Impulse

Wenn es um Impulse geht, hören wir von Impro-Lehrern scheinbar widersprüchliche Aufforderungen:
„Folge deinem Impuls!“
„Widerstehe dem Impuls, negativ zu reagieren!“
„Ignoriere den Impuls, auf der Bühne rumzuzappeln!“
usw.
Die Impulse sind also, will es scheinen, eine etwas schwierige Angelegenheit. Gibt es so etwas wie „gute“ und „schlechte“ Impulse? Gibt es Momente, in denen wir auf unsere Impulse hören sollen und Momente, in denen wir sie lieber ignorieren?

Der Impulsgeber vieler Impro-Anfänger ist leider eine böse Fee namens Angst! Da haben wir die alte Vettel wieder.
Angst verhindert zunächst mal die Wahrnehmung von eigenen Impulsen. Wenn wir befürchten, dass das, was wir sagen oder tun, nichts tauge, dass es peinlich sei, dass es nicht intelligent genug oder nicht feinsinnig genug sei. Die Angst-Bremse verhindert auch, dass wir Impulse wahrnehmen, die Bühne zu betreten, wenn die Szene uns braucht.
Aus diesem Grund ist es durchaus OK, in Anfänger-Übungen oder Aufwärm-Spielen mal die Sau rauszulassen, Obszönitäten zuzulassen, Gewaltphantasien oder irrem Gefasel freien Lauf zu lassen. Hauptsache, es wird impulsiv reagiert.
Ich empfehle hier zum Beispiel:
freie Assoziationen
Ein-Wort-Geschichten in einem derart hohen Tempo, dass die Selbstkontrolle ausgeschaltet wird
fortlaufende Geschichten oder Ein-Wort-Geschichten, in denen Obszönitäten zulässig und vielleicht sogar erwünscht sind.
Zwei alberne Gänge
Tausch/Wechsel
Angstgesteuerte Impulse führen dazu, dass wir die Angebote unserer Mitspieler blockieren oder ignorieren, dass wir negativ werden, dass wir emotionale Wendungen nicht zulassen, dass wir lieber einen schalen Gag produzieren als uns auf eine authentische Reaktion zu verlassen.
Aus diesem Grund spielen wir Games, die unseren Fokus woanders hinlenken:
Wer blockiert, fliegt raus
ABC-Spiel (als Anti-Laber-Spiel)
Buchstaben-Vermeidungs-Spiel
Actio/Reactio
Nun könnte man argumentieren, dass diese Spiele ja unsere Impulse blockieren. Nehmen wir das ABC-Spiel. Mein Partner eröffnet vielleicht mit dem Satz: „Am Dienstag müssen wir Tante Erika besuchen.“ Mein Impuls ist nun: „Es ist schließlich ihr siebzigster Geburtstag.“ Das Format ABC-Spiel verhindert aber, dass ich diesem Impuls nachgebe (Ich bin gezwungen, einen Satz zu sagen, der mit „B“ beginnt). Gerade Improtheater-Anfänger, die bereits Solo-Erfahrungen haben (z.B. als Musiker oder Komiker), stören sich manchmal an dieser Art von Einschränkung. Paradoxerweise aber helfen uns die Games durch ihre Einschränkung die Vielfalt unserer Impulse zu erweitern. Die Games und Übungen helfen uns, den angstbesetzten Impulsen weniger Raum zu geben und stattdessen neue Impulsgeber zu erkennen:
Die positive Reaktion auf Angebote des Mitspielers (statt des Abschmetterns)
Das Weiterentwickeln eines Gedankens (statt der Blockade)
Die emotional authentische Reaktion (statt des Ignorierens des emotionalen Gehalts

Stalin und ich 8 – Wie der Stalin gehärtet wurde

Der Bürgerkrieg deformierte nicht die Bolschewiki, er formte sie.
Sie konnten im Grunde auch gar nicht anders. Aus den drei Gewalten des Staats bleibt nach 1918 fast ausschließlich die Exekutive, aus der sich eine permanente dualistische Staatsform entwickelt: Jedem in der Verwaltung wird ein kommunistischer Wachhund zur Seite gestellt.
In dieser Frage sind sich die führenden Bolschewiki völlig einig. So schreibt der Kriegskommissar Trotzki:

"Jeder Militärspezialist braucht einen Kommissar zu seiner Rechten und einen zu seiner Linken, jeweils mit einem Revolver in der Hand."

Jedes Problem wird der "Konterrevolution" in die Schuhe geschoben. Und Schuldige werden stets schnell gefunden und verurteilt. Dass die Bolschewiki dieses Chaos durch Plünderungen, völlige Aufhebung jeglicher Markt-Mechanismen und politische Willkür selbst mitverursacht haben, kommt ihnen nicht in den Sinn. Das neue Regime verspricht Aufstiegs-Chancen in der Administration, also geht ein banditenhaftes Gerangel um die radikalste Enteignung los.

Im Bürgerkrieg selbst begehen die Weißgardisten einen schweren Fehler: Sie ignorieren die Bedürfnisse der Bauern, die sie nach den bolschewistischen Eskapaden mit Leichtigkeit hätten an sich binden können. Das korrespondiert wiederum mit einem bemerkenswerten Schachzug der Bolschewiki: Sie nutzen (natürlich unter Kommissarsbewachung) die zaristischen Offiziere, was die Weißen für absurd gehalten hätten.

Und nun bekommt Stalin seine erste große Bewährungsprobe: Er wird nach Zarizyn, dem späteren Stalingrad/Wolgograd entsandt, einem für die Versorgung Moskaus entscheidenden Verkehrsknotenpunkt. Stalins wichtigstes Instrument ist zunächst die Tscheka, aber er verlangt nach mehr: Er will Kommando-Kompetenzen über die Rote Armee. Als seine Anfrage zur Erlaubnis dafür unbeantwortet bleibt, übernimmt er sie trotzdem, ohne dass Trotzki muckt.

Vielleicht wurde ihm in dieser Zeit klar, dass er im Zweifel mit Trotzki leichtes Spiel haben würde, da dieser ihm vielleicht intellektuell überlegen war, aber im Zweifelsfall nicht den Mumm haben würde, politisch geschickt zu manövrieren.

Schon bald setzt sich Stalin nämlich über Trotzkis Anweisungen hinweg. Zaristische Offiziere werden ausgeschaltet – er lässt sie hinrichten oder auf einem Gefängnisschiff verhungern.
Als weiße Kosaken die Stadt belagern, gehen die Exekutionen weiter und Stalin schürt die Angst vor kosakischen Spionen.

Hier war bereits, als klitzekleines Embryo, angelegt, was später als Szenario für zahllose fabrizierte Prozesse in den 1920er und 30er Jahren diente und im Großen Terror von 1937-38 mündete.

Stalin erwies sich in Zarizyn einerseits als skrupelloser Macher, der rasch handelte, der aber auch die Klassenideologie vor jeden Pragmatismus stellte und in militärischen Dingen (wie auch später im 2. Weltkrieg) dilettierte.

Während Lenins Leben am seidenen Faden hing, vertiefte sich der Konflikt zwischen Trotzki und Stalin, die jeweils die Ablösung des anderen forderten, wobei Stalin schriftlich meist einen eher milden Ton anschlug. Dieses kleine Gefecht gewann Trotzki: Stalin wurde abgezogen, aber ohne bestraft zu werden. Zarizyn wurde letztlich durch die Division des Dmitry Shloba gehalten.

Der Herbst 1918 gibt den Bolschewiki eine Atempause – der 1. Weltkrieg ist beendet, und Lenin erklärt Brest-Litowsk sofort für ungültig. Gutgelaunt relegalisiert er die Menschewiki (nicht für lange), und Bucharin und Stalin können langsam gegen kleine Intrigen gegen den ständig abwesenden Trotzki spinnen.
Sowjetrussland wird nicht zu den Versailler Friedensverhandlungen gelassen. Und so stehen am Ende zwei Großmächte als Außenseiter da, die dem europäischen 20. Jahrhundert noch einen fatalen Dreh geben werden: Deutschland und Russland.

Im März 1919 (der kommunistische Aufstand in Berlin ist nur wenige Wochen zuvor niedergeschlagen worden), hält die Russische Kommunistische Partei, wie sie sich jetzt nennt, ihren Parteitag. Swerdlow stirbt währenddessen, und Stalin zieht geschickt seinen Kopf aus der Schlinge, indem er die Hauptschuld für das Zarizyn-Desaster auf Woroschilow ablädt. Außerdem offenbart er nun seine Verachtung gegen die Bauern:

"Die Bauern werden nicht für den Sozialismus kämpfen, das werden sie nicht! Freiwillig werden sie das nie tun."

Die Position ist nicht weit von der Trotzkis entfernt, aber Stalin hütet sich davor, sich ihm anzunähern.
Stalin wird kurz nach dem Parteitag zum Kommissar für Staatskontrolle (später umbenannt in die auch in der DDR bekannte "Arbeiter- und Bauern-Inspektion").

Wenn damit die Konzentration von Macht und die Korruption verhindert werden sollte, hatte man hier wohl den Bock zum Gärtner gemacht.

Mit dem April 1919 wird nun auch die Münchner Räterepublik niedergeschlagen, deren Protagonisten Eisner hier wohl zu Recht eher mit Kerenski verglichen wird – die Betonung auf Räte statt Diktatur durch eine selbsternannte Elite.

Kotkin weist auf das Kuriosum hin, dass ausgerechnet in Deutschland, dem Land mit einer ungeheuer starken Sozialdemokratie die radikalen Führer Luxemburg und Liebknecht ermordet werden, während in Russland entgegen aller Wahrscheinlichkeit Lenin und Trotzki (vorerst) mit dem Leben davonkamen.

Sowohl Stalin als auch Trotzki verbringen fast den gesamten Bürgerkrieg im Zug. Trotzkis Panzerwagen ist mit enormen Mengen Waffen und Munition sowie Geschenken für Offiziere und Soldaten ausgerüstet. Stalin fährt dagegen fast bescheiden. Trotzkis Panzerwagen erhält schon mystische Bedeutung, da es ihm immer wieder gelingt, die Moral hochzuhalten. Offiziere übergeht er immer wieder.
Aber am Ende ist er es, dem der Sieg über Judenitsch, Denikin und Koltschak zugeschrieben wird. Als man ihn im Bolschoi-Theater empfängt und ehrt, fehlt Stalin.

 
Strelnikow = Trotzki
(Dr. Zhivago)

Wie wurde der Stahl gehärtet? Im Feuer des Bürgerkriegs. Die Bolschewiki walzen die Rätedemokratie nieder, die Fabrik-Komitees, die Gewerkschaften, die Bauern-Komitees. Ein ungeheurer, korruptionsgetränkter Bürokraten-Apparat wird geschaffen. Und während die Bürokratie allenthalben geschmäht wird, verhindert die klassenpolitische Denke, dass die Inhaber der Macht als korrupt und bürokratisch markiert werden. Checks & balances funktionieren trotz Arbeiter- und Bauerninspektion in diesem terroristischen gleichgeschalteten Regime leider nicht.

