106. Nacht

(13.12.2007) Am Abend „Frühling, Sommer, Herbst, Winter und wieder Frühling“. Koreanischer Film über einen buddhistischen Mönch. Sehr ruhig. Schöne Bilder. Und es passt zu all dem, was ich in den letzten Tagen bei der Abschrift des Stein-Interviews, die ich kurz vorher beendet habe, noch mal gehört und rekapituliert habe. Viele schöne Kleinigkeiten. Die Türen in dem kleinen Haus, die scheinbar überhaupt keine Funktion haben, da es keine Wände gibt. Aber bald zeigt sich, dass sie Pforten zu verschiedenen Lebensbereichen sind: Schlafen, Beten, Essen, Ins Freie Gehen, Ins Weltliche. Denn selbst am See gibt es mitten im Wald eine doppelflüglige Pforte, die man durchschreiten muss, wenn man zum Haus auf dem See will. Der Meister beschriftet in einer kurzen Sequenz eine Tafel. Kaum hat er ein Zeichen beendet, verschwindet es. Man glaubt zunächst an Zaubertinte, aber dann zeigt sich: Er schreibt mit Wasser, dass vom Holz kurz aufgenommen wird, aber eben schnell wieder verdunstet. Auch schön, dass wir sehen, wie der Meister den Jungen, der ans andere Ufer gerudert ist, beobachtet. Aber wie kann er das tun, ohne selbst nass zu werden?, fragt man sich. Erst später zeigt sich, dass das Haus mobil sein muss, was er aber kaum nutzt, er rudert auch. Eine weiter schöne Stelle: Die Liebenden schlafen im freischwimmenden Boot. Um es heranzuholen, wirft der Meister einen Hahn ins Boot, dem er eine dünne Schnur ans Bein gebunden hat: Man kann nichts forcieren, zu viel Kraft zerstört alles, auch muss der Hahn als lebendes Wesen berücksichtigt werden. Einzig schwierig: Man kann als Zuschauer kaum anders, als die fünf Episoden in einen logischen, gar kausalen Zusammenhang zu stellen. So ergibt sich eine logische Wandlung vom impulsiven, tierquälenden Knaben zum impulsiven Liebenden zum impulsiven Mörder. Erst die überanstrengende körperlich-spirituelle Arbeit lässt ihn seelisch gesunden. Da aber der Kreis fest geschlossen wird – der Knabe, der zu ihm gebracht wird, ist sogar der gleiche Schauspieler – bleibt einem als Zuschauer im Grunde nur die Folgerung, dass in diesem Haus Mörder herangezogen werden. (Glücklicherweise hat man das in den Extras gezeigte Alternativ-Ende fallengelassen, in dem gezeigt wird, dass auch dieser Knabe Tiere quält.) Schlaumeierisch könnte man die alte Storytelling-Regel hinzufügen: „Don’t make too much sense.“ Loslassen können auch von einer erzählerischen Idee, sonst erscheint es gar zu festgezurrt, dem Rezipienten dick aufs Brot geschmiert.

***

Man versammelt sich am Grabe Scharkâns, sing Litaneien und spricht Verse. So auch Dau el-Makân

Sie trugen ihn fort – doch alle, die weinend ihm folgten, erschraken
Wie Mose, als der Sinai bebend stieg himmelwärts -,
Bis sie seine Gruft erreichten, da schien es, als wäre gegraben
Für ihn das rechte Grab in der Einheitsbekenner Herz.
Ich hatte nie geglaubt, vor deinem Begräbnis, ich würde
Mein Liebstes auf Händen von Männern dahingetragen sehn.
Nein, niemals habe ich gedacht, vor deiner Bestattung zur Erde,
Die leuchtenden Sterne könnten im Staube untergehn.
Ist der Bewohner des Grabes ein Pfand für eine Stätte,
Darinnen heller Glanz und Licht sein Antlitz verklärt?
Der Ruhm hat sein Wort gegeben, er wolle ins Leben ihn rufen;
Es ist, als sei der Begrabne ins Leben zurückgekehrt.

