36. Nacht

Günstige Winde tragen das Schiff mit Nûr ed-Dîn Alî und seiner Sklavin nach Baghdad.

Schau auf ein Schiff! Sein Anblick nimmt deine Augen gefangen.
Es überflügelt den Wind in seinem eiligen Flug.
Es gleicht dem schwebenden Vogel, den die gebreitete Schwinge
Aus dem Äther herab wohl auf das Wasser trug.

Für mich eine völlig neue Information: Dass Segelschiffe flussaufwärts fuhren.

Die Mamluken suchen vergeblich nach den beiden und brennen das Haus nieder. Der Sultan setzt ein Kopfgeld auf die beiden aus.
Unterdessen erreichen die beiden Baghdad.

Da sprach der Schiffsführer zu ihnen: "Baghdad heißt dieser Ort; es ist ein sicherer Hort. Von ihm zog er Winter mit seiner Kälte fort, doch das Frühjahr mit seinen Rosen hielt seinen Einzug dort. Die Bäume blühen all, und die Bächlein fließen zumal."

Vor seiner Zerstörung durch die Mongolen im Jahre 1258 war Baghdad eine prächtige Stadt. Bis auf kurze Unterbrechungen war es der Sitz der Kalifen. Das überaus komplexe Bewässerungssystem war einmalig, bis es bei der Einnahme der Stadt zerstört wurde. Da diese Baukunst aber nur mündlich weitergegeben wurde (und die Bevölkerung getötet oder vertrieben wurde) bzw. etwaige Dokumente vernichtet wurden, wurde Baghdad im wahrsten Sinne verwüstet. Bis heute hat man das Niveau der damaligen Bewässerung nicht wiederherstellen können.

Nûr ed-Dîn Alî zahlt dem Kapitän fünf Dinare und sie gehen über einen Platz in einen herrlichen Garten mit Bänken, um dort zu ruhen.

Oben war ein Gitterwerk aus Rohr über den ganzen Weg.

Ein Hinweis auf Bewässerungsröhren?

Die beiden legen sich auf eine Bank nieder, nicht wissend, dass dieser Garten und das darin befindliche Schloss dem Kalifen Harûn er-Raschîd gehört,

der diesen Garten und das Schloss zu besuchen und dort zu sitzen pflegte, wenn ihm die Brust beklommen war.

Der Hüter des Gartens – der alte Scheich Ibrahîm – entdeckt das schlafende Paar und hält sie für einen Freier und eine Prostituierte. Er beschließt, die beiden zu verprügeln.

So schnitt er eine grüne Palmenrute ab, trat zu ihnen hin und hob den Arm, bis man das Weiße seiner Armhöhle sah, und wollte eben zuschlagen; doch er besann sich.(…) "Es ist ein hübsches Paar, und es wäre unrecht, wenn ich sie schlüge."

Schönheit schützt einen auch hier vor Gewalt. Neuere Studien belegen übrigens, dass Lehrer hübsche Kinder bevorzugen. Und als ob das nicht schon schlimm genug wäre: Die eigenen Eltern tun das auch. So haben mittelprächtige oder gar hässliche Kinder von vornherein schlechtere Startchancen. Allerdings bevorzugen Frauen unattraktive Männer, wenn diese einen höeren sozialen Status haben.
Zum Begriff der Palmenrute: Sie bezeichnet im Deutschen auch eine kongenitale flügelfellartige Verwachsungen zwischen Penis und Skrotum. Sonst auch ein Schlägel in der Perkussion.

Und so weckt der Scheich Nûr ed-Dîn Alî mit einer kleinen Fußmassage. Dieser erwacht und lässt sich und Enîs el-Dschelîs den Garten zeigen:

Das Tor war gewölbt wie eines Palastes Bogengang, darüber sich Wein mit Trauben von vielerlei Farben schlang: die roten glichen Rubinen, während die schwarzen wie Ebenholz schienen. Dann traten sie in eine Laube, und dort fanden sie Bäume mit Früchten, die hingen bald allein und bald zu zwein. Auf den Ästen die Vögelein sangen ihre Lieder so rein: die Nachtigall schlug ihre Weisen so lang; der Kanarienvogel füllte den Garten mit seinem Sang; der Amsel Flöten schien das eines Menschen zu sein; und der Turteltaube Gurren klang wie eines, der trunken von Wein. Die Bäume, die dichten, waren beladen mit reifen, essbaren Früchten und standen alle in doppelten Reihn: da war die Aprikose weiß wie Kampfer, eine andere mit süßem Kern, eine dritte aus Chorasân; die Pflaume war mit der Farbe der Schönheit angetan; die Weißkirsche leuchtete heller als wie ein Zahn; die Feigen sahen sich zweifarbig, rötlich und weißlich an. Und Blumen waren da, wie Perlen und Korallen aufgereiht, die Rosen beschämten durch ihre Röte die Wangen der wunderschönen Maid; die gelben Veilchen sahen aus wie Schwefel, über dem Lichter hängen zu nächtlicher Zeit; Myrthen, Levkojen, Lavendel, Anemonen, mit Wolkentränen geschmückt im Blätterkleid; es lachte das Zahngeheg der Kamille; die Narzisse schaute die Rose an mit ihrer Augen schwarzer Fülle; Bechern glichen die Limonen, goldenen Kugeln die Zitronen; die Erde war mit Blumen aller Farben wie mit einem Teppich bedeckt; der Frühling war gekommen und hatte dort alles zu frohem Leben erweckt, den Bach zum Springen, die Vögel zum Singen, den Lufthauch zum Klingen in der allermildesten Jahreszeit.

Unklare Details dieser Aufzählung:

  • Bäume in der Laube

  • weiße Aprikosen (es sei denn, die Blüten sind gemeint)

  • Aprikosen mit süßem Kern (statt Bittermandelgeschmack)

  • gelbe Veilchen


Gelbes Veilchen

Der Scheich führt nun die beiden gar ins Schloss und bietet ihnen Essen an. Nûr ed-Dîn Alî überstrapaziert die Gastfreundschaft und bestellt bei ihm noch Wein, aber der Scheich weicht zurück:

"Davor behüte mich Allah; seit dreizehn Jahren habe ich solches nicht mehr getan, denn der Prophet  – Allah segne ihn und gebe ihm Heil! – hat den verflucht, der ihn trinkt, keltert, kauft oder verkauft!"

Bislang spielte hier in jeder zweiten Geschichte Wein eine Rolle. Doch zum ersten Mal wird auf das Verbot durch den Propheten hingewiesen. (siehe z.B. Koran 5. Sure (90): O ihr, die ihr glaubt, siehe der Wein, das Spiel, die Opfersteine und die Pfeile sind ein Greuel von Satans Werk.)

Durch argumentative Tricksereien überzeugt Nûr ed-Dîn Alî den Scheich dennoch, Wein zu besorgen und am Gelage teilzunehmen. Enîs el-Dschelîs verführt ihn gar zum Trinken.

35. Nacht

Den nach diesem Vorfall um sein Leben fürchtenden Vater des Entjungferers beruhigt seine Gattin: Man möge die Sache vor dem Sultan geheim halten, dann würde ihm nichts geschehen.
Nûr ed-Dîn Alî hingegen versteckt sich aus Angst vor seinem Vater tagsüber im Garten und nachts in den Gemächern seiner Mutter. Doch nach einem Monat lauert ihm der Wesir auf

und als sein Sohn hereinkam, packte er ihn und tat, als wolle er ihm den Hals durchschneiden,

nur um sich kurz darauf mit ihm zu versöhnen.

Den König aber ließ Allah der Erhabene die Sache mit der Sklavin ganz vergessen.

Nach einem Jahr erkältet sich der Vater. Und nachdem er ein paar mittelmäßige Verse rezitiert und seinen Sohn ermahnt, Allah zu fürchten und sich der Sklavin Enîs el-Dschelîs’ anzunehmen, stirbt er.
Nûr ed-Dîn Alî trauert sehr lange um seinen Vater, bis ihn zehn reiche befreundete Kaufmannssöhne auffordern, das Trauern sein zu lassen und es sich wieder wohlergehen zu lassen.

Er begann zu essen und Wein zu trinken, gab Gastmahl auf Gastmahl und streute seine Geschenke und Gunstbezeugungen aus.

