Kunst fälschen, Stile und Genres nachmachen, romantisierender Kunstjournalismus

In DIE ZEIT 4/2014 erscheint ein Interview mit dem Kunstfälscher Wolfgang Betracchi und seiner Frau und Komplizin Helene Betracchi.
Für diejenigen, die den Fall noch nicht kennen: Betracchi hat nicht bereits existierende Gemälde gefälscht, sondern Gemälde „im Stile von“ gemalt. Zu diesem Zwecke hat er sich intensiv mit der Kunst der Maler auseinandergesetzt: Von wem waren sie zu welcher Zeit beeinflusst? Welche stilistischen Brüche gibt es in ihrem Werk? Wann haben sie wo mit welchen Materialien gearbeitet? Usw. Die Werke (u.a. angeblich von Max Pechstein, Max Ernst, Derrain) wurden zum Zeitpunkt ihrer „Entdeckung aus der Sammlung Jäger“ hoch gelobt.
Interessant wird es, als die Interviewer Iris Raddisch und Soboczynski sich bemühen, Betracchi nicht nur das Ausmaß seiner Kriminalität zu verdeutlichen, sondern auch, ihm mangelnde Fähigkeit und mangelndes Verständnis vom Dasein des Künstler zu unterstellen.

W. Beltracchi: Manchmal war es das Schwierigste, nicht so gut zu malen, wie ich gekonnt hätte.
ZEIT: Das ist ziemlich größenwahnsinnig.
W.B.: Nein, das ist es nicht. (…) Das macht natürlich auch der kunsthistorische Abstand von 100 Jahren, die Maltechniken haben sich verändert.
(…)
ZEIT: Man kann es so sehen: Sie sind ein begabter Handwerker, aber kein Künstler.
W.B.: Das stimmt nicht. Das Fälschen war ein kreativer Prozess. Ich habe ja keine Bilder kopiert, sondern Bilder gemalt.
(…)
ZEIT: Können Sie sich in die Zerrissenheit eines Künstlers hineinversetzen? In eine Tätigkeit, die an die Existenz geht? Haben Sie eigentlich eine Vorstellung vom seelischen Einsatz, der mit der Erschaffung von Kunst einhergeht?
(…)
ZEIT: Wie teuer ist ein echter Beltracchi?
W.B.: Den Preis eines Gemäldes bestimmt nicht der Maler, sondern der Markt.

Die Vorstellungen der Journalisten sind ja beinahe schon niedlich-romantisch zu nennen: Ein Künstler ist in ihrer Vorstellung ein leidendes Subjekt, das unter enormem Leid sein Werk gebiert. Dass Kunst Freude machen könnte, dass Künstler sich direkt auf andere beziehen, Stile kopieren, dass der Kunstmarkt eine Chimäre geworden ist, auf dem eher Namen und Finanz-Symbole gehandelt werden, das will ihnen einfach nicht in den Sinn.

419., 420., 421. und 422. Nacht

419. Nacht

Schehrezâd fährt fort:

Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, dass el-Amîn, als er die Sklavin anschaute und sah, was auf dem Saume des Hemdes geschrieben stand, nicht mehr länger an sich hielt, sondern ihr nahte und sie küsste. Und er wies ihr ein eigenes Gemach in seinem Palaste an; ferner dankte er seinem Oheim für die Gabe und verlieh ihm die Statthalterschaft von Rai.

Heute heißt diese Stadt Shahr-e Ray und ist ein Vorort von Teheran. (Früher war Teheran ein Vorort von Rai.) Rai war außerdem die Hauptstadt des alten Persien, die Hauptstadt des persischen Teils von Irak und sie ist die Geburtsstadt von Harûn er-Raschîd.

***

Die Geschichte von dem Kalifen el-Mutawakkil und el-Fath ibn Chakân

Als der Kalif el-Mutawakkil krank wird, schickt ihm el-Fath ibn Chakân

eine jungfräuliche Sklavin mit schwellendem Busen, die zu den schönsten Mädchen ihrer Zeit gehörte, dazu ein Kristallgefäß von rotem Godle, auf dem in schwarzen Lettern diese Verse standen:

Wenn der Imam der Krankheit nun entrann
Und Heilung und Gesundheit sich gewann
So kann für ihn kein besser Heiltrank sein
Als hier in diesem Becher dieser Wein.
Wenn er das Siegel löst von meiner Gabe,
So ist das nach der Krankheit schönste Labe!

Der Arzt Juhanna zieht sich daraufhin zurück.

Nach meinen Informationen war Juhanna erst viel später Arzt, nämlich zur Zeit des Mustasim.

Der Kalif nahm den Rat des Arztes an und gebrauchte jene Arznei, ganz wie sie in den Versen vorgeschrieben war. Allah machte ihn gesund und heil.

***

Die Geschichte von dem Streit über die Vorzüge der Geschlechter

Eine weise Frau namens Saijidat el-Maschâjich kommt von Bagdad nach Hama, wo sie

den Leuten von einem Stuhle herunter heilsame Ermahnungen predigte.

Dies betrifft Fragen des Rechts, moralische Fragen, Fragen der Lebensführung usw.
Der Erzähler der Geschichte sucht sie mit einem Freund auf und legt eine Frage

von solcher Art vor, die sich auf den Unterschied zwischen den Rechtsschulen bezog

Sie befindet sich bei diesem Gespräch hinter einem Vorhang, durch den sie allerdings hindurchschmulen kann. Dabei sieht sie, wie der Begleiter das Gesicht ihres jungen Brufders betrachtet.

"Mir scheint, du bist einer von denen, die den Männern den Vorzug vor den Frauen geben." (…) "Weil Allah das Männliche höher gestellt hat als das Weibliche."

***

420. Nacht

Der Begleiter benennt nun Stellen aus dem Koran und den Überlieferungen des Propheten, die ebendiese Position belegen sollen. Die Weise antwortet ihm auf seine langen Ausführungen:

"Du hast gut gesprochen, werter Herr; doch, bei Allah, du hast meinen Beweis wider dich mit der eigenen Zunge kundgetan."

So folgt ein längerer Schlagabtausch zwischen den beiden.

***

421. Nacht

Der Begleiter rezitiert

"Sie ist dem Knaben gleich und wiegt sich in den Hüften
Wie sich der schwanke Reis im Zephirwinde wiegt.

Wenn der Jüngling nicht trefflicher wäre, so wäre doch die Jungfrau nicht mit ihm verglichen worden. Wisse auch – Allah der Erhabene beschütze dich! -, dass der Jüngling leicht gelenkt werden kann; denn er passt sich den Wünschen an; er hat schöne Eigenschaften, und mit ihm lässt sich trefflich leben; denn er ist eher geneigt, zu willfahren als zu widerstreben, zumal wenn der zarte Flaum auf seiner Wange sprießt, wenn seine Oberlippe sich dunkel färbt und wenn der rote Jugendglanz in seinem Antlitz leuchtet, so dass er dem Monde gleicht, der zur Fülle kam."

Nach weiteren Gedichten ist Saijidat el-Maschâjich wieder an der Reihe:

"Ich bitte dich, wie kann ein Jüngling je den Rang einer Jungfrau erreichen? Wer will das Böcklein mit der Kitze vergleichen? Die Jungfrau hat sanfter Rede Gewalt und eine wunderschöne Gestalt; sie gleichet einem Basilikumreis, und ihre Zähne sind wie die Kamille so weiß; sie hat Zöpfe, die wie Halftern hangen, wie Anemonen sind ihre Wangen; ihr Antlitz ist wie ein Äpfelein, und ihre Lippe ist süß wie Wein; ihre Brust ist dem Granatapfel gleich, und ihre Gestalt ist wie ein Zweig so weich. Sie hat einen Wuchs, in dem das Ebenmaß waltet, und ihr Leib ist wohlgestaltet; sie ist wie die Schneide des glitzernden Schwertes so schmal und fein, und ihre Stirn ist blütenrein; sie hat zusammengewachsene Augenbrauen, unter denen tiefschwarze Augen schauen…"

***

422. Nacht

Weiterhin argumentiert sie und zitiert Abu Nuwâs:

Die schlanke Maid, die einem Knaben gleicht,
Taugt für den Wüstling und den Einbrecher.

 

415., 416., 417. und 418. Nacht

415. Nacht

El-Mamûn lässt sich, begleitet vom listigen Abu Isa und einigen Hofleuten auf einer Barke namens "Flieger" zum Haus des Hamid et-Tawîl et-Tûsi, das sie unvermittelt betreten, während er gerade auf einer Rohrmatte sitzt und sich von Sängerinnen bespaßen lässt. Er improvisiert ein Gastmahl

Speisen wurden vorgesetzt, aber die bestanden nur aus Vierfüßlern, kein Fleisch von Geflügel war darunter. Von diesen rührte el-Mamûn nichts an.

Unklar: Gilt Geflügel als besonders edel? Oder hat el-Mamûn eine schwache Konstitution, die ihm die Verdauung von Lamm und Rind verbietet.

Abu Isa erkennt den Unmut des Kalifen und schlägt vor:

"Lass uns jetzt in ein Haus gehen, das für dich gerüstet ist, so wie es sich gebührt."

So gelangen sie zum Eigentümer der von Abu Isa begehrten Sklavin. Er

öffnete ihnen einen Saal, der so schön war, wie ihn noch nie jemand gesehen hatte. Dort waren der Boden, die Pfeiler und die Wände mit vielfarbigem Marmor bekleidet…

Befriedigend sind außerdem die Speisen und die Getränke, darunter auch Dattelmost und das Geschirr.

Die Schenken aber, die jenen Most in den Saal trugen, waren mondengleiche Jünglinge, bekleidet mit alexandrinischen Gewändern, die mit Gold durchwirkt waren; und auf der Brust trugen sie kristallene Falschen, voll mit Rosenwasser, die mit Moschus gemischt waren.

Nach dem Mahl kommen diverse Sängerinnen, eine schöner als die andere. Ein bemerkenswertes Lied geht so:

Die Huris und die edlen Frauen fürchten kein übel Gerede
Gleichwie Gazellen von Mekka, das unverletzliche Wild.
Nach ihren schmeichelnden Worten hielte man sie für Dirnen;
Doch schützet sie der Islam, dass ihnen kein hässlich Wort gilt.

Bemerkenswert, wegen des Versuchs, die Spannung aufzulösen, die sich aus dem Gebot der Frömmigkeit und der durch die islamische Praxis geduldeten "Huris und edlen Frauen": Das Tun ist zwar unislamisch, aber da sie es dem Islam zuliebe tun, ist es islamisch. Wobei ich mir eigentlich nicht mal sicher bin, wozu die Huris im Paradies eigentlich gut sind. Vielfach werden sie als Jungfrauen beschrieben. Bleiben sie das?