Inzwischen verhält sich Stalin politisch geschickt: 1. Er baut seine eigene Gefolgschaft auf. 2. Er fordert Lenin nie direkt politisch heraus und schon gar nicht maßt er sich an, mit ihm auf einer Stufe zu stehen. Letzteres tut Trotzki, was ihm letztlich den Kopf kosten wird.

Stalin und ich 7 – Dada, Lenin und die rollenden Köpfe

1918 – Dada und Lenin

Das Machtvakuum, das die Bolschewiki betraten, muss surreal gewirkt haben. Aus dem Smolny heraus "regierten" Lenin und sein engster Kreis (Trotzki, Swerdlow, Stalin) per Dekret. Keiner von ihnen besaß administrative Erfahrungen. Stalin, der zum Kommissar für Nationalitätenfragen ernannt wurde, hatte kein Ministerium zu übernehmen, sondern nur einen leeren Schreibtisch. Swerdlow blieb Generalsekretär. Trotzki wurde Kommissar für äußere Angelegenheiten. Seine Versuche, das Ministerium zu übernehmen (und zwar Gebäude und Personal) blieben erfolglos. Man wies ihn ab, das Personal desertierte.

Mehrfach wurde bereits auf den Zufall hingewiesen, dass Lenin in derselben Züricher Straße wohnte, in der sich auch das dadaistische Café Voltaire befand. Hatte Dada (Da-da = Ja-ja) einen Einfluss auf Lenin? Kotkin meint, wenn es keinen direkten Einfluss gab, so war es doch eine krasse Koinzidenz. Das Spiel mit Bedeutungen, die Improvisation mit Vorhandenem, die Kreation im totalen Lärm, das Handeln in Chaos und Anarchie: Einige Gewerkschaften standen auf Konfrontation mit den Bolschewiki, Deutschland machte sich bereit, Russland zu erobern, Lenin wurde später im Sommer 1918 durch ein Attentat schwer verletzt.
Kotkin spricht Lenin sogar einen Hang zum Chaos zu: Je chaotischer das gesellschaftliche Chaos, umso wichtiger die sozialistische Revolution, so sein Kalkül.

In 1918, the world experienced the pointed irreverence of Dada as well as an unintentionally Dada-esque Bolshevik stab at rule, performance art that involved a substantial participatory audience. At the center, Lenin persisted in his uncanny determination, and Stalin hewed closely to him. Stalin assumed the position of one of Lenin’s all purpose deputies, prepared to take up any assignment.

1918 hörte Lenin auf, die Pariser Commune als Vorbild für die sozialistische Revolution anzusehen. Die Mehrheitler waren in der Minderheit und Feinde ringsum. Das tendenzielle Belagerungsdenken, das überall Feinde wittert, wurde zur geistigen Grundhaltung der Partei und ihres Führers. Direkt nach der Revolution favorisierte die Mehrheit der Sozialisten (auch die Mehrheit der Bolschewiki) noch eine gemeinschaftliche Regierung aller Sozialisten. Aber Lenin, Trotzki und Stalin widersetzten sich diesem mehrheitlichen Begehren der Parteimitglieder, die in Kamenew ihren prominentesten Fürsprecher hatten. Seine weitergehenden Verhandlungen mit den Menschewiki und Sozialrevolutionären brandmarkt Lenin als Verrat.

Lenin erweist sich hier im Grunde als völlig politikunfähig. Nicht einmal in engsten Kreisen ist er zu Kompromissen, Verhandlungen oder Zugeständnissen fähig. Seine Ich-oder-Nichts-Politik erinnert in diesem Punkt fatal an Nikolaus II. Dass er und seine Truppe den politischen und militärischen Kampf doch gewinnen ist eine Mischung aus Charisma, dadaistischer Improvisationsfähigkeit, militärischem Geschick Trotzkis und ungeheurem Glück.

Es ist ein im übrigen ein ironischer Zug, dass die Bolschewiki eigentlich aus historisch-marxistischer Sicht die Rechts-Abweichler waren. Die Menschewiki und die Sozialrevolutionäre waren es, die eine von den Arbeitern getragene Revolution forderten. Lenin und seine Anhänger verfochten den elitären Gedanken einer elitären Partei-Avangarde. Diesen Gedanken formuliert Kotkin zwar nicht aus, aber wir finden ihn zum Beispiel bei Chomsky.

 

Lenins Charisma erweist sich so groß, dass Sinowjew und Kamenew klein beigeben und eigentlich die Interessen der Parteimehrheit verraten. Kotkin meint, dass, wenn Kamenew an dieser Stelle Machtwille bewiesen hätte, die Geschichte einen völlig anderen Verlauf hätte nehmen können.

Der Petrograder Sowjet, der den Rat der Volkskommissare überwachen soll, wird von Trotzki, Lenin und Stalin kurzerhand entmachtet, indem sie sich selbst in ihm als stimmberechtigt ansehen. Die restlichen Bolschewiki kuschen vor ihnen. Und dies ist der Anfang vom Ende der Sowjetmacht in ihrem ursprünglichen Sinne.

Währenddessen zerfällt Russland als Staat. Die nationalen Randgebiete machen den Anfang und sagen sich los, die baltischen Staaten, Ukraine, Georgien, Armenien, Aserbaidschan. Manchen davon gelingt es für immer: Polen, Finnland.
Die Bolschewiki sehen keinen Grund, sich den Grundgesetzen der Wirtschaft zu beugen. Anstatt sich wenigstens hier vorübergehend einige Loyalitäten zu sichern, raubt der Finanzminister kurzerhand eine Bank aus und legt Lenin 5 Millionen Rubel auf den Tisch.

Um die Jahreswende nehmen Bauernaufstände und Streiks von Staatsangestellten zu. Die Tscheka unter Dzershinsky zeigt nun ihre Zähne: Sie rekrutiert zunehmend unter Kriminellen und beginnt eine Hetzjagd auf Gewerkschaftler. Wer nicht auf Linie der Bolschewiki ist, steht unter Verdacht, mit dem alten System zu sympathisieren, was Grund genug für Verhaftungen ist. Und ab Februar 1918 reklamiert die Tscheka für sich das Recht auf standrechtliche Erschießungen.

Die Wahlen vom November erweisen sich für die Bolschewiki zwiespältig: Die große Mehrheit in Russland wählt links, aber nicht-bolschewistisch, dafür aber entscheiden die Bolkschewiki die Wahlen für sich in Petrograd und Moskau.

Die Sozialrevolutionäre klagen:

"Wer sieht denn nicht, dass das, was wir haben, kein Sowjet-Regime ist, sondern die Diktatur von Lenin und Trotzki und dass ihre Diktatur auf den Bajonetten der von ihnen getäuschten Arbeiter und Soldaten liegt!"

Muss man noch sagen, dass die Zeitung, die dies veröffentlichte, kurz darauf geschlossen wurde?

Die erste Konstituierende Versammlung dauerte einen Tag, danach wurde den Delegierten der Zutritt verwehrt. Zehntausende Petrograder, unter ihnen viele Fabrikarbeiter protestierten dagegen, und die Bolschewiki ließen auf sie schießen.

Es war das erste Mal seit Februar und Juli 1917, dass Zivilisten in russischen Städten aus politischen Gründen niedergeschossen wurden, aber den Bolschewiki ließ man das durchgehen.

Das legendäre "Dekret über den Frieden" war natürlich eine zweischneidige Angelegenheit, das wusste auch Lenin. Würde man von heute auf morgen

"die Bajonette in die Erde stecken",

würde Russland überrollt. Aus der Not geboren, weckte es Begeisterung bei der kriegsmüden russischen Bevölkerung. Aber Deutschland war ebenfalls an einem Waffenstillstand gelegen, da es überall an der Front zu Verbrüderungen kam und der Regierung Nahrung und Ausrüstung ausgingen.
Die erste Delegation, die Lenin zu den Waffenstillstandsverhandlungen schickte, muss ein Haufen krasser Provokateure gewesen sein:

Karl Radek rief den deutschen Soldaten noch aus dem Zug zu, sie sollten sich gegen ihre Armeeführung erheben. Er blies den deutschen Verhandlern den Rauch seiner Zigarre demonstrativ ins Gesicht und provozierte mit der geäußerten Hoffnung auf eine baldige Revolution in Deutschland, nicht gerade eine geschickte Verhandlungstaktik, wenn man das Gegenüber dazu bringen will, durch den Krieg gewonnenes Territorium zurückzugeben und auf Reparationen zu verzichten. Lenin pfiff die Truppe zurück und setzte seinen zweiten Mann ein – Trotzki. Die Verhandlungen liefen zäh, und Trotzki zog sich zur Verhandlung mit Stalin zurück, die auf eine Debatte des Zentralkomitees. Trotzkis Position, auf Zeit zu spielen und auf eine Revolution zu hoffen, setzte sich gegen die realistische (Stalin) und die radikale (Bucharin) durch. Aber die deutsche Heeresleitung hatte die Faxen dicke. Das Ende vom Lied: Die Deutschen setzten im Februar zum Angriff an.
Innerhalb kürzester Zeit erobern die Deutschen praktisch aus der Eisenbahn heraus Minsk, Mogiljow und Narva. Petrograds Untergang und damit die Niederlage der Bolschewiki schien unmittelbar bervorzustehen.

In Qoqand wird inzwischen von muslimischen Führern die Autonomie ausgerufen, da die Sowjets den Muslimen kein Mitspracherecht einräumen wollen. Die Stadt wird belagert und nach vier Tagen eingenommen. 14.000 Muslime werden umgebracht. Nahrungsmittel werden requiriert, was eine der ersten Hungerkatastrophen zur Folge hat, in deren Folge fast eine Million sterben oder nach China fliehen.

Die Deutschen nähern sich Petrograd auf 150 Kilometer. Das Zentralkomitee und selbst Lenin wissen nicht, wo ihnen der Kopf steht. Die erhoffte und beschworene deutsche Revolution bleibt aus. Lenin willigt in den Diktatfrieden ein, und hier ist selbst Stalin nicht mehr ganz auf seiner Seite. Und so kapituliert Russland schließlich per Funkspruch. Was Stalin Kerenski einst vorwarf – zu desertieren und die Hauptstadt den Deutschen zu überlassen, das tut er nun selbst, mit Lenin und der gesamten bolschewistischen Führungstruppe: Sie verlagern ihren Sitz nach Moskau. Für immer.
Stalin heiratet kurz vor seiner Abreise Nadja Allilujewa, die ihn vor der Revolution oft heimlich beherbergte.