Doch der Verwalter warnt ihn mit den Dichterworten:

Ich spare meine Gelder und bewahre sie sorglich;
Denn fürwahr, ich weiß, sie sind mir Schild und Schwert.
Würde ich sie vergeuden an den schlimmsten der Feinde,
so wendete ich mein Glück zum Unglück auf dieser Erd.
Also ess ich davon und trinke davon zur Gesundheit.
Und gebe niemandem einen Heller davon hin;
Ja, ich hüte mein Geld vor einem jeden Gesellen,
der meiner Freundschaft unwert und von niedrigem Sinn.
Das ist mir doch lieber, als dass ich zum Lumpen sage:
Leih mir einen Dirhem bis morgen, ich gebe dir fünf zurück,
und dass er sein Gesicht dann von mir wendet und umdreht
Und ich einem Hunde gleich dasteh mit betrübtem Blick.
Wie elend er geht es doch dem Menschen ohne Geld,
Wenn seine Tugend auch strahlt wie die Sonne in der Welt.

Abgesehen vom Lob des Geizes, ist dieses Gedicht auch interessant, weil es dem Geld einerseits einen Sinn zuschreibt, dieser Sinn bestünde aber im Horten und Zusammenhalten des Geldes. Von dem modernen Dreh, das Geld als Kommunikationsmittel so zu verstehen, dass es erst durch Investition und vor allem Kredit zum symbolisch generalisierten Kommunikationsmedium wird, ist man hier noch weit entfernt. Und im Grunde müssen Moslems noch heute halsbrecherische Sinnverdrehungen anstellen, um die verbotenen Kredite nicht als Kredite erscheinen zu lassen. Kreditgeben kann in diesem Zusammenhang nur als Wucher, Kreditnehmen nur als törichter Leichtsinn aufgefasst werden.

Nûr ed-Dîn Alî weist den Verwalter von sich, doch schon bald tritt dessen Vorhersage ein: Nûr ed-Dîn Alî ist pleite, und seine Freunde lassen ihn nun mit fadenscheinigen Ausreden im Stich. Doch Enîs el-Dschelîs gibt ihm den Rat, sie selbst zu verkaufen und auf Allah zu vertrauen, dass er sie wieder zusammenführe.
Auf dem Basar lässt man sie für 4.500 Dinare ausrufen, in der Hoffnung 10.000 zu bekommen. Unglücklicherweise ist auch der böse Wesir el-Mu’in ibn Sâwa  anwesend, der für sich spricht:

"Was steht denn der Sohn des Chakân hier herum? Hat dieser Lümmel noch genug, um sich Sklavinnen zu kaufen?"

Doch er bemerkt, worauf die Sache hinausläuft, und bietet den genannten Preis. Keiner der anderen Händler wagt es, den Minister zu überbieten. Doch der Makler warnt Nûr ed-Dîn Alî, dass er niemals sein Geld bekommen würde, und er rät ihm zu einem Trick, den Nûr ed-Dîn Alî auch kurz danach befolgt:

Nûr ed-Dîn Alî trat an den Makler heran, riss ihm die Sklavin aus der Hand, schlug ihr ins Gesicht und rief: "Heda du Metze! Ich habe dich auf den Basar geschleppt, um mich von meinem Eid zu lösen; jetzt schere dich nach Hause und widersprich mir nicht mehr!" (…) Nun wollte der Wesir gewaltsam Hand an ihn legen. (…) Da sahen alle den Nûr ed-Dîn mit bedeutsamen Blicken an, als wollten sie sagen: "Rechne ab mit ihm!"

Tatsächlich verprügelt Nûr ed-Dîn Alî den Wesir und wirft ihn in eine Lehmgrube. Dieser klagt dem Sultan sein Leid, verrät die Geschichte des Sklavinnenerwerbs und fügt noch ein wenig Lüge hinzu:

"Doch als er meine Worte hörte, sah er mich an und schrie: ‘Du Unheilsalter! Den Juden und Christen will ich sie verkaufen, aber nicht dir!’ ‘Ich kaufe sie nicht für mich’, erwiderte ich, ‘ich kaufe sie für unseren Herrn, den Sultan, der so gütig gegen uns ist.’  Als er gar diese Worte von mir hörte, füllte ihn die Wut…"

Der Sultan befiehlt vierzig schwerttragenden Männern, das Haus von Nûr ed-Dîn Alî zu plündern und ihn und seine Sklavin auf ihren Gesichtern zum Sultan zu schleifen. Doch ein Kämmerling, der schon für Nûr ed-Dîn Alîs Vater gearbeitet hatte, reitet zu ihm, um ihn zu warnen

und pochte an die Tür. Da kam Nûr ed-Dîn heraus, und als er ihn sah, erkannte er ihn und wollte ihn begrüßen; jener aber sagte: "O mein Gebieter, dies ist nicht die Zeit, um Grüße zu tauschen und Worten zu lauschen. Höre, was der Dichter sagt:

Rette dein Leben, wenn dir vor Unheil graut!
Lasse das Haus beklagen, den, der es erbaut!
Du findest schon eine Stätte an anderem Platz;
Für dein Leben findest du keinen Ersatz!"

Was mögen das für Grüße sein, die umständlicher sind als ein solches Gedicht.

Die beiden rennen aus der Stadt hinaus und finden am Ufer des Stromes ein Schiff, das zum Segeln bereit liegt und das sie besteigen. Es legt ab.

Da fragte Nûr ed-Dîn: "Wohin, o Kapitän?" Der antwortete: "Nach der Stätte des Friedens35, nach Baghdad."

Heißt das, man segelt den Tigris stromaufwärts?

مدينة السلام35

20. Nacht

Die Voraussetzung für die Hinrichtung des Sklaven ist freilich, dass man ihn findet. Wird er nicht gefunden, muss der Wesir dran glauben. Die Lebensumstände von Ministern scheinen nicht immer beneidenswert gewesen zu sein. Andererseits dürfte es auch heutzutage nicht für jeden erträglich sein, auf der obersten Etage die Karten mitzumischen.
Der Wesir nimmt Abschied von seinen Kindern, am Ende von seiner jüngsten Tochter, die einen Apfel verspeist, von dem sich herausstellt, dass sie ihn vom Sklaven Raihân habe. Er gesteht, genau jener Sklave gewesen zu sein. Und der Wesir muss nicht lange überlegen, was zu tun ist, den ihm fällt noch das Gedicht ein, das ihm rät:

Wenn ein Unheil kommt durch einen Sklaven,
bringe ihn statt deiner ins Gericht.
Denn du wirst noch viele Diener finden,
Doch ein zweites Leben findst du nicht.

Als ich dieses Gedicht vor 20 Jahren das erste Mal in einem Auszug der 1001 Nächte las, verschlug es mir den Atem. Ich kann es seitdem auswendig, auch wenn ich die es einbettende Geschichte vergessen habe.

Der Kalif befiehlt, den Sklaven töten zu lassen, doch der Wesir Dscha’far erbittet, ihm das Leben zu schenken, wenn die Geschichte, die er gleich erzählen würde, noch wunderbarer sei als die soeben erlebte. Der Kalif willigt ein. Und so erfahren wir

Die Geschichte der Wesire Nûr ed-Dîn und Schems ed-Dîn

Der Wesir des Kairoer Sultans stirbt, und so werden seine überaus schönen Söhne – der junge Nûr ed-Dîn und der ältere Schems ed-Dîn – zu gleichen Teilen Wesir. Kurz vor der Abreise des Sultans mit dem älteren beginnen die beiden einen hypothetischen Streit: Wenn, so die Hypothese des Älteren Schems, beide gleichzeitig heiraten sollten und gleichzeitig Kinder bekämen – nämlich Schems eine Tochter und Nûr einen Sohn – dann mögen sie heiraten. Aber wie hoch wäre die Morgengabe, fragt Nûr, die Schems von seinem Sohn in diesem Falle verlange.

Dreitausend Dinare und drei Gärten und drei Ackergüter.

Wer wäre nicht erbost über ein solches Ansinnen. Die beiden trennen sich im Streit, und während Schems mit dem Sultan reist, verlässt Nûr ed-Dîn Kairo mit den Satteltaschen voller Geld auf einer Maultierstute.

Sie war ein stahlgraues Tier, ihren Rücken sah man, einer hohen Kuppel vergleichbar, sich emporrecken; ihr Sattel war aus Gold, ihre Steigbügel waren aus Indien gebracht, auf ihr lag eine Schabracke von persischer Pracht, und sie glich einer Braut geschmückt für die Hochzeitsnacht.

Letzteres erweist sich bestimmt als sinnvoll, denn die Nächte der Steppe sind oft einsam und lang.
Innerhalb von sieben Tagen erreicht er Basra (1.000 km!) , wo ein Wesir auf die Stute aufmerksam wird, mit Nûr ed-Dîn ins Gespräch kommt, ihn zu seinem Nachfolger erklärt und ihn mit seiner Tochter vermählt.