***

416. Nacht

Es folgen weitere singende Mädchen.

Was geschieht eigentlich mit ihnen, wenn sie älter werden? Werden sie dann an ärmere Herren verkauft?

Schließlich

trat eine Maid heraus, die gleich einem Weidenzweige war; sie hatte ein verführerisches Augenpaar, und ihre Brauen waren wie zwei Bogen anzuschauen.; auf ihrem Haupte trug sie eine Krone aus Gold von rötlichem Schein, besetzt mit Perlen und Edelgestein. Und darunter eine Binde, auf der in Lettern aus Chrysolith dieser Vers geschrieben war:

Eine Fee, von den Dämonen unterwiesen,
Herzen mit dem Bogen ohne Sehn‘ zu treffen.

Jene Sklavin schritt daher wie ein scheues Reh, selbst die Frommen hätten sie angeschaut mit heißem Liebesweh. Und sie ging weiter, bis sie sich auf einen Schemel setzte.

Schon klar, dass dies Kurrat el-Ain sein muss.

***

417. Nacht

Dem Kalifen fällt auf, dass sich Abu Isa mehr noch als die anderen verändert, so sehr schlägt sein Herz. Er bittet sie um ein Lied, dass sie auch vorträgt.
Inzwischen ist Abu Isa fast zu Tränen erstickt und Kurat el-Ain beginnt nun zu improvisieren.

***

418. Nacht

Mit der Erlaubnis des Kalifen antwortet Abu Isa ihr singend.

Die Verse sind banal und lang. Ich spare mir hier ihre Wiedergabe.

Alî ibn Hischâm sprang auf, küsste ihm die Füße und sprach: "Mein Gebieter, Allah lässt die Erfüllung deiner Bitte kommen; denn Er hat dein Geheimnis vernommen. Er willigt ein, dass du sie mit all ihrem Besitze an Seltenheiten und Kostbarkeiten erhältst, wenn der Beherrscher der Gläubigen kein Verlangen nach ihr trägt." Doch el-Mamûn sagte: "Wenn wir auch Verlangen nach ihr hätten, so würden wir Abu Isa den Vorrang vor uns lassen und ihm zum Ziele verhelfen."

Als Abu Isa

sie dann erhalten hatte, führte er sie freudigen Herzens in sein Haus. Schau, wie großmütig Ali ibn Hischâm war.

Wenn man mit den Erzählungen aus 1001 Nächten so verführe wie mit einigen Werken des 20. Jahrhunderts, so stünde nach der Eliminierung der rassistischen Geschichten eigentlich auch die der Sklaven-Geschichten an. Wieviele blieben dann noch übrig? Zwölf Nächte? Oder geht es den Eliminierern wirklich nur um Worte, Worte, Poporte? Die Bedeutung ist einerlei?

***

Die Geschichte von el-Amîn und deinem Oheim Ibrahîm ibn el-Mahdi

El-Amîn, der Bruder von el-Mamûn, trat einst in das Haus seines Oheims Ibrahîm ibn el-Mahdi.

Hier zur Aufklärung der Verwandtschaftsverhältnisse: Das Besondere – alle drei waren Kalifen in Bagdad und mit Harûn er-Raschîd verwandt. El-Amîn und el-Mamûn waren beide seine Söhne. Ibrahîm ibn el-Mahdi war Harûns Bruder und folgte erst el-Mamûn auf den Thron.
Die Geschichte spielt also zur zur Herrschaftszeit von el-Amîn.

Dort sieht er eine schöne Sklavin, in die er sich verliebt.

Doch als sein Oheim Ibrahîm erkannte, wie es um ihn stand, schickte er ihm die Sklavin zu. (…) Als el-Amîn sie sah, glaubte er, sein Oheim Ibrahîm habe sie bereits erkannt, und darum mochte er ihr nicht mehr beiwohnen. So nahm er sie denn hin, was sie an Geschenken mitgebracht hatte; sie selbst aber sandte er zurück.

Das ist doch wohl bemerkenswert: Egal wie groß die Liebe sein mag – dass ein anderer sie gehabt haben könnte, zerstört diese Liebe.

Der auch als großer Dichter bekannte Ibrahîm ibn el-Mahdi legt ihr ein Hemd an, auf das er schreiben lässt:

Fürwahr, bei ihm, vor dem sich alle Stirnen neigen,
Was unter diesem Saume ist, dass kenn ich nicht.
Auch ihren Mund berührt ich nie; mein einzig Trachten
War, was das Auge sieht und was die Zunge spricht.

Als sie nun wieder bei el-Amîn eintrifft, singt sie zur Laute:

Du nahmst die Gabe nicht und zeigtest, was du denkest;
Dass du dich von mir trennest, ward mir kund und klar.
Doch wenn du Anstoß nimmst an etwas, das vergangen,
Verzeih du als Kalif, was längst schon nicht mehr war.

 

411., 412., 413., 414. Nacht

411. Nacht

Man begräbt die beiden, und der Erzähler berichtet, die Jungfrau sei seine Tochter und der Jüngling sein Neffe gewesen. Auf die Frage, warum er sie nicht vermählt habe, antwortete er:

"Ich fürchtete mich vor Schimpf und Schande; und jetzt bin ich beidem verfallen."

***

Die Geschichte von dem irrsinnigen Liebhaber

Abu el-Abbâs el-Murrabâd erzählt von einer Reise nach el-Barîd. Er macht eine Pause in Hesekiel an dem berühmten Kloster, und er hört, darin lebten Irre.
Er betritt das Kloster, und drinnen sitzt ein "Irrer", der die ganze Zeit in Versen von seiner verlorenen Liebe klagt.
Abu el-Abbâs el-Murrabâd meint kalt:

"Sie ist gestorben." Da verfärbte sich sein Antlitz, er sprang auf und rief: "Woher weißt du, dass sie tot ist?" Ich antwortete: "Wenn sie noch lebte, so hätte sie dich nicht so allein gelassen."

Das sieht der Irre ein, legt sich hin und stirbt. Voller Schrecken begräbt man ihn.

***

412. Nacht

Als Abu el-Abbâs el-Murrabâd nach Bagdad zurückkehrt, berichtet er die Geschichte dem Kalifen el-Mutawakkil.

Und er sprach zu mir: "Was hat dich dazu bewogen? Bei Allah, wenn ich nicht wüsste, dass du um ihn trauerst, so würde ich dich um seinetwillen strafen!" Und er trauerte um ihn den ganzen Tag über.

El Mutawakkil war ein Kalif aus dem 9. Jahrhundert n.Chr., von dem es auch ein Hunde- und Falkenbuch gibt, das man noch heute erwerben kann. Abu el-Abbâs el-Murrabâd ein damaliger Sprachgelehrter aus Basra.

***

Die Geschichte von dem Prior, der Muslim wurde

Abu Bakr Mohammed ibn el-Anbari ist ebenfalls in christlichen Regionen unterwegs. Er rastet beim Lichterkloster nahe Ammûrija. Die Mönche dort sind äußerst gastfreundlich, er wird vom Prior Abd el-Massih empfangen.

Abd el-Massih = "Knecht des Messias"

Am nächsten Tage verließ ich sie, nachdem ich bei ihnen solche Eifer in der Andacht und solche Frömmigkeit gesehen hatte wie sonst noch nie.

Im Jahr darauf trifft er den Prior bei der Pilgerfahrt in Mekka. Dieser berichtet ihm, was zu seiner Konversion geführt hat:
Im Dorf verliebte sich ein muslimischer Jüngling in eine christliche Jungfrau, der immer an derselben Stätte sitzenblieb, um sie sehen zu können. Die Christen

hetzten die Dorfbuben wider ihn, und die warfen so lange mit Steinen auf ihn, bis sie ihm die Rippen zerbrochen und den Kopf eingeschlagen hatten.

Der Prior nimmt sich seiner an und pflegt ihn.

***

413. Nacht

Nachdem die Jungfrau ihn so sieht, bekommt sie doch Mitleid mit ihm:

"Willst du nicht meinen Glauben annehmen, auf dass ich dich mit dir vermähle?" Doch er reif: "Allah verhüte, dass ich den Glauben an die Einheit ablege und mich der Vielgötterei ergebe." Da sprach sie: "So komm zu mir herein, tu mit mir, was du willst, und geh dann in Frieden deiner Wege!" "Nein", erwiderte er, "ich will nicht zwölf Jahre der Anbetung zunichte machen durch die Lust eines einzigen Augenblicks." Darauf sagte sie: "So geh alsbald von mir fort!" Doch er entgegnete: "Das erlaubt mir mein Herz nicht."

Das ist sozusagen der Kern der Geschichte: Der Bursche hält alle Arten von Demütigungen und Schmerzen um der Liebe willen aus. Aber sein Glaube geht ihm noch darüber.

Bei ihrer nächsten Aktion töten ihn die "Dorfbuben".
Die Jungfrau, von schlechtem Gewissen geplagt, träumt nun, dass ihr der Weg ins Paradies versperrt würde, und man gibt ihr im Traum zwei Äpfel.

***

414. Nacht

Einen isst sie, den zweiten findet man bei ihr am nächsten Morgen.

Von nun ab enthielt sie sich des Essens und des Trinkens, und als die fünfte Nacht kam, erhob sie sich von ihrem Lager und wanderte zu dem Grab jenes Muslims. Dort warf sie sich nieder und starb.

Es entsteht ein Streit darüber, ob die Christen oder die Muslime sie bestatten dürfen, und als vierzig Mönche es nicht vermögen, ihre Leiche vom Grab des Jünglings fortzuziehen, einer der muslimischen Scheiche die dann liebevoll mit einem Leichentuch fortträgt, sind die Christen konvertiert:

"Fürwahr, die Wahrheit verdient es, dass man ihr folge."

***

Die Geschichte der Liebe von Abu Isa zu Kurrat el-Ain

Abu Isa, Sohn von Harûn el-Raschîd, verliebte sich in die Sklavin Kurrat el-Ain und diese sich in ihn. Beide tun ihr Geheimnis nicht kund.

Das tat er, weil er stolz und von hohem Ehrgefühl beseelt war, denn er hatte sich die größte Mühe gegeben, sie von ihrem Herrn zu erwerben, aber es war ihm nicht gelungen.

So entschließt er sich zu einer List: Er überredet den Kalifen el-Mamûn dazu, seine Befehlshaber auf die Probe zu stellen,

"so würdest du erkennen, wer eine edle Gesinnung hat und wer nicht."

