Übertrainiert

Die Gruppe X wurde innerhalb weniger Monate aus dem Boden gestampft, gecastet und trainiert. Ein Show-Format wurde ihr von den Regisseuren geliefert. Und selbst bei den Shows waren immer ein, zwei Regisseure anwesend.
Der Eindruck, den diese Gruppe auf der Bühne machte, war anders als der anderer Impro-Novizen. Sie wirkten irgendwie übertrainiert. Vorsichtig, als müssten sie an tausend Dinge gleichzeitig denken, die man ihnen eingebleut hatte, statt frei zu spielen.
Die uninteressanten Storys, das teilweise Blockieren, Streiten usw. hätte man gern verziehen, wenn die Gruppe wenigstens etwas Wildheit und Spiellaune versprüht hätte.

Ernst und Spiel

Tim Brown unterscheidet zwischen
a) dem spielerischen Erkunden, dessen Ziel schiere Quantität ist und das nach Divergenz strebt (in unserem Vokabular wäre dies die freie Assoziation) und
b) dem Zusammenbringen (Wiedereinführen, Incorporation).
Er meint, das Erkunden sei eher spielerisch, das Zusammenführen ernst.
Ich denke aber, dass wir auch beim Wiedereinführen das Spielerische nicht verlieren dürfen. Auch der Sinn fürs Formale (und dabei geht es ja beim Zusammenführen) darf nicht steif sein, zumindest nicht in der Kunst.

Ironie

Nimm das Spiel nicht ironisch. Ironie ist nur eine Form, sich über das Spiel zu erheben. Distanzierst du dich vom Spiel, bist du auch nicht dabei.
(Was nicht heißt, man dürfe keine ironischen Figuren spielen oder ironisch mit bestimmten Themen umgehen.)

Fluss nach Csikszentmihály

Csikszentmihály kennzeichnet “Flow” folgendermaßen:
Klare Ziele
Fokus – ein hoher Grad von Konzentration auf ein begrenztes Feld der Aufmerksamkeit
Verschwindende Selbstkontrolle und die Verschmelzung von Handeln und Achtsamkeit
Verändertes Zeitgefühl, sowie direktes und unmittelbares Feedback, so dass Erfolg und Fehler irrelevant werden, da sie sofort eingearbeitet werden und das Handeln angepasst wird
Gleichgewicht von Fähigkeitsniveau und Herausforderung, d.h. die Aktivität ist weder zu leicht nocht zu schwer
Die Aktivität ist belohnt aus sich selbst
– Ein Gefühl von permanenter Kontrolle über die Situation
(zit. nach Zimbardo/Boyd: “The Time Paradox”)
Beim ersten und beim letzten Punkt bin ich skeptisch (möglicherweise hab ich ihn auch nicht richtig verstanden): Im Zustand des Flow gebe ich ja zu einem großen Teil die Kontrolle über die Situation ab, d.h. ich mache mich zum Instrument der Situation, was vor allem in der Partner-Improvisation deutlich wird: Ich gehe auf die Angebote der Mitspieler ein, ohne sie steuern zu wollen, was uns an Ziele führen kann, die wir im Moment des Handelns gar nicht kennen. Es geht also eher um ein Aufgeben von Kontrolle.

meta-spiel

Das Team sollte sich schnell über das Meta-Spiel klar werden: Versuchen wir, eine Story zu erzählen oder bleiben wir auf einer völlig clownesken Ebene? Bei Monty Python wird man selten auf eine wirkliche Story hoffen, es geht da eher darum, immer dann draufzuschlagen, wenn man sich als Zuschauer sicher wähnt und glaubt, einen Faden gefunden zu haben. Es ist das eher närrische Spiel, das sich aus völlig freier Assoziation ergibt.
Wollen wir hingegen eine Story erzählen, dann brauchen wir die Wiedereinführung von Elementen, d.h. Symbole, Handlungsstränge und Bedeutungen, die vorher ausgelegt wurden. Das Akzeptieren und Wiederaufgreifen des einmal Etablierten wird zum entscheidenden Knackpunkt.