19. Nacht

Der Kalif Harun er-Raschîd lässt die Geschichte in den Chroniken aufzeichnen. Und durch Verbrennen einer Haarlocke wird die Dämonin, die die Schwestern in Hündinnen verzauberte, herbeigerufen, und der Kalif befiehlt ihr, die Verzauberung rückgängig zu machen.

Eine zwischen politischer und religiöser Herrschaft oszillierende Figur wie den Kalifen finden wir in Europa eigentlich auch nur so lange, bis Heinrich den Gang nach Canossa antritt und beim Papst auf religiöse Herrschaft verzichtet. Die Ausdifferenzierung des politischen vom religiösen System beginnt in Europa zu jenem Zeitpunkt. Im muslimischen Gebiet etwa mit dem Ende des Kalifats, aber sie ist im Grunde bis heute nur teilweise vollzogen: So gelten angebliche Abkömmlinge Mohammeds oft als befähigt für Politik. Im krassesten Fall äußerte es sich in der Periode der Taliban-Herrschaft in Afghanistan, die einerseits als Terrorherrschaft beschrieben werden kann, aus systemtheoretischer Sicht aber auch als größtmögliche Entdifferenzierung sozialer Funktionssysteme: Politik, Wirtschaft, Recht, Religion, Erziehung, selbst Gesundheitssystem, Intimbeziehrungen und Kunst – alles wird als geschlossen und zusammenhängend betrachtet; es gibt kein Entrinnen. Die Personen geraten in einer funktional ausdifferenzierten Welt in ein Exklusionsloch, d.h. es wird ihnen unmöglich, überhaupt noch in einem Funktionssystem zu kommunizieren: Ob man ein Haus kaufen kann, ist keine wirtschaftliche, sondern eine politische. Ob man sein Kind in eine Schule schicken darf, ist eine religiöse Frage usw. Im krassesten Fall, wird man in den Exkusionslöchern auf den eigenen Körper zurückgeworfen: Kampf um kappe Güter wird zur Überlebensfrage, eine Frau zu sein, entscheidet darüber, ob ich das Gesundheitssystem beanspruchen darf, in Gerichtsverfahren wird rasch mit physisch drastischen Maßnahmen auf Abweichung reagiert usw.

Die Dämonin befreit nicht nur die Schwestern,

murmelte Worte, die ich nicht verstand.

(Wieso "ich"? Erzählerin ist doch hier Schehrezâd) sie enthüllt auch die Identität des schlagenden Ex-Gatten:

Dein Sohn el-Amîn, der Bruder von el-Ma’mûn. Er hatte von ihrer Schönheit und Anmut gehört, und er brauchte eine List gegen sie.

Der Kalif daraufhin:

Jetzt will ich, bei Allah, eine Tat tun, die man nach meinem Tode aufzeichnen wird.

Und tatsächlich: Er verknüpft die losen Enden der Geschichte. Allerdings dürfte sich die Freude einiger der davon Betroffenen in Grenzen halten:
Die drei Schwestern (d.h. zwei Ex-Hündinnen) werden mit den drei Bettelmönchen verheiratet. Will man mit einer Frau verheiratet sein, die versucht hat, ihre Schwester zu ertränken?

Das Mädchen mit den Narben gab er seinem Sohne el-Amin zurück.

Sie wird sich freuen, ihren Peiniger wieder umarmen zu dürfen.

Er selber jedoch nahm zur Gemahlin die Wirtschafterin und schlief in selbiger Nacht mit ihr. (…) Das Volk staunte ob der Großmut des Kalifen, seiner natürlichen Wohltätigkeit und seiner Weisheit; der Kalif aber wiederholte den Befehl, man solle alle diese Geschichten in seine Annalen eintragen.

(Da scheint ja jemand eine gewisse Panik vor der eigenen Unsterblichkeit gehabt zu haben.)
Ende. Fragt sich, was aus dem Lastträger geworden ist, nach dem  die Geschichte ja ihren Namen hat.

***

Dinazâd bittet um eine weitere Geschichte. Und Schehrezâd beginnt

Die Geschichte von den drei Äpfeln

Der Kalif Harûn er-Raschîd begibt sich mit seinem Wesir Dscha’far und mit seinem Schwertträger Masrûr in die Stadt Baghdad, um zu erfahren, was die Leute von den Amtsträgern halten. Als sie einen armen Fischer treffen, bietet der Kalif ihm an, das, was er beim nächsten Fang aus dem Meer zieht, für einhundert Goldstücke zu kaufen. Es ist eine Kiste. Leider nicht, wie man vermuten könnte, mit einem eingesperrten Dämon, sondern die zerstückelte Leiche einer jungen in einen Teppich eingewickelten Frau. Der Kalif daraufhin zu seinem Wesir:

"Du Hund von einem Wesir! (…) Wenn du uns den nicht bringst, der sie ermordet hat, damit ich sie an ihm rächen kann, so werde ich dich am Tore meines Palastes aufhängen, dich und vierzig deiner Vettern."

Gut, wenn man in einem solchen Falle über mehr als vierzig Vettern verfügt, damit man unter ihnen auswählen kann. Ich habe leider keinen einzigen.

Tatsächlich bereitet man am dritten Tage schon die Hinrichtung des Wesirs vor, doch da bekennt sich ein Jüngling dazu, die Frau umgebracht zu haben. Dann drängelt sich ein Alter dazwischen und meint, nicht der Jüngling, sondern er selbst sei es gewesen.
Sie werden vor den Kalifen gebracht, der sich darüber wundert, dass sie den Mord

ohne Bastonade gestehen.

Doch der Jüngling erklärt: Die Frau war seine Base und sein Weib. Als sie krank war, bat sie um Äpfel, die ihr Gatte extra aus Basra besorgt. Doch als er zurückkehrt, mag sie sie nicht mehr. Der Mann geht in den Garten und sieht einen schwarzen Sklaven vorbeigehen, der einen der Äpfel isst, und als Erklärung angibt, sie von seiner Geliebten bekommen zu haben. Der Jüngling flippt daraufhin aus und schneidet seiner Frau ohne zu zögern die Kehle durch und versenkt sie im Tigris. Kurz darauf stellt sich heraus, dass die Frau den Apfel ihrem Sohn gegeben hatte, der ihn sich vom Sklaven stehlen ließ. Der Alte ist der Vater der Frau und bestätigt die Geschichte. Der Kalif beschließt, weder den Alten noch den Jüngling hinrichten zu lassen, sondern den Sklaven.

Bei Allah!

Viel Spaß beim Sklavensuchen.

18. Nacht

Nach kurzem Zögern setzt der Jüngling die Reise mit der Dame fort. Doch auf hoher See werfen ihre Schwestern die beiden ins Meer. Der Prinz kann nicht schwimmen und

Allah nahm ihn auf unter den Glaubenszeugen

Die Dame hingegen kann sich auf eine Insel retten, wo sie eine Schlange beobachtet, die von einem Drachen attackiert wird. Sie erfasst Mitleid mit der Schlange und tötet den Drachen. Warum nicht umgekehrt? Sollte dahinter die biblische ewige Koalition Schlange-Frau stehen?) Die Dame schläft ein und erwacht davon, dass ein Mädchen (= Die Schlange) ihr die Füße massiert. Sie schämt sich zunächst.

Seltsame Scham: Für einige Frauen sind Füße mehr scham-besetzt als jeder andere Körperteil. X behielt sogar dann im Bett die Socken an, wenn sie ansonsten völlig nackt war. Einige Männer hingegen können es nicht ertragen, beim Rasieren beobachtet zu werden. Für mich ist das nicht intimer als etwa Händewaschen oder Kämmen, wobei ich mich das letzte Mal vielleicht vor sechs Jahren gekämmt habe. Ein seltsames Gefühl, als ich vor ein paar Monaten beim Friseur war und dieser – aus Höflichkeit, wie ich vermute – seinen Kamm über meinen Kopf zieht.

Zum Dank verwandelt die Schlange die Schwestern in Hündinnen mit der Auflage, dass die Dame ihre Schwestern täglich 300 Schläge erteilen möge, sonst wird sie auch in eine Hündin verwandelt. Schöner Dank.

***

Auch die zweite Dame muss dem Kalifen ihre Geschichte berichten, denn sie trägt Narben auf dem Rücken.

Die Geschichte der Pförtnerin

Die zweite Dame erbt von ihrem Vater und später von ihrem verstorbenen Mann ein großes Vermögen und wird auf diese Weise zu einer guten Partie. Eines Tages wird sie von einer Alten aufgesucht, die sie in einen Palast lockt, wo ein schöner Jüngling auf sie wartet, mit dem sie ruckzuck – der Kadi  wartet schon im Nebenzimmer – vermählt wird, denn

Sein Antlitz ist dem des Neumondes gleich;
Wie die Perle an strahlender Schönheit reich.