408., 409. und 410. Nacht

408. Nacht

Ishâk ibn Ibrahîm aus Mosul berichtet weiter:
Als er ruht, kommt ein schwarzer Eunuch mit einem Esel daher, auf dem eine wunderschöne Sklavin sitzt.

Woran erkennt Ishâk, dass es eine Sklavin ist?

Er folgt ihr, und Passanten verraten ihm, dass es sich um eine Sängerin handelt. Sie betritt ein Haus, und als er sich diesem nähert, stehen zwei Gäste vor dem Tor, die gerade eingelassen werden, und Ishâk schlüpft mit hindurch: Der Hausherr nimmt an, er gehöre zu den beiden; die beiden nehmen an, er gehöre zum Hausherrn.
Es werden Speisen aufgetragen, und irgendwann folgt Ishâk

einem Rufe der Natur (…). Da fragte der Hausherr die beiden Männer nach mir; und als sie ihm sagten, sie kennten mich nicht, fuhr er fort: "Er ist wohl ein Schmarotzer; dennoch ist er von feinem Wesen, also behandelt ihn höflich."

Eine seltsame Verschiebung der Erzählperspektive; denn wie kann der abwesende Ishâk wissen, was da gerade gesprochen wird?

Er kehrt zurück, und nun singt die Sklavin:

Sprich zur Gazelle, die nicht Gazelle ist,
Zum Reh, das doch kein Reh, mit schwarzen Äugelein:
Mit seinen Männchenhörnern ist es doch kein Weibchen;
Und was so weiblich schreitet, kann kein Männchen sein.

Weitere Verse folgen, bis Ishâk sie bittet, ein Lied zu wiederholen,

damit ich sie verbessere; aber da wandte sich einer der beiden Männer zu mir: "Wir haben noch nie einen Schmarotzer mit frecherer Stirn gesehen als dich! Bist du mit dem Schmarotzen noch nicht zufrieden, dass du dich auch noch in fremde Sachen einmischen musst? An dir wird das Sprichwort zur Wahrheit: Ein Parasit – Ein Störenfried!"

Schönes Gefluche, vor allem wegen des seltenen Komparativs von "frech".

Man beruhigt ihn, die drei gehen beten. Währenddessen stimmt Ishâk die Instrumente, was die Sklavin bei ihrer Rückkehr bemerkt. Man fordert ihn auf, ein Lied zu spielen.

Dazu sang ich diese Verse:

Ich hatte ein Herz und ich lebte mit ihm;
Da ward es vom Feuer versengt und verbrannt.
Nie ward mir das Glück ihrer Liebe beschert;
Dem Menschen hat Gott es nicht zuerkannt.
Wenn Liebe die Speise, die ich schmeckte, gibt,
So kostet sie sicher ein jeder, der liebt!"

Da bemerkte Schehrezâd, dass der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an.

***

409. Nacht

Alle sprangen auf, setzten sich vor mir nieder und riefen: "Um Allahs willen, unser Gebieter, sing uns noch eine Weise vor!"

Nach einem weiteren Lied und weiterem Bitten um Zugabe, verlangt Ishâk, den "Zänker" hinauszuwerfen, was auch prompt erledigt wird

und aus der Leserperspektive doch ein zweifelhaftes Licht auf ihn wirft.

Dann bittet er auch noch den Hausherrn um die Sklavin. Dieser willigt ein unter der Bedingung, dass Ishâk einen ganzen Monat sein Gast bleibe.
Der Kalif lässt inzwischen nach ihm suchen. Und als dieser einen Monat später erscheint, lässt sein Grimm nach, als er die Sklavin hinter einem Vorhang (!) singen hört, was sie von nun an wöchentlich tun soll.

Also am Vorabend vorm heiligen Freitag!

Zugleich wies er ihr fünfzigtausend Dirhems an. So habe ich, bei Allah, nicht nur mir, sondern auch anderen durch jenen Ritt Gewinn verschafft.

Das wäre auch eine Kategorie: Erzählungen, die vor dem Thron des Kalifen enden. Seine Entscheidungen sind als moralische und rechtliche Leitlinie zu sehen, was dem Zuhörer wohl ein Gefühl von Abgeschlossenheit, i.S.v. "Die Moral von der Geschicht", gibt.

***

Die Geschichte von den drei unglücklichen Liebenden

Al-Utbi berichtet von einer Geschichten-Erzähl-Gesellschaft, in der fröhliche Geschichten ausgetauscht werden, bis die Reihe an einen kommt, der niedergeschlagen wirkt. Befragt, was die Trauer ausgelöst haben mochte, antwortet er:

"Ich hatte eine Tochter, die einen Jüngling liebte, ohne dass wir es wussten. Jener Jüngling aber liebte eine Sängerin; und diese Sängerin liebte meine Tochter.

***

410. Nacht

Der Jüngling hört eines Tages die Sängerin singen:

Wie die Liebe die Menschen erniedrigen kann,
Das zeigen die Tränen der Liebenden an.
Doch wird von bittersten Qualen geplagt,
Wer niemanden findet, dem er sie klagt.

Nachdem der Jüngling die Sängerin um Erlaubnis gebeten hat, sterben zu dürfen, tut er das. Auf die Nachricht von seinem Tod hin stirbt die Jungfrau, und daraufhin die Sängerin, so dass am Friedhof die drei Liebenden gleichzeitig beerdigt werden.

Die Konsequenz der kurz aufeinanderfolgenden Tode erinnert an Grimms Märchen "Wie Kinder Schlachtens miteinander gespielt haben".

***

Der deutsche Übersetzer Littmann bemerkt ihr, dass in Burtons Ausgabe hier eine orientalische Geschichte eingeschoben sei, die in keiner anderen arabischen Ausgabe auftauche und die die schöne Reihe der Geschichten von unglücklich Liebenden störe. Er lasse sie also weg.

***

Die Geschichte der Liebenden vom Stamme der Taiji

El Kâsim, der Sohn des Adî, erzählte von einem Manne aus dem Stamme der Tamîm, dass der ihm berichtet habe…

Das wäre schön zu erfahren, ob der Erzähler sich diese Autorenverschachtelungen ausdenkt oder ob sie einen wahren Kern haben.

Zwei Liebende begegnen einander mit ihren jeweiligen Stammes-Angehörigen an den Wassern des Banu Taiji

Unklar, wo das sein soll.

Die Gruppe hält die jeweils Liebenden auf, doch diese rasen aufeinander zu und stürzen, als sie sich treffen, tot zu Boden.

Regeln im Improtheater? Nein. Gewohnheiten!

Ich würde gern auf den Begriff „Regeln“ im Improtheater verzichten, wenn es um allgemeine Dinge wie „Akzeptieren“, „Zuhören“, „Unterstützen des Partners“ usw. geht. (Das bezieht sich nicht auf Spielregeln eines Impro-Games.)

Stattdessen schlage ich den Begriff „gute Gewohnheiten“ vor. Das ist keine Haarspalterei. Schaut mal: Improtheater kann eigentlich per definitionem keine Regeln haben. (De facto legt es sich viel zu viele formale Regeln auf.) Und wenn wir im Modus von „Regeln“ agieren, heißt das auch, dass man Regeln zu befolgen hat, dass man an sie denken muss, aber dabei verlieren wir den Moment. Im Gegensatz dazu müssen gute Gewohnheiten trainiert und internalisiert werden. Über Gewohnheiten muss man nicht nachdenken, man führt sie einfach aus. So wird z.B. jeder, der über einen langen Zeitraum improvisiert, wird automatisch die Angebote seiner Mitspieler akzeptieren, seine Wahrnehmung für sie öffnen usw.

404., 405., 406. und 407. Nacht

404. Nacht
Die Rechtfertigung des Lehrers ist vielleicht auf Arabisch lustig:
„Ich war in jenem Moment erregt, und meine Gedanken waren beschäftigt, und als ich las, der Kohlendämpfer sei in eine Decke eingewickelt, da meinte ich, er sei tot und man hätte ihn ins Leichentuch gehüllt.“ Die Frau, die den Betrug nicht durchschaute, sprach zu ihm: „Du bist entschuldigt“, nahm den Brief und ging ihrer Wege.
***
Die Geschichte von dem König und der tugendhaften Frau
„Ein König“ zieht verkleidet aus und kommt in ein Dorf, wo er eine Frau um Wasser bittet. Als er sie sieht, will er sie verführen, doch sie reicht ihm, während er wartet, ein Buch, in welchem vor Sünden gewarnt wird.
Die Ausgangssituation klingt eigentlich wieder sehr nach Harûn er-Raschîd, aber vielleicht hat der Erzähler das dann doch anonymisiert, um den Herrscher nicht in zu sündhaftem Licht stehenzulassen.
Da erschauderte er und bereute seine Absicht vor Allah, dem Erhabenen.
Als sie am Abend ihrem Mann von der Begegnung erzählt, ergreift den die Eifersucht und
er wagte es nicht mehr, ihr zu nahen.
Die Verwandten der Frau klagen darüber beim König in einer Metapher: Was solle mit einem Mann geschehen, der das gepachtete Land nicht besät. Der Mann wiederum rechtfertigt sich damit, dass der Löwe das Feld betreten habe. Der König wiederum versteht den Wink:
„Du da, der Löwe hat ja dein Land nicht betreten; es ist noch gut zur Saat, drum säe darauf.“
***
Der Bericht von Abd er-Rahmân el-Maghribi über den Vogel Ruch
Ein Mann aus dem Volk der Maghribi, den man „den Chinesen“ nennt (weil er lange auf den chinesischen Meeren unterwegs war), ist im Besitz eines Federkiels aus dem Flügel des Vogels Ruch.
***
405. Nacht
Im folgenden wird beschrieben, wie die Matrosen ein Ei zerschlagen und riesige Federn und Fleischteile aus dem Küken des Ruch herausnahmen. Der erwachsene Vogel nahm einen Felsen, und nur durch geschickte Segelmanöver konnten sie dem fallengelassenen Stein ausweichen.
Das ganze erinnert sehr an Sindbad, und die Schlachtung des Eis kann man in der sonst recht freien Sindbad-Adaption „Sindbads siebte Reise“ bewundern. Online hab ich keinen Clip davon gefunden, nur den anschließenden Kampf Sindbads mit dem Vogel:
 
Wer vom Fleisch des Vogels esse, bekomme keine grauen Haare.
Und dies ist nur eins der größten Wunder.
***
Die Geschichte von Adî ibn Zaid und der Prinzessin Hind
En-Numân ibn el-Mundhir hat eine Tochter namens Hind.
Als eines Tages der Prinz Adî ibn Zaid nach Hira kommt, verliebt sie sich in ihn und er in sie, ohne dass sie sich wirklich begegnen.
Ihr meine Freunde, erweist mir große Güte
Und lenket eure Schritte zum Land der Täler hin;
Geleitet mich zu Landen, in denen Hind verweilet;
Dann geht und bringt die Kunde von meinem treuen Sinn.

