nicht unerwähnt bleiben sollte auch die Droge vor der Show. Da Alkohol auch als Enthemmer wahrgenommen wird, liegt die Rechtfertigung schon auf der Hand: „Mit einem Bierchen vor der Show bin ich viel entspannter und kann gelassener mit dem Unbekannten umgehen.“ Alkohol als Psycho-Medikament. Selbst bei Festivals gehört das heitere Piccolo-Anstoßen vor der Show oft zum guten Ton. Und wer wäre man, sich da auszuklinken? (Wer sich dem kollektiven Alkoholritual entzieht, macht sich verdächtiger als wer wegen einem Kater einen Auftritt versemmelt.)

Man kann die Schraube noch weiter drehen: Früher oder später wird man aber feststellen, dass Alkohol eher betäubt als belebt, also Upper vor der Show, nach der Show Downer. Fertig ist die Künstlersucht. Ich sage nicht dass jeder Künstler, der Alkohol trinkt, den Weg bis zu Ende geht. Aber sowohl Milieu als auch die Form der psychischen Anstrengung laden Alkohol regelrecht ein.

Und ich habe noch keinen Improspieler (oder Lesebühnenkollegn) gesehen, der mit Alkohol auf der Bühne besser war als ohne.

Feedback deuten

Das Feedback der Zuschauer muss gedeutet werden, da sie oft nicht über unser Vokabular verfügen oder den Grund für ihre Zufriedenheit oder Unzufriedenheit mit der Show an den falschen Punkten suchen. So ist eine als zu lang empfundene Show oft gar nicht objektiv lang, aber die Zeit dehnt sich, wenn die Spieler lahm und uninspiriert auf der Bühne agieren, wenn sie nichts zu sagen haben, kurz – wenn sich der Zuschauer nicht zum Geschehen auf der Bühne hingezogen fühlt.
Inhaltliche Kritik wird von Zuschauern oft an den Storys festgemacht: Die Geschichten seien nicht besonders originell gewesen. Und unsere armen Improspieler zergrübeln sich bei ihrer nächsten Probe den Kopf nach komplexeren Plots, deklinieren „die Heldenreise“ ein hundertstes Mal durch, ohne zu sehen, dass es im Grunde die Charaktere sind, denen der Schmackes fehlte, die flach blieben und keine Beziehung zueinander aufbauen konnten. Wenn Zuschauer bemängeln, es habe ein paar offene Fäden in der Handlung gegeben, kann man seinen Bühnenvorhang darauf verwetten, dass der eigentliche Mangel darin bestand, dass die Spieler nicht richtig auf die Angebote der anderen eingegangen sind und das Timing geholpert hat. Stephen Sim  sagte sinngemäß: „Die Zuschauer vergeben dir leicht Löcher im Plot. Schlechtes Timing vergeben sie dir nie.“

Publikum und Kunst – Wer zieht wen herab oder herauf?

„Es ist nicht wahr, was man gewöhnlich behaupten hört, dass das Publikum die Kunst herabzieht; der Künstler zieht das Publikum herab, und zu allen Zeiten, wo die Kunst verfiel, ist sie durch die Künstler gefallen. Das Publikum braucht nichts als Empfänglichkeit, und diese besitzt es. Es tritt vor den Vorhang mit einem unbestimmten Verlangen, mit einem vielseitigen Vermögen. Zu dem Höchsten bringt es eine Fähigkeit mit; es erfreut sich an dem Verständigen und Rechten, und wenn es damit angefangen hat sich mit dem Schlechten zu begnügen, so wird es zuverlässig damit aufhören das Vortreffliche zu fordern, wenn man es ihm erst gegeben hat.“ (Schiller in „Über den Gebrauch des Chors in der Tragödie“)

Vorsichtiges Erfragen von Zuschauer-Vorschlägen

„Nennen Sie mir bitte eine Hunderasse!“ Wenn ich so frage, habe ich schon vorher entschieden, dass in der Szene ein Hund auftauchen soll, die Rasse wird die Szene kaum beeinflussen.
N. fragte oft: „Nennen Sie mir bitte eine Gemüse-Sorte!“, damit sie, so ihre Begründung, die Szene mit Gemüse-Schnippeln beginnen konnte. Ich habe Dutzende Gemüse-Schnippel-Szenen mit N. gespielt. Aber letztlich war’s Betrug am Publikum. Wenn ich mir vornehme, die Szene mit Hund oder mit Gemüse-Schnippeln zu beginnen, ist das ja OK, aber dann brauchen wir nicht so zu tun, als benötigten wir den Publikumsvorschlag als Inspiration.