Nicht zum ersten Mal habe ich hier das Gefühl, dass sich der Übersetzer bei den Versen vertut. Von der Banalität der Reime abgesehen – ist das Antlitz des Neumondes nicht unsichtbar?
Sie schwört ihm bei der Hochzeit unabdingbare Treue, was, wie wir ahnen, eine storytechnische Bedeutung hat, sonst würde diese Selbstverständlichkeit ja wohl nicht erwähnt. Tatsächlich geht sie einen Monat später zum Basar, um Stoffe zu kaufen, und der Händler will sie ihr zum Preis von einem Kuss überlassen. Sie zögert, doch die schon erwähnte Alte, rät ihr zu.

Nun legte er unter dem Schleier seinen Mund an meine Wange; aber als er mich küsste, biss er mich so scharf, dass er mir ein Stück Fleisch aus der Wange riss. Wie erklärt man das dem Ehemann?

Als ich 1993 in London auf dem Zeltplatz Tent City arbeitete, versuchte mein ungarischer Freund Zsolt Lukacs seine Ex wiederzugewinnen, ließ sich jedoch an einem Abend dazu hinreißen, mit einer jungen Polin zu tändeln, die ihm einen ordentlichen zu rechtfertigenden Knutschfleck verpasste. Meinen Rat, einfach ein Pflaster drüberzukleben und auf Nachfrage zu behaupten, sich beim Rasieren geschnitten zu haben, lehnte er ab. Er bat mich stattdessen, zu seinem Komplizen zu werden: Er würde seiner Ex erzählen, ich habe ihn in einer wütenden Auseinandersetzung in den Hals gebissen, was bei meinem Temperament die so ziemlich unglaubwürdigste unter allen möglichen Ausreden war.

Die Erklärungen der Dame:

  • Bin von einem Brennholz-Kamel gebissen worden – Er will alle Brennholzhändler der Stadt töten lassen.

  • Bin von einem Esel gebissen worden – Er will die Eseltreiber töten lassen.

  • Ich bin geküsst worden – Er will sie töten lassen.

Sie "argumentieren" in Versen. Doch erst die Alte kann den Jüngling davon abbringen, die Dame zu töten. So belässt er es beim Auspeitschen mit Quittenzweigen. Als sie einen Monat später wieder nach Hause kehrt, findet sie ihr Haus in einen Schutthaufen verwandelt.

Wie das geschehen war, konnte ich nicht erfahren.

Und auch wir werden es nie erfahren, denn da endet die Geschichte der Pförtnerin.

***

17. Nacht

Die Geschichte der ältesten Dame

Die älteste Dame beginnt ihre Story mit der erstaunlichen Offenbarung

"Diese beiden schwarzen Hündinnen sind meine Schwestern."

Man beachte die Analogie zur Geschichte des zweiten Scheichs (2. Nacht). Auch ihre Schwestern zogen fort; allerdings waren es hier die Ehegatten, die die Dinare verprassten. Sie kehren verarmt zurück, werden von der Schwester gepflegt, und auch sie begehen diesen Fehler ein zweites Mal.
(Erstaunlich, dass Schehrezâd es wagt, schon nach zwei Wochen auf altes Storymaterial zurückzugreifen. Bei der Chaussee der Enthusiasten beträgt der zeitliche Anstandsabstand für die Widerholung alter Geschichten 12 Monate.)
Das Schiff gerät in Seenot,

da der Kapitän nicht auf den Weg geachtet hatte.

Man gelangt doch noch ans Festland – eine Stadt, die keiner kennt.

Und als ich zum Stadttor kam, sah ich dort Menschen mit Stöcken in den Händen. Wie ich aber näher hinzutrat, zeigte sich, dass sie durch Gottes Zorn zu Stein verwandelt waren. Auf den Basaren und im Palast – überall sind die Menschen zu Stein verwandelt. Eine dornröscheneske Starre.
Auf der Suche gerät die Dame in einen Raum, in dem Kerzen brennen, welche, so die Schlussfolgerung der Dame, ja jemand entzündet haben musste. Tatsächlich findet sie in einem Raum einen ins Gebet vertieften Knaben, der ihr alsbald seine Geschichte verrät: Sein Vater und seine Mutter (König und Königin) sowie

alles Volk dieser Stadt waren Magier, und sie beteten das Feuer an statt des Königs, dem alles untertan.

("Magier" steht hier nur für Perser, die den Lehren Zarathustras folgen. Also keine Zauberer, sondern Zoroastrier, die aber von den Moslems als Ungläubige verachtet wurden.)

Der Königssohn wird von einer Gouvernante heimlich im muslimischen Glauben aufgezogen. Allah verwandelt kurz nach dem Tod der Gouvernante alle Gottlosen zu Stein.
Unsere Dame tröstet ihn mit den merkwürdigen Worten:

"Wisse, dass die Dienerin, die vor dir steht, eine Herrin ihres Volkes ist und über Mannen, Eunuchen und Diener gebietet."

Davon, dass sie eine Herrin ihres Volkes ist, erfährt man hier zum ersten Mal. Oder genügt es, als Kaufmännin mit einem Schiff zu reisen, um als Herrin zu gelten?

Exkurs: Natürlich ist die korrekte weibliche Form von Kaufmann Kaufmännin. Dasselbe gilt für weitere Berufs- und Funktionsbezeichnungen, die mit "-mann" enden, wie auch in Seemann, Zimmermann, Hauptmann. Denn hier fungiert "mann" nicht geschlechtsbestimmend. Die Pluralform ist ja auch entsprechend: Kaufleute, Seeleute, Zimmmerleute und Hauptleute, und eben nicht Kaufmänner usw.

Die Dame überredet den Jungen, mit ihnen die Reise fortzusetzen.

16. Nacht

Kurz nachdem Adschîb den Prinzen mit des Zufalls und eines Messers Hilfe in Allahs Reich befördert hat, kommt prompt das Schiff wieder angesegelt, und der Alte beweint versreich seinen toten Sohn, den sie mit einem seidenen Leichentuch bedecken. (Haben sie es schon sicherheitshalber mitgebracht?) Das Schiff fährt wieder weg, und Adschîb lebt einen Monat auf der Insel. Danach trocknet die Westseite des Meeres aus, und er watet hindurch, bis er ans Festland kommt, wo er einen leuchtenden Palast sieht.

“Kaum hatte ich mich gesetzt, da traten zehn Jünglinge auf mich zu, in kostbare Gewänder gekleidet, und bei ihnen war ein uralter Greis; doch die zehn Jünglinge waren alle auf dem linken Auge blind.”

Blindheit als Leitmotiv bei der letzten Chaussee der Enthusiasten. Sieht man wirklich nur mit dem Herzen gut? Chirurgische Tests, bei denen man versuchte, die funktionsfähige Herzen von Hirntoten in die leeren Augenhöhlen Blinder einzusetzen, schlugen leider fehl.
Wie weit können wir eigentlich gehen mit unseren Scherzen über Behinderung, die wir uns herauszunehmen wagen, mit der Begründung, dass wir die höchste Behindertenquote unter den Berliner Lesebühnen haben. Scherze über Behinderungen gelten merkwürdigerweise als anstößig, während sich niemand daran reibt, wenn sie als literarisches Mittel des Schreckens eingesetzt wird.

Wir wissen ja schon, dass Adschîb am Ende das Schicksal dieser zehn Jünglinge teilen wird – fragt sich nur, wie es dann dazu kommt.
Sie bieten ihm Aufenthalt unter der Bedingung, dass er sie nicht über ihre Handlungen und ihre Gebräuche befragen soll (Wiederaufnahme des Motivs der Rahmenhandlung der Geschichte vom Lastträger und den drei Damen). Doch er kann nicht an sich halten, aber wer würde nicht nachhaken, wenn sich der Gastgeber plötzlich das Gesicht rußig färbt.

Sie sagen ihm, er möge sich von ihnen in ein Fell nähen lassen, das hernach vom Vogel Roch auf einen Berg getragen würde (Motiv bekannt aus dem russischen “Edelsteinberg”). Auf dem Berg stünde ein Palast, dort erführe er, warum sie einäugig seien und sich die Gesichter schwärzten.
Eine für 1001 Nächte seltsame Begründung:

Wollten wir dir jetzt unsere Geschichte erzählen, so würde es zu lange dauern.

