Loslassen

„That melody is so strong that the softer you play it, the stronger it gets, and the stronger you play it, the weaker it gets.“ (Miles Davis über „Concierto de Aranjuez“ aus „Sketches Of Spain“)
Dies erfordert eine ganz besondere Kraft, nicht nur in der Musik. Gerade in der improvisierten Komödie tendieren die Schauspieler dazu, immer noch einen draufzusetzen, bis die Kraft der Komik ausleiert. Sanfte, konzentrierte Kraft und Sinn für Poesie auch in der Komik, selbst im Derben und Grotesken.

Absichtsloses Theater

Im Grunde hat ja Gunter Lösl recht mit dem Gedanken des „absichtslosen Theater“, denn das trifft den Improvisationsgedanken im Kern, man steuert nicht bewusst, sondern lässt sich steuern. Allerdings erleben wir gerade im heutigen Improtheater viel zu oft eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber dem, was man da praktiziert. Spieler kommen ungetunet zur Probe oder zum Auftritt. Viele Spieler lassen sich einfach nur treiben, ohne etwas beizutragen. Das heißt, die Absichtslosigkeit muss auf einem hohen Niveau ansetzen. Ohne Wachheit und Einsatzbereitschaft bleibt nämlich sonst nur Ödnis und Müdigkeit zurück.

Eleganz und Aufgabe des Ich

Heinrich von Kleist

Über das Marionettentheater

Als ich den Winter 1801 in M… zubrachte, traf ich daselbst eines Abends, in einem öffentlichen Garten, den Herrn C. an, der seit kurzem, in dieser Stadt, als erster Tänzer der Oper, angestellt war, und bei dem Publiko außerordentliches Glück machte. Ich sagte ihm, daß ich erstaunt gewesen wäre, ihn schon mehrere Male in einem Marionettentheater zu finden, das auf dem Markte zusammengezimmert worden war, und den Pöbel, durch kleine dramatische Burlesken, mit Gesang und Tanz durchwebt, belustigte. Er versicherte mir, daß ihm die Pantomimik dieser Puppen viel Vergnügen machte, und ließ nicht undeutlich merken, daß ein Tänzer, der sich ausbilden wolle, mancherlei von ihnen lernen könne.

Da die Äußerung mir, durch die Art, wie er sie vorbrachte, mehr, als ein bloßer Einfall schien, so ließ ich mich bei ihm nieder, um ihn über die Gründe, auf die er eine so sonderbare Behauptung stützen könne, näher zu vernehmen. Er fragte mich, ob ich nicht, in der Tat, einige Bewegungen der Puppen, besonders der kleineren, im Tanz sehr graziös gefunden hatte. Diesen Umstand konnte ich nicht leugnen. Eine Gruppe von vier Bauern, die nach einem raschen Takt die Ronde tanzte, hätte von Teniers nicht hübscher gemalt werden können. Ich erkundigte mich nach dem Mechanismus dieser Figuren, und wie es möglich wäre, die einzelnen Glieder derselben und ihre Punkte, ohne Myriaden von Fäden an den Fingern zu haben, so zu regieren, als es der Rhythmus der Bewegungen, oder der Tanz, erfordere?

Er antwortete, daß ich mir nicht vorstellen müsse, als ob jedes Glied einzeln, während der verschiedenen Momente des Tanzes, von dem Maschinisten gestellt und gezogen würde. Jede Bewegung, sagte er, hätte einen Schwerpunkt; es wäre genug, diesen, in dem Innern der Figur, zu regieren; die Glieder, welche nichts als Pendel wären, folgten, ohne irgend ein Zutun, auf eine mechanische Weise von selbst. Er setzte hinzu, daß diese Bewegung sehr einfach wäre; daß jedesmal, wenn der Schwerpunkt in einer graden Linie bewegt wird, die Glieder schon Kurven beschrieben; und daß oft, auf eine bloß zufällige Weise erschüttert, das Ganze schon in eine Art von rhythmische Bewegung käme, die dem Tanz ähnlich wäre.

Diese Bemerkung schien mir zuerst einiges Licht über das Vergnügen zu werfen, das er in dem Theater der Marionetten zu finden vorgegeben hatte. Inzwischen ahndete ich bei weitem die Folgerungen noch nicht, die er späterhin daraus ziehen würde. Ich fragte ihn, ob er glaubte, daß der Maschinist, der diese Puppen regierte, selbst ein Tänzer sein, oder wenigstens einen Begriff vom Schönen im Tanz haben müsse? Er erwiderte, daß wenn ein Geschäft, von seiner mechanischen Seite, leicht sei, daraus noch nicht folge, daß es ganz ohne Empfindung betrieben werden könne. Die Linie, die der Schwerpunkt zu beschreiben hat, wäre zwar sehr einfach, und, wie er glaube, in den meisten Fällen, gerad. In Fällen, wo sie krumm sei, scheine das Gesetz ihrer Krümmung wenigstens von der ersten oder höchstens zweiten Ordnung; und auch in diesem letzten Fall nur elliptisch, welche Form der Bewegung den Spitzen des menschlichen Körpers (wegen der Gelenke) überhaupt die natürliche sei, und also dem Maschinisten keine große Kunst koste, zu verzeichnen. Dagegen wäre diese Linie wieder, von einer andern Seite, etwas sehr Geheimnisvolles. Denn sie wäre nichts anders, als der Weg der Seele des Tänzers; und er zweifle daß sie anders gefunden werden könne, als dadurch, daß sich der Maschinist in den Schwerpunkt der Marionette versetzt, d. h. mit andern Worten, tanzt.

Ich erwiderte, daß man mir das Geschäft desselben als etwas ziemlich Geistloses vorgestellt hätte: etwa was das Drehen einer Kurbel sei, die eine Leier spielt. Keineswegs, antwortete er. Vielmehr verhalten sich die Bewegungen seiner Finger zur Bewegung der daran befestigten Puppen ziemlich künstlich, etwa wie Zahlen zu ihren Logarithmen oder die Asymptote zur Hyperbel. Inzwischen glaube er, daß auch dieser letzte Bruch von Geist, von dem er gesprochen, aus den Marionetten entfernt werden, daß ihr Tanz gänzlich ins Reich mechanischer Kräfte hinübergespielt, und vermittelst einer Kurbel, so wie ich es mir gedacht, hervorgebracht werden könne. Ich äußerte meine Verwunderung zu sehen, welcher Aufmerksamkeit er diese, für den Haufen erfundene, Spielart einer schönen Kunst würdigte. Nicht bloß, daß er sie einer höheren Entwicklung für fähig halte: er scheine sich sogar selbst damit zu beschäftigen. Er lächelte, und sagte, er getraue sich zu behaupten, daß wenn ihm ein Mechanikus, nach den Forderungen, die er an ihn zu machen dächte, eine Marionette bauen wollte, er vermittelst derselben einen Tanz darstellen würde, den weder er, noch irgend ein anderer geschickter Tänzer seiner Zeit, Vestris selbst nicht ausgenommen, zu erreichen imstande wäre.

Haben Sie, fragte er, da ich den Blick schweigend zur Erde schlug: haben Sie von jenen mechanischen Beinen gehört, welche englische Künstler für Unglückliche verfertigen, die ihre Schenkel verloren haben? Ich sagte, nein: dergleichen wäre mir nie vor Augen gekommen. Es tut mir leid, erwiderte er; denn wenn ich Ihnen sage, daß diese Unglücklichen damit tanzen, so fürchte ich fast, Sie werden es mir nicht glauben. – Was sag ich, tanzen? Der Kreis ihrer Bewegungen ist zwar beschränkt; doch diejenigen, die ihnen zu Gebote stehen, vollziehen sich mit einer Ruhe, Leichtigkeit und Anmut, die jedes denkende Gemüt in Erstaunen setzen. Ich äußerte, scherzend, daß er ja, auf diese Weise, seinen Mann gefunden habe. Denn derjenige Künstler, der einen so merkwürdigen Schenkel zu bauen imstande sei, würde ihm unzweifelhaft auch eine ganze Marionette, seinen Forderungen gemäß, zusammensetzen können. Wie, fragte ich, da er seinerseits ein wenig betreten zur Erde sah: wie sind denn diese Forderungen, die Sie an die Kunstfertigkeit desselben zu machen gedenken, bestellt? Nichts, antwortete er, was sich nicht auch schon hier fände; Ebenmaß, Beweglichkeit, Leichtigkeit – nur alles in einem höheren Grade; und besonders eine naturgemäßere Anordnung der Schwerpunkte. Und der Vorteil, den diese Puppe vor lebendigen Tänzern voraus haben würde?

Der Vorteil? Zuvörderst ein negativer, mein vortrefflicher Freund, nämlich dieser, daß sie sich niemals zierte. – Denn Ziererei erscheint, wie Sie wissen, wenn sich die Seele (vis motrix) in irgend einem andern Punkte befindet, als in dem Schwerpunkt der Bewegung. Da der Maschinist nun schlechthin, vermittelst des Drahtes oder Fadens, keinen andern Punkt in seiner Gewalt hat, als diesen: so sind alle übrigen Glieder, was sie sein sollen, tot, reine Pendel, und folgen dem bloßen Gesetz der Schwere; eine vortreffliche Eigenschaft, die man vergebens bei dem größesten Teil unsrer Tänzer sucht.

Sehen Sie nur die P… an, fuhr er fort, wenn sie die Daphne spielt, und sich, verfolgt vom Apoll, nach ihm umsieht; die Seele sitzt ihr in den Wirbeln des Kreuzes; sie beugt sich, als ob sie brechen wollte, wie eine Najade aus der Schule Bernins. Sehen Sie den jungen F… an, wenn er, als Paris, unter den drei Göttinnen steht, und der Venus den Apfel überreicht; die Seele sitzt ihm gar (es ist ein Schrecken, es zu sehen) im Ellenbogen.

Solche Mißgriffe, setzte er abbrechend hinzu, sind unvermeidlich, seitdem wir von dem Baum der Erkenntnis gegessen haben. Doch das Paradies ist verriegelt und der Cherub hinter uns; wir müssen die Reise um die Welt machen, und sehen, ob es vielleicht von hinten irgendwo wieder offen ist.

Ich lachte. – Allerdings, dachte ich, kann der Geist nicht irren, da, wo keiner vorhanden ist. Doch ich bemerkte, daß er noch mehr auf dem Herzen hatte, und bat ihn, fortzufahren.

Zudem, sprach er, haben diese Puppen den Vorteil, daß sie antigrav sind. Von der Trägheit der Materie, dieser dem Tanze entgegenstrebendsten aller Eigenschaften, wissen sie nichts: weil die Kraft, die sie in die Lüfte erhebt, größer ist, als jene, die sie an der Erde fesselte Was würde unsre gute G… darum geben, wenn sie sechzig Pfund leichter wäre, oder ein Gewicht von dieser Größe ihr bei ihren Entrechats und Pirouetten, zu Hülfe käme? Die Puppen brauchen den Boden nur, wie die Elfen, um ihn zu streifen, und den Schwung der Glieder, durch die augenblickliche Hemmung neu zu beleben; wir brauchen ihn, um darauf zu ruhen, und uns von der Anstrengung des Tanzes zu erholen: ein Moment, der offenbar selber kein Tanz ist, und mit dem sich weiter nichts anfangen läßt, als ihn möglichst verschwinden zu machen.

Ich sagte, daß, so geschickt er auch die Sache seiner Paradoxe führe, er mich doch nimmermehr glauben machen würde, daß in einem mechanischen Gliedermann mehr Anmut enthalten sein könne, als in dem Bau des menschlichen Körpers.

Er versetzte, daß es dem Menschen schlechthin unmöglich wäre, den Gliedermann darin auch nur zu erreichen. Nur ein Gott könne sich, auf diesem Felde, mit der Materie messen; und hier sei der Punkt, wo die beiden Enden der ringförmigen Welt in einander griffen.

Ich erstaunte immer mehr, und wußte nicht, was ich zu so sonderbaren Behauptungen sagen sollte.

Es scheine versetzte er, indem er eine Prise Tabak nahm, daß ich das dritte Kapitel vom ersten Buch Moses nicht mit Aufmerksamkeit gelesen; und wer diese erste Periode aller menschlichen Bildung nicht kennt, mit dem könne man nicht füglich über die folgenden, um wie viel weniger über die letzte, sprechen.

Ich sagte, daß ich gar wohl wüßte, welche Unordnungen, in der natürlichen Grazie des Menschen, das Bewußtsein anrichtet. Ein junger Mann von meiner Bekanntschaft hätte, durch eine bloße Bemerkung, gleichsam vor meinen Augen, seine Unschuld verloren, und das Paradies derselben, trotz aller ersinnlichen Bemühungen, nachher niemals wieder gefunden. – Doch, welche Folgerungen, setzte ich hinzu, können Sie daraus ziehen?

Er fragte mich, welch einen Vorfall ich meine?

Ich badete mich, erzählte ich, vor etwa drei Jahren, mit einem jungen Mann, über dessen Bildung damals eine wunderbare Anmut verbreitet war. Er mochte ohngefähr in seinem sechszehnten Jahre stehn, und nur ganz von fern ließen sich, von der Gunst der Frauen herbeigerufen, die ersten Spuren von Eitelkeit erblicken. Es traf sich, daß wir grade kurz zuvor in Paris den Jüngling gesehen hatten, der sich einen Splitter aus dem Fuße zieht; der Abguß der Statue ist bekannt und befindet sich in den meisten deutschen Sammlungen. Ein Blick, den er in dem Augenblick, da er den Fuß auf den Schemel setzte, um ihn abzutrocknen, in einen großen Spiegel warf, erinnerte ihn daran; er lächelte und sagte mir, welch eine Entdeckung er gemacht habe. In der Tat hatte ich, in eben diesem Augenblick, dieselbe gemacht; doch sei es, um die Sicherheit der Grazie, die ihm beiwohnte, zu prüfen, sei es, um seiner Eitelkeit ein wenig heilsam zu begegnen: ich lachte und erwiderte – er sähe wohl Geister! Er errötete, und hob den Fuß zum zweitenmal, um es mir zu zeigen; doch der Versuch, wie sich leicht hätte voraussehen lassen, mißglückte. Er hob verwirrt den Fuß zum dritten und vierten, er hob ihn wohl noch zehnmal: umsonst er war außerstande dieselbe Bewegung wieder hervorzubringen – was sag ich? die Bewegungen, die er machte, hatten ein so komisches Element, daß ich Mühe hatte, das Gelächter zurückzuhalten: –

Von diesem Tage, gleichsam von diesem Augenblick an, ging eine unbegreifliche Veränderung mit dem jungen Menschen vor. Er fing an, tagelang vor dem Spiegel zu stehen; und immer ein Reiz nach dem anderen verließ ihn. Eine unsichtbare und unbegreifliche Gewalt schien sich, wie ein eisernes Netz, um das freie Spiel seiner Gebärden zu legen, und als ein Jahr verflossen war, war keine Spur mehr von der Lieblichkeit in ihm zu entdecken, die die Augen der Menschen sonst, die ihn umringten, ergötzt hatte. Noch jetzt lebt jemand, der ein Zeuge jenes sonderbaren und unglücklichen Vorfalls war, und ihn, Wort für Wort, wie ich ihn erzählt, bestätigen könnte. –

Bei dieser Gelegenheit, sagte Herr C… freundlich, muß ich Ihnen eine andere Geschichte erzählen, von der Sie leicht begreifen werden, wie sie hierher gehört.