Dafür, dass sie sich erst seit wenigen Monaten kennen und er bis dahin seine Schwester für da Liebste gehalten hat, ein starkes Stück für Dau el-Makân.

Nachdem wir auch die Verse von Scharkân und einem seiner Freunde erfahren, bittet Dau el-Makân den Wesir, ihm am Abend eine Geschichte zu erzählen,

"vielleicht wird Allah dann den schweren Kummer aus meinem Herzen verjagen."

Wir ahnen schon, es folgt eine Geschichte in der Geschichte. Und damit endet, nach einem knappen Jahr Lektüre, der erste von sechs Bänden. Selbst verordne ich mir wieder einmal ein höheres Rezeptionstempo. Die Zweifel werden größer. Wirklich schöne Geschichten waren bisher nur wenige dabei. Der hier vorliegende Roman nur schwer genießbar in seiner Schwülstigkeit. Immerhin lässt sich auch hier lernen: Die Unbekümmertheit, mit der Helden und Handlungsstränge verworfen werden, widerspricht ja stark unserem Gefühl für Narrative, und doch bleiben wir bei der Sache.

105. Nacht.

(12.12.2007) Seltsamer Tag in Sizilien. Caucana und Punta Secca menschenleer, von ein paar Bauarbeitern, behinderten Alten, Hobbyanglern und Zufallsgästen im Caucana Inn abgesehen. Überall verschlossene Häuser. Hätte ich zwei Bodyguards, würde ich sie fragen, wo die ganzen Männer seien und zur Antwort bekommen: "Soni morti tutti di vendetta. Eh, li nomi di morti." Aber ich habe nicht einmal Bodyguards. Das Wetter so unbeständig, dass es selbst mich manchmal beängstigt, dabei liebe ich Sturm.
Am Abend eine Streife Carabinieri, die es verdächtig finden, dass sich jemand zu Fuß auf der Straße bewegt. In der Tat bin ich mit meiner Fußgängerei krasser Außenseiter wie in den USA – Straßen sind hier nur für Autos gemacht. Zum Glück habe ich den Pass dabei. Dass ich die Wörter turist, si und bene sagen kann, nehmen sie zum Anlass, mich vollzutexten.
Einseltsamer Dezemberurlaub. Aber was habe ich erwartet? Meine Solo-Urlaube in den letzten Jahren waren schon immer etwas seltsam. Buckow, Schildow, Odessa (wenn man Odessa Urlaub nennen kann) waren nie das, was ich dachte, aber auch immer auf ihre Weise schön.

***

Scharkân ist beerdigt.

Dann aber erwarteten sie, dass das Tor der Stadt geöffnet würde; doch es wurde nicht geöffnet, und niemand zeigte sich auf den Mauern, worüber sie sich sehr wunderten.

Was verstehe ich hier nicht? Erwarten die Muslime, dass die Griechen ihnen bereitwillig die Tore öffnen? Oder erwarten sie den Kampf?

Dau el-Makân schwört, Blutrache zu nehmen und Konstantinopel zu verwüsten.

Der junge Herr hat sich in den letzten Monaten zu einem regelrechten Sympathling gemausert.

Drei Tage lang warten sie vergebens vor en Mauern der Stadt.

Dhât ed-Dawâhi hat sich inzwischen in die Stadt begeben und schwört ebenfalls Blutrache für ihren Sohn.

Als ob sie die nicht schon genommen hätte.

Dann sprach sie zu König Afridûn: "Wisse, o König unserer Zeit, es ist mein Wunsch, für meinen Sohn die Trauerfeier anzusagen, den Gürtel zu zerschneiden und die Kreuze zu zerschlagen."

Unklar: Warum sollten sie die Symbole ihres Glaubens gerade zu Zeiten des Rituals ablegen?

Sie schreibt einen Brief an die Muslime, in dem sie ihre Untaten noch einmal schildert und so Salz in die Wunden reibt:

"… Wenn der Satan mir seinen Gehorsam weiht, so töte ich sicher auch euren Sultan und den Wesir Dandân."

Warum Satan? Gehen die Muslime davon aus, die Christen seien Satansanbeter? Oder ist dies der Sinn des "Kreuzzerschlagens" – dass man in der Not zur satanischen List greift?