Dabei lieben doch gerade die Protagonisten von 1001 Nacht nichts so sehr wie lange Geschichten. Es ist umso erstaunlicher, als das folgende Abenteuer von Adschîb länger als ein Jahr dauert, so lang hätte die Einäugigen wohl nicht gebraucht.
Adschîb tut, wie ihm geheißen, und er entdeckt vierzig Mädchen im Palast:

“Wir sind deine Dienerinnen und dir untertan; also befiehl uns nach Gutdünken!”

Machoherz, was willst du mehr!
Er verbringt die erste Nacht mit der Schönsten unter ihnen. Die zweite Nacht mit einer, die noch schöner ist, usw.

Ich sah auf ihrer Brust zwei Schreine, die waren versiegelt
Mit Moschus, auf dass der Verliebte sie nicht berührt und verletzt.
Sie behütet die beiden mit Pfeilen aus ihren Blicken;
Sie trifft mit ihrem Pfeile den, der sich ihr widersetzt.

Doch nach einem glücklich miteinander verbrachten Jahr (warum wird hier eigentlich nie jemand schwanger?) müssen die vierzig fort zu ihren Vätern, die Könige sind:

“Hüte dich, die vierzigste Tür zu öffnen, sonst musst du uns verlassen.”

Ob dieses Motiv universal ist? Vielleicht gibt es das schon so lange wie Türen? Schließlich: Wer kennt nicht die Versuchung zu stöbern, wenn man vom Nachbarn den Schlüssel zum Wellensittichfüttern bekommt! Fragt sich nur, warum sie ihm überhaupt den Schlüssel zum letzten Raum geben.

Dann flogen sie davon.

Hä? “Flogen”?

Jeden Tag probiert er ein Zimmer aus. Die ersten vier werden beschrieben:

  1. Blumen, Bächlein, Bäume, Rehlein, Quitten, Aprikosen

  2. Palmen, Bächlein, Rosen, Jasmin, Majoran, Eglantinen, Narzissen, Levkojen

  3. Sandel- und Aloeholz, Singvögel in Käfigen (Wer füttert die eigentlich?)

  4. Perlen, Saphire, Topase, Smaragde

Im vierzigsten Zimmer schließlich wird er vom Geruch betäubt und steigt auf ein schwarzes Pferd, dass mit ihm zum Himmel emporfliegt.

Nach einer Weile jedoch ließe es sich mit mir auf einer Dachterrasse nieder, warf mich vom Rücken, peitschte mich mit dem Schweif ins Gesicht und schlug mir das linke Auge aus, so dass es mir über die Wange rollte, und flog weg von mir.

Hallihallo – die Dachterrasse gehört zum Palast der zehn Jünglinge. Man könnte nun annehmen, jetzt wäre er einer von ihnen, aber sie jagen ihn davon, und er reist nach Baghdad.
Ende der Geschichte des dritten Bettelmönches
Für meinen Geschmack die aufregendste, aber hat er sich nicht auch am tollpatschigsten angestellt?
Die Dame schenkt sowohl ihm das Leben als auch dem Kalifen und seinen zwei Begleitern, nachdem sie ihre Lügengeschichte wiederholen. Alle dürfen gehen. Am nächsten Tag jedoch befiehlt der Kalif alle vor seinen Thron:

“Jetzt aber möchte ich euch zu wissen tun, dass ihr steht vor dem fünften der Nachkommen des Abbâs, vor Harûn er-Raschîd, dem Bruder des Kalifen Musâ er-Hâdi, dem Sohne des Muhammed el-Mahdi, des Sohnes des Abu Dscha’far el-Mansûr, des Sohnes Muhammeds, des Bruders von es-Saffâh ibn Muhammed.”

Gehen wir gnädig über den Umstand hinweg, dass der historische Kalif seinen Bruder – den erwähnten Kalifen Musâ er-Hâdi – umbringen ließ, um auf den Thron zu gelangen.
Die erste Dame tritt hervor und berichtet ihre Geschichte

***

15. Nacht

Allah dankend kraxelt unser dritter Bettelmönch in spe den Berg hinauf bis zur Kuppel, wo er die religiöse Waschung vollzieht, und sich niederlegt und schläft.

Auf Reisen in fremde Länder schickt es sich ja oft, nicht gleich zu fragen, sondern das Merkwürdige erst mal zu beobachten und zur Kenntnis zu nehmen. Und so nahm ich es 1996 eher mit neugieriger Verwunderung zur Kenntnis, als sich bei meiner Reise durch den Iran die einheimischen Männer auf den öffentlichen Toiletten nicht nur die Hände, sondern auch die besockten Füße wuschen. Natürlich wusste ich von der rituellen Waschung, konnte aber dieses Wissen nicht mit der aktuellen Beobachtung verknüpfen.

Im Traum hört er eine Stimme, die ihm komplizierte Anweisungen gibt, die sich so zusammenfassen lassen:

  1. Schieß den Bronzereiter auf der Kuppel mit einem von dir noch auszugrabenden Bogen ab!

  2. Setze dich in das Boot, mit dem gleich darauf ein weiterer Bronzetyp angerudert kommt, da das Meer steigt!

  3. Lass dich von diesem fortrudern und verschweige den Namen Allahs!

Das Gebot etwas nicht zu tun, wirkt natürlich mindestens so stark wie das Gebot, etwas zu tun. Beispiel: Schließen Sie die Augen und denken Sie nicht an einen grünen Gorilla. Wenn Sie sich auf diese Aufgabe konzentrieren, werden Sie selbstverständlich an den Gorilla denken. Vermeiden kann man das, einfach, indem man an etwas völlig anderes denkt, beispielsweise an die Funktionsweise eines Kohlekraftwerks. Ebenso unfruchtbar ist es, Kinder vor etwas zu trösten, vor dem sie Angst haben könnten (was die Angst verstärkt) oder sie negativ zu korrigieren: "Andreas, du Pottsau, lass die Tante in Ruh!" Besser: "Andreas, jetzt kannst du auch mal auf den Onkel hopsen!"
Was ich damit sagen will: In Märchen können wir darauf wetten, dass ein ausgesprochenes Verbot gebrochen wird. Welche narrative Funktion hätte es sonst? Vielleicht sollte mal jemand so ein Kindermärchen schreiben: in dem alle sich an die von den Erwachsenen ausgesprochenen Ge- und Verbote halten. Andererseits traue ich es Schehrezâd zu, dass sie auch noch so einen Joker für uns bereithält. Darüberhinaus scheint ja das (dreimalige!) Verbot, Allahs Namen zu rufen, auf eine teuflische Macht hinzudeuten.

Tatsächlich wird unser Prinz gerettet, wie man es ihm vorhergesagt hat. Aber leider funktionieren seine muslimischen Reflexe zu gut. Er dankt Allah bei seiner Errettung, und das Schiff geht unter. Mit letzter Kraft rettet er sich auf eine Insel. Als sich ein Schiff nähert, klettert er auf einen Baum.
Warum, so fragt man sich, bittet er nicht darum, mitgenommen zu werden.
Zehn schwarze Sklaven öffnen eine Platte im Erdboden und geleiten einen Jungen, Schönen und einen Alten hinein.

Der war zu dem geworden, was von ihm noch übrig war…

Man lässt den Jungen zurück, und als das Schiff fort ist, betritt der Prinz das Gewölbe und freundet sich mit dem Jungen an, dem geweissagt wurde, er würde 40 Tage, nachdem die kupferne Reiterstatue von einem gewissen Adschîb, Sohn des Chadîb herabgeschossen, von ebendiesem Adschîb getötet. Leider handelt es sich bei unserem Prinzen um Adschîb, der seine Identität zwar verschweigt und sich als Diener des Jungen anbietet, ihn aber genau am Stichtag (!) mit einem Melonenmesser aus Versehen umbringt.l

Unklares Entspannungsmittel: Rauchbad aus Weihrauch

14. Nacht

Die Prinzessin, die den Prinzen im Affen erkennt, beschwört den Dämon mit viel Getue und Material, u.a. mit einem Messer,

darauf hebräische Namen standen.

Dämon und Prinzessin bekämpfen einander

Dämon als Mädchen als
Löwe Haar als Schwert
Skorpion Schlange
Adler Geier
schwarzer Kater scheckiger Wolfshund
Granatapfelkerne Hahn
Fisch Fisch
Fackel Kohle

Sowohl Mädchen als auch Dämon geben am Ende die Löffel ab, doch kurz vorher kann das Mädchen den Affen noch zurückverwandeln, der jedoch durch die Feuersbrunst ein Auge eingebüßt hat, was im Vergleich zum König, der das halbe Gesicht, den Unterkiefer und seinen Eunuchen verlor, ja noch erträglich ist.