Ich befand mich, auf meiner Reise nach Rußland, auf einem Landgut des Herrn v. G. . ., eines livländischen Edelmanns, dessen Söhne sich eben damals stark im Fechten übten. Besonders der ältere, der eben von der Universität zurückgekommen war, machte den Virtuosen, und bot mir, da ich eines Morgens auf seinem Zimmer war, ein Rapier an. Wir fochten; doch es traf sich, daß ich ihm überlegen war; Leidenschaft kam dazu, ihn zu verwirren; fast jeder Stoß, den ich führte, traf, und sein Rapier flog zuletzt in den Winkel. Halb scherzend, halb empfindlich, sagte er, indem er das Rapier aufhob, daß er seinen Meister gefunden habe: doch alles auf der Welt finde den seinen, und fortan wolle er mich zu dem meinigen führen. Die Brüder lachten laut auf, und riefen: Fort! fort! In den Holzstall herab! und damit nahmen sie mich bei der Hand und führten mich zu einem Bären, den Herr v. G… ihr Vater, auf dem Hofe auferziehen ließ.

Der Bär stand, als ich erstaunt vor ihn trat, auf den Hinterfüßen, mit dem Rücken an einem Pfahl gelehnt, an welchem er angeschlossen war, die rechte Tatze schlagfertig erhoben, und sah mir ins Auge: das war seine Fechterpositur. Ich wußte nicht, ob ich träumte, da ich mich einem solchen Gegner gegenüber sah; doch: stoßen Sie! stoßen Sie! sagte Herr v. G… und versuchen Sie, ob Sie ihm eins beibringen können! Ich fiel, da ich mich ein wenig von meinem Erstaunen erholt hatte, mit dem Rapier auf ihn aus; der Bär machte eine ganz kurze Bewegung mit der Tatze und parierte den Stoß. Ich versuchte ihn durch Finten zu verfuhren; der Bär rührte sich nicht. Ich fiel wieder, mit einer augenblicklichen Gewandtheit, auf ihn aus, eines Menschen Brust würde ihn ohnfehlbar getroffen haben: der Bär machte eine ganz kurze Bewegung mit der Tatze und parierte den Stoß. jetzt war ich fast in dem Fall des jungen Herrn v. G… Der Ernst des Bären kam hinzu, mir die Fassung zu rauben, Stöße und Finten wechselten sich, mir triefte der Schweiß: umsonstl Nicht bloß, daß der Bär, wie der erste Fechter der Welt, alle meine Stöße parierte; auf Finten (was ihm kein Fechter der Welt nachmacht) ging er gar nicht einmal ein: Aug in Auge, als ob er meine Seele darin lesen könnte, stand er, die Tatze schlagfertig erhoben, und wenn meine Stöße nicht ernsthaft gemeint waren, so rührte er sich nicht.

Glauben Sie diese Geschichte?

Vollkommen! rief ich, mit freudigem Beifall; jedwedem Fremden, so wahrscheinlich ist sie; um wie viel mehr Ihnen!

Nun, mein vortrefflicher Freund, sagte Herr C…, so sind Sie im Besitz von allem, was nötig ist, um mich zu begreifen. Wir sehen, daß in dem Maße, als, in der organischen Welt, die Reflexion dunkler und schwächer wird, die Grazie darin immer strahlender und herrschender hervortritt. – Doch so, wie sich der Durchschnitt zweier Linien, auf der einen Seite eines Punkts, nach dem Durchgang durch das Unendliche, plötzlich wieder auf der andern Seite einfindet, oder das Bild des Hohlspiegels, nachdem es sich in das Unendliche entfernt hat, plötzlich wieder dicht vor uns tritt: so findet sich auch, wenn die Erkenntnis gleichsam durch ein Unendliches gegangen ist, die Grazie wieder ein; so, daß sie, zu gleicher Zeit, in demjenigen menschlichen Körperbau am reinsten erscheint, der entweder gar keins, oder ein unendliches Bewußtsein hat, d. h. in dem Gliedermann, oder in dem Gott.

Mithin, sagte ich ein wenig zerstreut, müßten wir wieder von dem Baum der Erkenntnis essen, um in den Stand der Unschuld zurückzufallen? Allerdings, antwortete er, das ist das letzte Kapitel von der Geschichte der Welt.

Interview mit Michael Stein

 12.8.2007

Dan Richter: Warst du jetzt mal wieder bei der Reformbühne oder den Surfpoeten?

Michael Stein: Nein, ich hab letzte Woche noch mal mit Falko [Hennig] und Daniela [Böhle] telefoniert und erklärt, dass es im Moment erst mal völlig weg ist. Also, eine Zeit lang dachte ich, mir fehlt das mit den Auftritten. Ich bin ja dann auch noch eigentlich relativ häufig aufgetreten bis vor zwei Monaten. Nein, das ist erst mal ganz weg.

Ist es zu anstrengend?

Nein. Also es war zwar so, dass ich einmal bei den Surfpoeten einen Fieberschub bekommen habe, weil ich vergessen hatte meine Pille zu nehmen, ich hab doch Gelenkschmerzen, und mich dann legen musste, weil ich mich gar nicht mehr konzentrieren konnte. Aber egal, das ist jetzt einfach alles aus dem Mittelpunkt gerückt. Also auch das Erzählen. Ich hab das ja auch damals thematisiert auf der Bühne mit meiner Diagnose und hab auch noch zwei Filmchen gemacht, auch auf der Straße, zum Thema Gesundheit und so weiter. Ich hab dann aber auch, was ich schon früher teilweise problematisch fand, alles, was ich tue, immer beobachte unter "Wie kann ich’s verwursten?", ein ständiges Objektivieren. Und jetzt – mir geht’s nicht gut, um jetzt mal die Pointe zu suchen, was zwar auch OK ist, es macht mir zwar Spaß, aber nicht unter dem Druck. Ich stehe auf der Bühne und will das auch erzählen, weil ich ja auch immer erzähle, was mir passiert. Auch gezielt – das ganze Affentheater mit den Kontrolleuren, das macht zwar Spaß, aber eigentlich ist es kindisch, eigentlich ist es albern, nach zehn mal weißt du, wie der Hase läuft. Und es gibt einige Sachen, bei denen ich mich gefragt habe, wozu ich die eigentlich mache. Eigentlich nur durch die Erkrankung. Einfach, weil ich grundsätzlicher noch mal nachdenke. Zum Beispiel was gewesen wäre, wenn ich mich gleich hätte operieren lassen und alles wäre total glatt gelaufen, was zwar unwahrscheinlich ist, aber nehmen wir’s mal an, und ich nach zwei Monaten wieder rumgelaufen wäre. Das muss man ja mit dem Unfall damals auch sehen, das war ja ähnlich schwerwiegend, wie bei einer OP. Ich konnte ja auch wieder laufen und hab nach einer kurzen Karenzzeit wieder angefangen zu rauchen zum Beispiel. Und das wäre jetzt genauso gewesen. Ich hätte mit Sicherheit wieder angefangen zu rauchen und schön weiter gesoffen, weil es eben auch Spaß macht. Und am Anfang dachte ich erst, ich hab das Rauchen hinter mich gebracht, weil es so wehgetan hat nach der Bronchioskopie. Immer, wenn ich inhaliert habe, hat es richtig gestochen. Aber als das dann weg war, habe ich gemerkt, das stimmt gar nicht. Wenn ich dann im Keller war, im Mudd Club und Robert und alle möglichen Leute haben backstage geraucht – auf der Bühne ist es ja jetzt verboten – , na dann habe ich natürlich auch geraucht. Also erst ein, zwei Züge, und dann eben auf Lunge geraucht. Ich habe mitgekriegt, dass ich mein Suchtverhalten… wie soll ich sagen. Ich will jetzt nicht die Diagnose nutzen, um mich selbst zu erziehen, aber es hat natürlich diesen Charakter: Dass ich einfach anders noch mal drüber nachdenke über alles mögliche, also auch über das Auftreten. Und wieweit ich den Anspruch, den ich eigentlich hatte, nämlich wahrhaftig zu sein, was ja so nie ganz stimmt auf der Bühne, weil du nämlich immer dann doch auf ’ne Pointe aus bist, und wenn ich das gemerkt habe, dann habe ich das destruktiv gewendet und ganz gezielt auf alles verzichtet. Also nicht nach der Diagnose, sondern schon vorher. Also wirklich Schreiben ohne Pointe eben. Das kannste nicht machen, aber andererseits – wozu jetzt? Wozu stellste dich auf die Bühne, um das zu machen. Oder über den Tod zu erzählen, was ich häufig gemacht hatte, als ich in diesem Hospizverein war. Also jetzt in dieser Weise die gute Laune verderben – warum eigentlich?

Ja, die Frage der Wahrhaftigkeit. Die Leute hören zu, und dann gibt es ein Problem bei der Authentizität, wenn man sich ständig selbst beobachtet, wenn man ständig dabei ist, das auszutarieren: Setze ich eine Pointe oder führe ich die an der Nase rum? Was mache ich hier eigentlich? Ist das überhaupt gut?

Ja, ja. Mein Ziel war ja trotz allem nie, schlechte Laune zu schaffen, auch wenn das hin und wieder passiert ist, oder dass die Leute sagen: "Was soll denn das? Was erzählen die denn da?", was natürlich in dem Augenblick für mich fast zwanghaft war, dass ich das dann gemacht habe, aber ich habe mich schon besser gefühlt, wenn ich das thematisch trotzdem so aufbereiten konnte, dass es goutiert werden kann, sonst ist das ja auch sinnlos. Und da gehört dann eine Pointe schon dazu. Und dagegen ist ja auch nichts zu sagen. Es ist nur so: Dieser Furor, ich kenn das ja auch, wenn man sich so in Rage redet: Es fängt dann komisch an, und es bleibt auch komisch, es wird komisch, es ist eben alles komisch. Es hat durchaus große Freude mir bereitet, aber dann eben auch gleichzeitig oder oft auch einen Widerwillen dagegen. Ich hab das eben mal erlebt, als wir mit Wiglaf [Droste] und Max Goldt unterwegs waren, und die Leute als Max Goldt auf die Bühne kam, nur deshalb schon gelacht haben. Er hat sich hingesetzt, hat Guten Abend! gesagt, und die Leute haben gelacht. Da kann jetzt Max Goldt nichts dafür.

Dann will man nur noch mit dem Hammer rein, oder?

Jedenfalls in dem letzten halben Jahr… ich hab mich nicht wirklich entfernt, ich denke auch immer wieder nach, was ich jetzt doch noch für die Bühne machen könnte, aber vielleicht ohne jetzt selber da zu sein: Mit dem Film. Robert [Weber] hat ja auch früher öfters Filme gemacht. Aber es ist eben sehr aufwendig. Das wäre noch ein Weg. Obwohl ich auch, hm…, Naja, ich weiß nicht. Ich weiß es nicht.
In erster Linie bin ich jetzt natürlich dabei, herauszukriegen, was wahr ist. Das klingt jetzt sehr albern, aber es ist wirklich so. Was wahr ist mit meiner Diagnose und wie ich damit umgehe, aber auch was wahr ist im Leben. Also wie ich das alles sehe: Meinen Konflikt mit dem Arbeitsamt, mein Konflikt mit den Kontrolleuren, und was daran für mich einfach nur völlig eingefahren ist.

Eingefahren in welchem Sinne?

Zum Beispiel klare Feindbilder, die ich natürlich auch immer wieder hinterfrage, oder auch bei den Kontrolleuren in der Situation selber, wo das gar keine Feindschaft ist, wo die zum Teil sogar selber lustig drauf reagiert haben. Aber eben all das, was ich tue, und was ich öffentlich auf der Bühne tue, und wie ich mit meinen Frauen umgegangen bin. So wie man eben denkt, wenn man kurz vorm Tod steht, also es ist ja wirklich so, es ist auf jeden Fall nicht auszuschließen. Und da steht eben das Auftreten nicht vorne, sondern… "Sondern?" Na ja, mal kieken.

Also ein Aspekt von mehreren?

Naja, es ist nicht so, dass ich es nicht mehr machen will, aber es ist einfach weg. Also es ist ähnlich wie damals mit dem Schreiben, dass es mich nicht mehr interessiert. Und irgendwann war es so, dass es gar nicht darum geht, dass es mich nicht mehr interessiert, sondern dass es einfach weg ist. Also, ich könnte es wahrscheinlich auch gar nicht mehr. Ich müsste mich erst wieder richtig hinsetzen, um schreiben zu lernen. Und das kann mit dem Auftreten so auch passieren. Ich hab das nun jahrelang…, teilweise war es sehr gut, teilweise ist es völlig entglitten, aber eben mit der freien Rede. Und es kann auch sein, dass es völlig an Bedeutung verliert, dass ich irgendwann gar nicht mehr den Ehrgeiz habe, frei zu reden vor vielen Leuten. Ich hab früher immer die bewundert, die das konnten, Leute wie [Thomas] Kapielski, als ich noch geschrieben habe, also nur geschrieben hab, als ich mit Wiglaf damals aufgetreten bin, und dann Leute wie Kapielski einfach nur erzählt haben. Oder [Helmut] Höge mit seinen Bildervorträgen.
Das war so 88/89/90 in der Zeit habe ich ihn ein paar Mal erlebt. Ich kannte den privat auch schon ganz lange, und der hat schon immer gerne doziert vor Versammlungen, und das hat er in seiner Dozentur auch gemacht, in Kassel, wo er eigentlich auch nur Vorträge gehalten hat, freie Vorträge. Jedenfalls war das für mich unerreichbar, weil man immer davon geprägt war, dass die Sache einen Anfang, eine Mitte und einen Schluss hat und der Schluss eben immer sehr wichtig ist. Und beim Schreiben geht das ja, da hat man Zeit. Ich hätte mich das nie getraut. Also es ist es nicht so, dass ich mir das bewusst vorgenommen hab: "So, ich will das jetzt auch können.", sondern es kam dann so, weil ich nicht mehr geschrieben hab, und dann fiel mir auch ein, dass das ja das ist, was Kapielski macht oder was Höge macht.

War das von Anfang an bei der Reformbühne so?