Den Brief lässt sie am vierten Tag von einem Ritter durch einen Pfeil über die Mauer zu den Muslimen schießen. Auch Dau el-Makân lässt sich in seiner Bosheit nicht lumpen:

"Bei Allah, ich will nicht eher fortziehen, als bis ich ihr geschmolzenes Blei in die Scheide gegossen
und sie wie einen Vogel im Käfig eingeschlossen."

Er verspricht den Muslimen, die Schätze der Stadt unter ihnen aufzuteilen. Dandân tröstet den in einem fort weinenden Dau el-Makân mit den Dichterworten:

"Was nie geschehen soll, geschieht auch nie durch List;
Doch was geschehen soll, das wird geschehen.
Ja, was geschehen soll, geschieht zu seiner Zeit;
Allein, ein Tor kann es doch nie verstehen.

Ein Bote trifft ein mit der Nachricht, dass seine Gemahlin einen Sohn geboren hat, den seine Schwester (!) Kân-mâ-kân 105 genannt hat.

 

 

105 Was geschehen ist, ist geschehen.

 

***

104. Nacht

Wie nun Dhât ed-Dawâhi, die ja im Gewande des Asketen war, von dem Tode ihres Sohnes hörte, da wurde ihr Antlitz bleich, und aus ihren Augen flossen Tränen überreich; doch sie tat vor den Muslimen hocherfreut, als ob sie Tränen der Freude weine. Doch dann sprach sie bei sich selber: "Beim Messias, mein Leben ist nichtig, wenn ich ihm nicht durch seinen Bruder Scharkân das Herz verbrenne, wie er mir das Herz verbrannt hat durch König Hardûb."

Scharkân gesundet spontan und entlässt die Diener und Wachen nach diesem harten Tag von ihren Aufgaben, so dass sie sich alle schlafen legen.

Da sprang sie auf, als sei sie ein grindiges Bärenweib oder eine Viper mit fleckigem Leib.

Grindiges Bärenweib? Anspielung auf Wolfsmenschen?

Ruckzuck schneidet sie Scharkân und seinen Dienern die Köpfe vom Leib.

Wenn es etwas an diesem Roman zu bewundern gibt, dann doch dass er sich keineswegs schwer damit tut, die Protagonisten an unerwarteter Stelle abzuräumen. Man hätte ja schon gern noch gewusst, ob der Konflikt zwischen den beiden Brüdern an anderer Stelle noch einmal aufflammt. Scharkân im Grunde der impulsive Grobian, der zufällig auf der Seite der Guten steht. Immer wenn er auftauchte, trieb die Geschichte vorwärts – sein Verhältnis mit der griechischen Prinzessin, seine Eifersucht gegen die Stiefgeschwister, sein Ungestüm. Storytechnisch vielleicht nicht unbedingt clever. Die Technik, die Hauptcharaktere nach und nach abzumetzeln, könnte dazu führen, dass sich am Ende nur noch der Wesir Dandân und die alte Dhât ed-Dawâhi gegenüberstehen.

Auch zum Zelt von Dau el-Makân schleicht sie sich, das aber bewacht wird. Dandân hingegen spricht sie an:

"Willkommen, o frommer Asket!"

Er beschließt, ihr zu folgen, wird aber auch von ihr ausgetrickst, indem sie behauptet, einem Heiligen zu folgen, der erzürnen würde, wenn sie nicht allein käme.
Dandân geht nun zum Zelt Scharkâns und findet dort die blutige Bescherung.
Erst jetzt wird Dau el-Makân klar, was es mit dem Asketen auf sich hatte. Dandân bestätigt ihn:

"Wer anders brachte dieses Leid,
als jener Satan im Heiligenkleid?"

Dann bahrten sie Scharkân auf und begruben ihn im Gebirge dort und trauerten ob seiner weltberühmten Tugenden immerfort.

103. Nacht

Dau el-Makân und die anderen nehmen sich des verletzten Scharkân an.