Die dadaistischen Improvisationsfähigkeiten der Bolschewiki werden an den Rand ihrer Möglichkeiten getrieben. Geschützt von lettischen Grenadieren, die aus bizarren Gründen zu den Bolschewiki halten, erreicht Lenin Moskau. Nach nur einer Woche nimmt man den Kreml in Anspruch, vertreibt die verbliebenen Nonnen und Mönche aus dem anliegenden Kloster und richtet sich ein.
In dem Gerangel um annehmliche Wohnungen und Arbeitsräume muss Stalin sich geschlagen geben und kleinere Zimmer in Kauf nehmen.

Das mitgereiste Sowjet-Zentralkomitee ratifiziert im März die Kapitulation, mit knapper Mehrheit. Swerdlow war es gelungen, einige Oppositionelle auf die Seite der Bolschewiki zu ziehen. Weder gelingt es den Bolschewiki die Entente auf ihre Seite zu ziehen, von der die als deutsche Spione gehalten werden, noch können sie die abtrünnigen Gebiete halten. Stalin widerruft das Selbstbestimmungsrecht der Völker, wenn es "seine revolutionäre Bedeutung" verliert.

Julius Martow, Führer der Menschewiki, gräbt unterdessen Stalins Vergangenheit als Bandit aus und erhält dafür ein Parteiverfahren (sie sind alle noch Mitglieder derselben Partei), das für ihn zunächst glimpflich endet – mit einer Rüge. Aber Stalins Vergangenheit ist nun Thema geworden.

Die Menschewiki wurden uns in der DDR als Reformisten und als Verräter dargestellt, die "mit den Herrschenden" Burgfrieden schließen wollten. Wie lange sie sich noch über den Tisch ziehen ließen, wäre eine Tragödie für sich, wenn man nicht auch annehmen könnte, dass sie selbst radikal bis unter die Nägel waren.

Eine Bedrohung der kuriosen Art stellten die tschechischen Legionäre dar, die nach der Gefangennahme hin und her verfrachtet wurden – von Kerenski im Krieg eingesetzt, sollten sie von den Bolschewiki vertragsgemäß an die Entente ausgeliefert werden, diese aber zögerten. Und es genügte ein kleiner Anlass, dass die Legionäre revoltierten und kurzerhand einen Großteil der sibirischen Eisenbahn unter ihre Kontrolle brachten.

Sie eroberten ein größeres Territorium als irgendwer sonst während des 1. Weltkriegs.

Um nicht auch noch Moskau zu verlieren, schicken die Bolschewiki Stalin nach Zarizyn, um diesen strategischen Verkehrsknotenpunkt, zu halten und für die Bolschewiki nachhaltig zu sichern. Es wurde sein erster großer Auftrag, der ihm viele Kontakte bescherte, aber auch seine Rolle im Regime entscheidend aufwertete.

Unterdessen trachten Lenins Finanziers, die kaiserlichen Deutschen, das Reich durch "leichten militärischen Druck" zu stürzen. Mit Leichtigkeit erobern sie mehrere russische Provinzen, darunter am 1. Mai 1918 Sewastopol auf der Krim. Die Russen revanchieren sich, indem sie über ihre Botschaft in Berlin Geld an die deutschen Sozialdemokraten liefern, in der Hoffnung, dort doch noch eine Revolution auszulösen.

Dieser Vorgang entbehrt nicht einer gehörigen Ironie. Es wirkt beinahe, als flösse das Geld, das der Kaiser ein Jahr zuvor Lenin gab, nun zurück an die deutschen Radikalen geht, mit anderen Worten, als hätte der Kaiser seinen eigenen Untergang finanziert.

Und bei all dem zerfleischen sich die Revolutionäre gegenseitig. Oder besser gesagt: Die Bolschewiki arbeiten weiterhin an ihrer Monopolstellung. Die Sozialrevolutionäre werden im Juni 1918 aus dem zentralen Exekutivkomitee geworfen und ihre Zeitungen geschlossen. Maria Spiridonova, die Führerin der linken Sozialrevolutionäre unternimmt einen clever ausgeführten Putschversuch. Sie lässt den deutschen Botschafter ermorden, um Deutschland zu einem Krieg gegen die Bolschewiki zu provozieren. Und die (sozialrevolutionär dominierte) Tscheka, die eigentlich die Revolution schützen soll, verhaftet ausgerechnet ihren Führer Felix Dzershinski. Die Macht hatte auf der Straße gelegen wie wenige Monate zuvor in Petrograd.

Aber den linken Sozialrevolutionären fehlte das Entscheidende: Der Wille.

Als die tschechischen Truppen sich Jekaterinburg nahen, wird die Romanow-Familie abgeschlachtet.

Und dann geschieht im August 1918 das legendäre Attentat, das eigentlich das Schicksal der Revolution hätte besiegeln müssen: Lenin wird nach einer Rede vor Moskauer Arbeitern (Fragen werden nur schriftlich zugelassen und letztlich nicht mal beantwortet) am Ausgang niedergeschossen, angeblich von der fast blinden Fanny Kaplan, die kurz darauf hingerichtet wird.

Die Hölle brach los, und Hunderte politische Gefangene in Petrograd (meist Angehörige der zaristischen Verwaltung), wurden kurzerhand zu Geiseln erklärt und erschossen. Das bolschewistische Experiment war von Anfang an ein wahnwitziger Versuch gewesen, der zu jedem Punkt kurz vorm Scheitern stand, aber in 1918 war ein Tiefpunkt erreicht, den die Bolschewiki mit großangelegtem Terror zu übertünchen versuchten. Und das war erst der Anfang.

Arbeit

Diskussion mit meinem Kollegen Jochen Schmidt über Arbeitszeiten, die Vereinbarkeit mit dem Familienleben und darüber, was wir überhaupt zum Bereich Arbeit zählen. Jochen Schmidt zählt im Grunde jedes Telefonat dazu, jeden Spaziergang, aus dem sich möglicherweise produktive Recherche ergibt und auch jede Lektüre, nicht aber E-Mails, reine PR usw.
Am schwierigsten abzugrenzen sind wohl die Tätigkeiten, in denen sich PR und schwatzhaftes Social Networking überlappen (also vor allem Facebook) und jede Art von Kunst-Konsum, den man eigentlich als berufliche Weiterbildung aber auch als reines Entertainment verbuchen könnte (vor allem Lesen, aber auch Theaterbesuche, von Kino, Videos und Youtube ganz zu schweigen).
Seit zwei Jahren notiere ich mir täglich sämtliche Arbeitstätigkeiten. Und ich bin in Bezug auf Entertainment eher radikal: Ich weiß, dass ich mich zum Beispiel mit Lesen auch ganz gut vor schwierigeren Dingen drücken kann. Ich notiere mir also meine Lesezeit, rechne sie aber nicht der reinen Arbeit an.
Ich unterteile die „reine“ Arbeitszeit in

  1. Schreiben (Unterkategorien: a) Kurze Texte für Lesebühnen, b) langfristige Projekte sowie c) Blogs, Tagebuch und dergleichen)
  2. Verwaltung (Unterkategorien a) E-Mails, b) Werbung, c) Telefonate und Organisation)
  3. Shows
  4. Training (Unterkategorien a) Improtheater-Proben und b) Musizieren)
  5. Improtheater-Unterricht

Für 2015 läuft es hinaus auf 23% Schreiben, 29% Verwaltung, 33% Shows, 5% Training, 11% Unterricht. Ich rechne für 2016 mit einer Verschiebung Richtung Schreiben, da mit der Auflösung der Chaussee der Enthusiasten fast ein Drittel meiner Shows wegfallen.
(Man könnte argumentieren, dass das Musizieren, was bei mir seit vier Jahren hauptsächlich auf Klavierspielen hinausläuft, für meine sonstige Arbeit eigentlich völlig nutzlos ist, da ich wohl nie damit auftreten werde. Eigentlich könnte ich es auch wegen seiner meditativen Funktion in meine Sport-Tabelle eintragen. Aber dagegen sträube ich mich dann doch.)

Seit einem Jahr habe ich das Programm Rescuetime auf meinen Rechner installiert, das mir gnadenlos Auskunft gibt über mein Computer-Nutzungsverhalten. Das Programm berechnet alle 15 Minuten eine Aktualisierung der aktuellen Tätigkeiten und nimmt automatisch Kategorisierungen vor: Produktiv, sehr produktiv, neutral, ablenkend, sehr ablenkend. Die Kategorien lassen sich auch ändern. Es funktioniert auch offline, wenn man nur ab und zu täglich mit dem Computer ins Internet geht, um online abzugleichen.

Übrigens lag die Versuchung nahe, die Fahrtzeiten zu Shows und Workshops in die Arbeitszeit einzubeziehen, vor allem wenn man für einen zweistündigen Workshop noch eine gute Stunde Fahrtzeit braucht. Die Erwägung, dass Angestellte das auch nicht dürfen, gab den Ausschlag dagegen.

(Über meine Haushalts- und Familienzeiten, meine Lektüre und den Sport führe ich separate Tabellen. Und wie die Arbeit an diesen Tabellen einzuordnen ist, darüber bin ich mir sehr unsicher.)

