391. Nacht

Als am nächsten Tag der Wasserträger sich bei der Frau des Goldschmieds entschuldigt, erwidert sie:

"Jene Sünde ging nicht von dir aus, sondern sie ward von meinem Gatten veranlasst, als er seine Tat im Laden beging. Nun hat Allah sie ihm schon vergolten."

Eine seltsame Art magischen Denkens, dass hier, wie so oft in die Religion hineinschwappt, oder von dem die Religion stammen mag: Gleichzeitigkeit muss einen (höheren) Sinn ergeben.

Daraus, so die Erzählerin weiter, sei das Sprichwort entstanden:

"Schlag um Schlag muss man empfahn; hätte ich mehr getan, hätte der Wasserträger auch mehr getan."

Man beachte die trefflichen Reime und das Metrum.

***

 

Die Geschichte von Chosraus und Schirîn und dem Fischer

Chosrau II., der letzte bedeutende Sassanidenkönig leitete mit seiner Fortführung der Kriege gegen Rom den Untergang der Sassaniden-Ära ein, der den Arabern bei ihrem Einmarsch ein paar Jahrzehnte später leichtes Spiel machte. Dennoch wurde er von den Persern weithin verehrt. Für die vorliegende Geschichte ist von Interesse, dass Schirîn Christin war (was hier natürlich nicht erwähnt wird).

Der Fischliebhaber König Chosrau sitzt mit seiner Frau Schirîn zu Tisch, als ihm ein Fischer einen enormen Fisch überreicht. Der König gibt ihm zum Dank viertausend Dirhems, woraufhin Schirîn ihn kritisiert:

"Wenn du hinfort einem deiner Höflinge die gleiche Summe gibst, so wird er sie geringschätzen und sagen: Er hat mir ebensoviel gegeben wie diesem Fischer! Gibst du ihm aber weniger, so wird er sagen: Er schätzt mich gering und hat mir weniger gegeben als dem Fischer!"

Abnehmen können sie das Geld dem Fischer aber auch nicht, also lassen sie ihn zurückholen und stellen ihm eine Falle:

"Ist dieser Fisch männlich oder weiblich?" Der Fischer küsste den Boden und sprach: "Dieser Fisch ist ein Zwitter."

Chosrau lacht über die Antwort und gibt ihm viertausend Dirhem obendrauf. Als der Fischer den Geldsack hinausschleppen will, fällt ihm eine Münze herab, und er macht sich die Mühe, sie aufzulesen. Schirîn stachelt ihren Gatten wieder an:

"Siehst du, wie geizig und gemein dieser Mann ist?"

Aber der Fischer zieht abermals seinen Kopf aus der Schlinge, als er beteuert:

"Ich befürchtete, es könne jemand seinen Fuß darauf setzen, ohne es zu wissen."

Chosrau schenkt ihm viertausend Dirhem obendrauf.

Aber dann ließ er durch einen Herold in seinem Reiche verkünden: Niemand soll sich vom Rate der Frauen leiten lassen; denn wer ihrem Rate folgt, verliert mit seinem einen Dirhem noch zwei andere dazu!

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Die Geschichte von dem Barmekiden Jahja ibn Châlid und dem armen Manne.

Von Jahja ibn Châlid war hier bereits die Rede.

Als Jahja eines Tages das Schloss des Kalifen verlässt, findet er vor seiner Tür einen armen Mann, den er bei sich aufnimmt und dem er täglich eintausend Dirhems schenkt. Nach einem Monat macht sich der Arme aus dem Staub.

326. Nacht

Denkt man heute an Zivilcourage, rücken meistens besonders heroische Taten ins Visier: Sich brutalen Schlägern entgegenzustellen etwa.
Wieviel häufiger fehlt es aber an Mut im Kleinen? Vor allem in der Großstadt. Ein Mann liegt hilflos auf der Treppe, ruft nach Hilfe. Je mehr Menschen anwesen sind, umso unwahrscheinlicher ist es, dass ihm geholfen wird.

 

In der Psychologie wird dies als Bystander-Effekt bezeichnet.

Als soziale Wesen haben wir einen gewissen Hang zum Übereinstimmen. Es fühlt sich für die meisten unangenehm an, Außenseiter zu sein.

 

In seiner extremen Form führt der Mitläufer-Effekt zu Auswüchsen wie in Abu Ghraib (um ein Beispiel nach 1945 zu nennen). Vorweggenommen vom Milgram Experiment und dem Stanford Prison Experiment von Philip Zimbardo, der später einem der Angeklagten von Abu Ghraib als psychologischer Berater zur Seite stand.

Wenn wir nicht erkennen, dass das Böse in uns allen steckt, wird es uns schwer fallen, die Situationen zu erkennen, die es hervorbringen. Dann fahren wir fort, es zu essentialisieren, zu hospitalisieren, zu externalisieren.