Anzumerken vielleicht noch die Merkwürdigkeit, dass ein Klischee jedes Filmes, in dem es um einen Zweikampf zwischen Gutem und Bösem geht, es eigentlich immer der Gute ist, der den stärkeren Bösen mit List besiegt. Hier haben wir eine komplette Umkehrung. Dhât ed-Dawâhi wird als listig dargestellt. Dau el-Makân, Scharkân und ihr Vater als kräftig aber naiv. Eigentlich die Darstellung von Barbaren.

Man zieht wieder in den Kampf.

Hier verstoßen die Muslime offenbar gegen die ursprüngliche Abmachung, der Zweikampf würde die Schlacht entscheiden.

Am kommenden Tag zieht Dau el-Makân gegen König Hardûb in den Zweikampf und schlägt ihm den Kopf ab. Über fünfzigtausend Griechen werden getötet

und mehr noch nahmen sie gefangen. (…)

Dau el-Makân aber ging zu seinem Bruder; den fand er in höchster Freude wieder.

Bei ihm der "Heilige", der habe ihnen, so Scharkân,

den Sieg verschafft mit seinen gottgefälligen Gebeten; denn er hat den ganzen Tag im Gebete für die Muslime zugebracht.

Sie merken’s immer noch nicht.

Radim Vlcek „Workshop Improvisationstheater“

Spielesammlung von Radim Vlcek „Workshop Improvisationstheater“. Wenn man nicht gerade Spiele und Übungen ad hoc erfinden will, erspart man sich so die umständliche Suche in eigenen Aufzeichnungen und im Internet. 350 Spiele und Übungen für Anfänger- und Fortgeschrittenen-Levels. Relativ wenig zu Verfeinerungen, was aber kein Mangel ist bei der Fülle. Ein paar grundlegende Fragen, die bisher in der deutschsprachigen Impro-Literatur noch nicht angesprochen wurden. Auf jeden Fall ein empfehlenswertes Handbuch, wenn man auf sprachliches Feingefühl keinen gesteigerten Wert legt. Zitat: „Hier geht es um Fun!“ Erläuterung dazu: „Ich finde die englischen Ausdrücke oft treffender als die deutschen Übersetzungen.“ Ja, ja, „fun“ ist bekanntlich ein derart schwieriges englisches Wort, dass sich selbst gestandene Übersetzer daran die Zähne ausbeißen.
Generelle die klassische in Deutschland anzutreffende Haltung zu Improtheater: Grundlage das Impro-Match, dessen Konventionen Vlcek an keiner Stelle infrage stellt. Kurzformen seien „seicht“, Langformen „tief“. Bei den Beispielen für szenische Inhalte, die er für witzig hält („Liebesleben der Backsteine“, „Kohls Gebiss wurde gestohlen“, „Huhn legt eklig grüne Eier“), frage ich mich, ob die deutsche Impro-Szene manchmal im Karnevals -Spaß ersäuft. Ist das nun einfach eine andere Art von Humor? Kann man das überhaupt kritisieren? Um nicht zu negativ zu enden, möchte ich sagen: Kauft das Buch! Es ist nützlich.

Miles Davis – die filmische Biografie

„Man braucht Musiker um sich, die denken. Keine, die bequem sind. Ich kann keine bequemen Leute um mich haben. Nichts kommt von denen zurück, man kriegt gar nichts.“ – Miles Davis Miles sagte: „Keith, weißt du, warum ich keine Balladen mehr spiele?“ Ich sagte „Nein.“ Er sagte: „Weil ich so gern Balladen spiele.“ Daran erkennt man den Künstler. Er muss erkennen können, dass auch das, was er liebt, Neuem weichen muss. Miles hätte lieber eine schlechte Band gehabt, die furchtbare Musik spielt, als eine Band, die das spielt, was er zuvor gespielt hat. Und das geht sogar gegen seinen eigenen natürlichen Instinkt. Und das macht seine Musik zu einem Schöpfungsakt. – Keith Jarrett