Feedback in Workshops

Feedbacks in Workshops sind eine höchst sensible Angelegenheit.
Es gibt Lehrer- und Schülertypen, die zu Feedback höchst unterschiedliche Auffassungen haben.
Da wären zunächst einmal Lehrer, die überhaupt kein Feedback geben. Sie füttern die Klasse mit Übungen und Games und vertrauen darauf, dass die Freude am Spiel sich durch gute Games ohnehin einstellt und sich durch die Freude am Spiel und dem Fokus des Games ohnehin ein Lerneffekt einstellt. Dieser Lehrertyp ist gut vereinbar mit Schülern, die das Ganze lediglich des Spaßes halber machen und solche, die zum langsamen und sanften Lernen neigen. Schüler, die aber rasch lernen wollen und die Feedback brauchen und wollen, fühlen sich bei solchen Lehrern oft unterfordert.
Dann gibt es Lehrer, die vor allem positives Feedback geben. Diese Lehrer finde ich besonders in Anfänger- und Mittelstufen-Kursen geeignet. Besonders Anfänger, die ein Problem damit haben, überhaupt aus sich herauszukommen, die mit mangelndem Selbstbewusstsein kämpfen und ihrer eigenen Stimme nicht vertrauen, kann mit der Methode der positiven Verstärkung enorm geholfen werden.
Und es gibt Lehrer, die Kritik äußern. Kritik ist ab einem bestimmten Niveau unerlässlich, wenn man irgendwie vorankommen will. Die Frage ist nur: Wie wird die Kritik geäußert? An welcher Stelle? Was genau wird kritisiert?
Man wird sich einig sein, dass eine „Falsch! Falsch! Falsch!“-Kritik überhaupt nichts bringt. Auch der Lehrer sollte sich darüber klar sein, dass es ein Richtig und Falsch in der Improvisation nicht gibt. Allenfalls gibt es zu feiernde „Fehler“ innerhalb eines Games (zum Beispiel wenn der Buchstabe im Buchstabenvermeidungsspiel fällt). Alles andere sind Effekte, die sich so oder so erzielen lassen. Man kann ausprobieren, was passiert, wenn man eine Szene positiv oder negativ anfängt. Man kann ausprobieren, was passiert, wenn einer der Spieler ab und zu blockiert. Bestimmte Impro-Muster tendieren zu bestimmten Effekten. Und so wird man feststellen, dass es einfacher ist, eine Szene zu entwickeln, wenn sie positiv startet. Das heißt aber nicht, dass es anders nicht möglich ist. Diese Kontingenz muss der Lehrer markieren oder zumindest im Bewusstsein der Schüler mitschwingen lassen: Wir probieren hier etwas aus. Wenn er das nicht tut, fühlt sich der Schüler nur noch als ausführende Marionette der Anweisungen eines unduldsamen Regisseurs.
Sehr schwierig ist es, eine Szene zu unterbrechen, die das zu übende Format sprengt oder in der die Aufgabe aus den Augen verloren geht, die aber dennoch irgendwie „im Flow“ ist. Hier reinzugrätschen oder gar den Schülern Formulierungen in den Mund zu legen, ist absolut kontraproduktiv. Die Szene sollte sanft und lobend angehalten (nicht unterbrochen) werden. (Eventuell kann man sie auch einfach für beendet erklären und einen Applaus einfordern.) Eventuell ist Sidecoaching möglich, allerdings müsste auch das möglichst sanft geschehen. Wenn man hier im Flow der Schüler atmet, kann man durchaus auch Anweisungen geben wie „Sag einfach Ja.“ oder „Beschütze sie.“ usw. Keinesfalls sollte man wie ein cholerischer Fußballtrainer seine Anweisungen reinbrüllen oder gar sie für die einzig mögliche Option halten.

Als Schüler sei man flexibel: Hole aus jedem Lehrer heraus, was möglich ist. Sei nicht zu scheu, deinem Lehrer Feedback zu geben. Egal, was für einen Namen er hat, ihr seid zwei erwachsene Menschen, die sich respektvoll gegenüber treten. So wie du ein Recht auf Feedback hast, so hat er auch eins.
Und auch: Wenn dir die Feedbacks und Aufgaben zu viel werden, gib Bescheid. Dafür sind Lehrer oft blind.

Character-Besessenheit

So wichtig und richtig es auch ist, eine Rolle/Figur/Character ausfüllen zu können, so müssen wir doch flexibel genug bleiben, um uns verändern zu lassen.
Der Character in all seiner Stärke darf nicht unsere Impro-Tugenden überdecken. Finde den Punkt, an dem sich die Figur physisch emotional verändert.
Im Übrigen ist kaum jemand so statisch, dass er in jeder Situation gleich ist. Niemand ist nur Hoch- oder Tiefstatus. Jeder agiert täglich in Rollen, in denen er unterschiedliche Seiten von sich zeigt.

Wie Helge ohne Instrument „übt“

Das Denken und Üben außerhalb von Shows und Proben wird doch sehr unterschätzt.
Ähnlich wie Glenn Gould und Johann Sebastian Bach übt Helge Schneider relativ wenig am richtigen Instrument. Und er nennt es nicht einmal „Üben“. Von Basketballern weiß man, dass ihre Trefferquote sich erhöht, wenn sie vorm Einschlafen fünf Minuten Würfe im Kopf trainieren.
Für uns heißt das: Szenen im Kopf spielen, sich überlegen, was man selbst gern auf der Bühne sehen würde usw.

Die Falle der Selbst-Etikettierung

„Ich kann nicht singen.“
„Ich assoziiere nun mal etwas langsamer.“
„Im Storytelling bin ich eher schlecht.“
Wer hat diese Sätze nicht schon gehört? Das Problem ist, dass uns diese Glaubenssätze einsperren. Selbst wenn wir hier und da mit einem kräftigen „Au ja!“ an den Latten gerüttelt haben, nageln wir sie durch solche Selbst-Bezeichnungen wieder fest.
Nun zeugt es sicherlich von Bescheidenheit und der Fähigkeit zu Selbstreflexion, wenn wir von Zeit zu Zeit unsere eigenen Fähigkeiten einer kritischen Revision unterziehen. Schließlich sind wir erst dann in der Lage, an diesen Fähigkeiten zu arbeiten.
Aber es ist ganz und gar kontraproduktiv, wenn ich mich von vornherein in die Position des „So bin ich nun mal.“ manövriere. Denn wenn ich so „bin“, dann hülfe ja alles Lernen und Trainieren nichts.
Manche Impro-Schüler sind dermaßen in dieser Geisteshaltung gefangen, dass sie sich kaum für irgendein neues Game, eine Übung oder ein Format einlassen. Man bittet sie auf die Bühne und sie betreten sie mit einer um Mitleid flehenden Miene, die uns sagen soll: „Na, wenn ich unbedingt muss…“ Diese Haltung zu ändern, ist die entscheidende Aufgabe beim Lehren und Lernen von Improtheater sowie beim Lehren und Lernen überhaupt. Zugrunde liegt natürlich die Angst, sich zu verändern. Aber ohne Veränderung kein Lernen.
Aufgrund schlechter Erfahrungen trägt fast jeder ein bisschen etwas von dieser Haltung mit sich herum:
„Ich kann nicht zeichnen.“
„In Mathe war ich schon immer schlecht.“
„In Fremdsprachen bin ich völlig untalentiert.“
Es ist eine Sache, ein Defizit bei sich zu erkennen und daran arbeiten zu wollen. Es ist etwas anderes, dieses Defizit als unabänderliche Charaktereigenschaft zu bezeichnen.
Auch Impro-Profis sind leider nicht völlig frei davon. Nur drückt es sich oft etwas subtiler aus:
„Wir sind doch eher eine ruhige Langform-Impro-Gruppe“, wenn man bemerkt, dass die Spieler zu sehr im Nachdenken verharren.
„Mit klassischem Theater kenne ich mich sowieso nicht aus“, wenn es darum geht, sich mal fünfzig Seiten Shakespeare durchzulesen.
Erkenne dich selbst, aber glaube nicht, dass du unveränderbar seist.

Metapher oder Gag

In der Improvisation brauchen wir den Mut, seltsamen Wendungen und einzelnen Sätzen Raum zu geben, um ihre metaphorische Wirkung zu entfalten.
In einer großformatigen Improvisation beim Berliner Improtheater-Festival 2015 gab das Publikum einem von Randy Dixon gespielten Mann den Satz „Ich liebe Bier!“ als Lebensmotto vor. Was zunächst aus dem Publikum heraus als halblustige Klischee-Anspielung auf das deutsche Szenario gemeint war, entwickelte sich zu einem poetischen Motiv. Während der vier Stunden, in denen man diese Nebenfigur sah, fiel der Satz nur vier Mal, wie nebenbei, und entfaltete immer stärker seine Wirkung, indem man einem lebenslustigen Mann zusah, der tragisch endete und seine Liebe zu Bier mit ins Grab nahm.
Um Metaphern blühen zu lassen, darf man sie nicht zu sehr forcieren, und schon gar nicht sollte man sie erklären. (Ein erklärter Witz ist nicht mehr komisch, eine erklärte Metapher nicht mehr poetisch.)
Wäre der im Beispiel genannte Satz „Ich liebe Bier“ häufiger ausgesprochen worden, hätte er seine metaphorische Kraft wahrscheinlich verloren und wäre zum Running Gag verkommen.

Paradox: Grenzen erweitern deine Möglichkeiten

Wir treffen bisweilen auf Skepsis gegenüber Grenzziehungen in Formaten. Dabei lernen wir schon als Anfänger, dass Grenzen (z.B. die Regeln eines Games) unsere Möglichkeiten erweitern.
Z.B.: wenn wir die Spielregel „Keine Sprache“ einführen, erweitert das unsere physischen Ausdrucksmöglichkeiten.
Wenn ich bei Anfängern „Freeze Tags“ einführe, lasse ich sie erst mal wild drauflosspielen, was natürlich zu einem Übermaß der uns bekannten „Herr Arzt, ich kann meinen Arm nicht bewegen“-Szenen, „Bleiben Sie mal so stehen, wenn ich Sie fotografiere“-Szenen oder Tanz-Unterricht-Szenen führt. Wenn ich dann die Spielregeln „Thematisiert nicht euren Körper“ und „Vermeidet Befehle“ einführe, könnte man ja annehmen, dass diese Regeln die Vielfalt der Szenen einschränkt. In Wirklichkeit erweitert sich die Vielfalt. (Als Lehrer darf man hier nicht vergessen, nach dem Game zu „entregeln“, sonst glauben die eifrigen Mitschreiber, es sei ein ehernes Impro-Gesetz, dass man im Improtheater nicht den Körper thematisieren dürfe.
Für fortgeschrittene Spieler gilt aber das Gleiche auf einer subtilen Ebene: Wir haben unseren Stil und unsere Manierismen gefunden und haben uns behaglich eingerichtet in unserer Art zu improvisieren. Erst neue Limitierungen katapultieren uns aus dieser Komfort-Zone. Deshalb erweitert das Spiel in Genres und „Stilen“ unser Repertoire, weil es die Ausdrucksmöglichkeiten begrenzt und einige unserer Lieblings-Moves unterbindet.

Jazz richtig singen

Vor Jahren hörte ich ein Konzert einer etwas in die Jahre gekommenen mittelmäßigen Jazz-Sängerin. Obwohl ich sie eigentlich mochte, konnte ich mit ihrer Art, Musik zu interpretieren überhaupt nichts anfangen. Nach dem Konzert kam eine Zuhörerin auf sie zu und lobte sie: „Toll! Man hört, dass du eine Jazz-Gesangsausbildung hast.“ Und zu meinem Erstaunen freute sich die Sängerin sogar über dieses lauwarme Lob. Mir aber wurde nun klar, was ich da vermisst hatte: Das persönliche Spielen mit der Musik, der Emotion und dem Text. Ja, ihrer Interpretation hörte man noch den Gesangslehrer an, der wie ein mahnender Geist neben ihr stand: „Nutze beim Singen auch die Resonanzräume der Nase. Schließe die Augen. Denke an die Blue Notes.“ Sie wollte Jazz richtig singen und vergaß dabei das Wichtigste: Man kann Jazz nicht richtig singen. Wenn man den Lehrer nicht hinter sich lässt, wird man nie frei spielen.