„Wir nehmen keinen Eintritt“

Leider beklagen sich auch immer wieder Anfänger-Ensembles darüber, dass sie vom Kneipenpublikum gestört werden.

„Vom Kneipenpublikum?“
„Ja, wir dürfen im Nebenraum von „Wilde Helga“ spielen, müssen keine Miete zahlen und nehmen auch keinen Eintritt, und da sind eben die Gespräche aus dem Barraum so laut, und manchmal kommt auch einer der Trinker in die Show reingeplatzt.“
„Wieso nehmt ihr denn keinen Eintritt?“
„Na, wir sind doch erst Anfänger.“

Nehmt immer Eintritt. Egal ob ihr das Geld braucht oder nicht. Egal ob euer Publikum arm ist oder nicht. Egal ob eure Shows manchmal noch wacklig sind oder nicht. Und wenn es nur einen Grund gibt, wenigstens einen symbolischen Eintritt zu verlangen, dann den, dass man Leute von der Show fernhält, die sich nicht dafür interessieren.

*

Ergänzung 2019: Diese Gedanken wurden später noch ausgeführt in Dan Richter: „Improvisationstheater. Band 8: Gruppen, Geld und Management“

Der gelangweilte Zuschauer in der ersten Reihe

Wenn ich sage, dass ein Publikum nicht per se schlecht drauf ist, so kann das unter Umständen doch für einzelne Zuschauer zutreffen. Ich beobachte alle paar Monate, dass ein Zuschauer mit finsterer Miene und verschränkten Armen ausgerechnet neben einem begeisterten Fan sitzt. Der Grund: Oft sind diese übellaunigen Burschen Freunde oder Verwandte von Fans und wurden mit Mühe überredet, in diese Show mitzukommen. Sie haben sich schon vorher vorgenommen, die Show zu hassen. Man hüte sich davor, diesen einen Zuschauer pars pro toto zu nehmen, nur weil er es ist, der uns ganz besonders auffällt. Die Herausforderung besteht darin, diese Leute zu ignorieren, zugegebenermaßen ein schwieriges Unterfangen, das sie ja oft, für die Spieler sichtbar, in der ersten Reihe neben dem Hardcore-Fan sitzen müssen.

Wir und das Publikum. Fragen

Fragen aus Gesprächen mit Randy Dixon in den letzten Jahren über das Verhältnis zwischen Improspielern und Publikum.

Was erwartet das Publikum?
Können wir wissen, was das Publikum erwartet?
Was erwarten wir vom Publikum?
Wie gehen wir mit den antizipierten Erwartungen des Publikums um? (Erwartungs-Erwartungen)
Können wir die Erwartungen des Publikums formen?
Inwieweit sollte man die Erwartungen des Publikums bedienen?
Wer ist unser Publikum?
Was für ein Publikum wollen wir überhaupt?
Was für Vorschläge wollen wir vom Publikum?
Was geben wir dem Publikum szenisch zurück?
Was für Vorschläge wollen wir vom Publikum?
Wie fragen wir nach Vorschlägen?
Brauchen wir überhaupt Vorschläge aus dem Publikum?
Repräsentieren die 2-4 Personen, die Vorschläge geben, überhaupt das Gesamt-Publikum?
Wie gehen wir mit Vorschlägen um, die wir nicht mögen/wollen?
Gibt es ein schlechtes Publikum?
Tendieren wir dazu, unser Publikum zu unterschätzen?
Wann mag das Publikum eine Show besser als die Performer sie mögen? Und wann mögen die Performer die Show besser als das Publikum sie mag?

Dieselben Storys

Wenn man als Gruppe dazu tendiert, ähnliche Storys oder ähnliche Muster zu verwenden, sollte man sich mal einen Ruck geben und sich nach anderen Storys umschauen. Es genügt oft, sich mal andere Geschichten, Theater-Stücke usw. ins Gedächtnis zu rufen.
„Aber was hast du denn gegen Liebesgeschichten?“, fragte mich einmal eine Improvisiererin in diesem Zusammenhang. Gar nichts habe ich dagegen, nur wird man früher oder später auf der Stelle treten, wenn man sich in der Beziehung nicht immer wieder selbst überprüft.