Deliberately bad

In order to play improvisational theater, we need the courage to portray scenes and characters with rough strokes. The sometimes subliminal, sometimes explicit promise “we play everything” puts the bar enormously high. We play the security adviser of an American president, we improvise a Palestrina-like madrigal or a satire on gender relations, we create a two-hour four-act situated in Poland in the 1920s, we tell Kyrgyz tales and dance improvising in the style of Pina Bausch. These presumptions can be met only with courage and assertion. Of course we will fail again and again, but the audience loves our courage to accept this failure.
It becomes problematic if we take the laughter of the audience as a yardstick for our game. The audience laughs equally about the courage of the failing as well as about the successful comedy of the scene. The laugh about failure is faster to achieve, simply by playing cheap. The courage to accept the rough strokes, the unfinished character is then transformed into farce, into deliberately bad acting.
We deliberately play badly when we
– choose deliberately stupid characters,
– overact emotions and reactions,
– consciously sing or dance badly,
– sacrifice stories and scenes for a gag,
– serve the cliché instead of exploring the specific.
The courage to accept your own limitations and still improvise does not mean that we have to hide our physical, intellectual and artistic abilities in order to be good improvisers.
Improvisers who take the path of deliberately bad play are not particularly brave, but choose the path of the quick laughter for fear of actually daring and then actually being confronted with the limits of their own ability and true failure. They deliberately play badly because they shy away from the unknown because they are afraid of improvisation.

Absichtlich schlecht spielen

Wir brauchen, um Improtheater zu spielen, den Mut, Szenen und Charaktere mit teilweise groben Strichen darzustellen. Das manchmal unterschwellige, manchmal aber auch explizite Versprechen „Wir spielen alles“ legt die Latte enorm hoch:. Wir spielen den Sicherheitsberater eines amerikanischen Präsidenten, wir improvisieren ein Palestrina-artiges Madrigal oder eine Satire auf Geschlechterbeziehungen, wir erschaffen einen zweistündigen Vierakter, der im Polen der 1920er Jahre spielt, wir erzählen kirgisische Märchen und tanzen improvisierend im Stil von Pina Bausch. Diese Anmaßungen lassen sich nur mit Mut und Behauptung einigermaßen erfüllen. Natürlich werden wir auch immer wieder mal scheitern, aber das Publikum liebt unseren Mut, dieses Scheitern in Kauf zu nehmen.
Problematisch wird es dann, wenn wir das Lachen des Publikums als Messlatte für unser Spiel nehmen. Das Publikum lacht gleichermaßen über den Mut des Scheiternden als auch über die gelungene Komik der Szene. Das Lachen übers Scheitern ist aber schneller zu erzielen, nämlich einfach indem wir billig spielen. Der Mut, auch das Grobe, Unfertige hinzunehmen, wird dann umgewandelt ins klamottenhafte Gagging, ins absichtlich schlechte Spielen.
Wir spielen absichtlich schlecht, wenn wir

  • Figuren bewusst dumm anlegen,
  • Emotionen und Reaktionen überzeichnen,
  • bewusst schlecht singen oder tanzen,
  • Storys und Szenen für einen Gag opfern,
  • das Klischee bedienen, statt das Spezifische zu erkunden

Der Mut, die eigenen Beschränkungen zu akzeptieren und dennoch zu improvisieren, bedeutet nicht, dass wir unsere körperlichen, intellektuellen und künstlerischen Fähigkeiten verbergen müssen, um gute Improvisierer zu sein.
Improvisierer, die den Weg des absichtlich schlechten Spiels gehen, sind nicht etwa besonders mutig, sondern sie wählen den Weg des schnellsten Lachers aus Angst davor, tatsächlich etwas zu wagen und dann womöglich tatsächlich mit den Grenzen der eigenen Fähigkeit und dem echten Scheitern konfrontiert zu werden. Sie spielen bewusst schlecht, weil sie das Unbekannte scheuen, weil sie Angst vorm Improvisieren haben.

