Lachen

Ich habe gelacht
mit früheren Freunden, die heute mir ferne,
mit denen, die heute mir nah und teuer.
Ich habe gelacht.

Ich habe gelacht
über den Unsinn des Daseins und unser Streben,
das Scheitern des Starken, den Stolz des Dummen.
Ich habe gelacht.

Wenn ich mal sterbe,
und mein Existieren verkürzt auf bebende Schlacke,
so sei mein letztes Atmen
ein Lachen.

Die Freigiebige

Du gabst mir Halt, warst mir ein Boot, Decke zur Nacht.
Dein Arm. Und ein Busen schwang mir vorm Maul.
Geschlagener Falbe wurde rasch erwärmt.

Ein Atem. Mund zu Mund.

Aus einem müden Manne – Achill erwacht,
heiß bittet er um mehr.
Freigiebig tränkt sie mein Fell mit warmer Nässe,
bis bald sie selber wund und dürstend jammert.

Acht solcher Nächt und Tage, dann war ich gesund.
Entließen einander. Dankbar der eine.

Menschenkenntnis

Zweierlei Fähigkeiten brauchst du im Umgang mit Menschen.
Wohl dir, wenn du beide beizeiten zu nutzen verstehst.
Die eine – den Leuten ins Herz zu schaun – braucht Erfahrung
und mehr noch – das Mitgefühl für das Leiden und Streben des anderen.
Den feinen Sinn dafür entwickeln manche erst spät.
Die andre – frisch zu sehen ein jedes Menschengesicht
und fallenzulassen all das, was man glaubt, längst schon zu wissen,
sich also zu lösen von der Ersten, die so schwer erworben.
Schätz keine gering. Dein Wissen werde dir nicht zum Hochmut,
die Frische zur Narrheit nicht. Vereint helfen sie dir und andern.

Der Weise

Wenn andre stritten, schwieg Bernardo sanft,
doch sparte später nicht die Schlichterworte.
Und schlug ihn Kummer, war’s ihm wie ein Spiel:
Was kann ich lernen aus des Schicksals Schlingern?
Wo er sich aufhielt, wohnte Heiterkeit,
die noch verblieb, wenn er gegangen war.
Nun ist er fort. Für immer oder lang?
Wir fragen täglich: Was würd’ er jetzt tun?
Geschenk, den Weisen Freund zu nennen.
Wir warn schon alt; Bernardo zweiundzwanzig Jahr.

Bitte

Nur noch einmal dreh das Rad, Fortuna, mir!
Und gib ihm Schwung, dass es nicht stehenbleibe.
Denn geplagt hab ich mich lange schon.
Jetzt mag irres Spiel für mich entscheiden.

Und sollt dabei ich stürzen, ganz zerbrechen,
statt zu wachsen und zu strahlen, wie’s geplant,
So werd ich dir nicht zürnen, Wilde.
Ich nehm’s, wie auch die Münze fallen mag.

Leise Klage

Schwer das Lid und müd die Hand, ganz vergeblich.
Klammes Denken, untergetauchtes Weh des
noch nicht Toten, hauche die Klage in das
Lärmen der Nächte,

die nur da sind, um Raum zu verleihen allen
leidenden Wanderern und Festgefrornen der Stadt,
wo jedes Lachen ein Hohn ist dem, der verlernte
zu lieben.

Zu matt um zu klagen, die Träne vertrocknet,
bevor sie geweint. Niemandes Ohr zu erreichen.
Der Arm, der dich getröstet, verschwunden
in einer der Nächte.

Nachtwahn

Die Uhr zeigt Zwei Punkt Sechsunddreißig.
Wie sich die Stille doch bläht, wo’s krachen und schreien müsst.
Verborgen lauschen die fromm-frechen Nachbarn.
Seit Juni schon haben sie mich auf dem Kieker,
weil sie mich beneiden um meine Gedanken.
Am Schlüsselloch!
Es riecht schon wieder nach Gas. Dagegen bin ich immun.
Die Augen brennen. Auf die haben sie’s abgesehn.
Wo liegt nur die Schere?
Das Meerschweinchen muss in den Müll. Aber nicht jetzt!
Ich darf jetzt auf keinen Fall trinken.
Wenn sie doch schrien!
Nur noch diese Nacht. Dann werden sie weichen vor meinem Verstand.

Das Helfer-Paar

Ohne jede Klag
ertrugen sie die Klagen dessen, dem sie halfen.
Nichts konnt sie stoppen, nichts,
wenn wer sie brauchte.
Obschon die zwei von fern betrachtet,
oft Hilfe nötiger hatten als jene.
Es ruhten nicht die Hände noch die Herzen.
Nur selten leiser Zweifel: „Schaffen wir’s auch diesmal?“
Ein Blick zum Andern:
Gewiss. Gewiss.