Stalin und ich VI – Der Egon Olsen Russlands

Kapitel 6 – Der kalmückischer Retter

Da war sie nun, die Revolution: Der Zar gestürzt, eine provisorische Regierung schnell aufgebaut. Aber die trieb vor sich her, hatte keine Vision und akzeptierte sogar das Verdikt, Produkt einer "bourgeoisen Revolution" zu sein, mithin Vorläufer der eigentlichen Revolution. Sozialistische Symbole, wie Hammer und Sichel tauchten auf, noch bevor sich die Bolschewiki ihrer bemächtigen konnten. Das Land lag in Scherben – wirtschaftlich, politisch, sozial. Und das russische Volk auf der Suche nach einem Erlöser. Und da bot er sich an: Nach siebzehn Jahren Exil, die günstige Situation kaum fassend, die politische Lage in Russland eigentlich überhaupt nicht begreifend – Lenin.

Kerenski, der von Bolschewiki und der sowjetischen Geschichtsschreibung immer als furchtbarer Reaktionär geschildert wurde, war eigentlich ein linker unter den Konstitutionalisten. Das Problem, vor dem er stand: Die provisorische Regierung hatte kaum Legitimation im Volk, war ein fragiler Haufen mit unterschiedlichen Zielen, der sich selbst über einfache Fragen nicht einigen konnte. Im Gegensatz zu den späteren Bolschewiki konnten sie auch kaum ihre Macht kräftig genug durchsetzen. Anstatt auf die alte Polizei zu setzen, schafften sie sie ab und bauten auf nicht anerkannte Volksmilizen, während Hunger und Plünderungen weitergingen. Sie entließ die alten Gouverneure (wieder eine Gruppe potentiell Verbündeter weniger), ohne eine geeignete Gegenmacht zu entwickeln. In Petrograd selbst übernahmen die Räte (Sowjets) eine Art Parlaments-Ersatz.
Bedroht wurde sie außerdem von den Rechtsextremen und dem sich abzeichnenden Verfall des Reichs an seinen Rändern – der Ukraine, dem Baltikum, dem Kaukausus. Und nicht zu vergessen: Russland stand im Krieg gegen Deutschland.
Während sich die Exekutive in detailversessenem Wahn über Gesetzesentwürfe beugte, fehlte ihr de facto die Macht, überhaupt etwas durchzusetzen. Da erschien ein Retter am Horizont der Geschichte: Der rechtsradikale Oberkommandierende Russlands, Lawr Kornilow, ein Halbgeorgier wie Stalin.

Währenddessen begann im Schatten des Chaos und der Unzufriedenheit der Bolschewismus in Petrograd zu wachsen. Die Zahl der Anhänger, historisch kaum genau zu bestimmen, schwoll an, während die Führer entweder noch im Exil saßen oder sich an einem Tisch treffen konnten. Ihre zwei großen Argumente waren die absolute Gegnerschaft gegen den Krieg und die Ausbeutungstheorie als Catch-all-Theorie.
Lenin stand vor dem Problem, die Situation nicht nutzen zu können. Er saß hinter den deutschen Linien gefangen und wenn er sie überqueren würde, stünde er als deutscher Agent da, ein Ruf, der ihm ohnehin vorauseilte, da er zur Vernichtung Russlands aufgerufen hatte. Um Russland zu destabilisieren, ließ das kaiserliche Deutschland tatsächlich Geld fließen. Zunächst hauptsächlich an die Sozialrevolutionäre, später auch an die Bolschewiki, namentlich Lenin. Ein Unterhändler klärte die Formalitäten, und dann kam es zur legendären Durchquerung Deutschlands im plombierten Zug mit Lenin, Radek, Krupskaja, Inessa Armand, Sinowjew und einigen anderen. Er erreichte Petrograd am 3. April 1917.

Die Bolschewiki stehen Lenins Forderungen nach sofortiger Revolution skeptisch gegenüber, sowohl Kamenew als auch Stalin. (Kamenew distanziert sich sogar in der Prawda von Lenins "Aprilhesen". Lenin staucht sie alle als Jammerlappen zusammen.

Eine Assoziation drängt sich für einen DDR-Sozialisierten geradezu auf – Egon Olsen. Der große Planer versprach seinen Anhängern stets das Paradies auf Erden, das so leicht zu erreichen wäre, wenn man nur klug und beherzt zu Werke schritte. Und wer war Lenin schon, wenn nicht eine Art grausamer Egon Olsen?

 

Swerdlow trifft ebenfalls in Petrograd ein und wird zum Parteiorganisator. Stalin als sein Assistent wird sich hier eine der wichtigsten Lektionen seiner Laufbahn holen: Eine auf eine Person ausgerichtete, absolut loyale Parteiorganisation aufzubauen.

Die Menschewiki beharrten auf dem bürgerlichen Charakter der Revolution und  beteiligten sich sogar an der provisorischen Regierung, was den Bolschewiki natürlich weiter Futter gab. Kerenski warnte indessen vor der Wiederholung der Fehler der französischen Revolution: Dem umgreifenden Terror Robbespierres und dem Alleinherrscher Napoleon.

Und dann versetzte die Wahl im Juni 1917 den Bolschewiki einen ordentlichen Dämpfer. Wenn auch die Mehrheit links wählte, so waren doch die "Mehrheitler" in der Minderheit (105 von 777 Delegierten). Die Menschewiki und Sozialrevolutionäre gewannen dagegen 248 bzw. 285 Sitze.

Perhaps the central riddle of 1917 is why the Provisional Government decided in June to attack the Central Powers.

Russland war kriegsmüde, und die provisorische Regierung verspielte sich mit ihrer Entscheidung für eine Offensive die allerletzten Sympathien.

Die Finanzierung der Bolschewiki durch die Deutschen erwies sich als zweischneidiges Schwert: Einerseits druckten sie die Prawda in Auflagen, die in keinem Verhältnis zur Größe der Partei standen, andererseits wurden Lenin und Trotzki als deutsche Spione dargestellt und ihr Leben war somit in Gefahr. Lenin floh im Juli 1917 nach Russisch-Finnland, wo er "Staat und Revolution" schrieb, ein Werk, das die Demokratie nur als Mittel zum Zweck verniedlicht und behauptet, die Revolution müsse in jedem Falle mit Gewalt errungen werden, bis der Staat eines Tages absterbe.

Ob der Machtmensch Lenin tatsächlich daran geglaubt hat? Wahrscheinlich schon. Zynisch war er zwar, wenn es um Menschenleben ging. Aber er muss von seiner Vision überzeugt gewesen sein, sonst wäre er all diese Risiken, um als Erlöser nicht nur Russlands, sondern der Menschheit aufzutreten, kaum eingegangen. Er sah sich zwar auch als Theoretiker, aber vielmehr noch als Vollstrecker der alten Marxschen Lehre. Plechanow und Kautsky galten von nun an als Renegaten.

In Abwesenheit von Lenin, Sinowjew, Trotzki, und Kamenew (die ersten zwei im Exil, die anderen in Haft) fand der erste Parteitag seit 10 Jahren statt, geleitet von Swerdlow und Stalin. Stalin mahnt dazu, Augenmaß zu halten und nicht gleich die Weltrevolution auszurufen, sondern die einmalige Chance zu nutzen, die sich hier und jetzt in Russland bietet.

Erstmals tritt Stalin hier vor einer großen Gruppe von Bolschewiki auf. Er argumentiert mäßigend. Und der Autor meint, hier einen Beleg für Stalins Scharfsinnigkeit zu finden, die ihm für gewöhnlich abgesprochen wird.

Nur wenige Tage später findet in Moskau (!) eine Staatskoferenz mit 2.500 Delegierten der politischen, militärischen, ökonomischen und Bildungselite statt. General Kornilow präsentiert sich als der kalmückische Retter, aber letztlich scheitert die Konferenz daran, dass Kerenski weder Plan, noch Strategie, noch Ziel hat. Statt die gemäßigten Linken, die Liberalen, die Konstitutionalisten und die Nationalisten auf einen Weg zu bringen, erscheint das Ganze wie eine Parade der Zwietracht.

Three days of speechifying. Nothing institutional endured.

Zwischen Kerenski und Kornilow kommt es zum Zusammenstoß In Petrograd, wobei sich beide Putschabsichten unterstellen. Kornilow gelingt es nicht, eine anti-bolschewistische Militärdiktatur zu etablieren. Kerenski wird immer mehr erdrückt zwischen den Fronten. Denn das Militär, d.h. die Soldaten, die ihm helfen den Kornilowputsch niederzuschlagen, sind immer mehr bolschewistisch geprägt. Der als Hochverräter bezeichnete Kornilow bleibt ironischerweise Oberkommandierender des Heeres.

Nach dem Rückschlag der Bolschewiki im Juli sind sie nun wieder obenauf: Tausende werden aus der Haft entlassen, unter ihnen Trotzki. Und sie erhalten Zulauf, da die Provisorische Regierung die Nöte der Bauern und Arbeiter nicht nur nicht zu lösen vermag, sondern auch keine Vision hat, wie diese zu lösen seien. Stalin analysiert indessen, die Bourgeoisie habe ihre Funktion, die bürgerliche Revolution zu Ende zu führen, nicht erfüllt, und nun sei es Zeit für die sozialistische. So sieht das auch Lenin, und drängt das Zentralkomitee zu sofortiger Revolution. Kamenew und Sinowjew stimmen dagegen, Lenin kehrt (wieder einmal verkleidet) zurück nach Petrograd, und Kamenew tritt zurück.

Als großes Glück erweist sich, dass ausgerechnet im Oktober der Allrussische Rätekongress (Sowjetkongress) stattfinden soll, so dass die Bolschewiki genügend Zeit zur Putschvorbereitung haben und den Kongress als Legitimierung ausnutzen können.

Der Akt der Revolution widerspricht so ziemlich allen Vorstellungen, die man sich von Revolutionen macht.

Red Guards – described as a huddled group of boys in workmen’s clothes, carrying guns with bayonets – met zero resistance and by nightfall on October 24 controlled most of the capital’s strategic points.

 

Die für die Verteidigung eingesetzten Offiziere waren betrunken, die Kadetten und das nur aus Frauen bestehende "Todesbataillon" flohen. Die Petrograder Garnison verhielt sich neutral – ein Vorteil für die Bolschewiki. Die Roten Garden "stürmten" nicht das Winterpalais, sondern kletterten über unbewachte Tore, knackten Schlösser, schlugen Fenster ein und betranken sich im wertvollsten Weinkeller der Welt.
Aber natürlich wollte man im Nachhinein mithalten mit dem großen französischen Vorbild – dem Sturm auf die Bastille.

Die Bolschewiki stellten mit der Verhaftung der Provisorischen Regierung den Sowjetkongress vor vollendete Tatsachen. Die relativ (!) gemäßigten Menschewiki und Sozialrevolutionäre waren entsetzt. Der Vorsitzende der Menschewiki sagte prophetisch:

"Eines Tages werdet ihr das Verbrechen verstehen, in das ihr euch habt verwickeln lassen."