Nicht jede kleine Irritation thematisieren

Wisse Bescheid! Gerade beim Aufbau einer Szene haben wir es mit vielen Unbekannten zu tun: Wir wissen nicht, wer unser Gegenüber ist, wo wir gerade sind, warum er sich gerade die Hände wäscht und warum er dabei traurig guckt.
Der schlimmstmögliche Spieler würde nun sagen: „Wer sind Sie? Und warum waschen Sie sich so traurig die Hände?“
Um in der Szene voranzukommen, müssen wir positive Annahmen machen. „Positiv“ heißt hier: Bestätigend, normal.
Das heißt, auch wenn ich als Spieler noch nicht weiß, was hier los ist, weiß meine Figur sehr wohl Bescheid. Und dieses Bescheidwissen muss ich auf mich als Spieler übertragen.
Ich weiß, wer mein Gegenüber ist.
Ich weiß, warum er das tut, was er gerade tut.
Seine Handlung ist nicht verboten, störend oder unpassend.
Ich weiß, warum er diese Emotion gerade hat.
Ich weiß, wo wir sind.
Zögernde Spieler tendieren dazu, die Definitionslast ihrem Mitspieler zu überlassen.
Manchmal sind sie aber auch einfach zu höflich: Sie glauben, ihr Mitspieler hätte schon einen Plan, den sie nicht zerstören wollen. Diese Höflichkeit ist zwar ganz nett, hilft uns aber nicht weiter.
Nehmen wir also an, unser Mitspieler beginnt die Szene damit, sich die Hände zu waschen. Wir stehen daneben und haben keine Idee, warum er das tut. Wir können nicht wissen, ob unser Mitspieler weiß, wo er ist und warum er das tut. Aber wir wissen, dass das Publikum es ebenfalls nicht weiß. Und solange das Publikum es nicht weiß, können wir es genauso gut definieren.
„Aber überrolle ich dann nicht meinen Mitspieler?“
Nein, das tust du nicht.
Nehmen wir an, dein Mitspieler hat einen Plan, warum er sich die Hände wäscht, dann ist es eben nur ein Plan. Improtheater geschieht aber im Moment. Und da ist dein Angebot so viel Wert wie seines. Ideen und Pläne zählen nicht. Es zählt nur das, was auf der Bühne geschieht. Ein guter Improspieler wird froh sein über ein irritierendes Angebot, selbst wenn er eine vage Vorstellung hatte.
Es kann aber auch sein, dass dein Mitspieler überhaupt keinen Plan hat. Dann wird er erst recht froh sein über ein Angebot von dir.
„Und wenn mir nichts einfällt?“
Uns fällt nichts ein, wenn das negative Denken den Geist dominiert. Bei vielen Improschülern ist das schon an der Körpersprache zu beobachten. Sie verschränken die Arme, zucken mit den Schultern oder schütteln gar leicht den Kopf.
Negative Körperlichkeit und negativer Geist bedingen sich gegenseitig.
Die gute Nachricht ist: Es funktioniert auch umgekehrt: Positive Körperlichkeit und positiver Geist bedingen sich gegenseitig.
Also:
Entfesselt euch körperlich!
Öffnet die Augen!
Nickt!
Sagt vielleicht sogar leise: „Jaaa!“
Auch ich selbst bin jedes Mal wieder erstaunt, wie schnell dann plötzlich die Assoziationsmaschine anspringt.

TJ & Dave: Improvisation at the speed of life excerpt I

TJ & Dave – Improvisation at the speed of life – excerpt 1

Introduction

“Improvisation doesn’t mean we are unprepared. (…) The best way to prepare for improvisation is to experience life. And think: Think of everything. What do you think about this particular event? This particular point in history? This particular school in history? This particular school of thought? (…) Thought is part of the preparation.” (David, xii)

Chapter 1

“[When a Harold improvisation happened seamlessly, effortlessly] we used to say: ‘Harold was here tonight.’ (…) something other than us was at work.” (David, 8)

“[The Chicago improvisers] were also some of the sweetest, most generous people you could meet, not only with their talent, but their time, their knowledge and their friendship.” (TJ, 12)

Chapter 2

“TJ, the guy who has trouble with balance and vertigo (…) stood at the edge of a long fall. During the scene but sotto voce between us, I asked ‘What are you doing out here?’ He (…) said: ‘This is where the scene is.'” (David, 17)

“The structure of our show was being revealed, little by little, as we went along. These were not rules we came up with, nor are they rules we follow. They are just patterns we discovered as we worked together.” (David, 21)

“Since our first show in 2002 (…) we simply agreed not to stop yet. We promised each other that the night we get it right: We quit.” (TJ, 22)

Chapter 3
“An improviser needs to read and think. Our reactions and thoughts will be, must be colored by our thoughts.” (David, 27)

“Salinger’s characters reveal so much about the characters, relationships and location without a great deal of backstory. (…) For instance, the characters speak the way only siblings would speak – therefore they must be siblings. The exposition is understood without having to be stated.” (David, 27)

Hitchcock – 1-2

Aus Truffaut: “Wie haben Sie das gemacht, Mr. Hitchcock”
(Im Film Downhill)
H: John bittet Laurita, ihn zu heiraten, und sie antwortet: “Ich werde Sie gegen Mitternacht anrufen.” Die nächste Einstellung ist eine Armbanduhr, auf der man sieht, dass es Mitternacht ist. Es ist die Uhr eines Telefonfräuleins, das in einem Buch liest. Ein kleines Licht leuchtet auf dem Schaltbrett, sie stellt die Verbindung her und will weiterlesen, dabei hält sie automatisch den Kopfhörer ans Ohr. Da lässt sie das Buch liegen und hört hingerissen der Unterhaltung zu. Das heißt, den Mann und die Frau habe ich überhaupt nicht gezeigt, aber man verstand alles, was passierte, aus den Reaktionen des Telefonfräuleins.
(…)
(The Ring)
H: Mit dem  Film habe ich verschiedene Verfahren eingeführt, die danach in den allgemeinen Gebrauch übergingen. Zum Beispiel, um den Aufstieg eines Boxers zu zeigen, zeigte ich zuerst ein großes Plakat auf der Straße, sein Name steht unten auf dem Plakat. Man merkt, es ist Sommer, sein Name wird größer und steigt auf dem Plakat nach oben. Dann ist es Herbst, und so weiter.
(…)
(Champagne)
H: Das ist wahrscheinlich der Tiefpunkt meiner Karriere. (…)
T: Ich erinnere mich an das Essen, an dem in der Küche alle mit dreckigen Fingern herumfummeln, und als das Gericht die Küche verlässt, wird es mit großen Gesten weitergereicht, immer feierlicher, bis zu dem Augenblick, wo es dem Gast hingestellt wird. Zu Beginn ist es richtig ekelhaft, und dann wird es immer raffinierter. Der Film ist voller Erfindungen.