Bitte

Nur noch einmal dreh das Rad, Fortuna, mir!
Und gib ihm Schwung, dass es nicht stehenbleibe.
Denn geplagt hab ich mich lange schon.
Jetzt mag irres Spiel für mich entscheiden.

Und sollt dabei ich stürzen, ganz zerbrechen,
statt zu wachsen und zu strahlen, wie’s geplant,
So werd ich dir nicht zürnen, Wilde.
Ich nehm’s, wie auch die Münze fallen mag.

Spätsommergewitter

Die Luft riecht elektrisch.
Man spürt den Staub auf der Zunge.
Zwei dicke Tropfen klatschen ins Haar.
Sekunden später fliehen wir nass.

Und sicher aus dem vierten Stock
schreien wir gegen den Wind vom Balkon.
Wir sehen die Blitze, bevor wir sie hörn.
Sie markieren die Stadt als ihr Revier.
Am ächzenden Kran schwingt drohend der Haken.

Unterm geparkten Ford ein Kätzchen,
geflohen vorm Krachen, vorm Wasser.
Zwei durchklitschte Mädchen versuchen vergeblich, es zu locken,.
Sie sind tätowiert bis zum Hals.

Jetzt fehlte ihr ein Zahn

Er hatte es ja angekündigt.
Ich hätte besser aufpassen sollen.
Und nicht widersprechen.
Er hat auch seine guten Seiten,
zum Beispiel kann er lustig sein.
Manchmal. Wenn wir nicht streiten.
Ich provoziere ihn zu oft.
Ich muss wirklich besser aufpassen.
Er kann ja auch lieb sein.
Der Olli war ja viel schlimmer.
Eigentlich hab ich ihn nicht verdient.
Und die Küche hat er allein renoviert.
Er kann ja manchmal auch lieb sein.
Ich muss nur besser aufpassen.
Und provozieren darf ich nicht mehr.

Schmerz

Ich sink auf meine Knie nieder.
Mir ist, als ob ich heute beten müsst,
als verlör ich die Gabe zu lieben,
und nur ein Gott könnt helfen.

Ach, auch ich schrei aus tiefster Not zu dir.
Du döst gemütlich, trinkst Kakao.
Meine Stimme bleibt leer.

Mir ist, als schwebe mein Gebet
seifenblasengleich hinfort.
Und kaum begann es seine Reise,
ist es geplatzt,
als sei es nie gewesen.

Spielplatz April Ungemütlich

Eine kühle Brise weht durch den Spielplatz.
Im feuchten Sand ein verlornes Muschelförmchen.
Lustlos wird die Babyschaukel ausprobiert.
Die Hose eingesaut beim Rutschen,
was der Mutter egal ist,
weil ihr alles egal ist,
weil sie müde ist,
keine Türkin.
Ein Zweijähriger hackt auf die Buddelumrandung.
„4. Dezember 19..“ Granit.
Friedhofsschrott.
Musste das jemand in einem Amt genehmigen?
Schaut dieser Jemand jetzt aus dem Fenster und
sieht denselben Nieselregen
wie ich?

Bewunderung einer Schauspielerin

Ich weiß, wo sich des Schreitens Anmut
paart mit irrem Spieldrang hellen Geistes.
Sie mimt, die Kartoffeln zu wässern auf leerer Bühne
– Greisin im Garten, gehasst vom Sohn.
Wo lockend lächelnd die kindhafte Dame
ihr Recht aufs Paradies zu erwirken sucht,
dann auf dem U-Bahn-Sitz röchelt.
Und selbst als alle lauthals klagen
ihr Leid über ’ne tote Ballerina,
bleibt ihr Schweigen am Grabe kräftiger.
Grazer Witz zerstäubt.
Des Zaubers Wirken wagt man nicht zu stören.
Gefesselt vom Wogen des Todesspiels.

Gehört der Islam zu Deutschland?

Gehört der Islam zu Deutschland?
Der böse salafistische,
die Frauen verhüllende?
Nein, der nicht.

Oder der richtig böse wahabistische,
der die Menschen nicht singen lässt,
der die Scharia einführen will,
über die wir wissen,
dass von Händeabhauen und Steinigen die Rede ist?

Oder der unsagbar böse Islamisten-Islam,
der Flugzeuge in Hochhäuser steuert,
der Karikaturisten ermordet,
der Journalisten enthauptet,
der ein neues altes Kalifat errichten will?
Nein, der gehört auf gar keinen Fall
zu Deutschland.