Voll Zorn vertreibt der König den Prinzen von seinem Hofe, da er ja nur durch diesen seine

"…Tochter verlor, die mir hundert Männer wert war."

Sinnend, weinend und Verse die Geduld betreffend rezitierend richtet er seine Schritte gen Baghdad, wo er den Beherrscher der Gläubigen zu treffen hofft.

***

Die Dame ist auch mit dieser Geschichte zufrieden, schenkt dem Bettelmönch das Leben und so erfahren wir

Die Geschichte des dritten Bettelmönches

Dieser ist eigentlich, wir konnten es inzwischen erraten, ein König und Sohn eines Königs, der mit einem Lustfahrtschiff eine Reise unternimmt, aber nach einem Sturm Schiffbruch erleidet und auf die Insel mit dem Magnetberg, der den Schiffen die Nägel aus dem Rumpf zieht, gelangt.

unklares Inventar: Hände wie Worfschaufeln

 

***

13. Nacht

Es kommt, wie’s kommen muss: Der Depp haut die Nische um, der Dämon erscheint und foltert die Prinzessin, woraufhin der Prinz nachvollziehbarerweise flieht, jedoch Axt und Schuh zurücklässt.

Altmodische Beschimpfung, die es wert wäre, wiederbelebt zu werden: “Du lügst, Buhldirne!”

Langsam gewöhnen wir uns ja daran, dass die Protagonisten, wenn ihnen schlimmes Leid widerfährt, zu dichten und/oder zu rezitieren beginnen, ähnlich wie im Musical, wo, wenn es ganz gefühlig wird, von irgendwo Musik erklingt und alle zu tanzen beginnen. Allerdings wirken die hier performten Verse angesichts des soeben erfahrenen Leids schon fast lakonisch:

Wenn das Geschick dir eines Tages Unheil bringt,
Bedenk, ein Tag bringt Freude dir, der andre Leid.

Kaum ist er wieder beim Schneider angelangt, da taucht auch schon ein persischer Greis auf, der Axt und Schuh bei sich hat, und siehe da – es ist der Dämon himself, der den Prinzen mit sich nimmt und in seinem Palast der Prinzessin gegenüberstellt. Dass das Paar sich nicht gegenseitig umbringen will, ist für den Dämon Beweis genug, dass die beiden ein Paar sind:

“Ich warf das Schwert aus der Hand und sagte: ,O du mächtiger Dämon, o du Recke und Heldensohn, wenn eine Frau, die wenig Verstand und Religion besitzt, es schon für unrecht hält, mir den Hals durchzuschlagen, wie sollte es da für mich recht sein, ihr den Hals durchzuschlagen, da ich sie doch nie in meinem Leben gesehen habe?” Und er traf sie so, dass ihr der Kopf davonflog.

Aktuell: Kopf davonfliegen.

Der Prinz bittet den Dämon um Gnade:

“Verzeih mir, wie der Beneidete dem Neider verzieh.” Er fragte: “Wie war denn das?” Da begann ich

Die Geschichte vom Neider und vom Beneideten

Zur Orientierung:
Schehrezâd
—> Die Geschichte des Lastträgers und der drei Damen
—-> Die Geschichte des zweiten Bettelmönches
—> Die Geschichte vom Neider und vom Beneideten

Zwei Nachbarn, der Erfolglose beneidet den Erfolgreichen.

Bei den Künstlern, mit denen ich zu tun habe, kann man vor allem zwei Arten von Neid beobachten: 1. Neid auf Erfolg, 2. Neid auf Talent. Und ich habe kaum jemanden kennengelernt, der völlig frei davon wäre. Der Neid auf Erfolg spielte z.B. bei den Lesebühnen solange keine Rolle, wie außergewöhnlicher Erfolg tatsächlich die Ausnahme war. Bis zum Jahr 2000 etwa hatten die Lesebühnen gleich viele Zuschauer, und es gab noch keine relevanten Buchveröffentlichungen. Erfolg wird vor allem dann beneidet, wenn er als ungerechtfertigt erscheint. Neid auf Talent quält auf andere Art: Während sich der Erfolglose immerhin noch mit der Illusion beschwichtigen kann, durch Fleiß und etwas Glück doch noch anschließen zu können, kann der Untalentierte sich mühen, aber er wird nie die künstlerische Achtung seiner Kollegen haben. (Ähnlich wohl auch der Neid um Schönheit.) Da kann Britney Spears noch so zappeln – kein bedeutender Künstler wird sie je als Vorbild nennen, im Gegensatz zu Velvet Underground, die während ihres Bestehens kaum Platten verkauft haben.
Aber wieviel Selbstbeherrschung, Selbstachtung und Gelassenheit kann man denn aufbringen, um aufkommenden Neid zu bekämpfen. Der erste Mord im Bibel-Mythos geschieht ja nicht aus Habsucht oder sexueller Eifersucht, sondern weil Kain seinem Bruder die Gunst Gottes neidet, wobei sich ja schließlich herausstellt, dass dieser ihn ja so unknorke auch nicht gefunden haben kann, denn er macht ja ein Zeichen an seine Stirn, dass niemand ihn töte, wer ihn fände, was andererseits auch etwas albern erscheint, da ja zu dem Zeitpunkt außer Adam und Eva niemand sonst da ist.

Der Beneidete zieht sich, als er den Neid des Neiders bemerkt, in ein Kloster zurück und wird dort zu einem angesehenen Weisen. Davon erfährt der Beneidete, der ihn besucht und heuchelnd um Rat bittet.

Der Beneidete nun nahm den Neider bei der Hand, und sie gingen hinein in das innerste des Klosters; aber der Neider sagte: “Sage deinen Fakiren, dass sie sich in ihre Zellen zurückziehen.”

Man beachte das Possessivpronomen: Seine Fakire!
Im Hof stößt der Neider den Beneideten in einen Brunnen. Ein typischer Märchenmordversuch (s.a. Grimms Goldmarie und Blaues Licht). Ich habe jedenfalls noch nie davon gehört, dass jemand erfolgreich in einem Brunnen ertränkt wurde, weder in der Realität noch im Märchen.
Und so landet auch hier der Beneidete weich und erfährt von guten Geistern, dass er am nächsten Tag vom König besucht würde, der Rat wegen seiner kranken Tochter suche. Diese könne man retten, so die Geister, indem man den sie bewohnenden Dämon durch Katzenhaarverbrennung austreibe.
Vielleicht ein etwas ungeschickt gewählter Schachzug, einen Dämon mit einer Geschichte, in der eine Dämonsaustreibung vorkommt überzeugen zu wollen (wir werden sehen).
Tatsächlich heilt der nunmehr Scheich Titulierte die Königstochter, bekommt diese zur Frau und setzt seinen Erfolgsweg fort: Wesir, dann selber König.

Verlorengegangene Bezeichnung für Schwiegersohn:Eidam

Als König überreicht er dem Neider 20.000 Goldstücke und lässt ihn ziehen.

***

Zurück zur Geschichte des zweiten Bettelmönches. Der Dämon lässt sich nur halb erweichen – er verwandelt den Prinzen in einen Affen, der durch eine Wüste zieht, an ein Meer kommt, ein Schiff besteigt und sich dort zum Günstling des Kapitäns hocharbeitet. Als sie an den Hof eines Königs kommen, erweisen sich die kalligraphischen Fähigkeiten (s. 12. Nacht) als Rettung. Er schreibt Verse in Kursivschrift, in Schlankschrift, in Steilschrift, in runder Monumentalschrift, in großer Dokumentenschrift und in großer Zierschrift, wodurch er sich die Gunst des Königs erwirbt und mit ihm an einer Tafel essen darf, wobei die Speisen von einem Eunuchen und einem weißen Sklaven aufgetragen werden.
Sowohl die Funktion des Eunuchen, als auch ein weißer Sklave werden hier erstmals erwähnt. Unklar, ob ein weißer Sklave mehr wert ist als ein schwarzer.
Wie schon in der Geschichte vom Kaufmann und dem Dämon (2. Nacht) ist es die Prinzessin, die den Verzauberten im Tier erkennt, denn sie ist selber eine Zauberin.

***

12. Nacht

Der Oheim des jetzt als einäugiger Bettelmönch umherziehenden Prinzen schlägt die verkohlte Leiche seines Sohnes obendrein mit dem Schuh. Seine widersprüchlichen Reaktionen erklären sich dadurch, dass er ihn einerseits liebte, andererseits wusste er, dass sein Sohn in körperlicher Liebe zu seiner Schwester entbrannt war. Er hatte ihn noch gewarnt:

"Hüte dich vor so sündhaften Taten, die vor dir noch keiner beging und keiner nach dir begehen wird; sonst wird dein Name unter den Fürsten mit Schmach und Schande bedeckt sein bis ans Ende der Zeiten, und die Kunde von uns wird durch die Karawanen überall ruchbar werden."