(Zum Thema Stummfilm)
H: Die Stummfilme waren die reinste Form des Kinos. Das Einzige, was den Stummfilmen fehlte, waren die Stimmen der Leute auf der Leinwand und die Geräusche. Aber diese Unvollkommenheit rechtfertigte nicht die große Veränderung, die der Ton mit sich brachte. Ich will damit sagen, dem Stummfilm fehlte sehr wenig, nur der natürliche Ton. Man hätte deshalb die Technik des reinen Kinos nicht aufzugeben brauchen, wie man das mit dem Tonfilm gemacht hat. (…)
Wenn man im Kino eine Geschichte erzählt, sollte man nur den Dialog verwenden, wenn es anders nicht geht. Ich suche immer zunächst nach der filmischen Weise, eine Geschichte zu erzählen durch die Abfolge der Einstellungen, der Filmstücke. Es ist bedauerlich, dass das Kino mit dem Aufkommen des Tonfilms in einer theaterhaften Form erstarrt ist. Daran ändert auch eine bewegte Kamera nichts. Die Kamera mag den ganzen Gehsteig entlangfahren, und es ist doch immer noch Theater. Die Folge ist das Verschwinden des filmischen Stils und auch ein Schwund an Phantasie.

Melodramatische Tendenzen

Improvisierte Szenen und Stücke, die hinterher sowohl von Publikum als auch Spielern für ungewöhnlich gut befunden werden, haben oft melodramatische Enden. Ein wohliger Seufzer geht durchs Publikum, das Klavier schwillt an…
Auch uns hat diese Tendenz teilweise erwischt. Das wurde mir klar, als wir in den letzten Wochen Liebesszenen einmal in einem Brecht- und einmal in einem Surrealismus-Stück spielten. Melodram ist hier so wesensfremd, dass wir den Schmalz im letzten Moment zerstören mussten.

Sprachlicher Stil

Es gibt keinen genauen Kompass, welche Sprache in welcher Situation angemessen ist. Auch der Realist Thomas Mann musste schummeln und baute bei den Buddenbrooks nur hier und da mal eine kleine Mundart-Sequenz ein.
Wir wissen nicht, wie am königlichen Hofe im 18. Jahrhundert gesprochen wurde. Aber definitiv ist ein “Okay, wird erledigt” unpassend.
Entwickle ein Sprachgefühl!

Notizen aus Keith Richards’ LIFE (4)

“Ich habe insgesamt nur zweimal mit Pedalen gearbeitet. [Bei “Satisfaction” und] zum zweiten Mal Ende der Siebziger auf Some Girls. […] Für Satisfaction schwebte mir ein Bläsersatz vor. Also versuchte ich, diesen Sound zu imitieren. Wir hatten eben keine Bläser, weshalb ich mich mit dem vorläufigen Demo begnügen musste. Kurz darauf […] hörte ich uns im Radio. Wir hatten gar nicht mitbekommen, dass Andrew das Scheißteil veröffentlicht hatte.” (S. 235)

“Wenn man so will hatten viele dieser Songs [auf Aftermath] Anti-Mädchen-Texte. Vielleicht wollten wir sie ein bisschen aufstacheln. Und vielleicht gingen ihnen manche dieser Songs tatsächlich ins Herz, so dass sie begriffen: Wir sind Frauen, und wir sind stark. Meiner Meinung nach waren es insbesondere die Beatles und die Stones, die die Mädchen von ihrem “Ich bin so klein und schwach”-Denken befreiten.” (S. 240)

“Brian war hin und weg. Er liebte das Bad in der Menge. […] Manchen Menschen musst du nur ein paar Streicheleinheiten verpassen, und schon kriegen sie sich nicht mehr ein. Weiterstreicheln, betteln sie, los, macht schon, und auf einmal heißt es ‘Ich bin ein Star!'” (S. 251)

(Über den Country&Folk Charakter von Beggars Banquet) “Ich glaube, ich spreche für alle Stones, wenn ich sage, dass uns ziemlich egal war, was die Leute da draußen wollten. Und genau das gehörte zum besonderen Charme der Stones. Die paar Rock’n’Roll Sachen (“Sympathy” und “Street Fighting Man”) reichten aus.” (S. 317)