„Spiel einfach Fis-G-Fis-G!“ „Das ist alles?“ „Ja.“ Wir spielten, dann hielt Miles die Band an und fragte: „Was machst du denn da? Willst du immer nur Fis und G spielen?“ Und ich sagte: „Sorry, aber ich spiele nur, was du gesagt hast. Ich kann auch gern mehr spielen.“ Wir fangen noch mal an, und diesmal spiele ich alles; Fis, G, As, A bis Z, jeden Ton auf meinem Bass.“ Miles unterbricht wieder und fragt: „Mann, was machst du denn da? Spiel einfach Fis und G und halt die Klappe.“ Und da merkte ich, dass er mich nur verscheißert. Er ist einfach cool. Am besten, ich ignoriere ihn und spiele, wie ich es für richtig halte. Ich spielte und diesmal zogen wir die Aufnahme voll durch. – Marcus Miller

Patricia Ryan Madson: Improv Wisdom – Impro-Weisheit

Ein schönes, leichtes, bescheidenes und dennoch umwerfendes Buch. Madson gelingt es, die Weisheiten, die wir so deutlich beim Improtheater erlernen und erfahren, ins alltägliche Leben zu übertragen. Die Kapitel:

  • Sag ja.
  • Bereite dich nicht vor.
  • Geh einfach hin.
  • Fang irgendwo an
  • Sei durchschnittlich
  • Sei aufmerksam
  • Halte dich an die Tatsachen
  • Halte den Kurs
  • Sieh die Geschenke
  • Mach bitte Fehler
  • Handle jetzt
  • Seid füreinander da
  • Genieße die Fahrt

Patricia Ryan Madson: Improv Wisdom – Impro-Weisheit

Negative Bestätigung

Viele gute Lehrer tun es entweder instinktiv oder bewusst: negative Haltungen zunächst bestätigen. Johnstone machte z.B. Spiele daraus: „Nur blockieren“, „Nur Fragen stellen“. Man könnte das ganze auch noch radikalisieren. Nina Wehnert berichtet gar von einem Contact-Impro-Lehrer, der zunächst den Widerstand und die Müdigkeit der Schüler bedient. Psychologischer Hintergrund: Ins Extrem getrieben werden alle Dinge öde, sogar das Müdesein. Hier liegt vielleicht ein guter Schlüssel für die Arbeit mit Einzelspielern, z.B. mit körperlichen und sprachlichen Gewohnheiten.

Selbstfesselung durch Rollen

Die Spielerin Y. tendierte dazu, geh- und sehbehinderte Omas zu spielen. Auch eine Form der Selbstfesselung. Der Blick- und Bewegungsradius wird eingeschränkt. Offenbar versucht unsere Körper-Seele-Apparat auf diese Weise Sicherheit zu erlangen. Für die Impro nicht gerade förderlich, werden doch auf diese Weise die Möglichkeiten beachtlich reduziert. (Die Ironie der Geschichte: Y. warf ihren Mitspielern vor, diese würden sie ständig als Oma etablieren.)

Schulenpopulen

Manchmal wird so getan, als sei eine Impro-Schule eine zwingende Notwendigkeit, um gut improvisieren oder Improtheater spielen zu können. Großartige Improvisierer wie Helge Schneider oder das Pärchen Dean Martin/Jerry Lewis beweisen das Gegenteil. Dasselbe gilt für Schauspiel. Schauspielschulen werden manchmal auf seltsame Weise fetischisiert. Natürlich haben sie ihren Wert. Talente aber lernen überall. Gute Schulen sind vielleicht ein effizienter Weg des Lernens. Sie sind aber keinesfalls, wie manchmal getan wird, eine Garantie für gute Leistung. Ein Schüler von XY zu sein, sagt überhaupt nichts. Selbst eine renommierte Schauspielschule abgeschlossen zu haben, beweist ja nur, dass man ein paar Prüfungen bestanden hat. Tatsächlich kann man sogar in manchen Impro-Biografien lesen, wie es jemand für qualitätsrelevant zu halten scheint, einen Kurs bei Keith Johnstone abgeschlossen zu haben. Arme Künstlerseele.

Vor der Show

Es gibt kein Patentrezept für die Zeit vor der Show. Je nach Gruppe und Auftritt wieder muss man sich fragen: Was brauche ich, was brauchen die anderen, was brauchen wir gemeinsam, um eine gute Show zu spielen?