Gut sein muss trainiert werden. Zimbardo plädiert dafür, Zivilcourage schon bei Kindern zu trainieren und ihr Heldenbild zu verändern: Weg von Superhelden, hin zu Helden des Alltags. Wir müssen den Fokus weglenken von den traditionellen Helden, die ihr Leben um ihr Heldentum herum organisiert haben, so wie Gandhi, Mandela, Martin Luther King. Wir brauchen Helden auf Abruf. Menschen, die bereit sind, abzuweichen, wenn es darauf ankommt. Menschen, die auf die Gemeinschaft statt auf ihr Ego fokussieren.

 

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Man führt Alî Schâr zu Zumurrud, der sie natürlich nicht erkennt (sie ihn schon). Er berichtet seine Geschichte und sie führt wieder den Hokuspokus mit geomantischer Tafel und Messingstift auf, wobei sie zu dem Ergebnis kommt, er sage die Wahrheit.

Man könnte die Passagen der geschummelten Nutzung der geomantischen Tafel auch als ironischen Seitenhieb auf derartige Praktiken verstehen.

Sie lässt ihn fürstlich ein kleiden, worüber das Volk erstaunt ist. Am Abend lässt sie ihn ihr Schlafgemach, in dem außer ihr nur zwei kleine Eunuchen sind, führen und stellt sich schlafend.

Wie die Leute hörten, dass sie nach ihm gesandt hatten, wunderten sie sich darüber.

Woher erfuhren "die Leute" davon?

Alî erkennt seine Frau immer noch nicht. Und sie denkt bei sich:

"Ich muss doch noch eine Weile Scherz mit ihm treiben, ohne dass ich mich zu erkennen gebe."

Sie teilt das Essen mit ihm und befiehlt ihm dann:

"Komm zu mir auf das Lager und knete mich!" Er begann, ihr die Füße und Schenkel zu kneten und fand, dass sie weicher als Seide waren. Nun befahl sie: "Geh höher hinauf mit dem Kneten"

250. Nacht – Knickerbocker und Sportanzüge

Entdecke im Bücherschrank ein altes Benimmbuch von 1960, das ich, wenn ich mich recht entsinne, mal vorm Verrotten in einer Jugendherberge gerettet (man könnte auch sagen “gestohlen”) habe. Darin folgendes Foto:

Sportanzüge und Knickerbocker! Im RAW wäre die Autorin wohl in Ohnmacht gefallen:

  • Unterwäsche

  • Hunde (Wir haben noch keine Regelung dafür gefunden)

  • Filzhaare

  • Skihosen

  • Jeans

  • Joggingklamotten

Dagegen bisher erst einmal entdeckt: Das Abendkleid.

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Da ihm die Frau bei Eheschließung vertraglich verboten hatte, sich eine Kebse oder Sklavin zu nehmen, ist Schams ed-Dîn nun doppelt verärgert:

“Die Ehe mit dir ist, als ob man auf einen Fels schlage.”

Doch sie gibt ihm die Schuld zurück:

“Dein Same ist zu dünn.”

Um seinen Samen zu verdicken, geht er einkaufen:

“bei Drogenhändlern!”

Auf dem Markt schickt man ihn von einem zum anderen und macht sich über ihn heimlich lustig, bis er zu einem Opiumraucher und Haschischesser namens Simsim (=”Sesam”) kommt. Die Gattin, welche, da sie schon 40 Jahre verheiratet sind, ja über 50 Jahre alt sein muss, braut aus verschiedenen Zutaten ein abenteuerliches Gesöff und der Schams ed-Dîn begattet sie noch in derselben Nacht.Den Sohn nennt man Ala ed-Dîn Abu esch-Schamât, er wird im Namen Mohammeds und Alis 250 gesegnet und mit Salz bestreut 250a.

Das Motiv, dass es den Eltern schwerfällt ein Kind zu bekommen, taucht mehrfach in den 1001 Nacht-Storys auf. Geradeso, als wolle man ordentlich Anlauf nehmen, um dem eigentlichen Geschehen Schwung zu verleihen oder um das Besondere des Protagonisten zu unterstreichen.Nicht zu vergessen: Schneewittchens Eltern hatten auch mit dem Zeugen Schwierigkeiten.

Sein Vater war um ihn wegen des bösen Blicks besorgt, und darum ließ er ihn in einem Gemache unter der Erde aufziehen.

Heutzutage hätte es der Vater mit einer solchen Begründung vor Gericht schwer. Hm – vor einem deutschen Gericht.

Man will den Knaben solange dort halten,

bis ihm der Bart sprosst.