Dass ich frei geredet habe? Nein, die Gedanken waren schon noch geschrieben, aber handschriftlich. Und dann wurden es immer mehr nur noch Notizen. Also, ich hatte teilweise feste Texte, allerdings auch handschriftlich, und dann kam es, dass ich frei gesprochen habe, aber eben immer auch ein freier Text. Und das hat sich immer mehr verschoben. Irgendwann hatte ich dann nur noch Worte notiert, damit ich überhaupt weiß, was ich erzählen will.

Und die Suche nach der Wahrheit – eher meditativ?

Ja, eigentlich schon. Und jetzt auch, weil’s mir damals schon aufgefallen ist oder gerade damals aufgefallen ist, als ich geschrieben hab: Eigentlich kann man nicht wirklich erzählen, was eine Situation ausmacht. Also, ich kann’s jedenfalls nicht. Also das Komplexe, ich dachte, das könnte man am Besten im Film darstellen, wenn man eine Stimme erzählen lässt, und gleichzeitig den Dialog. Oder wie Arno Schmidt das gemacht hat, mit den verschiedensten Ebenen, eine Klammer setzen und Klammer in Klammer, also das, was die Leute sagen, und das was sie dazu denken, und das, was der Autor dazu denkt noch mal in Klammern. Also so eine komplexe Art, aber so schreibe ich ja nicht. Ich hab mich dann schon immer eher journalistisch orientiert. Wo mir das eben auffiel, dass man so eine Situation nicht wirklich darstellen kann und das eigentlich nur geht, wenn du einen ganz bestimmten Blick, so eine Art Tunnelblick hast und rein gehst in die Situation und dann auch alles andere ausschaltest, also nur die Reaktion auf dich. Am besten so wie Hunter Somsn das gemacht hat, also selber die Geschichten erleben, die man schreibt.

Wer?

Hunter S. Thompson. "Angst und Schrecken in Las Vegas" ist von dem. So also, dass du selber die Situation schaffst, über die du dann schreibst. Und es war ja dann, dass Wiglaf und ich nach ’ner Tour, als wir dann in einer Pension saßen, bei viel Alkohol. Und dann eben auch Wiglaf eingestehen musste, dass es so willkürlich ist, über wen man jetzt herzieht und wie schlecht man Einen macht. […] Also dass das eigentlich keinen wirklichen Wert hat. Auch wenn man auf der Bühne dann dabei ganz wichtig guckt, so kritisch. Also Wiglaf macht das ja auch ganz gern. Jetzt hat er einen am Wickel, und da muss man was dazu sagen, … Belanglos. Also, hm. Jein. Eigentlich ist es… hm.

Er hat ja jetzt aufgehört, für die taz zu schreiben, hab ich jetzt gelesen. Eigentlich, egal, über wen er geschrieben hat, man hat sich immer wieder über seine Sprache gefreut.

Ja.

Es war immer so geschickt unter die Gürtellinie gezielt. Ich kenne ihn ja auch nicht richtig, aber ich habe das Gefühl, dass er versucht, im Laufe der Jahre, das zu relativieren, in dem er wenigstens zwei Angriffen auch immer eine Liebeserklärung hinterhersetzt, an Hacks oder Johnny Cash…
Und du machst das alles aber nicht schreibend, sondern denkend.

Ja. Und noch nicht mal so. Ich könnte es nicht mal notieren. Hin und wieder erzähl ich mal was darüber. Wenn ich mit Maja spreche. Oder mit Beispiel Robert Weber. Aber es ist eben zum Beispiel nichts für die Bühne, also es würde nicht funktionieren. Also man könnte es schon für die Bühne machen, wenn man richtig dran arbeitet und dann sagt: Gut, bei aller Relativierung, es ist jetzt auch wieder nur ein Ausschnitt von der Wirklichkeit, aber eben ein sehr kompakter Ausschnitt. So könnte man’s schon machen. Aber das ist nichts, was man schaffen kann, wenn man…, also in einem Wochentakt zum Beispiel würde es gar nicht gehen. Und das habe ich damals, als wir das Benno-Ohnesorg-Theater gemacht haben, das war ja im Monats-Takt, also selbst das war schon schwierig. Obwohl ich ja eben diesen Anspruch gar nicht verwirklichen konnte und auch nicht wollte, es aber immer wieder versucht hab, trotzdem. Es waren auch viel längere Texte als jetzt bei den Lesebühnen, keine fünf Minuten oder so. Ich hab also jedenfalls damals schon teilweise ziemliche Latten geschrieben, ’ne Viertelstunde. Und beim Anfang der Reformbühne war das auch noch so, da gab es noch nicht dieses Dogma, das die Sachen kurze Comedy-Länge haben müssen.

Ich find es schon sehr seltsam, wenn du da so oft unterbrochen wirst von den Kollegen.

Ja, das ist mir gar nicht mehr aufgefallen. Also, das gehört dann mit dazu. Manchmal war ich sogar dankbar, obwohl es natürlich…, naja, … Besser war’s schon, wenn ich einen Gedanken bis zu Ende spinnen konnte. Aber das andere ist auch nicht schlimm. Ich weiß sowieso nicht, was funktioniert, was hängen bleibt, wenn man etwas erzählt, was jetzt nicht reinen Unterhaltungscharakter hat, also wo man jetzt aussteigt aus dem ganzen rhythmischen Lachen alle zwei drei Sätze, ob das überhaupt eine Funktion hat, also was jetzt eigentlich hängen bleibt von so einem Auftritt, wenn ich jetzt im Publikum sitzen würde. Ich finde es sowieso erstaunlich, dass die Leute überhaupt durchhalten anderthalb Stunden oder länger, einen Text nach dem anderen. Also ich könnte mich an nichts mehr erinnern danach. Das ist mein Gefühl.

Ich glaube, man kriegt viel mit. Damals als ich noch mehr Zuschauer war als auf der Bühne. Aber auch jetzt ist man ja auf der Bühne Zuschauer. Ich glaube, es bleibt relativ viel hängen. Und wenn es von zwölf Texten zwei oder drei sind, das ist ja schon mal viel. Also gerade bei dir: Ich weiß noch, dass als Jochen [Schmidt] und ich immer zur Reformbühne gegangen sind, saßen wir immer mit offenem Mund da, und diese Erfahrung habe ich von vielen gehört, gerade in Bezug auf dich.
Diese Art, sich hinzustellen und die Welt zu beleuchten, das hat total viele beeinflusst, also von denen, die bei den Lesebühnen schreiben, Ahne sowieso, Spider. Und ich denke, dass ist auch bei Leuten, die jetzt nur im Publikum sitzen, auch so gewesen. Manchmal ist es so, ich weiß nicht, man hört einen Text, und dann bleibt irgendwie ein Gedanke oder eine Formulierung hängen. Oder auch so eine Art Spirit, die Dinge mal von einer bestimmten Perspektive zu sehen.

Na okay, so kann man… Wobei, ich glaube eben, dass das nachgelassen hat. Vielleicht liegt das auch daran, weil ich nicht mehr die Kraft gehabt habe auf der Bühne oder auch konzeptleer war. Oder auch eben insgesamt der Anspruch mit zurückgetreten ist, mit dem Publikum mehr zusammen zu machen. Es gab ja zu Anfang noch den Votzenblock, als wir im Schokoladen waren zum Beispiel, wo man ein paar Mal vor irgendwelchen Demos war und dann fast an die hundert Leute gekommen sind. Was ja jetzt immer noch so ein bisschen ist bei dieser 2.-Mai-Demo, was ja daran anknüpft. Aber diese Verbindung, wo wir eben Publikumsspiele gemacht haben, wo wir die einbezogen haben: Der Problemlaster zum Beispiel, wo die dann Zettel abgeben konnten mit ihren Problemen und wir haben die dann spontan auf der Bühne gelöst, das war bei den Surfpoeten. Und diese Sachen sind eben ein bisschen weg. Ich hatte eben das Gefühl, dass so das letzte Jahr oder länger, dass das Publikum, was ja sowieso sich geändert hat, ich weiß nicht, wie es bei euch ist, aber bei uns sind es alle zwei Jahre völlig andere Leute, jedes Semester wahrscheinlich… Und es war eben ’ne Zeitlang so, dass ganz lange Leute immer wieder gekommen sind, zwar nicht jedes Mal, aber die dann auch bei einer Demo mit waren oder sonstwie. Also die dann eben immer wieder kamen, wo du nicht jedes Mal neu etwas erläutern musstest, wenn du eine zusammenhängende Geschichte über mehrere Folgen gemacht hast. Und das ist jetzt weg, also bei den Surfpoeten habe ich jedenfalls das Gefühl gar nicht mehr.

Vielleicht hat es auch mit der Größe zu tun: Dass man sich als Zuschauer nicht mehr als Teil dieser kleinen Sekte versteht, sondern die Distanz zu denen auf der Bühne auch wächst.

Das kann schon sein. Im Mudd Club hat es sich ja noch eine Zeitlang hingezogen. Aber trotzdem, es kann schon sein, dass auf Dauer die Größe… Das müsste man mal analysieren. Aber bei euch in der Kantine [beim Kantinenlesen] hab ich auch das Gefühl, dass die Leute regelmäßig kommen, das ist ja auch ziemlich groß, wo man doch in der Kantine denken könnte, es ist eine große Fluktuation, weil es eben in so einem Rahmen stattfindet wie Kulturbrauerei, wo sowieso nur Touristen unterwegs sind. Und da fand ich das eben auffällig, dass da eben, zwar nicht jedes Mal vielleicht, aber…

Ja genau. Viele kommen so alle drei, vier Wochen. Und der Anteil der Erstbesucher – danach frage ich ja immer – ist bei der Kantine geringer als bei der Chaussee. Und das sind ja oft Touristen. Aber bei der Kantine einen Spirit zu etablieren…

Okay, gut…

[lacht] das ist schon schwer. Na ja, das was auf den Lesebühnen gemacht wird, hat sich ja auch immer weiter differenziert. Zum Teil kennen die sich ja nicht mal mehr.

Ja, das ist richtig. Hm, für mich gibt’s ja nur die beiden Pole bei den Besuchern. Also, Chaussee habe ich nur ganz oberflächlich…, aber Chaussee ist, glaube ich, auch ähnlich wie bei den Surfpoeten. Aber in der Reformbühne ist es eben sehr unterschiedlich, die Leute, die da auftreten. Also Falko Hennig ist ganz eigen. Bei Jakob ist’s mal so mal so, mal ist er eher komisch, mal ist er eher ernst. Jürgen Witte ist nicht gerade der Komödiant, der macht es dann eher sachlich, so wie früher Walter Ullrich in der Titanic, so den Ernsthaften, wo man sich dann schon freut, wenn wieder Pointen kommen, aber trotzdem, ich hör ihn immer sehr gerne, weil er so, ja, den Klassenstandpunkt mal wieder bezieht, was ja gerne vergessen wird. Und dann eben Ahne. Ja, und Heiko Werning ist auch eher komisch, aber eben politisch eben leicht moralisierend, also sehr unterschiedlich. Falko ist eben ganz eigen, also ich find den sehr komisch zwar, aber ich glaube, es ist gewöhnungsbedürftig. Man muss sich drauf einlassen.
Ja, und bei den Surfpoeten ist es eben mehrheitlich so witziges Tagebuch. Ahne, Tube und Spider schreiben jetzt nicht total ähnlich, aber es ist auf jeden Fall eine Art und Weise: Gestern ist eben das und das passiert. Weber fällt natürlich dann raus. Und ich fall dann natürlich raus mit dem Erzählten nun wieder. Also das Tagebuchschreiben. Und bei der Reformbühne, was dann doch fast literarisch ambitioniert ist, also was einem dann auch teilweise zu viel werden kann, durchaus, hab ich aber eben auch das Gefühl, da kannst du eher auch mal  – also die Reformbühne ist offener mittlerweile – einen richtig ernsten Text vortragen, ohne… Also bei den Surfpoeten würdest du auffallen, wenn du das machst. Obwohl das auch passiert öfter mal, also Ahne macht das ja hin und wieder mal, also wo er dann schwer moralisiert politisch, wo dann einer reingewürgt wird, aber in der Regel ist es ’ne Lachveranstaltung.

Ist vielleicht auch durch diesen Rhythmus so: Text-Musik-Text-Musik.

Ja, das kann sein. Ja, ja.

Wie ist das eigentlich damals gewesen, hattest du damals Lt. Surf aufgetrieben?

Nee, nee. Das war ganz anders. Also ursprünglich hieß es ja Radio Hochsee, was Falko dann später wieder für seine Sachen genommen hat. Dann war Falko in China für länger weg und brauchte ’ne Vertretung, und da kam Robert Weber. In der Zeit lief keine Musik zwischendurch. Und da kam der Leutnant nämlich selber an im Bergwerk. Und hat den Vorschlag gemacht: "Hey, was haltet ihr davon?" Und dann hat Duschke irgendwie…, Da hieß das noch anders, da haben wir noch einen Namen gesucht, also nicht Radio Hochsee, eben weil klar war, dass Falko da seine eigene Sache machen will. Das war jetzt keine Feindschaft oder Frustration, sondern er wollte was anderes machen. Ich weiß nicht, dann hatten wir so einen Namen…, da war so ein Plakat jedenfalls, wo so ein Pärchen steht, so ein bisschen stylish, er Smoking und sie Cocktailkleid und die halten beide Sektgläser in der Hand, und das hieß… Es hatte einen ähnlichen Namen. Dann gab’s jedenfalls die Zwischenlösung, und da hat der Leutnant sich eingebracht, sich einfach angeboten: "So, was haltet ihr davon, wenn wir da Musik auch mit reinbringen ins Programm?" Also so entstand das eigentlich. Und dann kam eigentlich erst "Surfpoeten", der Name kam erst danach. Wir kannten ja Olaf auch schon vom [Kaffee] Burger. Er hatte ja auch vorher seine Surfveranstaltungen schon gemacht als DJ. Und im Schokoladen hat er eben hin und wieder auch aufgelegt. Der kam von sich aus, hat Arbeit gesucht. Arbeitsuchender. Und das ging dann zusammen. Wir hatten dann ja auch das Piratenradio gemacht, Radio P., wo Sascha mit dabei war, der ’ne Zeitlang bei den Surfpoeten auch mit dabei war, zwei Jahre oder so. Also Olaf, Sascha und ich waren vom Radio eigentlich. Na ja, dieses Konzept war ja auch so orientiert, wir dachten ja am Anfang noch, dass wir versuchen, ’ne Radiosendung zu kriegen, weil uns diese Form ideal erschien. Und wenn Jero seine Sachen in der Volksbühne gemacht hat, das lief ja dann auch mit uns zusammen. Da hat sich dann Robert speziell noch drum gekümmert. Also jetzt im Prinzip ’ne Sendung wie auf der Bühne, nur umgekehrt halt.

Und Robert? Der kam durch Falko dann?