Es scheinen sich allerdings ein paar wieder auftretende Muster deutlich zu werden:

  • Spielern, die über ein hohes spielerisches, stimmliches, improvisatorisches und körperliches Potential verfügen und außerdem gut miteinander vertraut sind, dürfte ein gemeinsamer Kaffee vor der Show genügen.
  • Gibt es ein paar Überaufgeregte in der Gruppe, sollte dieser überschüssigen Energie ein fokussiertes Ventil gegeben werden: konzentrierte und gleichzeitig energetische Warm Up Spiele.
  • Ist die Energie eher unterspannt, sollte man auch diesem Impuls zunächst ein paar Momenten nachgeben, um sich dann im klassischen Sinne aufzuwärmen.

Fokus sollte in jedem Fall auf der Show liegen, zu viel Smalltalk vermeiden. Energien bündeln statt verschießen.

102. Nacht

Dhât ed-Dawâhi hatte, so erfahren wir, dem König Afridûn über ihre Listen benachrichtigt, so dass das christliche Heer die verbliebenen Moslems herfiel.

Und die Dreigötterverehrer schauten gierig auf das Volk des Glaubens drein.

Vater, Sohn und Heiliger Geist. Die Dreifaltigkeitslehre wird durchaus auch nicht von allen Christen anerkannt.

Nach der Schlacht beschließen die Christen, den Moslems ein Angebot zu machen, die Sache im Zweikampf zu entscheiden.

Dies kennen wir schon aus der 90. Nacht.

Die Christen sind sich ihrer Sache sicher und saufen die ganze Nach hindurch.
Afridûn selbst tritt zum Kampf gegen Scharkân auf.

Unklare Waffe: Speer aus Chalandsch 102

Scharkân saß auf einem edlen braunen Pferd, das war tausend Goldstücke wert.

Erinnert an den Gag von Helge Schneider über das wertvolle Klavier, das "über tausend Mark" gekostet habe.

…und so kämpften sie unverwandt, bald angreifend, bald zurückgewandt, spielend und in ernstem Ringen.

Das Wort Spielen mag in diesem Zusammenhang auffallen. Aber wer einen spielerischen Geist sein eigen nennt, wird auch angesichts des Todes spielen. (Stephen Nachmanovitch)

Afridûn bemerkt, dass Scharkân doch nicht so leicht zu besiegen ist, wie er dachte und packt ihn bei der Ehre:

"Ich sehe, dein Tun ist nicht preisenswert, dein Kampf ist nicht wie der eines Fürsten bewährt, sieh, wie dein Volk dich gleich einem Sklaven ehrt."

Der billigste Kindertrick, auf den aber ein so kindischer Brüllaffe wie Scharkân natürlich hereinfällt.

Tatsächlich dreht sich Scharkân zornig nach seinem Volk um und Afridûn nutzt den Moment, um seinen Wurfspieß zu schleudern. Im letzten Moment weicht Scharkân aus, aber an der Haut geritzt sinkt er zu Boden in Ohnmacht. Afridûn glaubt, der Sieger zu sein. Doch Dau el-Makân schickt Reiter zu Hilfe.

Klarer Bruch der getroffenen Vereinbarung. Aber Verträge mit Christen gelten hier wohl nichts.

Das scharfe jemenische Schwert tat gute Arbeit.

Schwerter aus dem Jemen?

 

 

102 Möglicherweise ist damit Khalanj (Birkenholz) gemeint.

Erfreuliche Improvisation

Ich glaube, ein großer Teil der Freude, die wir aus Improvisation und besonders aus improvisiertem Theater ziehen, liegt in der Bewunderung für mutige Entscheidungen, die einen in unerwartete und ungewöhnliche Situationen bringen.
Deshalb ist es auch oft schöner, einer unbefangenen Anfängertruppe zuzuschauen als einem fortgeschrittenen Ensemble, das nur dabei ist, alles „richtig“ machen zu wollen.
Das ist natürlich kein Plädoyer gegen das Lernen, sondern dafür, das Lernen und die weitere künstlerische und improvisatorische Entwicklung spielerisch zu gestalten.