Aber eines Tages lässt ein Sklave die Falltür offenstehen, und Alâ ed-Dîn flieht. Er betritt ein Zimmer, in dem seine Mutter gerade ihre Freundinnen empfängt, die über diesen spontanen Besuch eines weißen Mamluken empört sind, bis die Mutter sie aufklärt.

 

250 Vielleicht ein Hinweis auf die schiitische Herkunft der Story?
250a Zur Abwendung des bösen Blicks, mit dem man es in dieser Story anscheinend sehr genau nimmt.

241. Nacht – Hauptstädte die ich sah

Hauptstädte, in denen ich war. Mit Jahreszahl meines ersten Besuchs sowie gegebenenfalls Relativierungen für Kürzestaufenthalte und Hauptstädte, die keine waren oder mehr sind:

Berlin (DDR)

Bonn 1991 (BRD)

Berlin (BRD)

Warschau 1979

Prag 1990

Budapest 1981

Sofia 1997 (nur auf dem Flughafen)

Wien 1998

Bratislava 1981 (zu CSSR-Zeiten)

Vilnius 1989 (zu SU-Zeiten)

Minsk 1989 (zu SU-Zeiten)

Brüssel 1992

Amsterdam 1991

Moskau 1990

London 1993

Paris 1993 (nur wenige Stunden zwischen Bahnhof und Autobahnabfahrt)

Valletta 2001

Rom 2000

Madrid 1995

Accra 1997

Lagos (nur auf dem Flughafen)

Sarajevo 1999

Teheran 1996

Washington 1997 (nur ein paar Minuten am Busstop)

Kairo 2004

Abu Dhabi 2004 (nur auf dem Flughafen)

Edinburgh 1993 (naja)

Peking 2008

Colombo 2004

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El-Haddschâdsch vertröstet Ni’ma:

"Wenn deine Sklavin nicht wiederkehrt, so gebe ich dir zehn Sklavinnen aus meinem Hause."

Wahrscheinlich erkennt Ni’ma schon hier die Verstrickung el-Haddschâdschs.

Sein Vater er-Rabî’ bestärkt ihn in dieser Vermutung. Der zu diesem Zeitpunkt vierzehnjährige Ni’ma wird krank, und die Ärzte sagen:

"Es gibt kein Heilmittel für ihn außer der Sklavin."

Eines Tages erreicht ein kunstvoller persischer Arzt die Stadt Kufa,

von dem man ihm [dem Vater] sagte, dass er Heilkunst, Astrologie und Geomantie genau kenne.

Geomantie kennt ja heute kaum mehr einer. Und wenn, möchte man ihm vielleicht nicht unbedingt den kranken Sohn anvertrauen.

Diagnose:

"Dein Sohn leidet am Herzen."

Der Perser weiß sogar noch mehr über die Angebetete:

"Diese Sklavin ist jetzt entweder in Basra oder in Damaskus."

Mit Ni’ma sowie tausend Dinaren plus Pferden und Kamelen macht sich er Perser auf nach Aleppo. Dort werden sie nicht fündig und reisen weiter nach Damaskus. Sie eröffnen einen Laden und kommen überein, miteinander auf Persisch zu reden und sich als Vater und Sohn auszugeben.
Der Trick funktioniert. Der Perser heilt einige Kranke, und eines Tages kommt eine Alte auf einem Esel zu ihm, die vorgibt, eine kranke Tochter namens Nu’m zu haben…

202. Nacht

Natürlich kann sich der Prinz nicht einfach so der Prinzessin nähern, und so rät ihm Marzuwân, sich als Sterndeuter auszugeben, sich entsprechend zu verkleiden und unterhalb des Palastes auszurufen:

Ich bin der Berechner, der schreibkundige Mann!
Ich bin’s, der das Gesuchte und den Suchenden erkennen kann!
Ich bin der Weise, klug und gewandt!
Ich bin der Sterndeuter, überall bekannt!
Wo ist der, der da sucht?

Dies tut Kamar ez-Zamân auch, obwohl ihm die Bevölkerung abrät:

"Um Allahs willen, du schöner junger Mann, setze doch dein Leben nicht aufs Spiel, begib dich nicht selbst in Todesgefahr im Streben nach Vermählung mit der Prinzessin Budûr, der Tochter des Königs el-Ghajûr! Sieh nur mit deinen eigenen Augen auf die Häupter, die dort hängen!"

Aber Kamar ez-Zamân weist die Bedenken zurück.

200. Nacht – Astrologie

Regal Trash und Naturwissenschaft

Elftes Buch von links

Michael Roscher: "Das Astrologie-Buch. Berechnung, Deutung, Prognose."