Protestierend verließen die Menschewiki und Sozialrevolutionäre den Kongress und halfen dadurch letztlich den Bolschewiki, denn in diesem Moment war der Kongress das Zentrum der Macht. Wenn es noch eine Möglichkeit gegeben hätte, die Bolschewiki halbwegs zu bändigen, dann hier und jetzt.

Kalmückischer Retter? Nicht Kornilow, sondern Lenin, dessen asiatische Gesichtszüge nun tausende Delegierte erstmals sahen, inszenierte sich als solcher.

Kamenew, der Vorsitzende des Sowjet-Exekutivkomitees, versuchte, die Schäden zu minimieren: Er erklärte die bolschewistische Regierung für vorübergehend und rief die Sozialrevolutionäre auf, in den Sowjet zurückzukehren. Trotzki hingegen frohlockte triumphierend.

Lenin, so beschreibt es der Autor Kotkin, agierte aus einer Mischung aus Genialität, Glück und Ignoranz. Kaum aus dem Exil zurückgekehrt, musste er schon wieder abtauchen und war kaum in Kontakt mit seinen Revolutionskollegen. Statt Verbündete zu suchen, schaffte er sich Feinde. Und dennoch liefen die Dinge, wie er sie haben wollte und so konnte er sich als der Denker und Vollstrecker der Revolution inszenieren. Seine rechte Hand war Trotzki. Der eine hätte ohne den anderen nichts erreicht. Stalin, der harte propagandistische Arbeiter in der Vorbereitung der Revolution, hielt auf dem historischen Sowjetkongress keine einzige Rede.

The Bolshevik putsch could have been prevented by a pair of bullets.

Im Nachhinein erscheint der Putsch vielmehr als ein Putsch gegen den Sowjet als einer gegen die Provisorische Regierung, die zu dem Zeitpunkt ohnehin kaum mehr handlungsfähig war.

Stalin blieb der Propagandist.

His publications explained the revolution in simple, accesible terms.

Und kurz nach der Revolution war er neben Trotzki der Einzige, dem Lenin Zutritt zu seiner Privatwohnung im Bolschewistischen Hauptquartier im Smolny gewährte.

Komik vs. Gagging

Ein weitverbreitetes Missverständnis zum Thema Gagging besteht darin, dass Improspieler glauben, Gagging bezeichne überhaupt jede Art von Komik im Improtheater und das Gebot, Gagging in der Szene zu unterlassen, beträfe gewissermaßen eine übermäßige Häufung an Comedy.
Gemeint ist aber etwas völlig anderes: Gagging bezeichnet den schnellen Gag auf Kosten der Szene. Eine urkomische Szene kann also durch einen Gag ruiniert werden. Das mag zunächst paradox erscheinen. Aber das Ganze erklärt sich, wenn wir uns anschauen, was eine Szene komisch (oder auch berührend, tragisch usw.) macht: Es ist das Game der Szene. Nehmen wir den Film „Der verrückte Klaviertransport“ mit Stan Laurel und Oliver Hardy. Für sich genommen könnte man den Film als eine Aneinanderreihung von Slapstick-Gags betrachten. Aber im Grunde ist diese Komödie ein einziges sehr organisches Game. Die Komik entsteht aus der konsequenten Entwicklung der Prämisse: Ein hoch empfindliches und teures Klavier wird von den zwei Typen angeliefert, die man nie auch nur in der Nähe des Instruments sehen möchte – Laurel und Hardy. Jede komische Handlung, jeder Gag hat seinen Ursprung in dieser Ausgangssituation und ist dramatisch eingebaut in die jeweilige Situation. Jedes kleine Missgeschick entfaltet seine Wirkung später umso mehr. Jede Katastrophe entfaltet sich in Dutzende kleinere Mini-Malheure. Von Charlie Chaplin weiß man, dass er ungeheuer komische Sequenzen aus seinen Filmen herausschnitt, weil sie am Ende nicht zum Gesamtrhythmus passten.
Gagging ist im Grunde ein egoistisches Verhalten: Man platziert einen Gag, um einen Lacher zu bekommen, aber der Gag hat nichts mit dem bereits Etablierten zu tun; vielmehr raubt er der Szene den Schwung. Im erwähnten Laurel-und-Hardy-Film verlieren wir nie unser Interesse daran, ob es den beiden nicht doch noch gelingt, das Klavier unversehrt auszuliefern.
Gagging-Gags wirken oft ausgedacht. Der Lacher hat nichts mit der Ausgangssituation oder dem Verhalten des Characters zu tun. Gagging ist insofern eng verwandt mit „Originell sein“. Wenn wir im Game der Szene und in der Logik der Charaktere bleiben, dann müssen wir uns keine Gedanken darüber machen, ob die Szene lustig genug ist, wir brauchen keine Witze „einzubauen“. Denn nachhaltige Komik entsteht nicht aus der Aneinanderreihung von Scherzen, sondern aus der ins Extreme getriebenen konsequenten Entfaltung einer Ausgangssitutaion.

Publikumsvorschläge ablehnen?

Wenn wir schon mit Publikumsvorschlägen arbeiten, gibt es eigentlich keinen Grund, sie abzulehnen. Wenn wir als Improspieler vor dem Problem stehen, die immergleichen Vorschläge zu hören, müssen wir eben anders fragen.
Bei Foxy Freestyle bemühen wir uns um eine neue Akzeptier-Radikalität gegenüber dem Publikum: Vorschläge nur dann ablehnen, wenn sie nicht der erfragten Kategorie entsprechen. („Nennen Sie mir ein Säugetier mit K.“ – „Kakao.“)
Scheinbar negative Vorschläge, wie z.B. „Shitstorm“, haben uns zu großartigen Harolds inspiriert.
Vor obszönen Vorschlägen braucht man sich sowieso nur zu fürchten, wenn man nur klischeehaft zu spielen in der Lage ist.

Ideen werden überschätzt

Es gibt im Improtheater ein großes Missverständnis, was Ideen betrifft: Zuschauer sind fasziniert von den ungeheuer originell wirkenden Ideen der Improspieler. Sie loben sie dafür, sie sagen: „Wie ihr immer auf diese Ideen kommt! Das könnte ich nie.
Und mit diesem Missverständnis beginnen auch viele Impro-Anfänger: Sie glauben, sich Sachen ausdenken zu müssen. Wenn sie erst mal eine Idee haben, dann halten sie daran panisch fest; sie heben sie sich für später auf oder drücken sie gegen die Mitspieler durch, komme was da wolle. Die Kehrseite ist wiederum der Glaube, keine Ideen zu haben (was letztlich heißt, zu glauben, die eigenen Ideen seien nicht gut, nicht intelligent oder nicht originell genug).
Die Konsequenzen sind: Den Mitspieler mit den eigenen Ideen zuzuschwallen, Originalität auf Kosten der Szene, Gagging, ängstliches Schweigen.
Wie löst man das? Ich denke, es ist zunächst mal völlig OK, in einer Improszene „Ideen“ zu haben. Aber noch wichtiger ist die Fähigkeit, sie loslassen zu können. Wenn ich im Moment bleibe, auf den Moment achte und meine Assoziationskanäle öffne, dann fließt ein Gedanke nach dem anderen, so wie beim natürlichen Sprechen. Deine Assoziationen mögen auf mich originell, schlau, intelligent, witzig wirken, so wie meine Assoziationen auf dich. Für uns selbst aber bleiben unsere Assoziationen das Naheliegendste der Welt.

Meta-Regel über Regeln

Bevor man in die Falle tappt, endgültige Regeln aufstellen zu wollen, lohnt ein Blick in Theater- und Film-Skripte. Wir werden dort Charaktere finden, die Nein sagen, Typen, die zum Monologisieren neigen, Dummköpfe, streitende Paare, und so ziemlich alles, was einem irgendwann von irgendeinem Impro-Lehrer per Regel untersagt wurde. Wenn’s im Theater und im Film funktioniert, dann geht es auch im Improtheater. Aber was immer du auf der Bühne tust: Tue es nie aus Angst oder Faulheit.

Welches Deutschland wollen wir? Nein. Im Ernst!

„Die Nazis zwingen uns dazu, Position zu beziehen: Welches Deutschland wollen wir? Wie stehen wir zu den Flüchtlingen?“, schreibt Peter Unfried in einem Artikel für den Rolling Stone. Der Artikel ist nett und gut und vielleicht auch irgendwie wichtig in dem Sinne, dass es einem gut tut, zu wissen, dass man mit seinem Ekel gegenüber dem Menschenhass und Terror gegenüber Flüchtlingen nicht allein ist.
Aber praktikable Antworten liefert Herr Unfried nicht. Was letztlich durch die terroristischen Angriffe auf Heime diskursiv passiert, ist eine Simplifizierung der Debatte, zugespitzt auf: Offene Grenzen oder brennende Heime.
750.000 Leute werden 2015 nach Deutschland kommen und bleiben. Sie bleiben nicht in Griechenland, Moldawien, Rumänien, sondern hier. Das ist für Deutschland ein Bevölkerungszuwachs von 1% innerhalb eines Jahres, vergleichbar mit Indien oder Bangladesh. Und es ist kaum abzusehen, dass sich das in den nächsten Jahren ändert.
Ja, wir müssen dem ungeahndeten Terrorismus eine menschliche, herzliche Willkommenskultur entgegensetzen. Aber heißt das, dass wir uns nicht auch Gedanken darüber machen sollten, wie Immigration in den kommenden Jahren funktionieren soll?
Welche Rolle soll das Flüchtlingsrecht spielen? Soll das innerhalb der EU nach dem Prinzip des geringsten Widerstands laufen? (Wer am wenigsten politischen Widerstand gegen Flüchtlinge aufbaut, muss sie eben übernehmen.) Sollen die südlichen Grenzländer mit ihren unzureichenden Auffanglagern die Abschreckungsbastion bleiben? Sollen die bockigen Länder Polen und Großbritannien aus der Verantwortung genommen werden?
Welche Rolle soll das deutsche Asylrecht spielen? Wieviel Einzelfallprüfung ist in Ländern des Westbalkan überhaupt möglich? Gibt es bei den Fehde-Morden keine „inneren Fluchtmöglichkeiten“? Und soll man dann diese Länder gleich zu sicheren Herkunftsländern erklären? Wäre das nicht auch eine Entlastung für die Justiz, die sich auch um Prüfungen aus Eritrea, Syrien, Nigeria kümmern muss? Oder könnte man nicht gleich sagen: Egal – in 10 Jahren sind Serbien und Mazedonien sowieso in der EU, dann können wir deren Einwohnern der Einfachheit halber auch gleich die Freizügigkeit gewähren?
Und ist es nicht auch sinnvoll, einigen Einwanderern, die aus wirtschaftlichen Gründen kommen, das zu gestatten, ohne dass sie um Asyl bitten müssen?
In den letzten Wochen wurde immer wieder auf die Verwaltungen, die Regierungen und Einzelverantwortliche gezeigt, die mit der Situation nicht angemessen umgingen. Ist das nur Unwillen oder ist es nicht auch einfach eine krasse Situation? Wie soll das im nächsten Jahr aussehen? Und im übernächsten?
Unfried schreibt als Pointe: „Je mehr Flüchtlinge wir integrieren, desto deutscher sind wir.“ Und wieviele Menschen kann man jährlich halbwegs integrieren? Wieviele Flüchtlinge sind denn jung und/oder talentiert genug, Deutsch zu lernen? Das schaffen ja oft nicht mal die jahrelang hier lebenden US-Amerikaner.
Wievielen kann man die vielen kleinen Kulturschocks zutrauen, zum Beispiel den dass in Deutschland das Schlagen von Kindern illegal ist?
Können wir in den Großstädten das Problem der Segregation wirklich handhaben? In Berlin wird in einigen Gymnasien mit über 95% Migrationshintergründlern den Kindern unabhängig von ihren Fähigkeiten das Abitur hinterhergeworfen, um ihnen eine Chance zu geben, weil ihre Halbmotivation immerhin noch reichte, überhaupt aufs Gymnasium zu wollen.
Und wenn wir nach praktischen Lösungen suchen, sollte man sicherlich auch die Waffenexportpolitik überdenken. Aber welchen Anteil hat denn die deutsche Außen- und Außenhandelspolitik am Syrienkonflikt wirklich? Das klingt immer so schlauköpfig, „denen da oben“ vorzuwerfen, sie hätten das mit Assad völlig anders angehen sollen.
Welches Deutschland wollen wir? Wie offen soll Deutschland sein? Gute Fragen. Und ich habe keine Antworten darauf. Meine „offene Grenzen für alle“ fordernden Freunde haben ja zum Teil schon Schwierigkeiten mit der Proll-Kultur außerhalb des Berliner S-Bahn-Rings. Sie sind erschrocken, wenn ich ihnen sage, dass ich mit meinem kleinen Sohn ins Kreuzberger Prinzenbad gehe.
Und noch was: Ich habe einen Riesen-Respekt vor allen, die derzeit Flüchtlingen praktisch helfen.