Ich glaube ja. Ich weiß nicht mehr, wer ihn ausgesucht hatte. Es war total lustig, weil Robert war am Anfang total artifiziell, der wollte eigentlich Kunst machen. Und das mussten wir ihm richtig ausreden. Das ging gar nicht. Also, wir waren schon eher ’ne Klamaukveranstaltung, im Unterschied zu Robert. Na jedenfalls war’s so, Falko war weg, und dann haben wir ganz hässlich über Falko geredet die ganze Zeit, weil’s so Spaß gemacht hat: "Was hat der jetzt in China vor?" "Wie kann der sich sowas leisten?" Also allen möglichen Quatsch. Und Robert, das fand der gar nicht gut, wie wir über Falko reden. Und dann kam aber raus, dass er nur Angst hatte, dass wir, wenn er weg ist, auch so über ihn reden. Und da haben wir jedenfalls gesagt: "Nee, das musste vertragen. Wenn du bei uns mitmachen willst, dann musste das abkönnen, das gehört einfach dazu." Und wir sind ja oft teilweise … gegenseitig, das hat ja auch Spaß gemacht, so auf der Bühne eben selber den andern… Na ja, und irgendwann war dann klar, dass Robert eben bleibt auf jeden Fall. Und dann hat er angefangen, Hörspiele zu machen. Und das war wirklich richtig komisch. Also, da war ich auch richtig neidisch drauf, weil, ich kam ja eher vom Hörspiel. Ich hatte ja Radiosachen gemacht vorher.

Ja, das war auch für mich damals das Beste, die Komik von Sascha Rasovic.

Ja, ja. Und das war richtig…, da kam keiner ran. Und das ist eigentlich auch seine Stärke. Und er macht das ja im Prinzip nach wie vor, bloß dass er eben auch ernstere Sendungen macht wieder. Was heißt "ernst", aber eben… Na ja, und das waren eben solche Sachen, wo das Publikum eben richtig mitgegangen ist, die Hörspiele, wenn wir dann in Rollen gesprochen haben. Und das passiert eigentlich auch nicht mehr.

Na ja, man kuschelt sich dann irgendwann so ein in einer Selbstgefälligkeit: Ach, das Publikum kommt sowieso…

Und es ist eben nicht so aufwendig. Ein Hörspiel zu machen ist eben schon ein bisschen aufwendiger als wenn du jetzt einen Text machst oder wie ich ja nun erzähle. Na ja, das andere ist jetzt eben, dass wir wieder anfangen wollten mit Filmen. Das hatten wir früher auch ein paar Mal gemacht. Wo natürlich die Frage ist, wie du das ins Verhältnis setzen kannst, wenn du wöchentlich arbeitest, ob du die Zeit dafür überhaupt verwenden kannst.

Und in der Zeit zwischen "Höhnende Wochenschau" und "Reformbühne", also 1990-95, hast du da auch geschrieben?

Ja, ja. Das hab ich da in erster Linie gemacht. Das waren ja die Sachen, wo ich dann auch fürs Radio geschrieben habe. Mit Leuten, die, als die Höhnende Wochenschau nicht mehr existierte, weiter Comedy gemacht haben fürs Radio, eine Familienserie mit Werner Schauerte, Klaus Nothnagel. "Endlich daheim" hieß das. Das war eine Geschichte so ähnlich wie Al Bundy. Die haben sie dann abgesetzt. Achso, und dann hatten wir "Kommissar Schulz" angefangen, das war auch in der Zeit. Und "Kommissar Schulz" haben sie gleich abgelehnt, weil das nicht geht, dass wir uns über das Sicherheitsbedürfnis unserer Zuschauer lustig machen.

Und welcher Sender war denn das?

RIAS 2. Und die sind ja dann auch zu rs2 umgestiegen. Also bei RIAS 2 war noch alles wunderbar. Dann ist rs2 draus geworden, und da haben die Redakteure teilweise eben selber Anteile gekauft. Und unser Redakteur ist zum Bayrischen Rundfunk gegangen. Bei dem hatten wir absoluten Freiraum. Das war traumhaft. Und der war eben weg. Und da kannst du sehen, wie das teilweise wirklich von einer Person abhängt. Also die Struktur des Senders war eigentlich recht liberal schon. Und zu rs2-Zeiten war das dann eben so, dass die Redakteure Angst hatten, dass sie ihre Anteile verlieren, dass sie ihre Kunden verlieren. "Kommissar Schulz" ist dann eben gleich abgesäbelt worden. Und dann haben sie hinter unserem Rücken geschnitten in dieser Familienserie. Und da waren wir dann damit fertig. Die hätten uns ja wenigstens bescheidsagen können. Und da haben wir von uns aus gesagt, dass wir aufhören, dass das zu weit geht. Damit war das eben auch beendet. Dann haben Werner und ich noch mal so eine Klamotte geschrieben – "Die rote Faust". Das war so eine Stasi-Nachfolge-Gruppe – ’ne echte, die gab’s wirklich – , die also im Untergrund arbeiten wollten und sich immer in einer Kleingartenkolonie getroffen haben. "Die rote Faust" unter der Führung des wahnsinnigen Ex-Stasi-Majors Künzli und als Gegenspieler. Peter Strom, der Vorsitzende der Kommission für Demokratie und Umweltschutz, das war ja das Sinnbild für einen Macho, ein Rassist. Und der hatte aber so eine grüne Terminologie, das war eben der Gag, den wir mit drin hatten. Der musste sich als Bulle aus Ost-West-Gründen ’ne grüne, demokratische Terminologie aufzwingen, [lacht] um gegen den Osten vorzugehen. Und der Osten war überhaupt das absolute Klischee, von diesen Stasi-Rentnern und SED und Neues Deutschland, also es war eine richtige Klamotte. Ich fand sie sehr lustig. Eigentlich fanden sie alle sehr lustig. Und sie haben auch alle noch mitgearbeitet: Nothnagel und die ganzen Leute von der Wochenschau haben noch mal Sprecherrollen übernommen. Und das sind wir nicht losgeworden. Das war ’93 oder ’92. Da waren damals gerade die Umstrukturierungen von den Sendern, weshalb jetzt noch nicht klar war, wieviel Etat es für Hörspiele gibt. Vom MDR haben sie uns gesagt, das sei ja wohl das Allerletzte, bei so einem ernsten Thema, mit der jüngsten deutschen schlimmen Vergangenheit. Keiner wollte das haben. Außer beim NDR, da war eine Frau, die meinte, schade, sie ist eben jetzt nicht für Aktuelles zuständig, wir wollten ja eine aktuelle Sendung machen. Fünf Minuten pro Woche, so ungefähr. Also richtig auch auf die aktuellen politischen Ereignisse immer eingehen, unter diesen beiden, also wie Fantomas und Louis de Funes, die sich gegenseitig bekämpfen. Und sie meinte, es tut ihr leid, sie ist eben nur für den Krimisektor zuständig. Wenn wir einen Krimi schreiben würden, würde sie uns sofort reinnehmen, aber das kann sie leider nicht, also es tut ihr leid. Sie hat es ihrem Chef vorgeschlagen, und der hat auch gesagt, das geht nicht. Naja, und wir haben alle Anstalten angeschrieben, wir waren nach Österreich, also Österreich war sinnlos, das haben wir nur noch pro forma gemacht. Wir hatten auch fünf Folgen fertig, einen Block, eine fertige Staffel vorgeschrieben. Und eine davon eben produziert. Und dann war für mich klar… Wir hatten ja jetzt nicht so viel Zeit investiert, vielleicht zwei Monate oder so, das ist eigentlich noch OK. Für Werner war das dann der entscheidende Grund zu sagen, er hört jetzt erst mal auf. Und er hat dann die LPG aufgemacht, also diesen Bioladen. Er hat sich dann völlig verabschiedet, er hat dann zwar nebenbei noch Drehbuch studiert in München. Aber das macht er eher als Hobby, die Schreiberei. Aber er könnte jederzeit. Ich glaube schon, dass er sogar wollen würde, wenn sich ’ne Gelegenheit ergibt.
Nothnagel, Schauerte und ich hatten diese Familienserie "Endlich daheim". Und Nothnagel macht ja auch hin und wieder die Radiowerbung für de LPG. Also man erkennt’s an seiner Stimme…
Und ich bin dann erst mal LKW gefahren in einer Kunstspedition. Und da lief das dann auch vorbei. Wiglaf und ich hatten uns…, na ja nicht direkt gestritten, aber es hatte sich totgelaufen, also wir hatten fünf Jahre zusammen Lesungen gemacht, und irgendwie dachte jeder: "Ich will nicht mehr." Und ich musste dann erst mal ganz raus, hab dann erst mal ein dreiviertel Jahr nur gefahren. Und bin hin und wieder gern zu irgendwelchen Lesungen gegangen, ganz unbefangen, also nicht als Konkurrent: "Was macht die Konkurrenz?" Sondern wirklich unbefangen, das war sehr angenehm, also einfach als Zuhörer. [lacht] Und dann hatte Bov mich angesprochen, als sie dann die Reformbühne aufmachen wollten. Und ich hab dann gesagt: "Ich schreib zurzeit gerade gar nix." – "Na, das ist egal." Und da war dann Maurenbrecher noch mit dabei, Horst Schwerdtfeger von der Wochenschau am Anfang auch, aber der ist dann schnell abgetaucht. [Hans] Duschke, Bov [Bjerg], [Manfred] Maurenbrecher, Schwerdtfeger und ich. Und dann kam Ahne noch dazu. Ahne und Falko, die waren damals noch so ein Gespann.

Und Jürgen?

Genau. Ja, ja, genau, das ging vom Frühschoppen aus. Also die Frühschoppenleute haben die Reformbühne gegründet.

 

***

 

Und gibt es demnächst noch mal eine Diagnose oder lässt du noch etwas machen?

Ja, ich gehe jetzt diese Woche. Ich wollte es letzte Woche schon machen, und dann hat sich herausgestellt, dass die Adressen alle nicht stimmten. Also zum Radiologen ein Foto machen. Auch wegen dem Husten, ob ich mir den einbilde oder ob der Tumor größer geworden ist. Und dann müssen wir sehen… Jedenfalls gibt es hier eine Ärztin um die Ecke, eine Allgemein-Ärztin, die aber auch Naturheilkunde macht. Bei der war ich letzte Woche, und der habe ich das ganze Dilemma geschildert. Also dass ich schon bei vielen Ärzten war, und dass ich das alles weiß, und dass ich leichtsinnig bin und möglicherweise mein Grab schaufle gerade, aber ob sie trotzdem bereit wär, mich zu begleiten medizinisch. Sie meinte ja, ja. Sie hat zwar so ein bisschen…, naja. Und jetzt wollen wir einen Plan erstellen mit mir zusammen, also wenn die Fotos gemacht sind. Weil – alles andere wäre jetzt sinnlos. Also, ich weiß ja wirklich nicht, wie es aussieht. Wenn es wirklich Metastasen sind, dann fallen bestimmte Sachen schon mal weg. Also OP zum Beispiel, aber das fällt eigentlich sowieso weg, weil die will ich gar nicht machen lassen. Also höchstens eben diese Laserung. Oder sie nehmen nur den Tumor raus. Aber das ist so blöd, das machen sie nicht. Ich hab das ja gefragt, aber die meinten, es wäre medizinisch nicht sinnvoll, also machen sie es nicht. Es muss der ganze Lappen raus. Und das nennt sich nun Therapiefreiheit.

Was ist denn dein Gedanke? Befürchtest du, dass dann ein Leben mit einem Lungenlappen weniger einfach nur noch scheiße wäre?

Also, so vielleicht nicht, man gewöhnt sich ja dran. Also der Rest der Lunge übernimmt ja durchaus die Funktion. Das wär’s nicht. Aber es war eben die Vorstellung, das es so vernarbt ist, und ich die Schmerzen jetzt schon kenne. Also nach dem Unfall eben, dachte man, dass das ganze Zeug rausgenommen wird. Und das sind dann mehr Narben noch und alles, und dass ich dann nur noch mit Schmerztabletten eben rumlaufen kann. Das war meine Phantasie, und ganz abwegig ist die auch nicht, weil ich hab Leute gefragt. Und es ist so bei Lappenresektion, dass man schon Schmerzen hat, also das ist nicht einfach… Also es kann natürlich sein, dass es gut verheilt, wenn es ein guter Chirurg ist, dass es eben erträglich ist. Es kann eben aber auch sein, dass du extreme Schmerzen hast und die ganze Zeit eben vollgepumpt bist. Und das hängt eben vom Können ab. Und ich kenn eben keinen, das ist das Ding.
Also, ich müsste mich dann eben blind drauf verlassen, dass der Chirurg dann eben tatsächlich auch die Ruhe hat. Das habe ich ja gesehen, was die für ’ne Ruhe im Behring-Krankenhaus hatten. Also die wollten mich gleich – Dienstag bin ich reingekommen –  Freitag operieren. Und dann hieß es auf einmal, Freitag schaffen wir wahrscheinlich doch nicht, weil irgendwas – Betten überbelegt oder so – und dann eben doch wieder Freitag. Und so ging es die ganze Zeit hin und her. Also wo ich dann gemerkt habe, es hängt gar nicht davon ab, wie wichtig oder wie sinnvoll ist das eben, sondern eben von Faktoren wie "Sind überhaupt Betten frei". Die müssen die Betten immer voll haben, manchmal passt es aber nicht. Und dann kommen sie an dem Tag, wo ich gerade die Biopsie hatte. Da sollte ich eigentlich schon vormittags rankommen, da habe ich dann den ganzen Tag gewartet, weil so viele Leute an dem Tag Biopsie hatten, die sind nicht hinterhergekommen. Jedenfalls ich habe bis abends gewartet, den ganzen Tag nichts gegessen. Und das war auch so’n Ding, wo ich mich unwohl fühlte. Ich hatte die ganze Zeit das Gefühl, dass das nicht nach medizinischen Gesichtspunkten entschieden wird, sondern nach Bettenbelegung, auf irgendeine Weise, nach dem, wie Geld verdient werden muss. Das ist auch ’ne Aktien-Gesellschaft das Krankenhaus. Dann kam eben alles dazu. Und dann sagte auch noch eine Krankenschwester: "Sie haben ja Glück gehabt, dass wir sie Freitag nicht operieren lassen, weil Freitag is’n ganz schlechter Tag, dann ist eben Sonnabend danach, und da wollen sie noch alles schaffen." Weißt du, da ist irgendwie keine Ruhe, und dann müssen sie noch, dann wollen sie…, das ist eben ein ganz beschissener Tag für OPs angeblich.
So, und das hat mich auch noch mal beruhigt. Ich fühlte mich einfach nicht geborgen. Und dann der Punkt eben, dass der ganze Lappen rausmuss und ich ein Gespräch darüber wollte und das nicht gekriegt habe, weil keiner Zeit hatte. Und dann haben sie mir nachts einen Arzt vorbeigeschickt, der keine Ahnung hatte, das war nur der wachhabende Arzt, der ein bisschen was erzählt hat, so "Wir sind alles große Könner, und wir machen keine Fabrikarbeit." Das Gespräch war sinnlos. Und der Umstand, dass ich noch nicht mal die Fragen stellen konnte dazu, hat mich dazu dann gebracht zu sagen: "Ich möchte es auf jeden Fall verschieben erst mal." Und das wurde mir gestattet, und dann habe ich die Verschiebung genutzt, um in ein anderes Krankenhaus zu gehen. Und da fing dann eben noch mal der nachträgliche Ärger an, dass die vergrätzt waren, darüber, dass ich einfach den Termin insgesamt abgesagt hatte und ins andere Krankenhaus gegangen bin. "Das ist doch unsinnig", meinte dann der Chefarzt, mit dem Argument "Das ist doch alles doppelt gemoppelt." Und ich habe gesagt "Ich fühl mich dann besser." Und der… Wo ich dann einfach gemerkt habe, als ich das gesagt habe, war ich bei dem ganz unten durch: "Ich fühl mich besser – was ist denn das für ein Argument! Es geht hier um klare naturwissenschaftliche Erkenntnisse und Notwendigkeiten. Gefühle! Ick lach ma dot!" Na ja, und da war das für mich gegessen.
Und das Dumme war eben, dass die in Havelhöhe auf eine andere Art und Weise scheiße waren, dass die gesagt haben: "Wir dürfen nicht operieren." Und ich denke: Scheiße! Ja zu Recht! Also dass ich doch im Krankenhaus Eckeshorn hätte operiert werden müssen. Also wenn die jetzt sagen: "Sie haben dis und dis und dis, wir haben jetzt untersucht noch mal, operieren können wir aber nicht, das müssen die dann machen." Weil die die Erfahrung gemacht haben, dass die Krankenkasse das nur denen bezahlt. Das heißt, ich bin dann wieder bei den gleichen Ärzten gelandet, wo ich dann dachte, das möchte ich auf jeden Fall vermeiden. Die Missstimmung, die da schon ist… "Das sind natürlich alles Profis, wo das alles keine Rolle spielt", aber ich habe…, also… Nee! Also, das habe ich mir selber verbaut. OP, das müsste ich dann wahrscheinlich im Ausland machen. Nee Quatsch! Es gibt eben etliche andere Therapien.