***
406. Nacht
Nach vielem Hin und Her durch die Vermittlerin Mârija – einer Freundin Hinds – kommen die beiden mit dem Segen von König Numân zusammen.
***
407. Nacht

Nach drei Jahren aber ergrimmte der König wieder Adî und ließ ihn töten.

Daraufhin lässt Hind Kloster bauen, in dass sie sich zurückzieht bis zu ihrem Tod.
***
Die Geschichte von Dibil el-Chuzâi und der Dame und Muslim ibn el-Walîd
Die Geschichte wird aus der Perspektive des Dichters Dibil el-Chuzâi (auch al-Khuzai einem Dichter des 9.Jh. n.Chr. erzählt.
El-Chuzâi steht am Tor von el-Karch, als eine wunderschöne Frau an ihm vorbeigeht, die ihn betört und der er mit dem Vers begegnet:
Aus meinem Auge fließt ein Strom von Zähren;
Und Schlaf will meinem Lid sich nicht gewähren.
Sie antwortet spontan
Das ist dem Mann ein leichtes, wenn die Glut
Aus wunden Augen ihn zur Liebe lud.
So geht es hin und her zwischen den beiden, und gerade dem Dichter imponiert die spontane Dichtkunst dieser Frau, die er einlädt, ihm zu folgen, was sie auch überraschenderweise tut. Da er aber kein Haus hat, bittet er seinen Freund Muslim ibn el-Walîd, ihm das Gastrecht zu gewähren. Dieser sagt zu. Da er aber nichts zu essen zuhause hat, schickt er el-Chuzai mit einem Tuch zum Markt, dass dieser verkaufen und vom Erlös Essen kaufen soll, was der auch tut.
Als er jedoch zurückkommt, nimmt ihm Muslim ibn el-Walîd die Speisen ab, schlägt ihm die Tür vor der Nase zu und höhnt:
„Wer ist es, der diesen Vers gedichtet hat:
Ich schlief in ihrem Arm; indes mein Freund
War trüb im Herzen und an Gliedern rein – ?“
Die Antwort el-Chuzâis:
„Er, der am Gürtel tausend Hörner hat,
die höher ragen als ein Götzenschrein.“
El-Chuzâi endet die Geschichte damit, dass er die Frau nie wieder sah und er noch heute Groll im Herzen verspüre.
***
Die Geschichte von Ishâk aus Mosul und dem Kaufmann
Ishâk ibn Ibrâhim aus Mosul berichtet, eines Morgens des Kalifenpalastes überdrüssig geworden zu sein, weshalb er beschloss auszureiten und seine Diener anwies, niemandem zu sagen, wohin er geritten sei. So reitet er durch die Straßen, bis er nach zur Straße el-Haram kommt.
Weiterlesen

Vorstellungskraft

„Ich recherchiere nicht gern. Das hemmt die Vorstellungskraft. Aber es ist seltsam. Ich habe mir mein Finnland im Kopf ausgemalt, und als ich da war, stellte ich fest, dass alles ganz exakt so aussieht wie im Roman. Ein echtes Déjà-vu.“ (Haruki Murakami)

402. und 403. Nacht – Wissen und Leben II

5) Seit einer halben Stunde stand er nun schon so da. Jemand musste vergessen haben, die Akkus des vollautomatischen Rugby-Schiedsrichter-Roboters aufzuladen.

*

6) „Essen, Schlafen, Lustmord, Leichen verbuddeln..“ Einen Tag vor seinem 65. Geburtstag wurde Alwin Henning klar, dass er sein gesamtes Erwachsenen-Leben doch recht eintönig verbracht hatte. Es musste doch noch mehr geben, als dieses ewige Essen, Schlafen, Lustmord, Leichen verbuddeln. Aber was?

*

7) Erika Niemann und Holger Pfirsich waren kurz davor auszuflippen: Was hatten die sich in der Design-Abteilung von Robotron dabei wieder gedacht, das Akkufach des Rugby-Schiedsrichter-Roboters so fitzelig unter der Achselhöhle einzubauen? Und dass, wo doch heute der Verein Hacke Hagelberg seinen Titel gegen Hucke Hagenow verteidigen sollte!
*

8) Das war schon erstaunlich mit einer einzigen Wischbewegung auf seinem iPad, das in der neuen Winter-Edition von Apple auf einem praktischen Ziehwägelchen geliefert wurde, konnte Professor Sergej Sergejewitsch Sergejew den bei der diesjährigen Tundra-Schmelze gefundenen Mammut-Penis ganz bequem im vom archäologischen Institut bereitgestellten Penisköcher verstauen. Einfach rein. Und wieder raus. Und rein. Und wieder raus.
*

9) Beim Finale der Rugby-Meisterschaften der fünften Liga Nordost zwischen Hacke Hagelberg und Hucke Hagenow warteten die beiden Mannschaften seit einer geschlagenen Stunde auf den Anpfiff. Sollte es mal wieder ein Problem mit dem Rugby-Schiedsrichter-Roboters geben?

***

402. Nacht

Der Erzähler berichtet, dass Abu Amir den Jüngling betend antrifft und als er ihn am nächsten Tag wieder besucht, ist er tot. Bei ihm findet er den Rubin,

der Tausende von Dinaren wert wahr. Ich sagte mir: „Bei Allah, dieser Jüngling übte die Weltentsagung in vollkommener Weise!“

Den Rubin lässt er Harûn er-Raschîd zukommen, der ihm bestätigt, der Vater des Jünglings zu sein. Nachdem sich Harûn das Grab des Jünglings zeigen lässt, bittet er Amu Amir, sein Freund zu sein. Doch dieser lehnt ab.

Das ist allerdings höchst sonderbar oder gar einmalig: Nicht, dass die Freundschaft des großen Herrschers ausgeschlagen wird, sondern Harûn er-Raschîd, der ja allenfalls mit ein paar Flausen wie Jähzorn ausgestattet ist als nicht freundschaftsfähig darzustellen, zumal er ja andauernd gerühmt wird und anzunehmen ist, dass einige Geschichten, ihm zu gefallen verfasst wurden. Abu begründet:

Ich bin der Fremdling, der bei keinem einkehrt;
Ich bin der Fremdling in der eigenen Stadt;
Ich bin der Fremdling ohne Sohn und Sippe,
Der keinen Freund zu seiner Zuflucht hat.
In den Moscheen kehr ich ein und wohn ich;
Für sie schlägt stets mein Herze ungeteilt.
Preist Gott für seine Huld, den Herrn der Welten,
Solange noch der Geist im Leibe weilt!

Ferner wird erzählt

***

Die Geschichte von dem Schulmeister, der sich auf Hörensagen verliebte

Wieder eine Geschichte aus zweiter (bzw. wenn man Schehrezâd mit einrechnet) aus dritter Hand: Ein Mann berichtet, einen gelehrten Schulmeister kennengelernt zu haben, was allen Vorurteilen zuwider läuft, nach denen Lehrer von Kindern eher ungebildet seien.

Ich erprobte seine Kenntnisse in den Lesarten des Koran, in der Grammatik, in der Dichtkunst und in der Sprachkunde, und siehe da, er war in allem, was von ihm verlangt wurde, bewandert.

Er besucht den Schulmeister mehrmals, und eines Tages findet er ihn krank und trauernd niederliegen, da seine Geliebte gestorben sei.
Es stellt sich heraus, dass es sich nur um einen Character in einem Scherzlied handelte, in die er sich verliebt hatte, als er die erste Strophe gehört hatte, und die er betrauert, als er Tage später die zweite Strophe vernommen hat.

403. Nacht

So überzeugte ich mich, dass er wirklich doch ein dummer Kerl war, verließ ihn und ging davon.

Eine kleine harmlose Anekdote, die möglicherweise durch das Scherzlied einen unübersetzbaren Reiz hat, aber sie verliert ihn auch gleich wieder, da der Lehrer, wenn er gerade in den Schrift- und Dicht-Künsten so bewandert ist, doch zumindest von fiktiven Figuren wissen müsste.

***

Die Geschichte vom törichten Schulmeister

Eine Variante des Obigen mit gleicher Ausgangssituation.
Hier lädt der Schulmeister den Erzähler zu sich nach Hause ein. Und als alle schlafen gegangen sind, hört man durchdringende Schreie aus dem Harem. Der Schulmeister liegt in seinem Blut:

„Als ich dich verlassen hatte, setzte ich mich nieder, um über die Werke Allahs des Erhabenen nachzusinnen. Und ich sagte mir: In allem, was Allah für den Menschen geschaffen hat, liegt ein Nutzen verborgen. Er, dem Preis gebührt, hat die Hände zum Greifen geschaffen, die Füße zum Gehen, die Augen zum Sehen, die Ohren zum Hören, die Rute zum Zeugen und so weiter, nur diese beiden Hoden da haben gar keinen Nutzen. Da nahm ich das Rasiermesser, das ich bei mir hatte und schnitt sie beide hat.“

Dieselbe Moral folgt.

***

Die Geschichte von dem Schulmeister, der weder lesen noch schreiben konnte

Ein Analphabet eröffnet eine Schule und arbeitet, indem er die Kinder in zwei Gruppen teilt. Den einen sagt er „Lies!“ Den anderen: „Schreib!“ So bringen sie es sich gegenseitig bei.

Wie das gehen soll, ist mir ein Rätsel.

Eines Tages bittet ihn eine Frau, ihm einen Brief vorzulesen. Das kann er schlecht ablehnen, also spielt er tiefste Ergriffenheit mit starker Emotionalität vor.

„Lieber Herr, wenn er tot ist, so sagt es mir!“ Er aber schüttelte den Kopf und schwieg. Da fragte die Frau: „Soll ich mein Gewand zerreißen?“ – „Zerreiß es!“, erwiderte er. Weiter fragte sie: „Soll ich mir das Gesicht zerschlagen?“ – „Zerschlag es!“, gab er zur Antwort.

Und so glaubt sie, der Mann sei verstorben. Doch ihre Nachbarn lesen ihr später vor, im Brief stünde, der Mann schicke ihr einen Kohlendämpfer und eine Decke.

