(13.12.2007) Am Abend „Frühling, Sommer, Herbst, Winter und wieder Frühling“. Koreanischer Film über einen buddhistischen Mönch. Sehr ruhig. Schöne Bilder. Und es passt zu all dem, was ich in den letzten Tagen bei der Abschrift des Stein-Interviews, die ich kurz vorher beendet habe, noch mal gehört und rekapituliert habe. Viele schöne Kleinigkeiten. Die Türen in dem kleinen Haus, die scheinbar überhaupt keine Funktion haben, da es keine Wände gibt. Aber bald zeigt sich, dass sie Pforten zu verschiedenen Lebensbereichen sind: Schlafen, Beten, Essen, Ins Freie Gehen, Ins Weltliche. Denn selbst am See gibt es mitten im Wald eine doppelflüglige Pforte, die man durchschreiten muss, wenn man zum Haus auf dem See will. Der Meister beschriftet in einer kurzen Sequenz eine Tafel. Kaum hat er ein Zeichen beendet, verschwindet es. Man glaubt zunächst an Zaubertinte, aber dann zeigt sich: Er schreibt mit Wasser, dass vom Holz kurz aufgenommen wird, aber eben schnell wieder verdunstet. Auch schön, dass wir sehen, wie der Meister den Jungen, der ans andere Ufer gerudert ist, beobachtet. Aber wie kann er das tun, ohne selbst nass zu werden?, fragt man sich. Erst später zeigt sich, dass das Haus mobil sein muss, was er aber kaum nutzt, er rudert auch. Eine weiter schöne Stelle: Die Liebenden schlafen im freischwimmenden Boot. Um es heranzuholen, wirft der Meister einen Hahn ins Boot, dem er eine dünne Schnur ans Bein gebunden hat: Man kann nichts forcieren, zu viel Kraft zerstört alles, auch muss der Hahn als lebendes Wesen berücksichtigt werden. Einzig schwierig: Man kann als Zuschauer kaum anders, als die fünf Episoden in einen logischen, gar kausalen Zusammenhang zu stellen. So ergibt sich eine logische Wandlung vom impulsiven, tierquälenden Knaben zum impulsiven Liebenden zum impulsiven Mörder. Erst die überanstrengende körperlich-spirituelle Arbeit lässt ihn seelisch gesunden. Da aber der Kreis fest geschlossen wird – der Knabe, der zu ihm gebracht wird, ist sogar der gleiche Schauspieler – bleibt einem als Zuschauer im Grunde nur die Folgerung, dass in diesem Haus Mörder herangezogen werden. (Glücklicherweise hat man das in den Extras gezeigte Alternativ-Ende fallengelassen, in dem gezeigt wird, dass auch dieser Knabe Tiere quält.) Schlaumeierisch könnte man die alte Storytelling-Regel hinzufügen: „Don’t make too much sense.“ Loslassen können auch von einer erzählerischen Idee, sonst erscheint es gar zu festgezurrt, dem Rezipienten dick aufs Brot geschmiert.
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Man versammelt sich am Grabe Scharkâns, sing Litaneien und spricht Verse. So auch Dau el-Makân
Sie trugen ihn fort – doch alle, die weinend ihm folgten, erschraken
Wie Mose, als der Sinai bebend stieg himmelwärts -,
Bis sie seine Gruft erreichten, da schien es, als wäre gegraben
Für ihn das rechte Grab in der Einheitsbekenner Herz.
Ich hatte nie geglaubt, vor deinem Begräbnis, ich würde
Mein Liebstes auf Händen von Männern dahingetragen sehn.
Nein, niemals habe ich gedacht, vor deiner Bestattung zur Erde,
Die leuchtenden Sterne könnten im Staube untergehn.
Ist der Bewohner des Grabes ein Pfand für eine Stätte,
Darinnen heller Glanz und Licht sein Antlitz verklärt?
Der Ruhm hat sein Wort gegeben, er wolle ins Leben ihn rufen;
Es ist, als sei der Begrabne ins Leben zurückgekehrt.
Dafür, dass sie sich erst seit wenigen Monaten kennen und er bis dahin seine Schwester für da Liebste gehalten hat, ein starkes Stück für Dau el-Makân.
Nachdem wir auch die Verse von Scharkân und einem seiner Freunde erfahren, bittet Dau el-Makân den Wesir, ihm am Abend eine Geschichte zu erzählen,
"vielleicht wird Allah dann den schweren Kummer aus meinem Herzen verjagen."
Wir ahnen schon, es folgt eine Geschichte in der Geschichte. Und damit endet, nach einem knappen Jahr Lektüre, der erste von sechs Bänden. Selbst verordne ich mir wieder einmal ein höheres Rezeptionstempo. Die Zweifel werden größer. Wirklich schöne Geschichten waren bisher nur wenige dabei. Der hier vorliegende Roman nur schwer genießbar in seiner Schwülstigkeit. Immerhin lässt sich auch hier lernen: Die Unbekümmertheit, mit der Helden und Handlungsstränge verworfen werden, widerspricht ja stark unserem Gefühl für Narrative, und doch bleiben wir bei der Sache.