Erworben: ca. 2004 auf der Buch-Mitnehm-Ablage meines früheren Wohnhauses in der Libauer Str. 9
Status: Durchgeblättert, ein paar wenige Seiten mit Freunden zur gegenseitigen Unterhaltung vorgelesen.
Erster Satz: "Wenn ich von Fremden nach meinem Beruf gefragt werde und ich antworte "Astrologe", so gibt es eigentlich nur zwei mögliche Reaktionen: Die einen zweifeln reflexartig an meinem Verstand, oder sie halten mich für einen cleveren Geschäftemacher, der weiß, wie man den Leuten das Geld aus der Tasche zieht."
Kommentar: Armer verstandestrüber, geschäftemachender Michael Roscher. Dieses Buch nahm ich mit, um Frauen besser zu verstehen, die Astrologie für wichtig halten. Ich verstehe sie jetzt besser, aber nur bedingt wegen dieses Buches.

**

König Schehrimân befiehlt, die Gefangenen freizulassen, spendet den Armen Almosen und lässt die Stadt schmücken.
Inzwischen beredet Marzuwân den Prinzen heimlich zu fliehen, da sein Vater ihn nie freiwillig gehen ließe. Kamar ez-Zamân solle seinem Vater sagen, er gehe am nächsten Morgen mit Marzuwân  auf die Jagd. Tatsächlich gewährt der Vater dies, denn:

Besäß ich auch Salomons Teppich
Und dazu der Perserkönige Reich:
Und könnte mein Auge dein Antlitz nicht schauen –
Sie wären dem Flügel er Mücke nur gleich.

4 Rosse, ein Lastkamel für den Vorrat und ein Dromedar für das Geld werden vorbereitet, und der Vater bittet Kamar ez-Zamân, nicht länger als eine Nacht fortzubleiben.

An Schehrimâns Stelle hätte mich zumindest das Gelddromedar stutzig gemacht.

98. Nacht

Seit fast achtzehn Jahren lese ich die zitty. 1990 im März habe ich das erste Heft für damals 9 Ostmark gekauft und habe in den ersten Jahren jedes Heft von vorn bis hinten studiert. Man kann sagen, dass mir zitty geholfen hat, im Westen anzukommen. Die besten Comics von Woessner und Fickelscherer schnitt ich aus. Mit Didi und Stulle von Fil tue ich das heute noch. Ich habe alle Aufs und Abs der Zeitschrift erlebt, bis hin zu den schrecklichen Layout-Tragödien, die nun Mitte dieses Jahr ein Ende hatten. Ein tolles Heft.
Und nun ist es vorbei. Ich werde mein Abo kündigen. Warum? Ganz einfach. Der Abdruck des Programmteils (also des Teils, weshalb man sich überhaupt eine Programmzeitschrift kauft), wird kostenpflichtig. Die Preise sind zugegebenermaßen nicht allzu hoch. Aber doch so, dass es sich manche Kleinveranstalter überlegen werden, ob sie diese Art von Hinweis überhaupt benötigen werden. zitty und tip auf dem schlechten Wege. Jetzt könnte man sagen, dann kauf dir doch den Tip. Aber Tip und zitty stecken inzwischen unter einer Verlags- und Management-Decke. Was soll mir aber eine Programmzeitschrift, die nicht mehr über das Programm anständig Auskunft gibt? Nur um Didi und Stulle tut es mir leid, aber dann werde ich eben die Alben kaufen. Das tut dann dem Portemonnaie von Philipp Tägert auch gut.

***

Dau el-Makân und Dandân betrachten ihre Lage und checken es immer noch nicht:

"Fürwahr: Ungehorsam gegen diese Heiligen bringt noch schlimmeres Unheil als dies; die Not, in der wir uns befinden, ist die gerechte Strafe."

Stellt der Autor die beiden absichtlich so dumm dar? Oder ist es ein Spiel zwischen den Werten Frömmigkeit und Klugheit, die, wie wir ein paar Kapitel früher erfahren haben, als hohe Werte unter muslimischen Königen gelten?

Mit harter verbaler Knute geht der antireligiöse Pat Condell gegen Religionen vor. Sehr hart und wahrscheinlich für die meisten ganz und gar nicht lustig. Mich etwa nervt sein latenter Nationalismus, das "Wir vs. Sie"-Gerede. Dennoch beachtlich: Jegliche Religion ist für ihn dummer Aberglaube.

 

Die Christen setzen den in der Höhle verbliebenen Moslems ein Ultimatum, und fordern sie auf, das Land friedlich zu verlassen.
Für Scharkân steht das völlig außer Frage.

Der Unwille zu Friedlichkeit bleibt hier bemerkenswert positiv besetzt.

Es kommt wieder zur Schlacht.

An jenem Tag schied sich der Feige vom Mutigen;
rot leuchteten Schwert und Lanze, die blutigen.

Obwohl sie wissen, dass sie eigentlich keine Chance haben, verharren sie noch eine Nacht in der Höhle, um darauf zu warten, dass der Heilige Hilfe holt.… Weiterlesen