Ich kann mir schon vorstellen, dass es eine Rolle spielt, zu fühlen, aufgehoben zu sein.

Es spielt objektiv eine Rolle, was du selber empfindest gegenüber Ärzten. Wenn du kein Vertrauen hast, dann nützt sogar ein guter Arzt nicht so viel. Also, das wurde mir auch von einer Onkologin noch mal bestätigt. Dass, wenn ich bei Chirurgen ein schlechtes Gefühl habe, dass dann die Wahrscheinlichkeit sehr hoch ist, dass es Komplikationen gibt. Es ist einfach so.

Na ja, man ist ja auf Spekulationen angewiesen. Und ob man über dieses Misstrauen hinwegkommt, ist wohl eher eine Frage im Kopf selbst. Und wer weiß, vielleicht sind ja in der vertrauenswürdigen Abteilung auch lauter Scharlatane.

Ja. Letzten Endes heilt man sich ja selber, stand im SPIEGEL. Dass es also relativ egal ist, dass es eigentlich nur wichtig ist, dass der Arzt vertrauenerweckend ist. Das ist der Hauptpunkt. Wenn er diese Qualität nicht hat, ist es schon sehr schwierig. Und es hat ja auch einen Sinn mit diesem Latein. Man begibt sich in die Hände eines Schamanen, den man nicht versteht, der eine Geheimsprache redet. Du gibst alles ab, und die machen das dann schon.

Ich glaube, dass viele Ärzte das Gesprächsbedürfnis unterschätzen, das Bedürfnis, dass man sich aufgehoben fühlen will. Früher war das vielleicht wirklich so. Die respektvolle Art und Weise wie meine Großmutter, die früher Krankenschwester war, vom "Herrn Doktor" spricht, das macht heute keiner mehr. Und dass die Patienten sich auch über Internet informieren und sich somit jeder auch ein bisschen für kompetent hält, was ja auch gut ist, …

Aber das macht’s auch schwerer. Also es hat zwei Seiten, diese Untergrabung der Autorität. Einerseits ist es berechtigt, also so viel Pfusch darf einfach nicht passieren, das muss man ja einräumen einfach. Das ist ja dank Professor Hackethal, der hat das das erste Mal richtig aufgedeckt hat in Deutschland, überhaupt erst mal publik geworden. Aber dann hat das ja um sich gegriffen. Also, das Misstrauen gegen Ärzte ist ziemlich verbreitet mittlerweile. Und das hat natürlich Nachteile, na klar. Du bildest dir ein, selber Ahnung zu haben. Also ich merk das bei mir, ich kann mir das fast nicht vorstellen, zu einem Arzt so viel Vertrauen zu entwickeln, dass ich tatsächlich sage: "Du bist jetzt mein Schamane. Mach, was du willst." Das ist bestimmt auch heilungshindernd, diese Skepsis.

Ich war gerade in München bei einem jungen Arzt, der auch bei einer Lesebühne ist. Die bekommen die Befunde –  ist es Darmkrebs oder nicht? Muss operiert werden oder nicht. Und der sagte, jeder zweite hat dieses Ärzte-Hasser-Buch auf dem Nachttisch. Es macht ihn wahnsinnig. Man muss jedes Mal das Grundvertrauen neu aufbauen. Aber das gehört nun mal dazu. Und das lernen sie wahrscheinlich gar nicht. Ebenso wenig wie Lehrer es lernen, angemessen mit Kindern umzugehen.

Andererseits, ein Arzt, der wirklich kompetent ist, der strahlt das mit Sicherheit auch aus. Und es ist ja nun leider so, es gibt ja diese Maxime von – war das Hippokrates? – dass ein Arzt in erster Linie keinen Schaden anrichten soll. Das war, glaube ich, so ein Punkt. Und das ist ja nicht mehr ärztliche Ethik. Das würde ich sofort unterschreiben, dass das nicht mehr befolgt wird. Ich hab das ja mitgekriegt. Ich hab ja Hautprobleme gehabt, starke Ekzeme, ganz schlimm. Überall, habe ich dann jahrelang – und ich bin von einem Arzt zum andern gerannt – immer nur Cortison gekriegt, von diesen ganzen schwulen Hautärzten aus Charlottenburg, Wilmersdorf, überall. Und Cortison ist Scheiße! Bis ich dann an einen anderen Arzt durch Zufall geraten bin, der das ganz anders behandelt hat, und dann war es weg. Und Hautärzte sind für mich seitdem dumm und Abschaum, ähnlich wie Zahnärzte. Also Leute, die mal ein paar Semester studieren, um dann ’ne schnelle Mark zu machen. Und dieses Prinzip, eben keinen Schaden anzurichten, also das Hauptprinzip, wenn man schon keine Ahnung hat vom menschlichen Körper, der ja immer noch ein Mysterium ist, egal wie weit du darüber bescheid weißt, was die da anrichten! Dass die ohne Bedenken Chemotherapie oder Cortison-Salben oder so einfach reinknallen, da ist es berechtigt, total misstrauisch zu sein. Schade um das Vertrauen, aber na ja.

Keinen Schaden anrichten, das fängt ja auch bei einem selber an. Wenn man eine Medizin nimmt, und die hat Nebenwirkungen, dann ist es ja ein Abwägen immer, oder?

Das stimmt schon. Aber bei Chemotherapie haben sie nie richtig nachweisen können, dass es etwas hilft. Also es hilft wohl bei einigen Krebsarten, so weit sind sie jetzt, dass sie es so weit verfeinert haben, dass es auch anschlägt. Aber es hat ja bei den meisten Krebsarten nicht mal was bewirkt. Das war ja nur der Effekt, dass die das zufällig entdeckt hatten, im Zweiten Weltkrieg, das war eine chemische Waffe, wo sie zufällig festgestellt haben, dass Tumore nicht so schnell wachsen, und dann haben sie es eben in der Medizin eingesetzt.
Und allein die Tatsache, dass Ärzte wohl nicht bescheid wissen über Ernährungsfragen, was sie in der Antike noch wussten. Also, zu Hippokrates‘ Zeiten, war das ja das Zentrale, was sie gemacht haben. Und das lernen die im Studium, vermitteln das aber nicht und leben es ja selber auch nicht. Also mit der Übersäuerung, die eben ursächlich ist für ganz viele Erkrankungen, unter anderem mit ursächlich für Krebs, aber auch für Bluthochdruck, Allergien sowieso, Rheuma. Stattdessen werden Medikamente verschrieben, die den Schmerz unterdrücken oder die das Blut verdünnen usw., anstatt eben diese Grundgeschichte zu erzählen. Das ist natürlich eben schwer zu vermitteln, aber man sollte es den Leuten wenigstens sagen. Und die wissen es nicht. Und ich selbst habe auch, nachdem ich ja immer versucht habe, mich wenigstens halbwegs gesund zu ernähren, neben dem ganzen Mist, den ich trinke, aber wenigstens Bio-Zeug zu essen, wusste ich auch nicht bescheid, wieviel Saures du aufnimmst und völlig übersäuerst und das irgendwann überall ablagert, und mit 40-50 Jahren sind über 60% der Bevölkerung völlig übersäuert und kriegen dann die ganze Scheiße, offene Beine, also alles, die ganzen chronischen und Durchblutungsprobleme.

Und was ist das? Fett? Kaffee wahrscheinlich auch?

Fett, Kaffee, Zigaretten, Alkohol, Schweinefleisch, viele Fischsorten erstaunlicherweise, also fette Fische, es gibt natürlich auch Fischsorten, die sind wunderbar. Geflügel, wenn es nicht zu fett ist, ist auch eher neutral. Neutral geht eben auch. Und Kalbshaxe kann man essen. Rinderfilet. Die billigen Sachen sind sauer. Wenn du Geld hast, kannst du dir es leisten, gut zu essen, lecker zu essen, eben nur basisch. Und das ist auch kein Problem, wenn du genug Basisches isst, kannst du auch mal ein Schwein essen, aber das ganze Basische ist eben weg. Auch natürlich die Mineralstoffe – Magnesium, Kalzium, wo du immer zu wenig aufnimmst durch die Nahrung, also durch Fertignahrung vor allem.

Und es gibt doch sicherlich auch das Denken bei Patienten: "Wenn der Arzt nichts verschreibt, dann will er nur sparen." Und manchmal ist eben doch der beste Hinweis: "Sie sollten sich mal ein bisschen bewegen."

Genau. Man kann ja zum Spaß nur Placebo verschreiben, das kann man machen, ist ja kein Ding, wenn man das merkt. Aber jedenfalls glaube ich schon, dass die Ärzte… Hm, wissen sie es nicht besser? Eigentlich müsste man erwarten, dass sie so etwas wissen. Also es ist auf jeden Fall Bestandteil des Studiums. Aber eben nur ganz minimal. Und insofern sind sie dann eben doch verantwortlich dafür.

Ich war letzte Woche bei einem Sportarzt. Ich mach ja Langstreckenlauf, und hatte dann solche Schmerzen in der Hüfte gehabt. Und dann hat er mich getestet: "Tut das weh? Tut das weh? Hm… War da noch was? Da muss ich mal im Buch nachgucken."

[lacht]

Und ich dachte: "Finde ich das jetzt sehr souverän oder sehr inkompetent? Aber eigentlich fand ich das souverän.

Also, das finde ich eigentlich angenehm, wenn einer sagt: "Muss ich noch mal gucken." Das hat meine Ärztin ja auch gesagt, dass sie eine Sache noch mal für sich machen muss, in Ruhe. Da wäre ich eher misstrauisch, wenn einer alles kann.

 

***

Du bis doch Ostler, oder?

Ja.

Ah ja, musste ich noch mal…

[lacht]

[lacht]

Da darf man ja jetzt drüber lachen.

Wo bist du eigentlich großgeworden?

Lichtenberg.

Ah ja. Wo da?

Beim U-Bahnhof Frankfurter Allee

Ah ja, das grenzt ja an Viktoriastadt. Also, ich fahr ja immer, wenn ich zum Arbeitsamt fahre, mit dem Dreirad durch dieses Gebiet. Da, wo diese Schulze-Boysen-Straße ist.

Du bist auch Berliner?

Ja, ja Neuköllner, also hier gleich um die Ecke.

 

***

 

… Meine Beziehungsprobleme früher waren ein Grund dafür, dass ich mich mit Buddhismus beschäftigt habe. Ich wusste nicht mehr, was ich machen soll. Und diese Sachen habe ich dann auch zu Geschichten verarbeitet, so halbwegs lustig auf der Bühne. Und deswegen dachte ich, dass Buddha mir irgendwie…

Wann war das?

2003 vielleicht. Ich weiß nicht mehr genau. Das war unglaublich. Eine unglaubliche Ausweglosigkeit. Es ging einfach nicht. Und es hat mir auch so leid getan. Andererseits konnte ich auch ihr nicht helfen. Das habe ich zu Anfang gedacht. Völliger Quatsch. Du kannst einem Menschen nicht helfen. Du kannst vielleicht Bedingungen schaffen, dass es sich beruhigt oder so. Und ich bin selber eben auch aufbrausend. Das kommt ja noch dazu, dass ich dann auch eben von Null auf Hundert gegangen bin, und dann hat es Klatsch gemacht, einfach so. Aber zum Teil richtig aus Angst.
Und dann habe ich eben gesessen. Damals. Jetzt geht es leider gar nicht mit meinen Scheiß-Gelenken. Ich habe meinen Atem gezählt, so wie Thich Nhat Hanh es empfohlen hat, und möglichst noch die reinere Form, wo du nichts mehr zählst, sondern nur noch an die Wand guckst. Also Soto. Auch keine Koans mehr, gar nichts. Nur an die Wand gucken und beobachten, wie deine Gedanken kommen und wie sie dann wieder gehen, also auch loslassen die Gedanken. Und das hat natürlich was gebracht, einfach nur dass du eine kleine Atempause hast und nicht gleich zurückblaffst zum Beispiel. Das Anti-Gewalt-Training hat dabei sicherlich auch ne Rolle gespielt. Das geht übrigens in eine sehr ähnliche Richtung. Anti-Gewalt-Training und Meditation sind schon sehr ähnlich.

Und wie bist du darauf gekommen?