“Bei Jumpin’ Jack Flash und Street Fighting Man hatte ich einen neuen Sound entdeckt, den ich meiner akustischen Gitarre entlocken konnte. Dieser mahlende, dreckige Sound stammte aus den versifften kleinen Motels, wo es für die Aufnahme nichts anderes gab als die neue Erfindung – den Kassettenrekorder. […] Mit der Akustikgitarre übersteuerte man den Philips-Kassettenrekorder bis zur Verzerrung, so dass es sich beim Abspielen wieder wie eine E-Gitarre anhörte. […] Bei Street Fighting Man gibt es, abgesehen vom Bass, den ich später drüberspielte, kein einziges elektrisches Instrument.” (S. 318-9)
Genau so ahmten wir 1987 den Sound von Jumpin’ Jack Flash nach.
“Die meisten Bluesmusiker verwenden offene Stimmungen ausschließlich dafür [für den Slide-Effekt]. Ich fand, dass die tiefste Saite störte. Nach einer Weile fand ich raus, dass ich sie gar nicht brauchte. Also nahm ich sie ab und benutzte die fünfte Saite als Grundton.” (S. 323)

“Es hat was Steinzeitliches, wie wir auf pulsierende Schläge reagieren, ohne es überhaupt zu merken. Wir existieren nach einem Rhythmus von zweiundsiebzig Beats pro Minute. […] Der menschliche Körper spürt diesen Rhythmus auch dann, wenn er gar nicht da ist. Hör dir nur mal Mystery Train von Elvis Presley an. Einer der größten Rock’n’Roll Songs aller Zeiten, und ganz ohne Schlagzeug.” (S. 325)

“Von all den Musikern, die ich persönlich kannte, hatten zwei die gleiche Einstellung zur Musik wie ich: John Lennon und Gram Parsons. Wir sind der Meinung: In welche Schublade dich die Musikindustrie auch stecken will, es spielt keine Rolle, denn das ist nur ein Verkaufsargument, ein Werkzeug, um dich leichter an den Mann zu bringen. Sie wollen dich in ein Raster bringen, das es ihnen erleichtert rauszufinden, wer sich verkauft und wer nicht. […] Die Musik ist größer als das, sie sollte jeden berühren.” (S. 331)

Nutze die Stille

“Ein karger, roher Klang ohne Kinkerlitzchen, ohne Geigen und Damenchor und Schmalz. (…) Hier gab es nichts Überflüssiges, hier lagen die Wurzeln offen, die man irgendwie immer gespürt (…) hatte. Dafür ziehe ich meinen Hut vor Elvis. Die Stille ist deine Leinwand, das ist der Rahmen, in dem du arbeiten musst – versuch bloß nicht, sie zu übertönen.” (Keith Richards über Elvis’ “Heartbreak Hotel” in “LIFE”)

Scheiter heiter oder bewusst scheiße spielen

Die Haltung, dass man heiter scheitern kann und dass das sogar für andere heiter sein kann, wenn man selber heiter bleibt, hat sich bei manchen Improspielern derart verfestigt, dass sie manche Games oder Rollen bewusst schlecht spielen, um des Lachers willen. Am Schlimmsten ist es beim Singen: Natürlich honoriert das Publikum oft schon den Ansatz. Dennoch: Gib dein Bestes. Du kannst scheitern, aber es nicht wenigstens zu versuchen, ist kein Scheitern, es ist billig. Und ist langfristig sogar der bessere Weg zum Herzen des Zuschauers, der das Mühegeben ja auch honoriert.

Glanz und Eitelkeit

Seit 1968 wird in Deutschland und in Europa der Niedergang des klassischen Gesangs beklagt. Vor allem am Beispiel der Wagner- und Verdi-Sänger lässt sich das nachvollziehen. Die Stimme steht immer mehr im Vordergrund – ihr Glanz, ihre Pracht. Das Werk tritt dagegen zurück. Die großen Sänger bis in die 40er Jahre hatten zwar auch große Stimme, zielten aber mehr noch auf Nuancen, auf die Kunst im Kleinen. Solche Stimmen hätten heute kaum noch eine Chance auf den großen Bühnen, da Stars gesucht würden. Stücke wie Tristan und Isolde lassen sich dadurch heute gar nicht mehr angemessen aufführen.
S. Artikel in der Süddeutschen Zeitung: “Neue Helden braucht das Land” von Reinhard J. Brembeck
Für uns: Gute Improvisierer beeindrucken durch ihre Fertigkeiten, aber großartige Improvisierer stellen sich in den Dienst der Szene bzw. des Spiels.

Gesamtkünstler

Es gibt Künstler, bei denen ist es wurscht, welchem Genre oder welcher Disziplin sie sich zu wenden. Helge Schneider spielt hunderte verschiedene Instrumente, und er spielt sie immer auf dieselbe Weise. Und nicht nur das – er zeichnet auch so, er schreibt so, und er spricht so.

Ähnlich ist es auch bei Volker Strübing. Seine Geschichten, seine Musik, seine Fotos und jetzt eben auch sein Film beeindrucken gleichermaßen. Und immer erkennt man seine Handschrift.

Vorschlag KZ

Nun ist es nach all den Jahren endlich geschehen – “KZ” als Vorschlag für eine Impro-Szene. Das Ganze auch noch im Playback-Theater, so dass es praktisch nicht vom Tisch gefegt werden konnte, da es sich um eine wahre Begebenheit eines Zuschauers handelt.
In Situationen wie diesen zeigt sich Stilsicherheit. Wie geht man mit einem derartigen Thema um, ohne platt zu werden, ohne Trash zu spielen. Ich denke, es geht nur, wenn wir einen Sinn für Form entwickelt haben. Erst die künstlerische Form hebt das Thema auf, und zwar auch dann, wenn das Ganze einen halb-therapeutischen Charakter hat.
(So sauber ich hier auch daherrede, ich bin froh, nicht in der Haut der armen Playbackspieler gesteckt zu haben.)