Feedback in Improtheater-Gruppen

(Ergänzung: Diese Gedanken habe ich bearbeitet und weiter ausgeführt im Buch „Improvisationstheater. Band 8: Gruppen, Geld und Management


Szenario Eins: Die Show ist vorbei. Nicht enden wollender Applaus. Zugabe. Begeisterte Zuschauer. Im Backstage liegen sich die Spieler in den Armen. Das geht monate-, manchmal jahrelang gut, bis es irgendwann aus einer Spielerin herausplatzt: „Martin, warum musst du mich immer als deine alte Mutter anspielen! Und wieso blockierst du überhaupt andauernd alle meine Angebote!“ Der arme Martin weiß nicht, wie ihm geschieht, und ruckzuck, rutsch die gesamte Gruppe in eine Krise. Möglicherweise gibt es dann ein längeres gruppeninternes Gespräch, um den Riss wieder zu nähen, aber die Narbe bleibt.
Szenario Zwei: Die Show ist vorbei. Nicht enden wollender Applaus. Zugabe. Begeisterte Zuschauer. Im Backstage sitzen sieben deprimierte Spieler und schütteln die Köpfe: Wie konnte so etwas passieren? Jeder ist mit einem Teil der Show, einer bestimmten Szene, einem Game, einer improvisierten Entscheidung unzufrieden. Mit ernsten Gesichtern gehen sie schließlich aus dem Backstage nach draußen, wo sie vom Publikum unglaubliche Komplimente bekommen: „Ich habe so sehr gelacht, wie seit Monaten nicht mehr.“, „Ihr habt extrem gut zusammengespielt. Und großartige Storys hervorgebracht!“ Die Spieler antworten: „Ach, heute war es eigentlich nicht besonders.“
Zunächst einmal: Auch nach Shows, die eurer Meinung nach nicht gut gelaufen sind: Vergesst nie, weshalb ihr improvisiert – zur Freude des Publikums, zur Freude eurer Mitspieler und zu eurer eigenen Freude! Wenn euch Zuschauer loben, bedankt euch. Niemand hat etwas davon, wenn ihr die Freude der Zuschauer im Nachhinein relativiert.
Die Frage ist: Wie vermeiden wir die beiden Szenarien? Wie verhindern wir, dass sich das Ensemble auseinanderentwickelt? Wie halten wir „die Band“ zusammen? Wie können wir die Show selbst als Antrieb unserer künstlerischen Entwicklung nutzen?
Die Antwort ist: Gebt einander Feedback!
Wenn man sich regelmäßig Feedback gibt, bekommen sowohl die Einzelspieler als auch die gesamte Gruppe die Möglichkeit, sich zu entwickeln. Kleine Gewohnheiten entwickeln sich sonst zu üblen Macken, die schwer abzutrainieren sind. Und die Gruppe leidet dann auf der Bühne und nach der Show.
Das ideale Feedback
Die ideale Situation habt ihr, wenn es einen Trainer bzw. Regisseur gibt (1), der sich während der Show Notizen macht (möglichst in einer der hinteren Reihen, wo ihr nicht jedes Mal seht, wenn er zum Stift greift) und direkt nach der Show Feedbacks gibt. Dabei können folgende Fragen eine Rolle spielen
        Wie hat die Show aufs Publikum gewirkt? Habt ihr die Zuschauer erreicht?
        Hat die Show/das Format als Ganzes funktioniert?
        Was waren schöne Momente des Miteinander?
        Schöne Spielzüge jedes einzelnen Spielers.
        Kritische Anmerkungen.
Das Positive sollte insgesamt für die Gruppe und auch für die einzelnen Spieler überwiegen. Damit meine ich nicht nur, dass es darum geht, eine nette Atmosphäre herzustellen. Sowohl für den Einzelnen als auch für die Gruppe ist es wichtig, das Positive und die Leistungen zu kennen und zu wissen, worauf man aufbauen kann, was gewissermaßen als Fundament dient. Kritik zeigt mir, woran ich arbeiten kann. Wenn wir also hören, dass die einzelnen Szenen gut waren, wir sehr gut aufeinander eingegangen sind und schauspielerisch brilliert haben, dann können wir gleichzeitig mit heiterer Gelassenheit den kritischen Punkt aufnehmen, dass unsere Show durch die zu schnellen Szenenwechsel etwas hektisch wirkte und an diesem Punkt heiter und entschlossen bei der Probe arbeiten.
Der Trainer kann, wenn die Zeit es erlaubt, Raum geben für persönliches Feedback und Fragen der Spieler. Wichtig dabei: Verzettelt euch nicht. Es kann genügen, festzustellen, dass sich Carola in der Eiscafé-Szene von Sven blockiert fühlte. Wir müssen nicht alle unseren Senf dazu geben, ob Sven wirklich blockiert hat oder ob Carola mit dem Blockieren hätte kreativer umgehen können. In der Ideal-Situation bestimmt der Trainer, wie lange die Diskussion geht. Wesentlich länger als 10 Minuten sollte das Nach-Show-Feedback nicht sein, sonst entsteht schnell das Gefühl, die Show wird zerredet.
Etwas ausführlicheres Feedback mit anschließendem Training ist auch bei der nächsten Probe möglich, die idealerweise gleich am nächsten Tag stattfindet (da sind die Eindrücke und Erinnerungen noch einigermaßen frisch).
Dummerweise ist die Ideal-Situation oft nur schöne Fantasie. Viele Gruppen arbeiten ohne Trainer oder Regisseur und funktionieren demokratisch, die nächste Probe ist erst in sechs Wochen, und überhaupt können Sven und Carola, die heute gespielt haben, bei der Probe nicht mitmachen.
Diese Hindernisse sollten euch aber nicht davon abhalten, einander Feedback zu geben.
Wenn ihr ohne Trainerarbeitet, kann es sich lohnen, vor allem in großen Gruppen, festzulegen, wer gerade den Hut aufhat, quasi als Interims-Coach. (2) In solchen Gruppen ist es noch wichtiger, auf positive Atmosphäre zu achten, da meist alle involviert sind und eine negative Gesprächsführung eine fatale Eigendynamik entwickeln kann, die der Sache nicht angemessen ist.
Betont also als erstes, was euch gefallen hat. Lobt vor allem auch diejenigen Mitspieler, die ihr zu kritisieren gedenkt. Betont die Ich-Perspektive. Diese positive Grundhaltung ist nicht nur für die Gruppe, sondern für euch selber auch wichtig. Ein allzu kritischer Blick verzerrt manchmal die Perspektive. Und denk daran: Deine Sicht ist zunächst mal nur deine Sicht. Bleib bescheiden gegenüber der Gruppe, den Mitspieleren, der Kunst.
Also statt „Deine Angebote in der Bahnhofs-Szene waren total wirr und unklar“, lieber: „Ich konnte mit deinem blinden Angebot in der Bahnhofs-Szene nichts anfangen. Es würde mir vielleicht leichter fallen, wenn du manchmal einen gemimten Gegenstand auch benennst.“
Kontraproduktiv und unter der Gürtellinie: „Üb du erst mal Pantomime. Aus deinem ständigen Gehampel wird doch keiner schlau.“
Wenn es also in der Gruppe den Konsens gibt, dass wir einander nicht beschuldigen, dann können wir einen Schritt weiter gehen, hin zu der Grundannahme, dass die Kritik meiner Mitspieler nie als Beschuldigung oder Anfeindung gemeint ist. Wenn dir also ein Feedback zu negativ oder gar verletzend erscheint, bitte deinen Mitspieler einfach, es noch einmal anders zu formulieren.
Jede Gruppe muss ihre eigenen Regeln finden. Um das sensible Gruppengewebe nicht zu belasten, kann man z.B. auch darauf verzichten, überhauptpersönliches Feedback zu geben, sondern es sich zur Regel machen, eher grundsätzlich zu formulieren. „In der Szene an der Tankstelle sind wir nicht richtig zusammengekommen.“
Nehmt persönliches Feedback an, auch wenn ihr vielleicht im konkreten Falle nicht viel damit anfangen könnt. Wenn du meinst, du hast Stephan nicht blockiert, dieser das aber so als Feedback an dich formuliert, dann können ja zwei Wahrheiten durchaus nebeneinander stehenbleiben. Wenn du aber ähnliches Feedback mehrmals und von verschiedenen Seiten hörst, dann könnte es sinnvoll sein, am beschriebenen Verhalten durch Fokus und/oder Training etwas zu verändern.
Seid euch auch in euren Feedbacks darüber im Klaren, dass Improvisation die Möglichkeit des Scheiterns mit sich führt. Auch (und gerade) große Formate können danebengehen, und auch deren Scheitern müssen wir umarmen können.
Seid großzügig. Improtheater zu spielen ist eine komplexe Handlung. Nicht jeder ist immer und auf allen Handlungs-Ebenen zu 100 Prozent auf der Höhe seines Könnens. Habt das gemeinsame Ziel vor Augen (das ihr in der Improvisation sowieso nie ganz erreichen werdet). Wenn klar ist, dass ihr dasselbe wollt, dann ist Scheitern auch leichter zu ertragen, sowohl das eigene als auch das der anderen. Wenn ihr hingegen merkt, dass es tatsächlich unterschiedliche Auffassungen über eure künstlerischen Ziele gibt, dann vertagt diese Diskussion, statt das Show-Feedback damit zu belasten.
Manchmal kann es sinnvoll sein, ein Feedback an die gesamte Gruppe (d.h. inklusive sich selber) zu adressieren, etwa: „Ich habe das Gefühl, dass durch unseren Fokus auf die Storys zur Zeit die Charaktere auf der Bühne etwas flach geraten.“ Haltet mit so etwas nicht hinterm Berg. Aus solchen Gedanken können gute Proben entstehen.
Haltet das Feedback kurz! Man kann sich auf Proben schön verzetteln mit Fragen, wie wer welche Szene gesehen hat. Bleibt knapp und klar. Behaltet die Zeit im Auge.
Feedbacks unmittelbar nach der Show
Wenn es irgendwie möglich ist, dann gebt euch wenigstens ein kleines Feedback unmittelbar nach der Show.
Wichtigste Regel hier: Feedback stets ohne Publikum! Das sollte eigentlich klar sein, aber ab und zu habe ich’s dann doch erlebt, dass sich Spieler dazu verleiten lassen, mit Zuschauern nicht nur Szenen revuepassieren zu lassen, sondern ihre Mitspieler zu kritisieren. Abgesehen vom seltsamen Eindruck, den das hinterlässt, tut es auch dem Vertrauen innerhalb der Gruppe nicht gut. Künstlerisches Feedback braucht einen geschützten Raum.
Unmittelbar nach der Show sollte das Feedback extrem knapp sein. Schließlich wollt ihr ja auch noch mit euren Freunden aus dem Publikum reden, ein Bier an der Bar trinken usw. Wenn ihr nichts Konkretes zu sagen habt, dann belasst es bei „Es hat mir sehr viel Spaß gemacht, mit euch zu spielen.“
Gebt euch keine Feedbacks in den Pausen. Die Pause in einer Show ist auch für euch zur Erholung und zum Fokussieren auf den zweiten Teil. Eine Kritik hingegen, auch wenn sie emotional abgleitet, bleibt doch im Kopf hängen und kann das Spiel im zweiten Teil stören. Nutzt lieber kleine Warm-Up-Spiele, um für den zweiten Teil in eine gute Stimmung zu kommen. Wenn ihr merkt, dass der erste Teil etwas lahm war, könnt ihr euch in der Pause noch mal einen Energie-Schub geben mit einem physischen Spiel. Oder wenn du persönlich das Gefühl hast, mit einem der Spieler nicht recht zusammengekommen zu sein, dann schlag ihm eine gemeinsame kleine Synchro oder ein „Aus-einem-Mund“ als Warm Up vor.
Wertet niemals vor einer Show die letzte Show aus. Das kann wirklich runterziehen. Schaut vorwärts.
Spezialfall der sehr großen Gruppe
Wenn ihr in einer sehr großen Gruppe arbeitet (ich spreche hier von 12 oder mehr Mitgliedern eines Ensembles), dann könntet ihr vor dem Problem stehen, den künstlerischen Kompass zu verlieren, da die einzelnen Spieler zu verschiedene Bedürfnisse haben. Wichtig bleibt aber, dass ihr beim Feedback eine Sprache sprecht. Also braucht ihr entweder regelmäßige Treffen, in denen ihr euch über den Kurs des Ensembles verständigt oder ihr legt euch auf einen künstlerischen Leiter fest, dessen Funktion sich auch zeitlich beschränken kann (z.B. auf ein Jahr).
Spezialfall des Duos
Der Vorteil eines Duos besteht darin, dass man sich sehr gut kennt, sich schnell aufeinander einspielen kann. Duos haben sich oft schon gefunden, weil zwei Schauspieler gemerkt haben, dass der jeweils andere eine ähnliche Vorstellung vom Umzusetzenden oder Umsetzbaren hat. Oft verstehen zwei Spieler, die lange miteinander improvisieren, einander irgendwann fast blind. Aber genau diese wertvolle Nähe und dieses großartige Einverständnis kann zum Problem werden, wenn das Duo betriebsblind wird.
Auch für Duos sind künstlerische Feedbacks wichtig. Das kann durchaus sparsam betrieben werden. Ein Duo kann viel eher auf das Funktionieren oder Nicht-Funktionieren von gemeinsamen Momenten referieren. Aber dem Duo fehlt ein spezifisches Element, nämlich die kritische Außensicht. Selbst bei einem Trio gibt es, zumindest in Zweierszenen, wenigstens einen Dritten, der ab und zu nicht auf der Bühne steht und das ganze etwas objektiver beurteilen kann. Ich kann Duos nur raten, sich ab und zu Feedback von außen zu holen. Hört auf das, was euch Kollegen sagen, hört auf eure Techniker und eure Musiker. Achtet auf kritische Stimmen aus dem Publikum, gerade wenn sie selten sind.