Das ist so eskaliert. Da war ein Bekannter, ein Psycho-Typ, den ich dann so zusammengeschlagen hab Ich konnte mich nicht mehr halten. Ich konnte nicht mehr aufhören. Es war in meiner Wohnung, und ich sagte zu ihm: "Nun geh mal endlich." Und dann wollte er mir zeigen wie stark er ist. [zeigt es] So. Und dann konnte ich meinen Finger nicht mehr öffnen. Und dann hab ich gesehen, dass er noch ne Flasche Bier aufgemacht hat. Jedenfalls war die ganze Küche blutverspritzt. Ich konnte nicht aufhören, und ich hab immer versucht… Er war nicht so groß wie ich, aber er war extrem drahtig. Also ich hatte auch Schiss vor dem, sonst hätte ich nicht… Also ich hatte in dem Fall auch aus Angst gehandelt und hab nicht mehr aufgehört. Ich konnte nicht aufhören zu schlagen. Ich kann das gar nicht beschreiben. Also jetzt, in dieser Situation, kann ich mich zwar dran erinnern, aber eigentlich kann ich es nicht nachvollziehen. In der Situation – ich konnte nicht anders. Immer da, wo seine Hände nicht waren, habe ich reingeschlagen, immer rin, immer rin. Also, es hat wirklich gespritzt, die Tapete, es war alles voll. Und dann habe ich ihn die Treppe runtergeschmissen, die Tür zugemacht, und dann bin ich erst zu mir gekommen. S. und ich haben dann die Wand saubergemacht. Und nach zwanzig Minuten kamen die Bullen. Ich war zerknirscht. Es war…, er hätte tot sein können, es war…, es hätte einfach sein können. Also, es kam zu keiner Verhandlung. Es stand gegeneinander. Es ist dann von beiden Seiten eingestellt worden. Die Bullen hatten mir noch empfohlen, gegen ihn auch Anzeige zu erstatten. Und dann habe ich das dann zwar gemacht, aber es ist fallengelassen worden von beiden Seiten. Den habe ich dann später noch mal gesehen im [Kaffee] Burger, und da wollte er wieder anfangen. Und da habe ich gesagt: "Komm lass dit." Er war nämlich ein Anhänger von Alistair (??).

Was ist das?

Das sind so Satanisten. Nee, Satanist ist quatsch, der hat so (??). Und viel mit Drogen experimentiert. So radikal eben. Und dann hab ich gesagt: "Du machst dein (??) und ich mach meine Meditation", und dann ist das auseinander gegangen. Aber das war schon wieder so.

Was war denn da?

Na, er hat mich wieder angefasst. Er wollte mir wieder zeigen, wie stark er ist. Und ich hab gesagt: "Lass los!" Und er wollte nicht. Also, es ging dann. Aber ich war dann ganz ruhig.
[lacht] Und da bin ich dann zum Anti-Gewalt-Training gegangen. Das war allerdings für Opfer. Nicht für Täter, sondern für Leute, die Gewalt ausgesetzt sind. Und da bin ich dann hingegangen. Aber im Prinzip ist das das Gleiche. Für beide dasselbe eigentlich. Und dann hat der das vorgeführt, solche Situationen. Richtig gut, Kommissar Kauz. Der kam von der Theatergruppe von den Bullen. Und der hat dann Rollenspiele gemacht. Situationen nachgespielt. U-Bahn. Er hat sich dann so aufgebaut und mich beschimpft, richtig beschimpft. Ich habe beinahe vergessen, dass das ein Spiel ist. Es war richtig gut. Und da meint er "Sehnse, da müssense eben… Und es geht nicht darum, dass Sie der Platzhirsch sind. Wechseln Sie einfach die Straßenseite. Was soll’s?" Macho-Verhalten und so was. Man kommt eben nur in Gewaltsituationen, wenn man Gewalt will. Also, auch das Opfer letzten Endes. Und das war gut, richtig gut. Da habe ich richtig viel gelernt. Obwohl man’s weiß, eigentlich. Und er meinte auch – das ist eine Erfahrung, die sie von den Verhören haben -, dass die Leute, die dann Opfer wurden, das vorher wussten, in den Fahrstuhl gestiegen sind, obwohl sie dachten: "Scheiße, nee!", aber es peinlich war, wieder auszusteigen, da sind sie drin geblieben. Und dann ist es passiert. Vergewaltigung und all sowas. Eigentlich weißt du es. Du checkst das, aber aus Konvention und sonstwas spielst du das Spiel weiter mit. Du merkst, wenn dir einer zu nahe tritt. Du spürst, dass deine Aura verletzt wird, trittst nicht zurück, sondern aus Peinlichkeit tust du so, als wäre das normal. Du riechst es eigentlich. Du weißt vorher, dass was passiert. Du hast die Chance, ihm auszuweichen, aber aus Dummheit machst du das eben nicht. Also, die Opfer sind nicht Schuld, aber wenn du diese Sachen beachtest, passiert dir eigentlich nichts. Und dann gibt’s natürlich noch die Fälle, wo du wirklich in der Klemme bist – Selbstverteidigung wird dann noch angeboten.

Als mir neulich jemand mit seinem Fahrrad meine Mütze, die ich abgelegt hatte, ramponiert hat und mich bedroht hat, habe ich mich noch tagelang geärgert. Und ich frage mich, warum lasse ich mich so davon berühren? Es ist ja nur eine Scheiß-Mütze.

Ja, es ist der ganze Vorgang, es ist einfach sehr ärgerlich. Vor allem, dass es funktioniert, dass solche Leute mit Einschüchterung sich wie der Elefant im Porzellanladen aufführen. Eigentlich gehört ihnen ein Dämpfer verpasst. Eigentlich.

Aber wer ist man, dass man da…

"Ja, es ist nur ’ne Mütze." Na, er wird bestimmt an Herzkasper sterben, wenn er so voller Hass ist. Hass geht aufs Herz tatsächlich. Bösartigkeit und Hass. Und dann nützt ihm sein Radfahren auch nix. Bluthochdruck wahrscheinlich noch dazu.

Ja, dass er so reagiert ist das eine, aber das andere ist, dass man sich da gleich so mit reinziehen lässt.

Trotzdem, es ist ja ganz schlechtes Benehmen. Vielleicht hätte man es so sagen können: "Das ist aber ganz schlechtes Benehmen!" Können Sie nicht ausweichen. Es ist ganz schwierig, aber obwohl ich mich so viel damit beschäftigt habe – ein richtiger Buddha bin ich noch nicht. Es würde mir genauso gehen.
[lacht] Ja klar, warum ist man so? Weil man eine falsche Vorstellung vom Ich hat. Thich Nhat Hanh hat eine Situation beschrieben -das habe ich in einem Buch von ihm gelesen, wo Meditationsübungen drin sind – wo eine Versammlung war in den USA in so einer Art evangelischen Kirche, wo die über Friedenspolitik geredet haben. Damals war ja Vietnamkrieg. Und dann ist einer aufgestanden und sagt zu ihm: Wieso er sich denn, wenn er für den Frieden ist, in Amerika rumtreibt. Also er hat den richtig beleidigt. Thich Nhat Hanh ist dann aufgestanden und hat mit tiefer ruhiger sonorer Stimme geantwortet, dass es darum geht, die Menschen zu informieren und jetzt hier den Baum zu gießen, der weltweit den Frieden schafft, und so weiter. Und nachdem er das alles erzählt hat, sagt er kurz was zu seinem Dolmetscher und ist ganz schnell aus der Kirche rausgegangen. Und der Typ hinterher. Und draußen stand er und [deutet das tiefe Atmen an] hat ganz tief geatmet und hat erzählt, dass er sich fürchterlich aufgeregt hat über diesen persönlichen Angriff, obwohl das Ego ja eine Illusion ist [lacht]. Und dann hat er so eine bestimmte Atemübung gemacht, wo man ganz langsam und tief atmet und das aber so übertrieben hat – das entsprach eben nicht der Situation. Und dass er sich da gerade noch zusammenhalten konnte, und dann draußen gegangen ist, um eben richtig zu ventilieren. [macht es vor] Also nur so viel zu dem erleuchteten Thich Nhat Hanh, wie der vielleicht reagieren würde mit so ’ner Mütze.

Es war ja in der Situation selbst noch OK, aber es hat mich eben so lange noch beschäftigt. Wir haben die Situation auch noch auf einem Foto. Steffi macht manchmal noch Scherze darüber, und ich sage dann nur: "Erwähne ihn einfach nicht mehr."
Ich bin ja auf diesen Zen-Buddhismus gestoßen über das Buch von Stephen Nachmanovitch: "Free Play, Improvisation in Life and Art". Seit 2003 habe ich das Buch jetzt. Und da kam ich dann auch auf Thich Nath Hanh. Von dem hatte ich da das erste Mal gelesen, der wurde da zitiert. Ich hab dann gedacht, ich muss das übersetzen, und dieses Jahr habe ich dann einen Verlag gefunden.

Ach was, du übersetzt das Buch?

Ja.

Donnerwetter! Hallelujah!

Morgen ist Abgabetermin.

Ach was! Ey sag mal, was machst du denn noch alles?

Na ja. Mein Respekt für die Arbeit von Übersetzern ist total gewachsen. Ich dachte, OK, ich kann ja Englisch und versteh das Buch auch, aber dann…

Und bei welchem Verlag machst du das?

O.W. Barth.

Achso?

Die haben viel in der Richtung Zen gemacht. Es war total schwer, einen Verlag zu finden.

Ja, von O.W. Barth habe ich auch gehört.

Die haben auch "Zen und die Kunst des Bogenschießens" herausgebracht. Es war, wie gesagt schwer, einen Verlag zu finden – künstlerisch, musikalisch, esoterisch, es ist auch kein richtiger Ratgeber in dem Sinne, und fällt immer zwischen die Lücken.

Und der erzählt die Geschichte des Improvisationstheaters?

Nein, es geht gar nicht um Theater.

Achso? Ja wie jetzt was?

Es geht um Improvisation.

Ach so! Improvisation.

Und zwar im allerweitesten Sinne. Der Untertitel ist "Improvisation in Leben und Kunst" Ausgangspunkt ist natürlich die künstlerische Improvisation. Er ist Geiger. Und er fängt an mit der Frage, Was inspiriert uns? Was führt uns dazu, miteinander zu arbeiten, zu improvisieren? Wo sind dann die Blockaden? Wo tritt die Angst ein? Diese Schreckgespenster "Ich kann nichts mehr machen.", "Ich weiß nichts", "Alle anderen sind besser als ich." "Wir sind ja nur Scharlatane." und wie man das dann überwindet. Er erweitert dann auch den Begriff der Kunst. Das alles trifft auch für die Kunst des Lehrens zu oder wenn man ein Auto repariert oder wenn jemand ein Arzt ist.

Das ist ja großartig. [lacht und liest]: "Hab keine Angst vor Fehlern. Es gibt keine." Ich kenn das noch ein bisschen anders von Miles Davis: "Es gibt keine falsche Note, solange du nicht die nächste gehört hast", oder irgendwie so was. Und wann hast du damit angefangen?

Ich habe 2005 angefangen, ein paar Kapitel zu übersetzen und hab das an ein paar Verlage geschickt und mich sowohl als Übersetzer als auch als Agent empfohlen und bin glücklicherweise auch mit dem Autor in Kontakt gekommen, der die Rechte an dem Buch auch hat. Wenn du willst, kannst du ein Exemplar haben.

Echt? Na, mein Englisch ist unter aller Sau. Dann lieber dein deutsches Manuskript.

Okay.

Das finde ich eine sehr schöne Sache. Und das heißt, wenn er eine Deutschland-Tour macht, dann managst du die auch?

Ich fänd’s schon toll, wenn es eine richtige Präsentation hier gibt.

Sag mal könntest du, ich bin jetzt wirklich sehr neugierig, hast du noch einen zweiten Ausdruck? Oder darfst du das gar nicht?

Das kann ich machen. Ich hab jetzt nur ein paar Fragmente mit Korrekturen, aber wenn du das haben möchtest, kann ich es dir die Woche mal in den Briefkasten schmeißen.

Sehr schön. Ja. Das bringt mich vielleicht auch auf andere Gedanken. Ich lese zurzeit fast nur Gesundheitsliteratur über Spontanheilung. Du kannst auch klingeln, wenn du mal ’n Kaffee trinken. Dann kannst du auch gleich mal gucken, wer Maja ist und meine Kleine.

Wie heißt sie eigentlich?

Nele. Ich glaube, es ist ein nordischer Name, andere sagen, es sei was Afrikanisches.
Und darüber bist du jetzt darauf gekommen, dir ein Buch mit Koans zu besorgen und löst die jetzt alle?

Nee, ach, um Gotteswillen. Also das erste, was mich angesprochen hat, war diese Telefonmeditation.

Ach?

Von Thich Nath Hanh.

Erzähl mal, ich hab’s irgendwie…

Das geht so: Der Gedanke ist, das Telefon ist das, was uns am meisten sprunghaft macht. Es klingelt, und wir müssen sofort ran. Und er sagt, wir nehmen genau das, um in eine kleine Meditation reinzukommen. Es klingelt, wir halten inne und werden uns bewusst darüber, was wir hier gerade tun.

[lacht]

Das Zweite ist: Wir lächeln und atmen. Und das Dritte… Ich weiß es nicht mehr. Dann kannst du abheben. Und das hat für mich damals total verändert, wie ich mit Leuten am Telefon rede. Vorher war es immer so: "Scheiße! Was ist denn jetzt schon wieder!" Und so ist es jetzt: "Toll dass ich jetzt gerade dies tue" Und wenn es so was Blödes ist, wie E-Mails beantworten. Dass ich das machen kann! Und gut, dass ich jetzt mit dir telefonieren kann.
Der Verlag, wobei ich diesen Anspruch auch habe, ist sehr pingelig, was Zitate betrifft. Und der hat eben ungefähr hundert Zitate, die ich dann eben recherchieren und nachschlagen muss. Und da gibt es im Internet einiges – berühmte Zitate. Und ich kann ja, wenn Beethoven zitiert wird, das nicht rückübersetzen, da muss ich schon gucken, was Beethoven da sagt. Aber auch zum Beispiel bei den Koans gibt es eine gültige deutsche Übersetzung. "Die blaugrüne Felswand" ist aber ein sehr rares Buch, das kriegt man nicht einfach mal in der AGB, und da hab ich’s dann gekauft. Also bei einigen Büchern, vielleicht fünfzehn oder zwanzig, die habe ich gekauft. Gute Anschaffungen.

Ah ja. Und dann hast du die Übersetzung gemacht und parallel deine Auftritte gemacht? Oder schubweise die Übersetzung gemacht?

Nee, ich hab’s parallel gemacht. Ich hatte ja schon ein gutes Viertel fertig.
Stephen Nachmanovitch hatte auch erst keinen Verlag gefunden. Und bei einem Verlag saß die Ehefrau des Lektors im Wartezimmer oder im Sekretariat rum, der Mann hatte noch zu tun, und sie hat sich dann so ein Manuskript geschnappt von denen, die da auf dem "Abgelehnt"-Stapel lagen und drin rumgeblättert. "Also das müsst ihr machen!", hat sie zu ihrem Mann gesagt, und der hat dann doch noch einen zweiten Blick draufgeworfen.

Na, Mensch, das klingt ja alles sehr gut. Und hast du genug daran verdient?