Rumspinnen

Was mir manchmal fehlt, bei allem Proben, Auftreten usw., ist ein freies Rumspinnen, ein ungezieltes Ausprobieren von momentanen Ideen. Freilich ist es nicht so einfach, diese Freiheit zu erreichen, da man natürlich auch hier die Kraft einer formalen Grenze braucht, einen Fokus.
Schön und brauchbar empfand ich die Vorgabe beim Jammen mit Stephen Nachmanovitch: Wir stellen uns vor, am Rand der 360° gedachten Bühne sitzen Blinde und Gehörlose. Wir spielen eine 10minütige Performance, die für alle Zuschauer und Zuhörer interessant ist.

fehlender Spieltrieb

Wie ich bereits mehrmals schrieb, fiel es mir (und offenbar auch anderen Lehrern) immer leicht, Elemente des Improtheaters zu lehren, die ich mir selber bewusst aneignen musste: Schauspieltechniken, Erzähltechniken, radikales Akzeptieren usw.
Schwieriger zu vermitteln hingegen erschienen mir Dinge, die für mich nie ein Thema waren, hier vor allem der Spieltrieb.
Anfängerkurse beginnen in der Regel mit einer Botschaft der Hemmungslosigkeit: Alles ist OK, spiel einfach, au ja! Fast jeder springt darauf recht schnell an, und doch gibt es Schüler, denen das Spielerische so abgeht, dass sie stets den Sinn einer Übung oder eines Spiels hinterfragen, sich in “Kann-ich-nicht” oder “Will-ich-nicht” zurückziehen.
Oft ließ mich das sprachlos zurück. Ich fühlte mich an die alte Sanostol-Fernseh-Werbung erinnert, in der eine Gruppe Kinder fröhlich schreiend durch nasses Herbstlaub um die Ecke rennt. Hinterher trottet das eine lustlose sanostolbedürftige Kind.
Die Spielfreude immer wieder zurückzuerobern – darum geht’s. Und dafür brauchen wir immer wieder neue Übungen.

Inseln des Könnens

Wie gehen wir mit Szenen, Spielen, Fähigkeiten um, die uns nicht liegen, die wir scheinbar nicht beherrschen? Man suche sich Inseln des Könnens. Angenommen ich glaube, nicht singen zu können, so kann ich wenigstens den Takt klatschen. Angenommen, ich kann kein sinnvolles Gedicht improvisieren, so kann ich wenigstens lautmalerisch Reimen. Das Spiel mit Form ist uns gegeben. Wir können uns von diesen kleinen Inseln des Könnens aus bewegen, Brücken bauen in andere Gebiete der Kreativität. Es kommt darauf an, mit der improvisierend-spielerischen Haltung ans Werk zu gehen, mit dem zu spielen, was uns gefällt, was uns seltsam erscheint, und sogar mit dem, was wir völlig bekloppt finden. Indem wir es nämlich in die Hand nehmen und es formen, wird es zu unserem Werk.

Schwierigkeiten, das Einfache zu lehren

Lässt sich wirklich das am besten lehren, was man selbst bewusst erlernt hat. Jahrelang glaubte ich, die wichtigste, wenn nicht gar die einzige Regel des Improtheater sei Akzeptieren. Das stimmt sicherlich für viele. Aber es gibt einige Anfänger, die sowieso alles akzeptieren, denen aber der Wille fehlt, die Bühne zu betreten, oder solche, denen der Sinn fürs Spiel abgeht. Beides hat mir nie auch nur annähernd gefehlt.
Tatsächlich funktionieren ja gerade deshalb viele Impro-Übungen: Weil sie als Spiel angelegt sind. Was aber, wenn jemand, genau diesen kindlichen Sinn, sich überhaupt auf ein Spiel einzulassen, verlernt hat? Man schreitet voran und der Schüler “erledigt” brav und aufmerksam seine Aufgaben, aber er kommt nie ins Spiel. Die Spiel- und Übungsphantasie des Lehrers wird immer wieder herausgefordert. Kein Schüler ist wie der andere. Oder wie Luhmann sagen würde: Schüler sind keine Trivialmaschinen, die man mit etwas füttert, woraufhin das gewünschte Ergebnis herauskommt.

Mentale Gesundheit oder Wo steckt das Genie?

Die Bestseller-Autorin Elisabeth Gilbert über die Angst vor “dem Buch nach dem Erfolg”. Wir Künstler machen uns krank, wenn wir das Genie in uns selbst suchen statt die Muse außerhalb von uns zu sehen. Denn wir werden mit der Last der Erwartung nicht mehr fertig.
Auch die Tom-Waits-Anekdote ist schön, selbst wenn Tom Waits sie sich ausgedacht hat, um eine Tom-Waits-Geschichte zu erzählen.