Wie mag es sich in Zeiten gelebt haben, als Karawanen mit ihren trottenden Kamelen das flotteste Verbreitungsmedium waren!

Offenbar hatten der Prinz und seine Schwester in der Höhle Zuflucht gesucht und waren darin umgekommen. Der König nimmt nun den Vetter an Sohnes statt, doch als sie wieder nach oben kommen, hat der bösartige, augenauspieksende Wesir auch die Herrschaft über diesen Ort erlangt. Der Oheim wird getötet, und der Prinz kann sich nur retten, indem er sich den Bart schert. Er flieht nach Baghdad, um dort Schutz beim Herrscher der Gläubigen, Harûn er-Raschid zu finden, wo er aber zunächst nur die anderen beiden traf.
Die Dame ist zufrieden mit der Geschichte, und es beginnt

Die Geschichte des zweiten Bettelmönches

Dieser war ebenfalls Sohn eines Königs und kundig in:

  • Lesen des Korans in nach Traditionen

  • Vortragen gelehrter Bücher

  • Sternenkunde

  • Dichtung

  • Kalligraphie

Als er an den Hof des indischen Königs geladen wird, schifft er sich mitsamt Pferden ein, belädt Kamele auf dem Festland und wird in der Wüste von Beduinen überfallen, die die Karawane ausrauben. Der Prinz aber kann fliehen. In einer Stadt, deren König der Erzfeind seines Vaters ist, verdingt er sich bei einem Schneider als Holzhacker, denn seine Künste bringen ihm hier nichts ein:

"In unserer Stadt ist niemand, der etwas weiß von den Wissenschaften oder auch nur vom Schreiben, außer dem Geldverdienen."

Dazu Luhmann: "Bis in die Neuzeit wird Schrift primär als Gedächtnisstütze und als Transportmittel aufgefasst, und es gibt folglich keinen Begriff von Kommunikation der mündliche (Rede) und schriftliche Ausführung übergreift." (Gesellschaft der Gesellschaft, Kap. 4 / XIII)

Im Wald findet er eines Tages eine Luke, die, als er sie anhebt, ihn in eine Höhle führt.

Reimprosa: "Darinnen fand ich eine Maid, gleich einer kostbaren Perle; die erlöste mir das Herz von Kummer, Gram und Leid; ihre Stimme heile alles Bangen und nahm den Klugen und Weisen gefangen; ihr Wuchs war von zierlicher Art; fest standen die Brüste gepaart, ihre Wangen waren zart, von Farben glänzend rein und Haut so wunderbar fein; ihr Antlitz erstrahlte durch der Locken Nacht, und über den herrlichen Schulter glitzerte ihrer Zähne Pracht."

Sie wurde vor 25 Jahren vor ihrer Hochzeitsnacht von einem Dämon, der der Vetter des Satan persönlich ist, hierher verschleppt. Man fragt sich natürlich, a) wie sie ihre Schönheit in einer Höhle erhalten konnte und b) wie alt den die "Maid" heute ist, wenn sie 25 Jahre gefangen ist plus im heiratsfähigen Alter war. Selbst wenn man ein Heiratsalter von zwölf Jahren ansetzt und auch noch das arabische Mondjahr in Betracht zieht, müsste sie doch wenigstens 34 sein.

Nichtsdestotrotz baden sie miteinander, kneten einander die Füße – eine auch zu damaligen Zeiten heikle Angelegenheit, den wir können davon ausgehen, dass der Dämon nicht weniger sensibel auf solche Vorgänge reagiert als beispielsweise Marsellus Wallace.

Wein, dessen Konsum anscheinend häufiger das Nahen einer Katastrophe andeutet, macht unseren Bettelmönch in spe betrunken und er zertritt die Nische, deren Berührung schon den Dämon herbeiruft.

11. Nacht

Man gestattet den Gefangenen, ihre Geschichte zu erzählen, um sich auf diese Weise freizukaufen. (Zweite Wiederholung des Schehrezâd-Motivs Geschichte gegen Leben).
Der Kalif will seinen Wesir vorschicken, nun zu sagen, wer sie seien, doch der Wesir spielt den Eigeschnappten.
Der Lastenträger berichtet in zwei Sätzen, was sowohl wir als auch natürlich die Damen wissen.

"Das ist meine Geschichte, und damit basta!" Da lachte die Dame und sprach zu ihm: "Heb deine Hand zur Stirn und geh fort."

Hand zur Stirne heben? Ein Abschiedsgruß vielleicht?

Eine Geste, die mich im Iran zunächst verunsicherte: Den Kopf in den Nacken werfen und dabei leicht schnalzen. Ich interpretierte das erst als arrogantes "Wie bitte?" und wiederholte meine Frage an den Taxifahrer: "Fahren Sie zum Bahnhof?" bis ich erfuhr, dass die Geste schlicht "Nein" bedeutet.

Doch der Lastenträger bleibt, um die Geschichten der anderen zu erfahren.

Die Geschichte des ersten Bettelmönches

Der erste Bettelmönch ist der Sohn eines Königs. Als er seinen Vetter besucht, betrinken sie sich und der Vetter lässt sich mit einer Dame vom Königssohn in eine Gruft einbuddeln. Am nächsten Morgen hält er alles für einen Traum, ist aber beunruhigt über das Verschwinden seines Vetters. Bei der Rückkehr in seine Heimatstadt wird er verhaftet. Es stellt sich heraus, dass der Wesir geputscht hat und sich nun am Sohn rächen will, der ihm als Knabe auf der Vogeljagd mit der Armbrust ein Auge ausschoss.

"Wenn du es aus Versehen getan hast, so will ich es mit Absicht tun." (…) und er stieß mir den Finger ins linke Auge und drückte es aus.

Man sollte sich genau überlegen, ob man seine Söhne auf Vogeljagd schickt, wenn die Gegenwart von Ministern nicht zu vermeiden ist.

Der Schwertträger, der ihn hinrichten soll, läst ihn, ähnlich wie der Jäger in "Schneewittchen" laufen, nur dass er dem Wesir keine gebratenen Innereien als Beleg servieren muss.
Der Königssohn flieht in die Stadt des Oheims, der über den Verlust seines Sohnes trauert, und offenbart ihm die Geschichte. Sie gehen zum Totenacker und öffnen die Grabkammer, wo sie in einem Saal voller Getreide einen Thronhimmel finden, auf dessen Lager die verkohlten Leichen des Vetters und seiner Dame liegen.
Bemerkenswerte Reaktion des Vaters, der ja eben noch um den verlorenen Sohn trauerte:

spie er seinem Sohn ins Gesicht und rief: "Das verdienst du, du Ekel!"

Ich hoffe, dass der Kummer, den ich meinen Eltern von Zeit zu Zeit bereite, nicht so weit geht, dass sie sich eines Tages zu solchen Ausbrüchen hinreißen lasse.

10. Nacht

Die 10. Nacht

Das Geschlechtsteil des Trägers heißt also weder zubb noch air und auch nicht chazûk. Doch der Träger verrät es den Damen nach einigem Kosen, Necken und Schlagen*.

"Dies ist das Maultier, das die Krauseminze des Kühnen als Weide winkt, das den enthülsten Sesam als Nahrung verschlingt und in der Herberge des Abu Mansûr die Nacht verbringt."

Am nächsten Morgen soll er zunächst gehen:

"Zieh ab und zeige uns die Breite deiner Schultern."

Eine derb-freundliche Art, einem Mann zu sagen, dass man ihn lieber von hinten sehen will. Doch der Träger überredet sie bleiben zu dürfen und so verbringt er weitere nette Stunden mit ihnen, bis es an der Tür klopft: drei einäugige, persische Bettelmönche,

deren Bärte und Schnurrbärte abrasiert sind,

begehren Einlass, da sie von der Nacht überrascht worden seien. Er wird ihnen gewährt, ebenfalls mit der Warnung:

"Wer da redet von dem, was ihn nichts angeht, wird hören, was ihm nicht angenehm ist."