Freiheit und Abhängigkeit – Tanz

Übung Tanz-Impro
1. kurzes Duett mit permanentem Augenkontakt
2. Duett, ohne den anderen überhaupt zu sehen
3. man kann entscheiden, ob man den anderen sehen will oder nicht
4. blindes Duett
Die Freiheit wächst im Idealfall mit jeder Stufe. Interessant, dass die Rhythmik und das Gemeinsame verbessert wird . (Der alte Trick: Wir üben das Eine nd lernen dabei das Andere.) Man lässt die typischen Muster, die man im Kopf hat und die sich dann als Bewegung ausdrücken fallen und erreicht eine neue Stufe der Freiheit.

Parodie

Frage eines Schülers, auf die Bitte, ein Genre-Stück zu improvisieren: “Richtig oder als Parodie?”
Das Problem dabei: Je “parodistischer” wir denken, um so schlechter wird selbst die Parodie. Also auch die Parodie ernst nehmen. Und wenn sie einem zu ernst gerät, und die Zuschauer bei einem Horror-Stück tatsächlich das Gruseln kriegen – na und? Spannung statt Ablachen ist doch auch mal was anderes im Improtheater.

It’s the singer not the song

Vielleicht ein entscheidendes Kriterium für das Potential einer Gruppe: Wie man scheitert.
Eine Szene kann elegant scheitern – man sieht als Zuschauer immer noch den Humor der Spieler, ihr Engagement für die Szene und füreinander.
Andere Gruppen rudern und versuchen, es “richtig” zu machen. Lieber charmante Anfänger als professionelle Abarbeiter.

Eleganz und Aufgabe des Ich

Heinrich von Kleist

Über das Marionettentheater

Als ich den Winter 1801 in M… zubrachte, traf ich daselbst eines Abends, in einem öffentlichen Garten, den Herrn C. an, der seit kurzem, in dieser Stadt, als erster Tänzer der Oper, angestellt war, und bei dem Publiko außerordentliches Glück machte. Ich sagte ihm, daß ich erstaunt gewesen wäre, ihn schon mehrere Male in einem Marionettentheater zu finden, das auf dem Markte zusammengezimmert worden war, und den Pöbel, durch kleine dramatische Burlesken, mit Gesang und Tanz durchwebt, belustigte. Er versicherte mir, daß ihm die Pantomimik dieser Puppen viel Vergnügen machte, und ließ nicht undeutlich merken, daß ein Tänzer, der sich ausbilden wolle, mancherlei von ihnen lernen könne.

Da die Äußerung mir, durch die Art, wie er sie vorbrachte, mehr, als ein bloßer Einfall schien, so ließ ich mich bei ihm nieder, um ihn über die Gründe, auf die er eine so sonderbare Behauptung stützen könne, näher zu vernehmen. Er fragte mich, ob ich nicht, in der Tat, einige Bewegungen der Puppen, besonders der kleineren, im Tanz sehr graziös gefunden hatte. Diesen Umstand konnte ich nicht leugnen. Eine Gruppe von vier Bauern, die nach einem raschen Takt die Ronde tanzte, hätte von Teniers nicht hübscher gemalt werden können. Ich erkundigte mich nach dem Mechanismus dieser Figuren, und wie es möglich wäre, die einzelnen Glieder derselben und ihre Punkte, ohne Myriaden von Fäden an den Fingern zu haben, so zu regieren, als es der Rhythmus der Bewegungen, oder der Tanz, erfordere?

Er antwortete, daß ich mir nicht vorstellen müsse, als ob jedes Glied einzeln, während der verschiedenen Momente des Tanzes, von dem Maschinisten gestellt und gezogen würde. Jede Bewegung, sagte er, hätte einen Schwerpunkt; es wäre genug, diesen, in dem Innern der Figur, zu regieren; die Glieder, welche nichts als Pendel wären, folgten, ohne irgend ein Zutun, auf eine mechanische Weise von selbst. Er setzte hinzu, daß diese Bewegung sehr einfach wäre; daß jedesmal, wenn der Schwerpunkt in einer graden Linie bewegt wird, die Glieder schon Kurven beschrieben; und daß oft, auf eine bloß zufällige Weise erschüttert, das Ganze schon in eine Art von rhythmische Bewegung käme, die dem Tanz ähnlich wäre.