(1)Ein Trainer oder Regisseur ist weniger involviert als Mitspieler, die sich untereinander Feedback geben und voneinander Feedback bekommen.
(2)Selbst in Gruppen mit Regisseur oder künstlerischem Leiter kann diese Methode sinnvoll sein: Unterschiedliche Feedback-Geber haben unterschiedliche Perspektiven auf Show, Storys, Szenen und Spieler. 
Weiterlesen

Fiddling with your work system

„If, like me, you’re always fiddling with your work systems, reorganising your stuff, testing new tricks for cultivating habits… take comfort. One tactic works for a while, then the self-sabotaging part of your brain gets wise to what you’re doing, and the cycle begins again.“ (Oliver Burkeman, Guardian 30 November 2013)

Freiheit und Grenzen beim Storytelling

Man kann sich die Optionen beim Storytelling wie bei einer umgekehrten Pyramide oder einem Trichter vorstellen: Zu Beginn ist praktisch alles möglich. Wir assoziieren frei und wild. Je mehr aber bereits etabliert ist, umso mehr sind die Möglichkeiten limitiert.
Das beginnt bereits mit dem ersten Angebot. Ich etabliere meinen Mitspieler als „Papa“, dann ist er eben nicht der Pizza-Bote oder der Papst. (Es sei denn, die Story geht genau um einen Typen, der nicht weiß, dass sein Vater der Papst ist oder der Pizza-Bote eigentlich sein Vater.)
Je mehr wir voranschreiten, umso eher sollten wir das bereits Etablierte im Auge behalten. Wir müssen praktisch nur noch einsammeln und verknüpfen.
Wenn Improvisierer gar am Ende noch „erfinden“, wirkt die Story für uns als Zuschauer konstruiert. Das beste Rezept für ein schlechtes Ende: Einfach Aliens einführen, die die ganze Zeit am Werk waren (z.B. im Film „The Forgotten“).

Marina Abramovic – To be an artist, to be present

[Transcript]

„How do you know, you’re an artist? That’s the main question. (…) It’s like breathing. (…) So if you wake up in the morning and you have some ideas and you have to make them and it has become some kind of obsession that you have to create, and you have this urge to create, you’re definitely an artist. You’re not a great artist, you’re an artist. To be a great artist, there are all different kind of rules…“

„The great astists have to be ready to fail which is something not many people do. Because if you have success, then the public accepts you in a certain way, you start somehow involuntarily reproduce the same images, the same type of work. And you’re not risking. Real artists always change the territories. They go to the land where they’ve never been. (…) And there you can fail. That failure actually is what makes this „extra“. The readiness to fail is what makes great artists.“

„As a young one, if you want to be famous and rich, you just can forget about it. It’s not a good idea being an artist. The money and the success is not the aim. It’s just a side effect.“

„I had an old pfrofessor whom I loved very much. He gave me two advices. He said: If you’re drawing with your right hand and you’re getting better and better, and you become vituous, you can do it with closed eyes, you can draw anything you want, the immediately change to the left hand. That was an important advice, because if you become ‚routine‘, that’s the end of everything. And the second great advice, he said to me: ‚In your life time you’ll probably have one good idea, if you’re a really good artist. And if you’re a genius, two good ideas, and that’s it. But be careful with them.“

„When I was young I had a lot of ideas, but they weren’t linear. So I never developed a certain style that would be recognized. So I had this obsession about one thing, and I had to do it. And mostly I would do the work I’m afraid of. If I’m afraid of an idea, this is exactly the point I have to go to. If you do the things you like, you never change, there is nowhere. You will always do the same shit again and again. But if you do things that you don’t know, that you’re afraid of, something really different, then it’s really important to go to that different pattern. (…)
One of my exercises for my students: For three months they had to buy hundreds of sheets of paper and one rubbish can. And every day the will sit on the chair and write good ideas. And the ones they like, they put on the left side of the table, and the ones they don’t like they put in the rubbish. And after three months, they all want to present the good ideas. I’m totally not interested in good ideas. I just took the rubbish cans. And every single idea was incredible, the ones you reject, the ones you don’t want to deal with.“

„It’s also interesting which media you should use. You may be a painter, and if you want to be a performer it doesn’t work. (…) You have to know which tool is best for your expression. So for me, to recognize a good performance artist is really simple: The idea can be totally shit, the execution can be wrong, but it’s just the way how he stands, and that’s it. In the space, you know, how you occupy physically the space, and what that standing does to everybody else looking at that person. That kind of difference really makes the difference. It’s a certain energy. You recognize it right away. And you can learn how to execute things, ideas and all the rest. But it’s about energy you cannot learn. You have to have it. It’s just there, when you’re born.“ [Here I would disagree. I’ve seen students freeing themselves from their own limitations, gaining an extraordinary stage presence. – DR]

„One of the lectures [lessons??] of Robert Wilson when I was doing the theater piece with him. He was saying to the actors and to me: „When you’re standing in one place and you take it to the next movement, you’re not present.“ So this is an incredibly important lesson. When you’re standing in one place, you can’t think of the next step. The next step has to come with your body and mind together. Otherwise you’re missing that moment of presence. So, it’s a hard thing to do, but it’s quite important. There are lots of exercises how to learn that presence.“… Weiterlesen

Arbeitsroutinen von Künstlern XVIII – Der Spaziergang

Der Spaziergang scheint für viele kreative Geister – für Schriftsteller und Musiker mehr als für Maler und Wissenschaftler – ein wichtiger Teil der Tagesroutine zu sein. Sowohl Schriftsteller als auch Musiker müssen den inneren mit dem äußeren Rhythmus harmonisieren. Was ist damit gemeint? Ein Schriftsteller kann eine Grundidee für ein Buch, eine Story, ein Kapitel aus einem Roman im Kopf fertig haben. Ein kreatives Problem besteht aber darin, dass der Prozess des Schreibens mit dem Prozess des Denkens in Einklang gebracht werden muss. Jeder hat schon mal das Gefühl gehabt, dass man nicht so schnell schreiben kann wie einem die Gedanken in den Kopf schießen. Oder auch umgekehrt: Der Schreib-Impuls ist da, aber die Gedanken können nicht mithalten. Ersteres führt zu Schludrigkeiten des Ausdrucks, zweites zu Schreibblockaden.
Spazieren kann den nervösen Geist beruhigen und den lahmen Geist auf Trab bringen. Da wir mit dem Spazieren kein bestimmtes Ziel haben, bleibt der Geist auch eher bei uns als Pflichten nachzuhängen. (Es wäre also Quatsch, einen Künstler-Spaziergang mit Erledigungen zu verknüpfen.)
Spazieren ähnelt in manchem der Gehmeditation. Aber anders als bei dieser erlauben wir unserem Geist zu fliegen: Man kann einen Gedanken eher vorantreiben als auf dem Sessel.
Aber auch zielloses Rumspinnen funktioniert beim Spaziergang eher als beim Spiegeleier-Braten. Dieses ziellose Denken, für das Künstler ja oft gehänselt oder belächelt werden, ist aber ein entscheidender Teil des kreativen Prozesses. Die Impulse, die wir täglich aufsammeln, müssen in unserem Hirn verarbeitet werden, müssen die Möglichkeit haben, sich neu zusammenzusetzen (ähnlich, wie es in Schlafträumen geschieht). Wir brauchen die Möglichkeit, auch Unbrauchbares, Unmögliches zu denken. Der Künstler ist schließlich kein Sachbearbeiter.