Ob sie Stephen Nachmanovitchs Buch gelesen hat?… Weiterlesen

Gegenbewegung im Status

Klippe des Tiefstatus: Durch die tendenzielle körperliche Enge besteht die Gefahr, sich geistig zu verschließen. Wichtig ist deshalb die innere Gegenbewegung, das heißt wir sollten uns im Tiefstatus innerlich öffnen, um den kreativen Fluss nicht abreißen zu lassen.
Klippe des Hochstatus: Die dominante körperliche Haltung birgt die Gefahr, die Szene unbewusst kontrolleren zu wollen. Wichtig ist, den Kontakt zum anderen nicht abreißen lassen, offen zu sein, für dessen Angebote.
Status immer als Spiel empfinden, nicht als Essenz des Spielers, von der er nicht lassen kann.

Unangenehm, aus Gewohnheiten auszubrechen

Ich bitte die Schüler, die Arme zu verschränken und es dann andersherum zu tun. Von den meisten wird das als verstörend empfunden. Wir richten es uns in unseren Gewohnheiten ein und empfinden es als Zumutung, unser Verhalten zu verändern. Nichts anderes bleibt uns aber übrig, wenn wir lernen wollen, wenn wir Freiheit erleben wollen.
Wir trainieren Bühnenpräsenz. Einen der Schüler bestätige ich in seinen zwei Marotten und bitte ihn, er möge damit spielen, während er einen Monolog hält. Dieser Monolog und der, den er danach hält gehören zu den besten des Workshops.

“Fehler” in einer sehr guten Show

Sehr gute, geradezu exquisite Impro-Show am Freitag im RAW.
Die Spieler von Foxy Freestyle überbieten sich geradezu mit ihrer Spielfreude, ihren Figuren, ihrer Einsatzfreude. Alles wird positiv verwendet. Selbst als der Computer, mit dessen Hilfe wir Bühnenbilder projizieren, abstürzt, verwenden wir das konstruktiv.
Beim genaueren Hinsehen könnte man tatsächlich ein paar kleine, aber ziemlich haarsträubende Storytelling-Lücken entdecken. Verrückt aber, dass das im Grunde nicht mehr zählt, ob es aufgeht. Man nimmt als Zuschauer eigentlich viele Ungereimtheiten inkauf, wenn sie überzeugend vorgebracht werden. Das Konstrukt des Storytelling wird in der Analyse und in der Vorbereitung immer wieder überschätzt.

Stephen Nachmanovitch – Gregory Bateson

Stephen Nachmanovitch, Autor des von mir so geliebten Buchs “Das Tao der Kreativität”, das ich die Ehre hatte zu übersetzen, schrieb 1981 einen eindrucksvollen Artikel über seine Beziehung zu seinem geistigen und wissenschaftlichen Mentor Gregory Bateson. Die deutsche Version von “Gregory Bateson. Ein Porträt des englischen Anthropologen, Denkers, Sehers” kann man jetzt hier nachlesen: Nachmanovitch-GregoryBateson-German.pdf

Prunk und Beschränkung

Fast zur Obsession ist es bei Max Goldt geworden, die scheinbare Selbstverständlichkeit, Kunst lebe durch Beschränkung, durch Weglassen, infragezustellen: Kunst lebe durch Prunk. Ein schöner Gedanke. Allerdings hat auch jeder Prunk seine Beschränkung. Auch Goldts Prunk, sei es in den Katz-Cartoons, sei es in seinen Aufsätzen. Schon der Erzählton ist Beschränkung. Sie sollte aber für den Künstler natürlich zum blinden Fleck werden, damit er umso freier den Prunk erstrahlen lassen kann.

Germans and rules

“So when you are working with games or heavily structured improvisation, the Europeans are really quick to pick up on that and to really be able to do it within the structure. When you get into sort of looser forms like the Harold or things. like that, at least unstructured Harold, it is a lot harder to get them to cut loose to sort of be free form. It is very difficult sometimes. But there is a desire on the Europeans’ part, particularly the Germans, who tend to sort of be about rules, to really adopt that. I think that is one of the things that really appeals to them about improvisation and long program improvisation in particular the desire to be free, free of these rules and still be able to tell a story, whereas in America or in the United States in particular, it is the opposite.”
Randy Dixon
http://ir.lib.sfu.ca/retrieve/2104/etd1733.pdf