Diese Bemerkung schien mir zuerst einiges Licht über das Vergnügen zu werfen, das er in dem Theater der Marionetten zu finden vorgegeben hatte. Inzwischen ahndete ich bei weitem die Folgerungen noch nicht, die er späterhin daraus ziehen würde. Ich fragte ihn, ob er glaubte, daß der Maschinist, der diese Puppen regierte, selbst ein Tänzer sein, oder wenigstens einen Begriff vom Schönen im Tanz haben müsse? Er erwiderte, daß wenn ein Geschäft, von seiner mechanischen Seite, leicht sei, daraus noch nicht folge, daß es ganz ohne Empfindung betrieben werden könne. Die Linie, die der Schwerpunkt zu beschreiben hat, wäre zwar sehr einfach, und, wie er glaube, in den meisten Fällen, gerad. In Fällen, wo sie krumm sei, scheine das Gesetz ihrer Krümmung wenigstens von der ersten oder höchstens zweiten Ordnung; und auch in diesem letzten Fall nur elliptisch, welche Form der Bewegung den Spitzen des menschlichen Körpers (wegen der Gelenke) überhaupt die natürliche sei, und also dem Maschinisten keine große Kunst koste, zu verzeichnen. Dagegen wäre diese Linie wieder, von einer andern Seite, etwas sehr Geheimnisvolles. Denn sie wäre nichts anders, als der Weg der Seele des Tänzers; und er zweifle daß sie anders gefunden werden könne, als dadurch, daß sich der Maschinist in den Schwerpunkt der Marionette versetzt, d. h. mit andern Worten, tanzt.

Ich erwiderte, daß man mir das Geschäft desselben als etwas ziemlich Geistloses vorgestellt hätte: etwa was das Drehen einer Kurbel sei, die eine Leier spielt. Keineswegs, antwortete er. Vielmehr verhalten sich die Bewegungen seiner Finger zur Bewegung der daran befestigten Puppen ziemlich künstlich, etwa wie Zahlen zu ihren Logarithmen oder die Asymptote zur Hyperbel. Inzwischen glaube er, daß auch dieser letzte Bruch von Geist, von dem er gesprochen, aus den Marionetten entfernt werden, daß ihr Tanz gänzlich ins Reich mechanischer Kräfte hinübergespielt, und vermittelst einer Kurbel, so wie ich es mir gedacht, hervorgebracht werden könne. Ich äußerte meine Verwunderung zu sehen, welcher Aufmerksamkeit er diese, für den Haufen erfundene, Spielart einer schönen Kunst würdigte. Nicht bloß, daß er sie einer höheren Entwicklung für fähig halte: er scheine sich sogar selbst damit zu beschäftigen. Er lächelte, und sagte, er getraue sich zu behaupten, daß wenn ihm ein Mechanikus, nach den Forderungen, die er an ihn zu machen dächte, eine Marionette bauen wollte, er vermittelst derselben einen Tanz darstellen würde, den weder er, noch irgend ein anderer geschickter Tänzer seiner Zeit, Vestris selbst nicht ausgenommen, zu erreichen imstande wäre.

Haben Sie, fragte er, da ich den Blick schweigend zur Erde schlug: haben Sie von jenen mechanischen Beinen gehört, welche englische Künstler für Unglückliche verfertigen, die ihre Schenkel verloren haben? Ich sagte, nein: dergleichen wäre mir nie vor Augen gekommen. Es tut mir leid, erwiderte er; denn wenn ich Ihnen sage, daß diese Unglücklichen damit tanzen, so fürchte ich fast, Sie werden es mir nicht glauben. – Was sag ich, tanzen? Der Kreis ihrer Bewegungen ist zwar beschränkt; doch diejenigen, die ihnen zu Gebote stehen, vollziehen sich mit einer Ruhe, Leichtigkeit und Anmut, die jedes denkende Gemüt in Erstaunen setzen. Ich äußerte, scherzend, daß er ja, auf diese Weise, seinen Mann gefunden habe. Denn derjenige Künstler, der einen so merkwürdigen Schenkel zu bauen imstande sei, würde ihm unzweifelhaft auch eine ganze Marionette, seinen Forderungen gemäß, zusammensetzen können. Wie, fragte ich, da er seinerseits ein wenig betreten zur Erde sah: wie sind denn diese Forderungen, die Sie an die Kunstfertigkeit desselben zu machen gedenken, bestellt? Nichts, antwortete er, was sich nicht auch schon hier fände; Ebenmaß, Beweglichkeit, Leichtigkeit – nur alles in einem höheren Grade; und besonders eine naturgemäßere Anordnung der Schwerpunkte. Und der Vorteil, den diese Puppe vor lebendigen Tänzern voraus haben würde?

Der Vorteil? Zuvörderst ein negativer, mein vortrefflicher Freund, nämlich dieser, daß sie sich niemals zierte. – Denn Ziererei erscheint, wie Sie wissen, wenn sich die Seele (vis motrix) in irgend einem andern Punkte befindet, als in dem Schwerpunkt der Bewegung. Da der Maschinist nun schlechthin, vermittelst des Drahtes oder Fadens, keinen andern Punkt in seiner Gewalt hat, als diesen: so sind alle übrigen Glieder, was sie sein sollen, tot, reine Pendel, und folgen dem bloßen Gesetz der Schwere; eine vortreffliche Eigenschaft, die man vergebens bei dem größesten Teil unsrer Tänzer sucht.

Sehen Sie nur die P… an, fuhr er fort, wenn sie die Daphne spielt, und sich, verfolgt vom Apoll, nach ihm umsieht; die Seele sitzt ihr in den Wirbeln des Kreuzes; sie beugt sich, als ob sie brechen wollte, wie eine Najade aus der Schule Bernins. Sehen Sie den jungen F… an, wenn er, als Paris, unter den drei Göttinnen steht, und der Venus den Apfel überreicht; die Seele sitzt ihm gar (es ist ein Schrecken, es zu sehen) im Ellenbogen.