Ja. Aber ich habe es nicht wegen dem Geld gemacht. Dafür habe ich dann auch zu lange gebraucht. Es gab immer wieder Formulierungen, über denen habe ich gegrübelt, die hätte ein professioneller Übersetzer aus dem Handgelenk geschüttelt. Ich hatte da gerade keine Geldsorgen und hatte die Freiheit zu entscheiden, ob ich das mache oder nicht.
Einen Verlag zu finden war äußerst anstrengend, aber dann sind es doch wieder Glücksfälle, die einem helfen.

Ja, ja.

Also: Wie geht man mit dem Glück um: Es gibt ja die Eitelkeit, den Erfolg sich selber zuzuschreiben. Und beim Misserfolg sind die andern schuld oder die Umstände. Oder umgekehrt auch: "Ach ich schaff ja nie was!" Ich weiß nicht. Man braucht gegenüber beidem so eine Demut.

Oder Gleichmut, wie der Buddhist empfehlen würde. Gleichmut.

Mir geht es so, z.B. bei der Chaussee der Enthusiasten: Zweihundert Zuschauer kommen da, um uns zuzuhören, ohne dass wir dafür Werbung machen. Das ist eigentlich völlig irre. Und dann sagt man: "Ähh, heute waren nur hundertfünfzig Zuschauer da." Aber im zweiten Moment: "Ach wie hochmütig ist man da eigentlich geworden gegenüber diesen Wechselfällen."

Ja, vor allen Dingen sind sie nicht berechenbar, vor allem nicht von der Performance. Wir hatten das oft so: Wenn es leer war, also bei den Surfpoeten, dann waren das die intensivsten Veranstaltungen, einfach weil es auf einmal wieder so intim war. Oder weil eben nicht diese Teilung da ist, wie wenn da zweihundert Leute sitzen. Also es war oft so, dass die richtig guten Veranstaltungen die waren, wo wir nicht so viel verdient haben.
Wie war das eigentlich an dem Abend bei der Chaussee, als du Koans vorgelesen hast?

Das habe ich dann doch nicht gemacht. Manchmal ist der Verlauf dann eben so, dass es sich schon so in die Länge zieht. Wir sind inzwischen bei zweieinhalb Stunden angelangt.

Echt ja? Nicht schlecht. Ohne Musik zwischendurch?

Na, wir haben zwei kleine Pausen. Aber durch diese Anfangs- und End-Improvisationen, die Dialoge, das zieht sich [lacht]. Und die Texte sind auch oft lang. Ja, ich will es auch nicht unbedingt kürzer haben. Und oft sind diese Anfangsimprovisationen das Beste an dem Abend, oder zumindest, was mir am meisten gefällt. Da muss man dann aber nicht immer noch was dranklatschen. Und ich dachte, die Koans gehen dann so ins Ha-ha-ha.

Na, leicht ist es nicht. Als Anekdote oder wie auch immer, ist es schon OK, einen andern Anspruch kann man da nicht haben.

Es ist aber auch lustig: "Was ist, wenn der Meister in die Stadt kommt?" – "Reich mir mal das Zen-Brett!" Zack, haut er es ihm auf en Kopf. Und dann stellt er die Frage noch mal, und er haut ihm noch mal auf den Kopf… Ja, ich weiß auch nicht, ich habe noch keine richtige Haltung dazu. Aber ich hab das Gefühl, das vieles, was ich tue, immer ein bisschen um dieses Feld kreist.

Hm.

Vor sechs Jahren war ich bei einem Workshop "Improvisationstheater und Reiten" auf diesem Hof Arhöna. Kennst du den?

Nee.

Die arbeiten mit dieser sanften Pferdeflüster-Art. Ich hab’s ja eigentlich nicht mit Säugetieren. Aus der Distanz ist es OK, aber anfassen lieber nicht. Und ich dachte, ja, ich lass mich mal drauf ein, und es war auch toll. Und da hat noch so ’ne Frau, die gehörte nicht richtig dazu, Bogenschießen angeboten: Und alle fanden das interessant, aber ich dachte: Ich bin doch nicht hier zum Bogenschießen. Aber nachher war ich aber der Einzige, der diesen Kurs gemacht hat. Und das hat mich auch total angefixt. Wenn ich in der Zeit hier (in Berlin) irgendwas gefunden hätte, hätte ich sofort mit Bogenschießen angefangen. Und jetzt finde ich es wieder – "Zen im Bogenschießen". Ein Typ, Eugen Herigel, der Anfang des 20. Jahrhunderts nach Japan gegangen ist, um mehr über Zen zu erfahren – Kampfsport und Meditation. "Hm, Kampfsport? Was nehm ich denn da? Nehmen wir mal Bogenschießen. Ich bin ja Schütze." Er war nämlich in einem Schützenverein. Aber diese Erfahrung konnte er da völlig kippen und hat dann erst mal wochenlang nur den Bogen gespannt.

 

***

 

Und diese Radiologie-Sache soll jetzt 20.000 kosten?

Nee, das ist eine dendritische Zelltherapie. Da werden die mir Blut abnehmen von dem Tumor-Material ein bisschen, was sie aber aus dem Blut auch isolieren können, und damit werden meine Abwehrzellen, eine bestimmte Art von Zellen infiziert, also geimpft. Es ist eine Tumorimpfung, damit die wieder den Tumor als Tumor erkennen. Weil: Der ist schlecht differenziert bei mir. Das heißt, es gibt gut differenziert, das ist langsam wachsend. Und es gibt schlecht differenziert, also schon aggressiv. Und dann gibt es nicht-differenziert, die werden gar nicht erkannt, die sehen genauso aus wie normales Körpergewebe. Und dass die Abwehrzellen wieder erkennen, dass das ein Tumor ist. Und die Information geben sie dann an die Fresszellen, und die Fresszellen fangen dann an zu fressen. Und das war jetzt bei mir, weil der eben so groß ist, mit den fünf Zentimetern, dass die schon sehr viel zu fressen haben, aber es ist zu machen. Meinte die jedenfalls. Besser wäre natürlich, wenn er kleiner wäre; wenn sie ihn verkleinern würden mit irgendwas, vorher. Strahlen oder sonstwas oder Laserung.

Und die Laserung ist so teuer oder was?

Nee, Laserung ist umsonst. Das Einzige ist eben, der Biologe sitzt die ganze Zeit daneben. Es sind vier Impfungen. Und der Tumor ist sehr geschickt, der ändert sich immer wieder. Und das heißt, die untersuchen das immer wieder und gucken, ob es noch stimmt, und dann kriege ich eben jede Woche ne Impfung. Und das eben vier Mal. Und das heißt, die ganze Zeit muss der Biologe dabeisitzen und gucken, ob die Informationen noch stimmen, und das macht es wohl so teuer. Na ja, ich weiß, es gibt noch diese Sache mit der Embolisation, das würde von der Kasse übernommen, das machen die in Freiburg und in Frankfurt, wo die Blutgefäße verödet werden, also dass der ausgehungert wird. Und Aushungern gibt es noch in ’ner andern Weise, dass eben sämtliche Nährstoffe entzogen werden. Und dann gibt’s noch ’ne Tablette, das ist ’ne Art Chemotherapie, aber nur im weitesten Sine, weil die nur auf die Tumorzellen geht, und die stoppt auf jeden Fall das Wachstum. Das machen sie unter anderem auch in Magdeburg, glaube ich. Na ich muss gucken, weil das alles außerhalb von Berlin ist. Also hier ist nur Schneiden, Strahlen und Chemo. Was anderes gibt’s nicht.

Und das ist für dich ein Problem, dass es außerhalb von Berlin ist?

Nicht unbedingt, aber das macht’s einfach schwerer. Eigentlich ist es kein Problem. Mir wär’s natürlich trotzdem lieber hier. Zumindest bei dieser Zelltherapie ist es doof. Weil, da bin ich nicht im Krankenhaus, das wird ambulant gemacht, da muss ich einmal die Woche nach Göttingen, etwas kostspielig. Aber ich hab ja das Konto.

Da ist ein bisschen was raufgekommen?

Ja, ja! Das war Wahnsinn. Ich war richtig teilweise gerührt. Ich bin wirklich privilegiert, muss ich sagen.

Hm.

Okay, das andere ist durch die Medikamente, das meiste hab ich selber bezahlt, da geht total viel drauf. Also, ich hab ja diese Weihrauchpille zum Beispiel, die auch schmerzreduzierend ist, aber erst nach langer Zeit anschlägt, mindestens zwei Monate. Das sind alles so Sachen. 40, teilweise 70 Euro für so ne Packung. Das muss man selber zahlen, weil die Kasse das nicht übernimmt. Die übernehmen immer nur das Normale. Und das war sowieso das Doofe, als ich dann rausgegangen bin aus dem Krankenhaus, dass ich ab dem Zeitpunkt eben völlig auf mich gestellt bin. Also da ist dann nichts mehr. Da musste halt sehen, wie du klar kommst. Ich hätte das gar nicht machen können, wenn nicht das Geld da gewesen wäre. Und da wäre ich richtig in Schwulitäten gekommen, mit Hartz IV.
Und ich geb ja jetzt nichts mehr aus. Zigaretten kauf ich nicht mehr, Schnaps kauf ich nicht mehr, zu trinken auch nicht. Also eigentlich geb ich nichts aus. Also es ist richtig teuer. Das Essen eben, dass ich jetzt nur noch Bio-Zeug esse. Ist vielleicht ein bisschen übertrieben, aber na ja. Und das kostet auch richtig Geld. Aber ohne diese Sammlung wäre das nicht gegangen. Und ich bin ja froh.
Na, und diese 20.000, das geht über ’ne Stiftung, und dann gibt’s noch von Pfarrer Fliege auch ’ne Stiftung, an die man sich wenden kann – für Wunderheilung. Und von der Gesellschaft für Krebsabwehr gibt’s auch noch eine. Und von der Deutschen Krebsstiftung. Also, ich könnte, wenn ich was tue. Ich bin bloß eben nicht so hundertprozentig überzeugt. Na ja. Also ich würde, wenn ich jetzt richtig überzeugt wäre von dieser dentritischen Therapie, würde ich wahrscheinlich auch das nehmen können, glaube ich. Die haben auch eine hohe Erfolgsquote auch mit Langzeitwirkung, aber die haben eingeräumt, dass es bei mir überhaupt nicht anschlägt. Ich weiß, bei jeder anderen Therapie ist es genauso, aber wenn du dann sagst, du zahlst die 20.000, aus eigener Tasche bzw. musst dann diesen ganze Weg gehen, dann überlegst du dir das schon noch mal. Also bei 90 Prozent Erfolg würde ich sagen okay. Ich weiß nicht mehr, was die gesagt haben, wieviel Prozent es sind. Also mehr als 50 Prozent. Na ja, mal gucken, das werde ich mit der Ärztin besprechen.
Na ja und dann fange ich morgen Chi-Gong für Krebskranke an, da sind die aus dem Urlaub zurück. Eine extra Übung: Guolin Chi-Gong. Guolin war eine Künstlerin aus China, die das selber entwickelt hat, ihren Krebs damit bekämpft hat. Und das gibt’s in China, da ist es laut Internet offiziell anerkannt als Krebstherapie mit ’ner Erfolgsquote von über 70 Prozent. Die machen nur Guolin Chi-Gong. Also Chi-Gong ist normalerweise Stehen oder Sitzen, aber die laufen. Dabei werden die Arme irgendwie bewegt. Und dazu machst du Stoßatmung. Ganz eigenartig, also irgendwie hyperventilieren. Und Sauerstoff verträgt der Krebs eben gar nicht. Sauerstoff und Bewegung. Und angeblich wird dadurch eben, da der Sauerstoff viel extremer geht in alle Endgliedmaßen, überall, damit erreicht man auch die Metastasen, alles. Also jedenfalls ein Wunderding. Und in China wird das eben tatsächlich auch staatlich gefördert. Viele tausende dankbare Patienten in Shanghai, [imitiert] Jangjong und sonstwo. Na ja, mal gucken. Das zahlt aber nicht die Kasse. Mal gucken, das sind sechs Übungen. Wenn ich die kann, dann brauch ich die nicht zu kaufen, dann hab ich die einfach. Obwohl es in Gruppenübungen besser sein soll, wegen der Energie auch wahrscheinlich, nehme ich an. Und da kostet es in der Gruppe eben wieder einen Beitrag – 10 Euro oder so jedes Mal, was aber auch noch OK ist. Mal sehen. Ich muss einfach nur die Peinlichkeit überwinden, so etwas im öffentlichen Raum zu machen, also alleine [atmet heftig und macht es vor, lacht].

Ich finde es schwer. Im Sommeranfang habe ich ein bisschen Yoga gemacht, mit Vorturnerin sozusagen. Alleine mach ich das nicht.

Das ist die fehlende Disziplin.

Aber auch: Wenn du dann da bist, dann gibt es Situationen, wo du denkst, ach, jetzt reicht’s aber mal. Aber weil eben alle mitmachen, dann ziehst du noch mit.

Das ist richtig. Na ja, ist schon klar. [lacht] Na ja, ich habe ja das mit Sangha gemacht, in der Schönhauser, jetzt unter anderem in der Reichenberger Straße. Da war ja wirklich das Problem, ich fühlte mich schon eingeengt dadurch, dass ich nicht stehen konnte, sondern den Husten unterdrücken muss. Muss man ja alles nicht! Aber eigentlich ist eben Stille angesagt beim Sitzen. Also nicht mal lautes Atmen, man ist still. Und wenn du furzen musst, dann kann man eben kurz so machen [meldet sich] und jeder weiß bescheid, aber eigentlich macht man’s nicht. Und zuhause konnte ich dann beim Aufstehen und so: "Ahh! Ähh! Ahh!" [räkelt sich] Ich hab’s zuhause lieber gemacht, aber natürlich nicht regelmäßig, weil ich dann doch eben immer was anderes zu tun hatte – Abwaschen oder Einkaufen gehen. Aber zuhause habe ich dann auch dafür richtig lange gesessen, was ich da nicht geschafft habe. Beim Sangha war ich immer froh, wenn’s vorbei ist. Nach anderthalb Stunden dachte ich, jetzt ist auch gut.

Anderthalb Stunden?