***

Fortsetzung der Lektüre Daily Rituals. How Great Minds Make Time, Find Inspiration, and Get To Work

Sergej Rachmaninow (1873-1943)
2 Stunden Üben
4 Stunden Komponieren.
Zeit-Mangel empfand er nur beim Komponieren.

Wladimir Nabokow (1899-1977)
Die Erstentwürfe seiner Romane schrieb er auf Karteikarten, die er in langen Karteikästen aufbewahrte.

Diese Kästen dienten ihm auch als transportable Schreibtische.
Als junger Mann schrieb er vormittags, dabei kettenrauchend.
Später: Aufwachen am Morgen, meist geweckt durch eine Dohle vorm Balkon. Im Bett bleibend – Nachdenken.
8 Uhr Aufstehen, Rasieren, Frühstück, Meditation, Badezimmer.
Mittag gegen 13 Uhr.
Weiterarbeiten ab 13:30 Uhr bis 17:30 Uhr.
Zeitungen. Abendessen 19 Uhr, danach keine Arbeit mehr.
Zu Bett gegen 21 Uhr, dann lesen bis 23:30 Uhr!
Kampf gegen Schlaflosigkeit bis 1 Uhr.
Hobbys: Fernsehen (selten für regelmäßig erfolgreich arbeitende Schriftsteller), Sonnenbaden, Erstellen von Schachrätseln!

Balthus (1908 – 2001 !!)
9:30 Uhr Frühstück
Danach ins Studio, das außerhalb des Dorfs lag.
„Ich habe stets beim Arbeiten geraucht. (…) Ich verstand intuitiv, dass das Rauchen meine Konzentrationsfähigkeit erhöhte und mir erlaubte, in die Leinwand einzutauchen.“
[Sicherlich hätte er es auch anders geschafft, sagen wir, mit einem Lolli, wenn er diese Gewohnheit nicht schon seit seiner Jugend gehabt hätte. Und fast scheint es mir unverantwortlich, dieses Zitat im Zusammenhang mit dem von ihm erreichten hohen Lebensalter aufzuschreiben. Aber so ist das Leben. Und ich vermute, dass sein hohes Alter seiner andauernden Bewegung und seiner Arbeit zuzuschreiben ist.]
Exkurs:
Regionen, in denen die Lebenserwartung extrem hoch ist, beunruhigt mich. Zusammengefasst, sind die Voraussetzung diese:
– andauernde Freundschaften
– geerdete Spiritualität
– überwiegend vegetarische und vielseitige Ernährung,
– natürliche Bewegung, d.h. die alltäglichen Handlungen sind bewegungsreich
– täglicher Lebenszweck – ein täglicher Grund, warum man aufsteht
– tägliche Ruhepause
– gute Familienbeziehungen und -traditionen
– mäßig essen und wenig Alk
– sich in gute Gesellschaft begeben.
(s. Dan Buettner)

16:30 Rückkehr ins Landhaus.
20 Uhr Abendesssen.
Danach Lesen oder Fernsehen.… Weiterlesen

Arbeitsroutinen von Künstlern XVII – Parks und Bibliotheken

Fortsetzung der Lektüre „Daily Rituals. How Great Minds Make Time, Find Inspiration, and Get To Work“

Wenn die Idee so stark ist, dass sie sich fast von alleine bewegt, dass es praktisch nur noch ein Niederschreiben ist, dann kann auch ich fast überall schreiben (ggf. mit einem ordentlichen Paar Ohrstöpsel). Aber wenn das Pflänzchen noch zart ist, der Gedanke auf den Weg gebracht werden muss, dann ist fast jeder Ort eine Zumutung. Im Sommer habe ich mich manchmal in den Park oder den Wald zurückgezogen, um zumindest die ersten Abschnitte per Hand zu schreiben. Den Rest vervollständigte ich per Laptop zu Hause.
Interessant, dass bis auf Karl Marx keiner der hier beschrieben Autoren öffentliche Bibliotheken als Schreibort nutzte. Eigentlich seltsam. Stille wird hier noch mehr als Konvention akzeptiert als „Kein Schweiß auf Holz“ in der Sauna. Vielleicht ist ja genau das das Problem: Man kann es sich nicht richtig gemütlich machen in der Bibliothek, das Sich-Ausbreiten kann von anderen eventuell als Zumutung empfunden werden. Man kann den Text nicht mal laut für sich lesen. Kaffee ist nicht überall erlaubt. Und schließlich war das Schreibgerät des 20. Jahrhunderts – die Schreibmaschine – wohl das Letzte, was in einer öffentlichen Bibliothek erwünscht war.

***

Mark Twain (1835-1910)
Seine schaffensreichsten Phasen hatte Twain während der Sommer der 70er und 80er Jahre auf der Quarry Farm in Upstate New York, vor allem seit man ihm ein Schreibhäuschen (da ist es wieder) gebaut hatte.

Nach herzhaftem Frühstück sofort ins Arbeitszimmer, wo er bis 17 Uhr ununterbrochen arbeitete. Danach Dinner.
Bei dringenden Fragen blies die Familie in ein Signal-Horn, so dass er entscheiden konnte, ob er seine Arbeit fortsetzte oder sich der Familie widmete.
Sonntags keine Arbeit!
Drogen: Konstantes Zigarre-Rauchen.
Verschiedene Mittel ausprobiert, um seine Schlaflosigkeit zu bekämpfen, bis er eines Tages ohne Mittel um 22 Uhr einschlief und dann nie wieder Mittel zu nehmen.
Alexander Graham Bell (1847-1922)
Als junger Mann kam Bell mit nur vier Stunden Schlaf aus und führte das Leben eines Workaholic. Zuliebe seiner Frau änderte er seine Lebensweise, konnte aber gewissen Arbeitsanfällen von Zeit zu Zeit nicht widerstehen.
Vincent Van Gogh (1853-1890!!)
Oft pausenloses Arbeiten von 7 bis 18 Uhr, ohne Essen.
Man beachte den frühen Tod durch Selbstmord (oder Unfall). Mir scheint, dass ungesunde Lebensweise der Künstler auch frühen Tod durch nicht-krankheitsbedingte Todesarten herbeiprovoziert.)
N.C. Wyeth (1882-1945)
Aufstehen 5 Uhr. Dann 90 Minuten Holzhacken!
6:30 herzhaftes Frühstück.
Verdauung während des Schreiben eines Briefs.
Dann an die Arbeit.
Schneller Arbeiter.
Mittag 13 Uhr, wenn die Arbeit gut lief.
Kinder durften nachmittags in sein Atelier, während er schweigend weiterarbeitete.
Georgia O’Keeffe (1887-1986!!)
Aufstehen in der Dämmerung. Feuer anmachen, Tee zubereiten. Wieder ins Bett, dem Sonnenaufgang zuschauen.
1/2 Stunde Morgenspaziergang, um Klapperschlangen auf dem Grundstück aufzustöbern und zu töten.
7 Uhr Frühstück
Arbeit bis zum frühen Abendessen um 16:30, unterbrochen vom Mittag.
So sehr sie alle anderen Tätigkeiten auch schätzte – das Malen war für sie eine Tätigkeit des Einklangs mit der Zeit.

Arbeitsroutinen von Künstlern XVI – vorläufiges Resümé

Fortsetzung der Lektüre Daily Rituals. How Great Minds Make Time, Find Inspiration, and Get To Work
Was lässt sich bis jetzt aus den Routinen der Schriftsteller herausdestillieren:

  1. Habe Routinen. Gleiche Aufstehzeiten, gleiches Frühstück, gleiche Bettzeiten usw. erleichtern es, den Kopf freizuhaben für die wirklich wichtigen Dinge.
  2. Schreib viel in einem Minimum an Zeit. 2-3 Stunden genügen schon. Das dann aber täglich.
  3. Spaziere entweder nach dem Frühstück oder nach dem Mittagessen.
  4. Alkohol lässt dich früher sterben.
  5. Soziale Verpflichtungen, Partys usw. auf ein Minimum reduzieren.
  6. Nickerchen zwischendurch.
  7. Schreib früh am Morgen oder nachts. In den Zeiten ist es am ehesten möglich, soziale Kontakte zu reduzieren.
  8. Wenn du nachts schreibst, dann nur wenn du jung bist und nur für deine ersten ein, zwei Romane, sonst gefährdest du deine Gesundheit und dein Sozialleben.
  9. Wenn du einen Brotjob hast, dann schreib entweder vor der Arbeit oder in der Mittagspause. Reinschrift und Korrekturen am Abend.
  10. Kein Fernsehen. Internet und Telefon beim Schreiben verbannen.
  11. Wenn du auf einem Landgut lebst, dann nutze das Gartenhäuschen.
***
Charles Darwin (1809-1883)
Vom Verfassen von „Der Ursprung der Arten…“ bis zur Veröffentlichung wartete Darwin Jahrzehnte, in denen er an seiner wissenschaftliche Reputation arbeitete, um sich später weniger angreifbar zu machen.
Fast mönchisches in Downhouse, Kent.
Frühstück allein, dann Spaziergang.
Arbeitsbeginn ab 8 Uhr: 90 Minuten.
Danach Post.
10:30-12 Uhr weiterarbeiten.
kurzer Spaziergang.
Mittag, Zeitung.
Nachmittags Briefe beantworten. (Er beantwortete jeden Brief!)
Dritter Spaziergang.
17:30 Ruhe, Abendbrot.
Danach Lesen, Backgammon.
22 Uhr Schlafen.
10 Kinder (die er ja auch irgendwie gemacht haben muss.)
Hermann Melville (1819-1891)
Schrieb täglich 6-8 Stunden.
Jeden Tag Feldarbeit auf seiner Farm, um sich vom Schreiben zu erholen.