Solche Mißgriffe, setzte er abbrechend hinzu, sind unvermeidlich, seitdem wir von dem Baum der Erkenntnis gegessen haben. Doch das Paradies ist verriegelt und der Cherub hinter uns; wir müssen die Reise um die Welt machen, und sehen, ob es vielleicht von hinten irgendwo wieder offen ist.

Ich lachte. – Allerdings, dachte ich, kann der Geist nicht irren, da, wo keiner vorhanden ist. Doch ich bemerkte, daß er noch mehr auf dem Herzen hatte, und bat ihn, fortzufahren.

Zudem, sprach er, haben diese Puppen den Vorteil, daß sie antigrav sind. Von der Trägheit der Materie, dieser dem Tanze entgegenstrebendsten aller Eigenschaften, wissen sie nichts: weil die Kraft, die sie in die Lüfte erhebt, größer ist, als jene, die sie an der Erde fesselte Was würde unsre gute G… darum geben, wenn sie sechzig Pfund leichter wäre, oder ein Gewicht von dieser Größe ihr bei ihren Entrechats und Pirouetten, zu Hülfe käme? Die Puppen brauchen den Boden nur, wie die Elfen, um ihn zu streifen, und den Schwung der Glieder, durch die augenblickliche Hemmung neu zu beleben; wir brauchen ihn, um darauf zu ruhen, und uns von der Anstrengung des Tanzes zu erholen: ein Moment, der offenbar selber kein Tanz ist, und mit dem sich weiter nichts anfangen läßt, als ihn möglichst verschwinden zu machen.

Ich sagte, daß, so geschickt er auch die Sache seiner Paradoxe führe, er mich doch nimmermehr glauben machen würde, daß in einem mechanischen Gliedermann mehr Anmut enthalten sein könne, als in dem Bau des menschlichen Körpers.

Er versetzte, daß es dem Menschen schlechthin unmöglich wäre, den Gliedermann darin auch nur zu erreichen. Nur ein Gott könne sich, auf diesem Felde, mit der Materie messen; und hier sei der Punkt, wo die beiden Enden der ringförmigen Welt in einander griffen.

Ich erstaunte immer mehr, und wußte nicht, was ich zu so sonderbaren Behauptungen sagen sollte.

Es scheine versetzte er, indem er eine Prise Tabak nahm, daß ich das dritte Kapitel vom ersten Buch Moses nicht mit Aufmerksamkeit gelesen; und wer diese erste Periode aller menschlichen Bildung nicht kennt, mit dem könne man nicht füglich über die folgenden, um wie viel weniger über die letzte, sprechen.

Ich sagte, daß ich gar wohl wüßte, welche Unordnungen, in der natürlichen Grazie des Menschen, das Bewußtsein anrichtet. Ein junger Mann von meiner Bekanntschaft hätte, durch eine bloße Bemerkung, gleichsam vor meinen Augen, seine Unschuld verloren, und das Paradies derselben, trotz aller ersinnlichen Bemühungen, nachher niemals wieder gefunden. – Doch, welche Folgerungen, setzte ich hinzu, können Sie daraus ziehen?

Er fragte mich, welch einen Vorfall ich meine?

Ich badete mich, erzählte ich, vor etwa drei Jahren, mit einem jungen Mann, über dessen Bildung damals eine wunderbare Anmut verbreitet war. Er mochte ohngefähr in seinem sechszehnten Jahre stehn, und nur ganz von fern ließen sich, von der Gunst der Frauen herbeigerufen, die ersten Spuren von Eitelkeit erblicken. Es traf sich, daß wir grade kurz zuvor in Paris den Jüngling gesehen hatten, der sich einen Splitter aus dem Fuße zieht; der Abguß der Statue ist bekannt und befindet sich in den meisten deutschen Sammlungen. Ein Blick, den er in dem Augenblick, da er den Fuß auf den Schemel setzte, um ihn abzutrocknen, in einen großen Spiegel warf, erinnerte ihn daran; er lächelte und sagte mir, welch eine Entdeckung er gemacht habe. In der Tat hatte ich, in eben diesem Augenblick, dieselbe gemacht; doch sei es, um die Sicherheit der Grazie, die ihm beiwohnte, zu prüfen, sei es, um seiner Eitelkeit ein wenig heilsam zu begegnen: ich lachte und erwiderte – er sähe wohl Geister! Er errötete, und hob den Fuß zum zweitenmal, um es mir zu zeigen; doch der Versuch, wie sich leicht hätte voraussehen lassen, mißglückte. Er hob verwirrt den Fuß zum dritten und vierten, er hob ihn wohl noch zehnmal: umsonst er war außerstande dieselbe Bewegung wieder hervorzubringen – was sag ich? die Bewegungen, die er machte, hatten ein so komisches Element, daß ich Mühe hatte, das Gelächter zurückzuhalten: –