Fahr zur Hölle / Drop dead Keith

In „Theaterspiele“ („Impro for Storytellers“) beschreibt Keith Johnstone die seltsame Angewohnheit einiger Spieler, sich durch Blickkontakt zum Lehrer immer wieder abzusichern. Er empfiehlt dafür, den Schüler „Drop dead, Keith!“ sagen zu lassen. Ich hab es ein paar Mal versucht. Ohne Erfolg. Vielleicht sollte ich länger auf diesem Trick bestehen, andererseits funktioniert er möglicherweise auch nur für Johnstone.
Eine Schülerin suchte permanent Augenkontakt – nicht nur zu mir, dem Workshopleiter, sondern auch ständig zu den Mitspielern auf der Bühne und zu Zuschauern im Publikum. Wenn man sie bat, über die Zuschauer hinwegzusehen und diese gleichermaßen mit einzubeziehen, ging ihr Blick wie nach innen. Die vorübergehende Lösung: emotionale Beschäftigung der Spielerin.

Von Comics Komik lernen

(c) TOM hat im Laufe der letzten Jahre seinen Stil immer mehr verfeinert (wenn man mal von der ewig unkomischen Postoma absieht).Die Pointe liegt meist in dem, was man nicht sieht. Die Impro-Spieler könnten sich mal davon eine Scheibe abschneiden.


(Abbildung nur zu Studienzwecken. Alle Rechte beim Zeichner (c) Tom. Bild wird auf Verlangen unverzüglich gelöscht.)

101. Nacht

Von blutigen Tyrannen und Despoten ist hier ständig die Rede. Ein Blick aufs heute zeigt, wie sich die Zeiten geändert haben. Der Vollblutdemokrat Putin erobert in den Gebieten, die am meisten unter seiner Knute zu leiden haben, die meisten Stimmen. 99% in Tschetschenien.

***

Dhât ed-Dawâhi reitet nun zu den verbleibenden Truppen, und schickt diese in den Kampf gegen die Christen, zur Unterstützung von Dau el-Makân, Scharkân und Rustâm. Der oberbefehlende Kammerherr schickt einen Recken namens Tarkâsch zusammen mit zehntausend weiterer Recken.

Sie weiß ja schon, dass der Kampf für die Christen dort verloren ist, also geht es ihr nur um eine Reduktion der Truppenstärke vor Konstantinopel.

Die Truppen unter Dau el-Makân und Scharkân glauben bei der Staubwolke zunächst an einen weiteren Angriff christlicher Heere, umarmen aber einander, als sie das Banner der Moslems mit der Aufschrift "Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist der Gesandte Allahs" sehen.
Scharkân hat immer noch nicht das Vertrauen in den "Heiligen" verloren, denn als sie nach einem Eilmarsch eine weitere schwarze Wolke sehen und diese sich als der Reit-Staub der Dhât ed-Dawâhi herausstellt, küsst er hier Hände und Füße.
Sie bittet das Heer, den Muslimen im Kampf vor Konstantinopel beizustehen, denn

die Heiden legten den Muslimen eine Falle.

Abermals ist der Kampf ja schon im Gange und die Moslems würden ihre Truppen ohnehin unterstützen. Es geht ihr also nur darum, das Vertrauen zu ihr ("dem Heiligen") zu erhärten.

Einzig Dandân bleibt skeptisch:

"Bei Allah, mein Herz schreckt zurück vor diesem Asketen; denn immer nur sehe ich Unheil entstehen von solchen, die übermäßig beten." (…) Dann ließ Scharkân dem Asketen eine nubische Mauleselin bringen. (…) Doch jener weigerte sich zu reiten und spielte den Entsagungsreichen.

Sie kommen zum Schlachtfeld, und die Moslems unter dem Kommando des Kammerherrn sind im Rückzug begriffen.

100. Nacht

Wie soll man Klavier üben? Das Wichtigste zu Beginn ist die richtige Haltung.

Ich hab’s immer noch nicht ganz raus.