Künstlerische Irrwege akzeptieren

Irrwege sind oft wichtige Schritte auf dem Weg zu neuen Durchbrüchen und Selbsterkenntnissen. Mein Lieblingsbeispiel ist das Album der Rolling Stones „Their Satanic Majesties Request“ – der Versuch, das Beatles mit ihrem „Sgt. Peppers“-Wunder zu übertrumpfen. Man muss wohl sagen, dieser Versuch ist gescheitert. Aber eigentlich nur, wenn man ihn an seinem ursprünglichen Anspruch misst. Für sich genommen ist es ein wunderbares, spielfreudiges Werk, das Psychedelic und Blues mixt. Die Stones haben daraus gelernt, dass der Blues immer noch das Herz der Band sind. Und doch haben sie nie das Experimentieren aufgegeben – vom Country Folk bis zu Disco, Jazz und House haben sie immer wieder verschiedene Stile in ihre Musik einfließen lassen.

Stalin und ich – Rararasputin, Russia’s greatest love machine

Kapitel 5 – Dummheit oder Verrat

Am Vorabend des 1. Weltkriegs, der inzwischen allenthalben als der "Krieg den keiner wollte", bezeichnet wird, stehen wir vor einer Konstellation, die ungünstiger kaum sein könnte. Dem russischen Zaren zerfällt das Reich unter der Hand, sein deutscher Cousin erweist sich als arrogant und unsicher, das britische Empire spielt sich als Friedensbewahrer auf, eine Rolle, die es nicht erfüllen kann, der österreichische Kaiser alt und starrsinnig.

Und nun gelingt es einer amateurhaften Truppe, den Erzherzog Franz Ferdinand umzubringen, weil dessen Fahrer aus Versehen die falsche Route einschlägt. Das idiotische österreichische Ultimatum an Serbien wird in fast allen Punkten akzeptiert. Eine diplomatische Lösung liegt in greifbarer Nähe, doch dem Franz Joseph I. liegt nichts an einer gesichtswahrenden Lösung für alle, obwohl er angesichts der morganatischen Ehe für seinen Sohn nur wenig Bedauern übrig hat. In völliger Überschätzung der militärischen Kräfte seines Reichs erklärt Österreich-Ungarn Serbien per Telegramm den Krieg. Nun folgt ein fatales Domino, und Russlands Zar sieht in einem kriegerischen panslawischen Kraftakt die einzige Möglichkeit, seine Macht zu wahren.

Lenin fühlt sich bestätigt. 1916 schreibt er "Imperialismus. Die höchste Stufe des Kapitalismus", in dem er Hilferdings Analysen einbaut.

Interessanterweise ist diese Schrift auch auf die Sowjetunion selbst anzuwenden. Sie erscheint als das imperialistischste aller Länder, und zwar nach Lenins eigener Definition: Die Industrie ist komplett monopolisiert und mit dem Staat verschränkt, der wirtschaftliche Wettbewerb ist abgeschafft.
Auch geopolitisch lässt sich Sowjetrussland entsprechend einordnen. Was Russland nach dem 1. Weltkrieg abhanden kam, hat es sich so schnell wie möglich zurückerobert. Und der Hunger nach neuen Gebieten versiegte nie. Die Sowjetunion expandierte über die Grenzen des zaristischen Reiches hinaus. Ostmitteleuropa könnte man als auch als neokolonialen Spezialfall deuten: Die DDR, die Tschechoslowakei und teilweise Ungarn und Polen waren weniger die rohstoffliefernden Kolonien im alten Sinne, sondern die Spezialproduzenten.

Und wo war unser Stalin? Der verbrachte die Zeit des Ersten Weltkriegs in der Verbannung. Zum großen Krieg schreibt er nichts Wesentliches. Swerdlow, der mit ihm zeitweise ein Zimmer teilen muss, beschreibt Stalin gegenüber seiner Frau als anständig,

"aber zu egoistisch im Alltag."

1916 wird er gar zum Militär eingezogen und unternimmt eine sechswöchige Schlittenreise von Turuchansk nach Krasnojarsk, wo er wegen seiner Behinderung für untauglich befunden wird.

Der fähigste Mann der Konservativen – Durnovo – stirbt. Und der Zar ist dumm genug, auch nur das kleinste Zugeständnis an irgendeine Form von Regierungsverantwortung selbst gegenüber den Konservativen zu machen. Sein Wahn, sich auch in gar keine seiner inkompetenten Entscheidungen reinreden zu lassen (er hat nicht einmal einen Sekretär, sondern öffnet seine Post persönlich), führt dazu, dass er entgenen dem Rat der Minister das Hauptquartier nach Mogiljow verlegt, um dort die Truppen selbst zu "inspirieren".
Die noch unfähigere Zaren-Gattin übernimmt die Geschäfte in Petersburg, und ihr engster Berater ist nicht etwa ein Mann vom Format eines Stolypin oder Witte, sondern – Rasputin, der esoterische, besessene Bauerngeistliche. Wer ihn kritisierte, verscherzte es sich mit der de facto Chefin.

Trotz der erstaunlichen ökonomischen Entwicklung innerhalb zweier Jahre, in denen Russland in einer enormen Anstrengung auf dem Ausrüstungsstand seiner Gegner ist, führen strategische Dummheiten 1916 zu einem gewaltigen Verlust von Menschenleben unter den russischen Soldaten.
Von links hat der Zarismus zu diesem Zeitpunkt eigentlich keine Revolution zu befürchten: Die sozialistischen Führer sind im Exil, verhaftet oder verbannt. Und obwohl die Wirtschaft trotz des Krieges einigermaßen läuft, gibt es einen Knackpunkt, an dem es hapert: Die Nahrungsmittelversorgung. Anfang 1917 kommt es zu Demonstrationen, und kurz darauf bricht die russische Monarchie für immer zusammen: Angesichts der Proteste geht der Zar lieber wieder an die Front:

"Mein Hirn fühlt sich hier erleichtert – keine Minister, keine zappeligen Fragen, über die man nachdenken muss", schreibt er in sein Tagebuch.

Unterdessen weigern sich einige Petrograder Einheiten, auf unbewaffnete Zivilisten zu schießen. Die Minister selbst glaubten nicht mehr an das, was sie taten.

Man desertierte nicht nur in den Straßen und Garnisonen der Hauptstadt, sondern auch auf den Korridoren der Macht. Eine provisorische Regierung übernimmt das Ruder.

Die Nachricht von der Februarrevolution erreicht Stalin per Telegraf. Nach Jahren der Verbannung und Verfolgung reist er als freier Mann zurück nach Petrograd, das er am 12. März erreicht, mit einer Schreibmaschine im Koffer und sibirischen Filzstiefeln an den Füßen. Wenig noch deutet darauf hin, welche enorme Rolle er in den folgenden Monaten und Jahren spielen wird.

TJ & Dave über Entdecken vs. Erfinden

„Entdeckung ist der Weg des geringsten Widerstands, vielmehr ein Zustand des Nichtstuns und der Leichtigkeit als Kraft und Anstrengung.“ (95)

„Energie ist schön. Anstrengung ist hässlich.“ (95)

In Szenenanfängen sind die Charaktere selten überrascht. Ihr Verhalten ist normal.