Freie Bühne

Workshop für eine Gruppe, die sehr fortgeschritten ist in den Themen Figuren-Erschaffung und einigermaßen gut über Storytelling bescheidweiß. Das Problem: Sie verhakeln sich in ihren tausend Regeln, die vielleicht irgendwann mal als Tips gedacht waren, sie denken an Strukturen und vergessen den Moment.
Ich erinnere sie daran, dass die Bühne ihnen gehört und dass sie dort machen können, worauf sie Lust haben. Das ist die Hauptsache. Verfeinerungen stehen an zweiter Stelle.
Ich gebe ihnen eine Lizenz zum Trashen. Der Witz ist – sie verlieren gar nicht so sehr an Tiefe und Feinheit, sondern gewinnen an Kraft.
Die Angst davor, blödes Improtheater zu spielen, limitiert. Zurück zu Johnstone: Lass es zu, obszön zu sein, politisch unkorrekt usw. Die Grenzen des guten Geschmacks entdecken wir nur, wenn wir sie von Zeit zu Zeit übertreten. Wenn es frisch ist und aus dem Moment kommt, wird es einem auch keiner übelnehmen.
Blöd sind nur kopierte Gags. (Wie oft ich in den letzten Wochen auf Improbühnen “Ich habe Rücken” gehört habe!)

Kinder-Kauderwelsch

In der S-Bahn ein zweieinhalbjähriger Junge und ein vierjähriges Mädchen, die einander liebevoll necken. Auf einmal fallen sie ins Kauderwelsch. Denke zunächst, ich würde mich verhören, es sei Kindergenuschel oder eine Fremdsprache. Ist es aber definitiv nicht. Erstaunlich, wie sie aufeinander eingehen. Was erwachsene Impro-Schülern häufig erst mühevoll wiedererlernen müssen – dass man Wort- und Satz-Elemente des anderen mitverwendet, dass man die Worte aus der Emotionalität entstehen lässt – das machen die beiden völlig natürlich. Zwischendurch schalten sie immer wieder mal ins Deutsche. Und zu keinem Zeitpunkt wird das Spiel infrage gestellt. Denn in diesem Alter ist einfach alles Spiel. Die Regeln ergeben sich beim Tun.

Einsatzfreude

Bei improvisierten Handlungen können wir zwischen Entscheidungen und Einsatzfreude entscheiden. Es ist nicht so wichtig, welche Art von Entscheidungen wir treffen, sondern mit welchem Einsatz, mit welcher Hingabe. Und in diesem Sinne gibt es keine “falschen” Entscheidungen, sondern nur mangelnden Einsatz. Die Kraft (und oft eben auch die Komik) einer improvisierten Szene liegt eben oft nicht so sehr in der Art der Entscheidung, sondern in der Radikalität, die sich für den Zuschauer als hohes Tempo darstellt.

Profipopofi

Bei der Erföffnungsshow der Impro 08 spielt ein seltsames Duo namens “Bright Blue Gorillas”. Obwohl recht sympathisch fragt man sich, was sie auf einem Improfestival tun. Sie spielen ein paar Hippiesongs und von ihrem 12minütigen Auftritt nutzen sie fünf Minuten, um auf ihre CD hinzuweisen. Zur Krönung wiederholen sie das Ganze am Abend danach und zwar Wort für Wort mit exakt demselben Timing.
Das erinnert mich an einige Kleinkünstler und Komiker, unter denen es als “professionell” gilt, den exakten Ablauf einer Nummer so einzustudieren, dass ein Abend dem anderen gleicht. Ich habe das nie verstanden. Selbst beim Vorlesen versuche ich, mich aufs Neue vom Text überraschen zu lassen. Komisch auch, dass sich manche Improgruppen davon anstecken lassen und z.B. “funktionierende” Games immer und immer wieder aufführen.

Willensfreiheit

Der Psychologe Julian Jaynes stellte 1970 die These auf, vor den Zeiten Homers “hätten sich die Menschen gar nicht als Agenten ihres eigenen Willens erlebt, sondern als eine Art Instrument der Götter.” (zit. nach Gehirn und Geist 4/2008)
Im zen-orientierten Denken versucht man, sich zu leeren und auch im Protestantismus versucht man, sich als “Gefäß Gottes” zu verstehen. Für unsere kreativen Zwecke bedeutet das, das Wollen zu minimieren und freudig das zuzulassen, was aus einem fließt.