Und der schiitische Islam und der sunnitische Islam,
gehören die zu Deutschland?
Na gut,
aber die Moschee bitte nicht in der Innenstadt.

Und Frauen mit Kopftuch,
das gehört nicht zu Deutschland.
Und sich zu Boden werfen beim Beten.
Und dass die Frauen von den Männern getrennt beten.

Und in Neukölln sprechen schon fast alle türkisch.
Nee, arabisch. Sollnse ruhig.
Aber ein bisschen Anpassung
ist doch nicht zu viel verlangt.

Wenn wir da runterfahren,
müssen wir uns auch anpassen.

Oder dieser Bushido…
Gut, der ist hier geboren.
Ach, ist er gar nicht?
Siehste!

Und der Katholizismus,
gehört der zu Deutschland?

Der bayrische,
der an jedem Bergpfad die Holzskulptur eines am Foltergerät Gestorbenen errichtet?
Der sich klammheimlich dem Bundesverfassungsgericht widersetzt
und die Kruzifixe in den Schulen hängen lässt?
Ja, irgendwie schon.
Ist ja bayrisch.
Und Bayern gehört zu Deutschland, oder nicht?
Na ja, wie die da sprechen, hahaha.
Ist das noch Deutsch? Hahaha.

Aber Plattdeutsch verstehste noch weniger,
wenn du nicht selber Plattdeutscher bist.

Oder die Sorben.
Ja, die Sorben, das ist ein Spezialfall.
Aber katholisch sind die auch.
Und die Beichte?
Und das Zölibat?
Schon noch Teil des Abendlandes, oder?

Und der Protestantismus?
Ja, Luther!
Ja, Reformation!
Ja, Johann Sebastian Bach!
Ja, dreißigjähriger Krieg.
Ja, heute keine Revolutionskriege mehr.

Ja, und die Methodisten?
Na ja…
Und die Baptisten?
Und die Sieben-Tags-Adventisten?

Und die Freikirchler,
die sich auf den Boden werfen?
Die englisch singen?

Und die Zeugen Jehovas?
Die sehen auch so aus, als ob sie Kleidungsvorschriften haben für die Frauen.
Und Frisurvorschriften für die Männer.
Aber klar! Das sind ja auch Deutsche.
Schon immer gewesen.

Und der Atheismus?
Die Aufklärung?
Ja, das muss man den Atheisten zugestehen.
Karl Marx, DDR-Geschichte,
das kann man jetzt nicht leugnen.

Aber wenn die nicht glauben wollen, bitteschön.
Man muss ja auch nicht auf die Bibel schwören.
Und in Ostdeutschland glauben die sowieso alle nichts.
Aber Weihnachten und Ostern!
Das wird dann gerne mitgenommen.
Das ist jetzt zwar nicht christlich-jüdisches Abendland im engeren Sinne, aber…

Apropos.
Die Juden.
Oh, ich hab’s befürchtet. Jetzt hat er Juden gesagt.
Natürlich gehört das Judentum zu Deutschland.
Ideell gesehen, weil,
so viele Juden gibt’s ja nicht mehr in Deutschland.

Und die orthodoxen,
deren Frauen sich die Köpfe rasieren müssen?
Und dass die Frauen von den Männern getrennt beten.
Und immer diese unvorteilhaften Kleidungs- und Frisur-Vorschriften.
Und hebräisch.
Na, die Bibel.
Die Bibel.
Also das gehört schon irgendwie zu Deutschland.

Und der Antisemitismus?
Gehört der auch dazu?
Zur christlich-jüdischen Tradition?
Ist Antisemitismus nicht die eigentlich christlich-jüdische Tradition in Deutschland?

Und die Nazis?
Gehören die zu Deutschland?
Man will ja nicht die Geschichte vertuschen.

Und Punkrock!
Gehört Punkrock zu Deutschland?
Und Pfingsten?
Was ist mit Pfingsten?
Und der Pfingstmontag!
Dieser bizarrste unter den Feiertagen.
War das nicht, als sich die Jünger beim Beten zu Boden warfen?
Und in Zungen redeten?

Und Alkoholismus?
Gehört der zu Deutschland?
Und Satanismus?
Und Waldorf-Schulen und Montessori-Kitas?
Und Fußball?
Und Basketball?
Und American Football?
Und klassisches Ringen?
Und American Westling?
Und Ikea?
Und kein Schnee im Januar?
Und Bundestag?
Und schlechter Kaffee?
Und Cappuccino?
Und Döner?
Und Wer wird Millionär, Supermodel oder wird hier rausgeholt?
Und Mallorca?
Und Dazugehören?
Gehört Dazugehören zu Deutschland?

Weiterlesen