Ja. Vierzig Minuten sitzen, dann fünf Minuten Gehmeditation, wo du so ganz eigenartig gehst, und dann noch mal vierzig Minuten sitzen. Und dann am Schluss hält der Vorbeter einen kleinen Vortrag noch. Oft. Und da sitzt du dann aber ganz entspannt. Es ist nicht so lang. Ich hab ja zuhause teilweise zwei Stunden oder länger gesessen. Also, eigentlich ist es nicht lang. Also, wenn du erst mal den Punkt überwunden hast, dass du dich hinsetzt, ist es auch völlig in Ordnung. Aber zu sagen: "Ich setz mich jetzt hin", das ist schwierig.
Hier wohnen übrigens zwei gleich um die Ecke. Die waren damals auch oft bei den Surfpoeten, haben mich da auch kennengelernt und sind dann erst mal zum Zen gestoßen, Anfang Zweitausend-Irgendwas und haben mich dann mal gefragt, ob ich Lust habe, da hinzukommen. Und ich kannte die gar nicht, habe die überhaupt nicht wahrgenommen bis dahin. Die waren auch mit bei der 2.-Mai-Demo. Da fielen sie auf, weil sie beide solche Sommerhütchen aufhatten, Sommerfrischler eben, ausflugsmäßig. Mit Fahrrad und hinten noch zwei Sitzkissen, weil sie sich noch anschließend in den Park gesetzt haben und meditiert haben. Und P. macht nichts weiter als Sitzen. Der verweigert konsequent jede Arbeit, also hatte zwar einen Job hin und wieder, näht jetzt wieder, Kimonos und so. Und sie verdient das Geld an der Uni mit Computer. Und er sitzt: Fährt nach Holland zum Sitzen, nach Irland ins Kloster. Für den ist das Leben lange Sitzen und Meditieren. Für andere Zen-Buddhisten ist Arbeit eben die Meditation, da gibt’s die verschiedensten Entfaltungen. [lacht]

Ja, da musste ich bei Stephen Nachmanovitch auch noch mal an die ganze Arbeitsdebatte denken. Und der sagt eben auch, dass dieser ganze Dualismus Quatsch ist: "Wir machen dies jetzt, um dann später die Früchte zu haben." Und genauso auch in der Kunst, wenn man die Kunst also betreibt, um dann später ein Ergebnis zu erzielen.

Genau das ist der Punkt. Aber das kriegst du in einer Gesellschaft, wo es Lohnarbeit gibt, fast nicht weggedacht. Das harmonisch zu gestalten – ich weiß gar nicht, wie das gehen soll. Aber trotzdem, ich finde das Gedicht gegen die Arbeit mittlerweile – oder was heißt mittlerweile, seit langem eigentlich – erweiterungsbedürftig. Also, ich hab das ja oft noch kommentiert, ehe wir das gemacht haben. Es ist zwar OK so und gut so, und man sollte auch seine Meinung vertreten, aber eigentlich ist es natürlich Schwachsinn. Ja. Also alles ist ein Fluch der Menschheit, das ist auch beliebig, weißt du? Geld ist Fluch der Menschheit, Geißel der Menschheit, Krankheit ist eine Geißel der Menschheit [lacht], Ehe ist ’ne Geißel der Menschheit. Nein. Also ich weiß noch, wenn ich arbeiten gegangen bin, dann hat das mir auch immer Freude bereitet. Das ist also auch ein bisschen doppelte Moral, weil ich auch durchaus gern zwischendurch immer wieder in der Druckerei gearbeitet habe. Das hat zwar häufig genervt, aber eigentlich… Und mit dem Druckerberuf, das ging ja noch alles in den Siebzigern. Du konntest ja einfach deinen Beruf aussuchen, weißt du? Das ist ja heute unvorstellbar. Also ich hab noch mit Freude gemacht, was ich gemacht habe, obwohl ich Klassenkampf gemacht habe zeitig. Aber eigentlich hat’s mir Spaß gemacht.

Ja, das ist ja die Schizophrenie bei jedem Einzelnen, dass man aufs Wochenende hinarbeitet oder auf den Urlaub. Im Osten war das ja auch ganz extrem, jede Möglichkeit, sich zu verpissen zu nutzen. Was mich ja auch in so einen Stress immer gebracht hat: Oh jetzt muss ich aufpassen, dass ich nicht arbeite, aber nicht erwischt werde. Und dann sitze ich in so einer Unruhe dabei. Und andererseits will jeder um Himmelswillen arbeiten dürfen, den Job haben. Es ist, glaube ich, gar nicht die Tätigkeit selbst, sondern die Haltung, die man dazu hat. Es gibt ja die berühmte Bäckersituation, ob man in Berlin ein Brötchen kauft oder im Allgäu. Dort hat die Bäckerin hat so reagiert, als hätte ich ihr den größten Gefallen des Tages getan. Aber ich bin auch nicht sicher. Vielleicht gibt es doch auch Arbeit, die an sich schon entfremdend ist.

Ist es auch, ganz bestimmt. Und diese Differenzierung. Also, es wird ja gesagt, wenn man die die Welt als Eines sieht, als der große Körper, und alles ist Eins und so, dann gibt es keine Unterscheidungen bei Arbeit. Das kommt eben auf einen selber an, wie das jetzt wirkt. Trotzdem ist die weitergehende Unterscheidung auch existent. Es ist einfach so. Es gibt zu viele sinnlose Produkte, die hergestellt werden, das ist vielleicht sogar befriedigend für die Leute, die das machen, das kann man sogar einräumen, dann haben sie wenigstens was zu tun und kommen nicht auf dumme Gedanken oder so, aber es ist eben sinnlos. Tapeten zum Beispiel finde ich total sinnlos, man kann auch Wandfarben nehmen, na egal jetzt. Oder bestimmte Produkte, die ich als Drucker auch gedruckt habe, wo ich dann dachte: "Das geht eigentlich nicht. Das müsste man sofort wieder wegschmeißen." Also wir haben ganz viele Prospekte gedruckt. Vierfarbige, richtig aufwendige Teile, wo schon von vornherein klar war: 10 % Prozent werden überhaupt beachtet Das hätte man gleich in den Müll werfen können Das ist natürlich sinnlos. Quatsch. Also da sind die Chinesen weiter gewesen mit ihrem Nicht-Tun und alles nur so lassen. Und wenn man was tut, dann nur so, dass man eins ist mit dem Vorgang gerade, der Flow eben.

Was ist denn dann mit uns, wenn wir einen Text schreiben, ein Bild malen? Wir verlangen ja auch Eintritt von unserem Publikum. Was ist denn dann eine sinnlose Sache?

Hm. OK.

Wenn man da z.B. ein bisschen Nonsens macht.

Ich glaube, in diesem Fall könnte ich’s gar nicht mal sagen. Es ist eher leicht, wenn es ganz offensichtlich etwas Schädliches ist, also diese ganzen umweltschädlichen Sachen. Oder dass Autos gebaut werden. Da bin ich ganz naiv und konservativ – das halte ich für eine der überflüssigsten Produktionszweige überhaupt, also obwohl ich selber total gerne Auto fahre und gerne LKW fahre. Aber LKW ist für mich trotzdem der absolute Schwachsinn, das muss man einfach sehen. Da muss man eben drauf verzichten. Man kann sich ja vielleicht einen LKW mieten, wo man dann einen Tag mal damit rumfährt für viel Geld. Aber es ist sinnlos. Aber bei Lesungen – es ist ja nicht schädlich. Also höchstens, dass man ihnen die Zeit stiehlt, aber na ja…

Na ja, man könnte aber auch sagen, die sinnlosen Sachen sind die, für die man lebt.

Eigentlich ja. Es kommt dann auf das Wort "sinnlos" an, wie man das definiert.

Zum Beispiel dieses Bild hier, ich finde das gut, jemand anders meint, was hängst du dir denn da für einen Kitsch auf! Oder man kommt in das Argumentationsschema rein, das die Marxisten hatten: "Wir wissen, was für dich gut ist, was deine Interessen sind."

Ja, richtig, aber es ist eben trotzdem alles Teil der Wirklichkeit. Das stimmt schon alles. Und letzten Endes ist das dann wieder, vom absoluten Standpunkt aus gesehen, vollkommen angemessen und richtig, so wie es ist [lacht]. Und trotzdem ist es richtig zu sagen, nee, das will ich nicht. Und trotzdem ist es falsch, sich daran wieder festzuhalten. Man muss schon gleichzeitig erkennen, dass es schon alles in Ordnung ist, aber ich will’s trotzdem nicht. Aber ich halt mich nicht dran fest, dass ich es nicht will. Ich ändere es, und dann ist es auch vollkommen und angemessen. Wenn keine Autos mehr gebaut werden, ist das vollkommen und angemessen. Eine richtige Antwort gibt es da sowieso nicht. Eine feste endgültige Antwort wäre jedenfalls sehr unbuddhistisch, sehr statisch.

Nachmanovitch beschreibt an einer Stelle die Flexibilität des Geistes so: Wenn er einen Auftritt hat, dann inspiziert er vorher die Bühne, es muss alles sauber sein, die Kabel müssen abgedeckt sein, die Instrumente müssen geputzt sein, die Technik muss OK sein, und dann verzieht er sich nach hinten, geht in so eine kleine Meditation, noch ein kleines Stoßgebet, geht auf die Bühne. Und was dann kommt, das ist alles OK. Wenn dann irgendwas kaputt ist, wenn dann irgendwas nicht so ist, dann ist es Teil dessen, was da stattfindet.

Ja. Das ist gut, sehr pragmatisch.

Ja, das fiel mir gerade ein. Wenn man sagt, ich verfolge dieses, aber mein Verfolgen ist eben Teil eines Großen, Ganzen, in dem ich mich doch irgendwie wohlfühle.

[lacht] Naja, ich hab mal so einen Text gelesen über das Herz-Sutra von so einem Ami. Zen. Der dann so weit geht, dass er sagt, sogar die sterbenden Kinder in Auschwitz sind eine vollkommene Situation. Also wenn man das radikal zuende denkt, ist eben alles vollkommen. Und der Punkt, der insgesamt aber interessant ist, ist das Handeln. Dass du eben handelst, dass du nicht nur beobachtest, sondern handelst. Dass es also darum geht, in einer Situation angemessen zu handeln. Dass du nicht vorher weißt, was du tust, sondern du handelst angemessen in der Situation. Das heißt, wenn ein Kind auf die Straße rennt, denkst du nicht drüber nach, wenn da ein LKW kommt, sondern du reißt es runter. Du könntest natürlich auch drüber nachdenken: Werde ich jetzt überfahren? Und das wäre schon nicht mehr angemessen. Und das Handeln, wenn du jetzt in der Gaskammer bist: Was bleibt dir übrig? Du handelst dann angemessen. Du kannst ja nicht mit einer Waffe schießen, weil du gar keine hast. Aber wenn du eine hättest, würdest du es tun. Du handelst immer angemessen in der Situation, in der du bist. Und der – wie heißt denn der, ich komme jetzt nicht auf den Namen – macht mit bei "Engagierter Buddhismus", wo Thich Nhat Hanh auch drin ist, und zwar Peacemaker-Orden. Peacemaker ist meiner Ansicht nach sogar ’ne Waffe. Die sind jedenfalls stark sozial engagiert in den USA. Die bauen auch Küchen auf und so, das Übliche, was eben auch Christen machen, aber eben auch mit Drogenabhängigen, machen Knastbetreuung, soziale Arbeit. Sie machen jetzt keine revolutionären Zellen, aber sind eben sozial engagiert. Friedensaktivisten. Umwelt. Alles, was dazugehört. Gerechtigkeit. Das gehört alles zu den Prinzipien, also schon die buddhistischen Gelübde, aber eben kombiniert mit sozialer Gerechtigkeit. Es ist schon konzernkritisch, aber eben, wie soll ich sagen, links kann man auch nicht sagen.
Auschwitz ist angemessen, genauso wie der Aufstand in Treblinka eben angemessen ist. Also wenn du die Möglichkeit hast, wirst du das Richtige tun. Wenn du nicht anhaftest, sondern in jeder Situation frei und frisch entscheidest, dann wirst du immer das Richtige tun. Also es hat keinen Sinn, in der Gaskammer nachzudenken, Scheiße, dass ich jetzt keine Wumme hab, oder so. Dann musst du irgendwas angemessenes tun, keine Ahnung was. Wie heißt der denn? Ein Jude. Ich komm nicht drauf. Jetzt fällt’s mir ein: Ernie Glassmann. Einer der bekanntesten amerikanischen Zen-Meister seit vierzig Jahren.
Ich muss mal rüber. Nächstes Mal kommst du rüber. Oder wie auch immer. Eine kleine Radfahrt zum Bäcker.

***

Michael Stein starb zwei Monate nach diesem Interview am 24. Oktober 2007

 

Im Interview erwähnte Personen:

Falko Hennig – Autor bei der Reformbühne Heim und Welt

Daniela Böhle – Autorin bei der Reformbühne Heim und Welt

Robert Weber – Autor bei den Surfpoeten

Wiglaf Droste – Schriftsteller

Thomas Kapielski – Schriftsteller

Ahne – Mitglied der Surfpoeten und der Reformbühne Heim und Welt

Heiko Werning – Autor bei der Reformbühne Heim und Welt und den Brauseboys

Max Goldt – Schriftsteller

DJ Lt. Surf (Olaf) – DJ der Surfpoeten

Helmut Höge – Berliner Journalist

Jochen Schmidt – Autor bei der Chaussee der Enthusiasten

Hans Duschke – Autor beim Frühschoppen, Mitbegründer der Reformbühne Heim und Welt

Bov Bjerg – Autor beim Mittwochsfazit, Mitbegründer der Reformbühne Heim und Welt

Manfred Maurenbrecher – Musiker beim Mittwochsfazit

Jürgen Witte – Autor bei der Reformbühne Heim und Welt

Tube – Autor bei den Surfpoeten und bei LSD – Liebe Statt Drogen

Spider – Autor bei den Surfpoeten und bei LSD – Liebe Statt Drogen

Thich Nhat Hanh – vietnamesischer Zen-Meister

Das Ego

In der Improvisation liegen alle Hürden, Klippen und Chancen des künstlerischen Schaffens offen. So auch die Eitelkeit des Künstlers. Wird im arrangierten Musikstück oder im geschriebenen Theaterstück das Ego des aufführenden Künstlers durch die Noten bzw. den Text gebändigt, müssen sich die Mitspieler bei der Live-Improvisation auf die Disziplin und die Unterordnung des Egos unter das Gesamtwerk verlassen können. Das gilt im übrigen auch für Soloimprovisationen.
Die Falle, in die der Impro-Spieler dabei so leicht tappt liegt darin, dass das Publikum egoistische Solo-Aktionen oft honoriert und den Spieler dann hinterher auch noch lobt.
Im modernen Jazz geben sie ja dem Ego bekanntlich dadurch Zucker, dass sie (oft völlig überflüssig) jedem Spieler sein Solo zubilligen. Die Zuhörer klatschen, nächstes Solo.
Beim Impro-Theater braucht der Spieler die Sensibilität des Autors, des Dramaturgen und des Regisseurs. Wenn du gerade nicht gebraucht wirst, dann halt die Klappe, geh von der Bühne. Bill Murray, war ein ganz großartiger „Unterstützer“ im Second City Theater. Sehr bescheiden und stets im Dienst der Szene, und deswegen bei seinen Mitspielern beliebt. (Halpern/Close: „Truth in Comedy“)
Das Lob der Zuschauer trügt oft bei der Improvisation. Höre genau hin, wofür sie dich loben. Für deine Witzigkeit? Dann hast du bestimmt was falsch gemacht. Zuverlässiger ist das Feedback der Mitspieler.