***

Zunächst scheint Scharkâns Plan aufzugehen. Auf den Ruf "Allâhu Akbar!" springen die Christen auf und erschlagen sich vor lauter Panik gegenseitig, doch dann tritt ein, was Dau el-Makân befürchtet: Sie entdecken die Moslems, und es kommt zur Schlacht.

Scharkân aber schwieg.

Eine Tugend immerhin: Zu schweigen, statt sich in einem fort zu rechtfertigen.

Doch in diesem Moment kommt die vierte Kavallerie der Trupp von Rustam herbei und verhilft ihnen zum Sieg. Auf die Frage, wie es dazu gekommen sei, wird weitschweifig erklärt, dass die Generäle Verdacht witterten, als sie die Mauern Konstantinopels scharf bewacht sahen, die Stadt schien gewarnt. Und als dann die Könige nicht eintrafen, machte man sich auf den Weg, um ihnen in etwaiger Not beizustehen, während ein Teil des Heeres vor Konstantinopel wartet.

99. Nacht

Bei meiner Zahnärztin werden extra zum Weihnachtsfest Gutscheine angeboten: Zahnbleichung, Zahnprophylaxe und Zahnkosmetik. Aber wer will so etwas zu Weihnachten bekommen? "Oh danke, Schatz! Jetzt weiß ich, dass du meine Mundhöhle für unzumutbar hältst und warum du es seit Jahren ablehnst, mich auf den Mund zu küssen."

***

Nur noch fünfundzwanzig Mann sind Scharkân geblieben, und die "Ungläubigen" wollen nun kurzen Prozess machen:

"Wenn wir sie nicht im Kampfe bezwingen, so wollen wir sie durch ein Feuer ausräuchern."

Tatsächlich ergeben sie sich und geraten so in gemeinsame Gefangenschaft mit Dau el-Makân und Dandân. Man will sie töten, aber der Befehlshaber rät ab:

"Ihr Tod steht nun in der Hand des Königs Afridûn, damit er seinen Rachedurst lösche."

Wäre auch ein wenig seltsam, wenn nun alle stürben. Wessen Geschichte sollte man dann weitererzählen? Bei einem Schreibspiel, das ich vor einem Jahr für Kinder anleitete, sollte jedes Kind immer einen Satz hinzufügen. Einem Achtjährigen machte es besonderes Vergnügen, egal wo die Geschichte gerade war, zu schreiben: "Und da waren alle tot."
Anders als meine Kollegen, die eine psychische Störung vermuteten, glaube ich dass er lediglich, den Tod als effektives narratives Werkzeug für sich entdeckt hatte.

Als die Nacht anbricht, beginnen, die Christen zu saufen,

bis sie alle auf dem Rücken lagen.

Über seine Gefangennahme

ergrimmte Scharkân, und er seufzte im Übermaß seines Zornes und reckte sich, bis seine Fesseln sprangen; und als er frei war von seinen Banden, trat er zu dem Hauptmann der Wache, zog ihm den Schlüssel zu den Fesseln aus der Tasche und befreite Dau el-Makân und den Wesir Dandân und die übrigen Gefangenen.

Anscheinend haben wir die Welt der Ilias-Motive verlassen und sind nun bei Karl May angelangt, leider ohne Anschleichszenen und Überrumpelungslisten. Die Christen sind hier schlicht zu doof und zu besoffen.

Man erbeutet Pferde, und Scharkân gelingt es, einen Haufen Waffen mitzuschleppen. Sein Vorschlag, die Wachen umzubringen, wird aber von Dau el-Makân abgelehnt. Ebenso der wahnwitzige Rat, sich auf die Bergspitzen zu stellen mit dem Schlachtruf "Allâhu Akbar!" Masse zu suggerieren und so das christliche Heer zu verschrecken und in die Flucht zu schlagen.
Auf diesem zweiten Vorschlag beharrt Scharkân allerdings und untermauert ihn mit dem seltsamen Argument:

"Es kann nur Gutes daraus entstehen."

Was für den Fortlauf der Geschichte sicherlich stimmen mag, für das Verhältnis der Brüder sicherlich nicht.