Nun trinken und tändeln sie zu siebt. Ein dramaturgisch eigenwilliger Moment, eine Figur einzuführen, die uns wohl noch oft in den 1001 Nächten begegnen wird: Kalif Harûn er-Raschid**, der (wie immer verkleidet) gemeinsam mit seinem Wesir Dscha’far und Marûr, dem Träger des Schwertes seiner Rache, des Nachts prüft, ob seine Untertanen in Baghdad auch brav sind. Er klopft – gegen den Rat des Wesirs (schließlich wird dort Wein getrunken) – an die Pforte, ihm wird geöffnet und er begehrt Einlass, der ihm unter derselben Bedingung gewährt wird.
Nun geschieht etwas Merkwürdiges: Zwei schwarze Kettenhunde werden herausgelassen. Die Wirtschafterin peitscht sie aus, nur um gleich anschließend in Tränen auszubrechen, und die Biester zu streicheln und zu trösten. Die älteste Dame singt ein Klagelied. Und die Pförtnerin fällt ständig in Ohnmacht, indem sie sich die Kleider zerreißt und somit Geißelnarben auf ihrem Rücken sichtbar werden.
Wie standhaft wäre man da, nicht doch nachzuhaken? Den Kalifen jedenfalls übermannt die Neugier. Er lässt den Lastenträger fragen, woraufhin die Damen erzürnen:

"Kommt schnell herbei!" Und siehe, eine Kammertür tat sich auf, und heraus traten sieben Negersklaven mit gezücktem Schwert in der Hand; und sie sagte zu ihnen: "Fesselt diese Schwätzer und bindet sie Rücken an Rücken!"

Die Sklaven können es kaum erwarten, ihren Opfern die Köpfe abzuschlagen, doch die Dame gibt ihnen noch eine Stunde Zeit.

* Wie weit diese Schläge gehen, wird nicht gesagt, aber man kann getrost davon ausgehen, dass hier eine sanfte S/M-Variante angedeutet wird.

** In Wirklichkeit war Harûn er-Raschid überhaupt nicht am Schicksal seiner Untertanen interessiert, sondern hockte die ganze Zeit – abgeschirmt durch Wesire und Berater in seinem Palast. Seine politischen Fähigkeiten hielten sich – im Gegensatz zu seiner Eitelkeit – in Grenzen. Er förderte aber die Kunst, vor allem aber die Literatur. Die Autoren dankten es ihm, indem sie ihn in ihren Geschichten zu einem großartigen, weisen Herrscher zurechtfabulierten.

9. Nacht

Ein wenig umständlich und vorhersagbar trudelt die Geschichte aus: Der König tötet die Hexe mit dem Schwert und reist mit dem vormals versteinerten Prinzen und einem Begleittrupp von fünfzig Mamluken zurück in sein Land, das sich nun, nachdem der Spuk vorbei ist, eine Jahresreise entfernt vom Orte des Geschehens befindet. Der Fischer wird mit einer Palette Ehrenkleider belohnt, und damit die Geschichte auch sexualpolitisch aufgeht, stellt sich nun heraus, dass er zwei Töchter hat, die mit den Königen vermählt werden können. Sein Sohn wird Schatzmeister, was, so vermute ich, auch der Grund dafür ist, dass

Der Fischer aber der reichste Mann seiner Zeit wurde.

Die Position des reichsten Mannes unserer Zeit machen sich ja nun seit einigen Jahren abwechselnd die Gründer von Microsoft und IKEA gegenseitig streitig. Beiden Firmen stehe ich doch etwas ambivalent gegenüber. An IKEA kommt man kaum vorbei, wenn man für ein halbwegs ansehnliches Bücherregal kein Vermögen ausgeben will und Gott einen nicht mit Handwerkerfingern gesegnet hat. Und so werde ich wohl am kommenden Sabbat wohl wieder zur Reichtumsvermehrung jenes Herren beitragen. Ich weiß allerdings schon jetzt, dass ich mir das Angeduze nicht gefallen lassen werde. In den Katalogtexten scheinen die Texter ja schon einen internen Wettbewerb auszutragen: Wer bringt die meisten deklinierten Formen von "Du" unter.
Die Produkte von Microsoft waren mir eigentlich schon immer etwas sympathischer als die des Konkurrenten mit dem angebissenen Obst, die einem immer ein wenig schnickischnacki vorkommen. Nur die Hardware ist so unrobust. Während ich dese Zeilen tippe, flackert mein weißseinsollender Bildschirmhintergrund hellblau-orange.
In Deutschland sind die reichsten Leute diejenigen, die einem am erfolgreichsten ihren Billigscheiß aufschwatzen: Die Aldi-Brüder und Schlecker. Liegt das an diesen Cleverles oder an den auf Ramschkauf bedachten Deutschen?
Die Geschichte vom Fischer und dem Dämon ist nicht wunderbarer als

Die Geschichte des Lastträgers und der drei Damen

Ein unverheirateter Lastträger in Baghdad wird von einer wunderschönen Dame gebeten, einen Korb für sie zu tragen. Bei einem Christen kauft sie eine grüne Flasche. (Wir können uns schon denken, was die Christen den Moslems so in Flaschen verkaufen.) Aber dies ist erst der Anfang. Es geht weiter zu verschiedenen Händlern. Ich nenne hier jeden fünften Artikel:

  • Wasserlilien aus Syrien

  • Tamarinden

  • weiße Heckenrosen

  • in ein Bananenblatt gewickeltes Fleisch

  • Törtchen mit Moschus zubereitet

  • Kämme der Zainab, aus Zuckerguss zubereitet

  • Weidenblütenwasser

  • alexandrinische Kerzen

Es stellt sich heraus, dass die Dame mit ihren beiden Schwestern wohnt. Alle drei gar anmutig. Die zweite z.B.:

Es war eine Dame von stattlichem Wuchs, etwa fünf Fuß hoch, mit schwellendem Busen, von Schönheit und Anmut, vollkommenem Liebreiz und ebenmäßiger Gestalt. Ihre Stirn war blütenweiß, ihre Wangen helrot wie die Anemone, ihre Augen wie die einer wilden Färse oder der Gazelle, und ihre Brauen wie der Neumond des gesegneten Fastenmonats; ihr Mund war wie der Ring Salomos, ihre Lippen korallenrot und ihre Zähne wie eine Schnur von Perlen oder wie Blätter der Chrysanthemumblüte. Ihr Hals glich der einer Antilope, ihr Busen einem Marmorbecken, und ihre Brüste glichen zwei Granatäpfeln; ihr Leib war weich wie Samt, und die Höhle ihre Nabels hätte eine Unze Benzoesalbe gefasst.

Erstaunlich, dass die Tiefe des Nabels als erwähnenswertes Schönheitsmerkmal gilt.
Aber nicht nur die Damen, auch das Haus der Schwestern ist von großer Schönheit. Man beachte nur das

Lager aus Wacholderholz, mit Edelsteinen besetzt, über dem ein Baldachin schwebte aus rotem Atlas, der mit Perlen aufgesteckt war, so groß wie Haselnüsse und größer noch.

Ich vermute, nach sowas werde ich bei IKEA lange suchen können. Und wenn es das gäbe, würde mich sein IKEA-Name Wachöldö abschrecken.
Nachdem er abgeladen hat, belohnen die Schwestern ihn mit zwei Dinar, und schicken ihn heim, aber zu Recht giert er nach mehr:

"Ihr wisst doch, dass der Turm der Moschee nur auf vier Grundmauern stehen kann; aber euch fehlt der vierte!"

Gut gesprochen, sie laden ihn ein, an ihren Lustbarkeiten teilzunehmen, unter der Bedingung, Schweigen darüber zu wahren.

Nach 8 Tagen 1001-Nacht-Schulung vermutet man hinter diesen Damen sicherlich Dämonen oder Metzen, noch aber zeigt sich nichts dergleichen: Die vier betrinken sich, wie es sich eigentlich nicht gehört, und vor lauter Begeisterung improvisiert der Lastenträger die folgenden Zeilen:

Der Becher wird nur getrunken mit dem vertrauten Freund,
Dem Manne von edler Abkunft und altem Geschlechte vereint.
Der Wein ist wie der Wind: wenn er über Düfte weht,
So duftet er; doch er stinkt, wenn er über Leichen geht.

Die letzte Zeile würde mich ja eher abtörnen, aber die vier gehen nun zur Sache: Sie tändeln, küssen, beißen, streicheln

und er war bei ihnen in höchster Wonne, wie wenn er im Paradiese bei den schwarzäugigen Jungfrauen säße.

Die drei Damen steigen ins Bassin und er soll die Namen ihrer Geschlechtsteile raten. Falsch liegt er mit

rahim, fardsch, kuss, zumbûr, mudûl

Richtig dagegen:

  1. Krauseminze des Kühnen,

  2. Der enthülste Sesam,

  3. Die Herberge des Abu Mansûr.

Als sie hingegen den Namen seines Gliedes erraten sollen,

bemerkte Schehrezâd, dass der Morgen begann, und sie hielt in ihrer verstatteten Rede an.