„Am Anfang der TJ-and-Dave-Show fragen wir nicht nach Vorschlägen, weil wir nicht wollen, dass irgendetwas der bereits vorhandenen Szene im Weg steht.“ (98)
(Man muss wohl zugeben, dass das zunächst ziemlich esoterisch klingt. Andererseits ist es genau diese Geisteshaltung, die TJ & Dave ihren ungeheuren Flow ermöglicht. Würden sie geistig noch damit beschäftigt sein, in ihre Show „Vorgaben“ einzubauen, würde das wohl die Eleganz mindern. DR)

„Wir finden es hilfreich zu vermeiden, in Plots und Narrativen festzuhängen. Sich auf die Story zu konzentrieren, ist der Feind unserer Art des Improvisierens. Story ist ein Nebeneffekt, der an den Rissen austritt, wenn man einfach Leute aufeinandertreffen lässt und ihre Beziehungen untersucht.“ (99)
(Ich glaube allerdings, dass TJ und Dave instinktiv gute Erzähler sind. Deshalb müssen sie sich nicht darum kümmern. So wie ein guter Pianist beim Improvisieren nicht über den Fingersatz nachdenkt. Sie wissen, dass man z.B. eine Szene nicht mit Instant Trouble beginnt, sie wissen, dass die Protagonisten (mehr als andere Charaktere) sich verändern müssen usw.
Aber vielleicht wagen die beiden auch viel mehr noch das Locker-Episodenhafte und überlassen überhaupt viel mehr dem Zuschauer, den Szenen einen Sinn zu geben. DR)


„Natürlich fügen wir auch Namen hinzu, benennen die Umgebung, die Einzelheiten und Details, aber diese Sachen sind nicht die Crux der Szene, wo man die Schönheit der Improvisation finden kann. Obwohl Details nützlich sind, kann ein übermäßiges Vertrauen in Plot, Narrativ und Fakten dazu führen, dass das wesentliche Element der Szene verschleiert wird: Das Verhältnis zwischen den zwei Personen in diesem Moment.“ (99)

„Der Unterschied liegt zwischen ‚Wir spielen jetzt eine Szene.‘ und ‚Lass uns mal sehen, was das hier ist.'“ (David, 103)

Option Showabbruch

Als ich anfing, Improtheater zu spielen, kam in meiner damaligen Gruppe die Diskussion auf, ob bestimmte Themen nicht zu heikel seien, um die auf die Bühne zu bringen. Der Konsens, den man damals fand, war, dass es darauf ankäme wie man etwas darstelle. Und insgeheim sagte ich mir damals, falls einmal etwas dermaßen geschmacklos, unter der Gürtellinie oder für mich aus persönlichen Gründen unerträglich wäre, hätte man immer noch die Möglichkeit, dem Publikum zu sagen, dass man nun spontan eine kleine Pause einlegte, um dann im Backstage zu besprechen, wie und ob man überhaupt weiterspielen wolle.
Die persönliche Option, die Show einfach abbrechen zu können, hat mir damals viel von meiner Angst genommen. Ich habe sie noch nie nutzen müssen.

TJ & Dave über Angst – Exzerpt IV

„‚Folge deiner Furcht‘ [das legendäre Zitat von Del Close] bedeutet nicht, dass wir keine Angst haben sollen. Es ist sogar die Grundlage dafür. Es bedeutet, dass wir Dinge tun, die wir normalerweise vermeiden würden: schwierige Momente, herausfordernde Charaktere, unpopuläre aber ehrliche Antworten. Jenseits davon kann die Erforschung von Themen wie Freundlichkeit und Empathie auch verlangen, dass wir uns an Orte der Furcht und der Verletzlichkeit begeben. (…) Auf der Bühne können wir es uns leisten, ehrlich zu sein. Angst zu haben, unsympathisch zu sein. Offenherzig, lieb oder zärtlich.“ (74)

„Das heißt nicht, dass wir uns nur mit emotional aufgeladenen Themen beschäftigen, sondern dass wir vor ihnen nicht zurückschrecken.“ (75)

Pam: „Stört es dich, wenn bestimmte Leute im Publikum sitzen?“
David: „Nur die Familie. Ansonsten nicht.“
[wie bei mir]

„Ein großer Vorteil, die Selbstbewertung wegzuwerfen, besteht darin, bestimmte Schritte aus Angst zu tun. Ein verbreiteter Fehltritt besteht darin, […] eine Menge Exposition zu produzieren. Wir erklären, warum das, was wir gemacht haben, nicht schlecht war oder warum wir recht hatten, und dann glauben wir, wir würden uns damit auf den Boden der Tatsachen stellen. Man kann sich aber nicht in Klarheit hineinquatschen. Anstatt sich aus diesem Loch herauszureden, sollte man lieber stille sein und zuhören, wer man gerade ist. (82)

Stalin und ich – II

(Teil 2) – Durnovos Revolutionskrieg

Die russischen Sozialisten landeten immer wieder in der Verbannung. Dschugaschwili gelang es mehrmals zu fliehen. 1912 gelang ihm die Reise bis nach Krakau, wo er Lenin traf und sich diesem erfolgreich als Experte für Nationalitätenfragen empfahl. Seitdem nannte er sich Stalin, was nicht nur seine Spitznamen eliminierte, sondern ihn auch russifizierte.
Pjotr Durnowo, der nach Stolypins Tod wieder in den Staatsrat übernommen wird, warnt eindringlich vor einem zu engen, gegen Deutschland gerichteten Bündnis mit England und Frankreich, dessen Folge ein Krieg gegen Deutschland sein könnte, der überhaupt nicht in Russlands Interesse läge. Er begriff das grundlegende Dilemma des Regimes:

The government needed repression to endure, yet repression alienated ever more people, further narrowing the social base of the regime, thereby requiring still more repression.

Kotkin unterstreicht, dass Stalin selbst zu den Ereignissen, die das Zarenreich zum Einsturz brachten und einen georgischen Kleinstädter wie ihn überhaupt nur in die Nähe der Macht bringen könnten, wenig bis gar nichts beigetragen hat. Und dennoch ist eine Analyse dieser Ereignisse vonnöten, um seine spätere Rolle zu begreifen.

Russia’s revolution became inseperable from long-standing dilemmas and new visions of the country as a great power in the world. That too, would bring out Stalin’s qualities.

TJ & Dave über Klappe halten, Regeln und Ehrlichkeit – Exzerpt III

Kapitel 6
Klappe halten

"Manche Leute sagen etwas und wiederholen es dann auf viele verschiedene Arten. Alles vergeudet- Wir bevorzugen Schweigen oder sparsames und präzises Sprechen." (TJ, 48)

TJ & Dave verachten Sätze wie "Mensch, Ron, jetzt sind wir schon seit zehn Jahren miteinander verschwägert."
Erstens spricht kein Mensch so. Zweitens "weiß das Publikum schon Bescheid. Und eigentlich kümmert es sie auch nicht wirklich."

Kapitel 7
Scheiß auf die Regeln
Die meisten Regeln, so TJ & Dave werden ohnehin zu wörtlich genommen (wie zum Beispiel keine Fragen zu stellen). Aber auch die Regel, schnell das Wer, Wo, Was zu definieren, stellen sie infrage: "Diese Dinge künstlich in den ersten Sätzen zu definieren, baut nur ein Hindernis für die freie Szene auf. Sie werden sich selbst enthüllen, wenn ihr eine wirklich ehrliche Szene improvisiert." (TJ & Dave, 55)
Und doch stellen sie ihre eigenen Regeln auf:
– Seid euch einig.
– Seid aufmerksam.
– Zerstöre und verneine nicht die einmal etablierte Wirklichkeit
– Sorgt füreinander.
– Der Andere ist die wichtigste Person und die Antwort auf all deine Probleme.
– Künstlich einer Szene Tatsachen aufzwingen ist nicht hilfreich.
– Die Szene liegt in der Verbindung zwischen den Charakteren.
– Spiele mit einem Höchstmaß deiner Intelligenz
(TJ & Dave, 56)

Kapitel 9
Über ihren häufig benutzten Begriff "Ehrlichkeit":
"Wir sprechen von einer Art Integrität. Impro-Anfänger sind vielleicht ehrlich, wenn jede Szene um "Ich habe eine Wahnsinnsangst!" geht" Das ist nicht, wovon wir sprechen. Wir meinen – Wahrhaftigkeit gegenüber der Szene, Wahrhaftigkeit gegenüber dem, was wir bereits etabliert haben." (David, 69)

"Versuchen, einen Lacher zu bekommen, ist der Höhepunkt des Egoismus in unserer Kunstform. Wir haben uns dafür entschieden, etwas auf gemeinsam Geteiltem aufzubauen. Wenn du das nicht willst, mach was anderes." (TJ, 70)

"Wenn ich denke, die Zuschauer sind still, weil ich sie verloren habe, sie aber eigentlich völlig bei uns sind, dann werde ich mich an etwas Falsches anpassen. Und DAS führt dazu, dass ich sie verliere." (David, 71)
 

TJ & Dave – excerpt II

Chapter 4

„Consider your goals in improvisation and find people interested in aiming for that same place. (…) There are people who don’t care to do the type of improvisation you’re interested in. Forget them.“ (David, 32)

„There are times we come across people who just can’t be reached. If we speak to someone and explain how what they did destroyed the show, they still don’t get that. (…) If they can’t recognize that their selfish desire for one laugh destroyed something that everyone else built, then I don’t think they get anything at all. (…) You are better off without those people.“ (TJ, 33)

„If we play with a sense of participatory feeling when we’re off to the sides, we will be much more likely to be present for a timely edit. (…) We don’t have to worry about how to enter that scene, because mentally we’re already in it.“ (David, 34)

Chapter 5

„Our stage partners provide all we need. And their faces, especially the eyes, are the first place to look.“ (TJ & Dave, 37)

„The way [TJ] behaves and what he says in front of me tells me about the nature of our relationship.“ (David, 37)

„A line is not delivered until it is received.“ (Del Close, according to David, 39)

„We won’t listen if we’re afraid.
We won’t listen if we think we know how the scene is going to go.
We won’t listen if we’re thinking about what funny thing we’re going to say or do.
We won’t listen if there are too many bees in the room.“ (TJ & Dave, 41)

„David says you can improve your memory by paying attention to the people you speak with, by caring enough to be concerned with what they are saying, and not merely waiting until you can talk about yourself again. (…) TJ helps his memory through specifity and emotional touch pints.“ (TJ & Dave, 43)

„Listening is all there is.“ (TJ & Dave, 44)

TJ & Dave: Improvisation at the speed of life excerpt I

TJ & Dave – Improvisation at the speed of life – excerpt 1

Introduction

„Improvisation doesn’t mean we are unprepared. (…) The best way to prepare for improvisation is to experience life. And think: Think of everything. What do you think about this particular event? This particular point in history? This particular school in history? This particular school of thought? (…) Thought is part of the preparation.“ (David, xii)

Chapter 1

„[When a Harold improvisation happened seamlessly, effortlessly] we used to say: ‚Harold was here tonight.‘ (…) something other than us was at work.“ (David, 8)

„[The Chicago improvisers] were also some of the sweetest, most generous people you could meet, not only with their talent, but their time, their knowledge and their friendship.“ (TJ, 12)

Chapter 2

„TJ, the guy who has trouble with balance and vertigo (…) stood at the edge of a long fall. During the scene but sotto voce between us, I asked ‚What are you doing out here?‘ He (…) said: ‚This is where the scene is.'“ (David, 17)

„The structure of our show was being revealed, little by little, as we went along. These were not rules we came up with, nor are they rules we follow. They are just patterns we discovered as we worked together.“ (David, 21)

„Since our first show in 2002 (…) we simply agreed not to stop yet. We promised each other that the night we get it right: We quit.“ (TJ, 22)

Chapter 3
„An improviser needs to read and think. Our reactions and thoughts will be, must be colored by our thoughts.“ (David, 27)

„Salinger’s characters reveal so much about the characters, relationships and location without a great deal of backstory. (…) For instance, the characters speak the way only siblings would speak – therefore they must be siblings. The exposition is understood without having to be stated.“ (David, 27)