Von diesem Tage, gleichsam von diesem Augenblick an, ging eine unbegreifliche Veränderung mit dem jungen Menschen vor. Er fing an, tagelang vor dem Spiegel zu stehen; und immer ein Reiz nach dem anderen verließ ihn. Eine unsichtbare und unbegreifliche Gewalt schien sich, wie ein eisernes Netz, um das freie Spiel seiner Gebärden zu legen, und als ein Jahr verflossen war, war keine Spur mehr von der Lieblichkeit in ihm zu entdecken, die die Augen der Menschen sonst, die ihn umringten, ergötzt hatte. Noch jetzt lebt jemand, der ein Zeuge jenes sonderbaren und unglücklichen Vorfalls war, und ihn, Wort für Wort, wie ich ihn erzählt, bestätigen könnte. –

Bei dieser Gelegenheit, sagte Herr C… freundlich, muß ich Ihnen eine andere Geschichte erzählen, von der Sie leicht begreifen werden, wie sie hierher gehört.

Ich befand mich, auf meiner Reise nach Rußland, auf einem Landgut des Herrn v. G. . ., eines livländischen Edelmanns, dessen Söhne sich eben damals stark im Fechten übten. Besonders der ältere, der eben von der Universität zurückgekommen war, machte den Virtuosen, und bot mir, da ich eines Morgens auf seinem Zimmer war, ein Rapier an. Wir fochten; doch es traf sich, daß ich ihm überlegen war; Leidenschaft kam dazu, ihn zu verwirren; fast jeder Stoß, den ich führte, traf, und sein Rapier flog zuletzt in den Winkel. Halb scherzend, halb empfindlich, sagte er, indem er das Rapier aufhob, daß er seinen Meister gefunden habe: doch alles auf der Welt finde den seinen, und fortan wolle er mich zu dem meinigen führen. Die Brüder lachten laut auf, und riefen: Fort! fort! In den Holzstall herab! und damit nahmen sie mich bei der Hand und führten mich zu einem Bären, den Herr v. G… ihr Vater, auf dem Hofe auferziehen ließ.

Der Bär stand, als ich erstaunt vor ihn trat, auf den Hinterfüßen, mit dem Rücken an einem Pfahl gelehnt, an welchem er angeschlossen war, die rechte Tatze schlagfertig erhoben, und sah mir ins Auge: das war seine Fechterpositur. Ich wußte nicht, ob ich träumte, da ich mich einem solchen Gegner gegenüber sah; doch: stoßen Sie! stoßen Sie! sagte Herr v. G… und versuchen Sie, ob Sie ihm eins beibringen können! Ich fiel, da ich mich ein wenig von meinem Erstaunen erholt hatte, mit dem Rapier auf ihn aus; der Bär machte eine ganz kurze Bewegung mit der Tatze und parierte den Stoß. Ich versuchte ihn durch Finten zu verfuhren; der Bär rührte sich nicht. Ich fiel wieder, mit einer augenblicklichen Gewandtheit, auf ihn aus, eines Menschen Brust würde ihn ohnfehlbar getroffen haben: der Bär machte eine ganz kurze Bewegung mit der Tatze und parierte den Stoß. jetzt war ich fast in dem Fall des jungen Herrn v. G… Der Ernst des Bären kam hinzu, mir die Fassung zu rauben, Stöße und Finten wechselten sich, mir triefte der Schweiß: umsonstl Nicht bloß, daß der Bär, wie der erste Fechter der Welt, alle meine Stöße parierte; auf Finten (was ihm kein Fechter der Welt nachmacht) ging er gar nicht einmal ein: Aug in Auge, als ob er meine Seele darin lesen könnte, stand er, die Tatze schlagfertig erhoben, und wenn meine Stöße nicht ernsthaft gemeint waren, so rührte er sich nicht.

Glauben Sie diese Geschichte?

Vollkommen! rief ich, mit freudigem Beifall; jedwedem Fremden, so wahrscheinlich ist sie; um wie viel mehr Ihnen!

Nun, mein vortrefflicher Freund, sagte Herr C…, so sind Sie im Besitz von allem, was nötig ist, um mich zu begreifen. Wir sehen, daß in dem Maße, als, in der organischen Welt, die Reflexion dunkler und schwächer wird, die Grazie darin immer strahlender und herrschender hervortritt. – Doch so, wie sich der Durchschnitt zweier Linien, auf der einen Seite eines Punkts, nach dem Durchgang durch das Unendliche, plötzlich wieder auf der andern Seite einfindet, oder das Bild des Hohlspiegels, nachdem es sich in das Unendliche entfernt hat, plötzlich wieder dicht vor uns tritt: so findet sich auch, wenn die Erkenntnis gleichsam durch ein Unendliches gegangen ist, die Grazie wieder ein; so, daß sie, zu gleicher Zeit, in demjenigen menschlichen Körperbau am reinsten erscheint, der entweder gar keins, oder ein unendliches Bewußtsein hat, d. h. in dem Gliedermann, oder in dem Gott.

Mithin, sagte ich ein wenig zerstreut, müßten wir wieder von dem Baum der Erkenntnis essen, um in den Stand der Unschuld zurückzufallen? Allerdings, antwortete er, das ist das letzte Kapitel von der Geschichte der Welt.