Melvilles Farmhaus.
Leo Tolstoi (1828-1910)
„Ich muss täglich schreiben, nicht so sehr um die Arbeit zum Erfolg zu bringen, sondern um nicht aus der Routine zu kommen.
9 Uhr Aufstehen.
Frühstück: zwei rohe Eier! Das war das Einzige, was er bis zum Abend aß.
Schreiben zwischen 9:30 und 17 Uhr. In den späteren Jahren nur bis 14 oder 15 Uhr.
Seine Kinder haben unterschiedliche Erinnerungen daran, ob sie ihn unterbrechen durften oder nicht.
Pjotr Iljitsch Tschaikowski (1840-1893)
Erst im Alter von 45 Jahren (nach endlosen Touren) entwickelte Tschaikowski eine Tagesroutine, die er genoss, um ungestört arbeiten zu können.
7:30 Uhr aufstehen.
Frühstück, Tee, Rauchen, Bibellektüre, auch andere Werke. Das Lesen empfand Tschaikowski als Teil seiner Arbeit.
Erst Korrespondenz (die „unangenehme“ Tätigkeit), dann Komponieren (die „angenehme“).
Spaziergänge wurden aus Gesundheitsgründen peinlich, fast abergläubisch genau auf die Minute eingehalten.
Das Komponieren selber beschrieb Tschaikowski so: Es gehe darum, dem Samen der Inspiration günstige Umstände zu bereiten, aufzuplatzen und zu gedeihen. Alles andere, das Ausführen der Idee finde sich von selbst. (Hier scheint er völlig anders als Beethoven zu arbeiten.)

Arbeitsroutinen von Künstlern XV – Und was zählt eigentlich zur Arbeit?

Fortsetzung der Lektüre Daily Rituals. How Great Minds Make Time, Find Inspiration, and Get To Work

Im ersten Kapitel der Reihe zu den Arbeitsroutinen beschrieb ich den Anteil meiner verschiedenen Arbeits-Bereiche an der Gesamt-Arbeit.
Seit Mai führe ich nun dieses Zeitprotokoll und fast müsste ich mich gegenüber einem normalen Angestellten schämen, wenn ich gestehe, dass meine wöchentliche Arbeitszeit nur ca. 27 Stunden beträgt. Und ich weiß natürlich selber, dass ich auch Zeit verplempere. Andererseits: Führen nicht auch Angestellte Privattelefonate während der Arbeitszeit, erstellen Einkaufslisten, sind „mal kurz“ bei Facebook, gucken nach ihren Privat-E-Mails, erlauben sich ein Schwätzchen mit ihren Kollegen, dehnen die Raucherpause etwas länger aus?
Aber warum bescheißt man das eigene Unternehmen – sich selbst?

***

Friedrich Schiller (1759-1805)
Nachtarbeiter. Der ihn angeblich beflügelnde Duft verfaulender Äpfel ist so legendär, dass ich es schon kaum mehr glauben mag.
Sommers im Gartenhaus. (Da ist es wieder, das Gartenhaus, die Laube, der Pavillon. Das eigene Haus scheint für viele Schriftsteller ein schlechter Ort zum Schreiben zu sein.)
Weitere Drogen: Kaffee, Wein, Schokolade, Tabak und Schnupftabak.

Franz Schubert (1797-1828!!)
Einer der Junggestorbenen.
Arbeitete von 6 Uhr morgens bis 13 Uhr. Dabei andauerndes Pfeiferauchen. Komponierte nie nachmittags. Dann nämlich ins Kaffeehaus, Zeitunglesen.
Im Sommer Spaziergänge in den ländlichen Außenbezirken Wiens. Vermied trotz andauernder Geldnöte andere Arbeiten, wie Klavierunterricht. „Komponieren war für ihn die einzige Arbeit, die zählte.“

Franz Liszt (1811-1886)
4 Uhr morgens Aufstehen, auch nach übermäßigem Alkoholgenuss am Abend zuvor. Den ganzen Tag über Briefe beantworten und Musik ausprobieren.
Starker Alkoholkonsum am Abend.

George Sand (1804-1876)

Täglich ca. 20 Manuskriptseiten, die sie nächtens in einer Art schlaflosem Delirium verfasste. Zur Frage der Drogen meinte sie:
„Inspiration kann durch die Seele sowohl in einer Orgie als auch in der Stille des Waldes erfassen. Aber wenn es daran geht, den Gedanken eine Form zu verpassen, musst du – egal ob auf der Bühne oder in deinem Schreibzimmer – völlig Herr deiner selbst sein.“

Honoré de Balzac (1799-1850)
Er hat einen der seltsamsten Schlafrhythmen: 18 Uhr ins Bett, 1 Uhr Aufstehen und sieben Stunden lang Schreiben. (So kommt er auch auf seine sieben Stunden. Es wirkt auf uns ziemlich kurios, aber wenn man um 23 Uhr zu Bett geht und um 6 Uhr morgens aufsteht, hat man auch nicht mehr oder weniger vom Sonnenlicht des Tages.
8 Uhr ein 90-Minuten-Nickerchen, dann Weiterschreiben.
Massen an Kaffee. Kurz vorm Schlafengehen Besucher empfangen.

Victor Hugo (1802-1885)

Ab seiner Zeit in Guernsey auf den Kanalinseln verfolgte Hugo ein strenges Regime.
Früh aufstehen und zwei rohe Eier zum Frühstück, bis 11 Uhr Arbeiten.
Nachmittags Zeit für Briefe und Familie.

Charles Dickens (1812-1870)
7 Uhr Aufstehen
8 Uhr Frühstück
9 Uhr Schreiben. Totale Stille und Ordnung auf seinem Schreibtisch nötig. Kurze Mittagspause, in der er oft mechanisch dasaß und aß (was auch bei Picasso beobachtet wurde), da er noch von der Arbeit absorbiert war.
14 Uhr weiter schrieben.
Blieb bei seinem strengen Plan auch dann, wenn er statt der üblichen 2.000 Wörter kein einziges zu Papier zu bringen vermochte.

Weiterlesen

Arbeitsroutinen von Künstlern XIV – Krankheit

Fortsetzung der Lektüre Daily Rituals. How Great Minds Make Time, Find Inspiration, and Get To Work
Letzte Woche musste ich, nachdem ich den  Montag mit guter Arbeits-Routine abgeschlossen hatte, eine Pause einlegen: In der Nacht packte mich ein furchtbares Fieber. Die Nachwirkungen waren noch bis Donnerstag zu spüren.
Krankheit ist wohl das Schlimmste, was unsere Arbeitsroutine stoppen kann. Entscheidend ist, rechtzeitig wieder anzufangen, und das Gammel-Leben des Kranken nicht in die gesunde Phase mitzunehmen. (Bei einem normalen Büro-Job geht das ja auch nicht.) Schwierig vor allem dann, wenn man nur halb auf den Beinen ist, vielleicht gerade mal eine halbe Stunde etwas lesen kann oder ein paar Mails beantworten und sich dann schon wieder ausruhen muss. Wichtig: Den Flow nicht abreißen lassen. Sich wenigstens ein paar Minuten am Tag Gedanken zum Thema machen, Notizen aufschreiben und vielleicht ein paar ausformulierte Sätze.

***
Philip Roth (geb. 1933)
„Schreiben ist keine harte Arbeit, es ist ein Alptraum.“
Das wichtigste Herausforderung für den Schriftsteller, so beschrieb es Roth, liege darin, still zu sitzen in diesem extrem ereignislosen Geschäft.
Nach dem Frühstück Sport.
10-18 Uhr Schreiben in einer abgelegenen Hütte auf seinem 25 Hektar großen Grundstück in Connecticut.
1 Stunde für Mittagessen und Zeitung.
Lebt seit 1994 allein, ohne dass es ihn zu stören scheint.
Seine Ex-Frau Claire Bloom beschreibt ihn als „Psychopath, tablettenabhängig, voller Hass auf Frauen, paranoid, ein Sadist. Und krankhaft geizig.“ Als sie die Scheidung einreichte, verlangte er per Anwalt eine Entschädigung von 60 Milliarden (!) Dollar.
P.G. Woodhouse (1881-1975!)
7:30 Uhr Aufstehen und Calisthenics-Übungen.
Dann Frühstück mit Buch (Krimi oder Humor), Pfeife-Rauchen, Spaziergang mit Hunden.
9 Uhr Schreiben auf Schreibmaschine.
2.500 Wörter in jüngeren, 1.000 in späteren Jahren.
14 Uhr Mittagessen.
Nachmittags Fernsehserie.
Abendessen 18 Uhr mit Martini.
Edith Sitwell (1887-1964)
5:30 Uhr Beginn des Schreibens im Bett. Meist nur vormittags, manchmal auch den ganzen Tag bis zur Erschöpfung.
„Jede Frau sollte einen Tag pro Woche im Bett verbringen.“
Thomas Hobbes (1588-1679!!)
7 Uhr Aufstehen und Frühstücken.
Danach Morgenspaziergang, bei dem er meditierte. (Hobbes ist hier eine der wenigen bemerkenswerten Ausnahmen; denn die meisten Autoren unternehmen diese Spaziergänge eher am Nachmittag.)
Nach Heimkunft Notizen über die beim Spaziergang aufgekommenen Gedanken.
Mittag 11 Uhr. Dann Pfeife und halbstündiger Mittagsschlaf.
Am Nachmittag wurden die Gedanken des Vormittags ausformuliert.
Hübsche Marotte: Laut Singen vorm Schlafengehen, um die Lungen zu stärken.
John Milton (1608-1674)
4 Uhr Bibel Vorlesen lassen.
Danach Kontemplation und Verfassen von Versen im Kopf (Milton war in den letzten Jahrzehnten seines Lebens blind.)
7 Uhr Diktieren der erdachten Verse. Kam der Diener zu spät, beschwerte sich Milton, er müsse endlich „gemolken“ werden.
Danach wieder Vorlesen lassen.
Vormittags Spazieren im Garten.
Mittag.
Nachmittags und Abends Gäste.
21 Uhr Schlafen.
René Descartes (1596-1650)
Lange Schlafen. Aufstehen gegen 11 Uhr. Müßiggang sei wichtig für geistig tätige Menschen.
Nachmittags Spazieren und Konversationen.
Abends Korrespondenz.
[Wann verfasste er seine Werke?]
1649 wurde er an den Hof der schwedischen Königin gebeten, was er annahm. Er ahnte nicht, dass sein vorgeschriebener Tagesablauf Unterricht ab 5 Uhr umfasste. Einen Monat später war Descartes tot.
Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832)
Als junger Mann schrieb er den ganzen Tag. (Ergebnis laut eigener Aussage: Eine Druckseite. Was wohl heißen muss, dass er viel Zeit aufs Korrigieren verwendete.)
Im Alter nur morgens und auch nur wenige Zeilen.
Er weigerte sich außerdem, zu schreiben, wenn er uninspiriert war. Man möge das nicht forcieren.

Showmaster-Tugenden

Im Fernsehen wird unterschieden zwischen Talkshow-Mastern, Quizshow-Mastern und Unterhaltungsshow-Mastern.

  • Die Grundtugenden des Talkshow-Masters sind Zuhören, Zusammenfassen, Gespräche lenken.
  • Die Grundtugenden des Quizshow-Masters sind Knappheit und Klarheit.
  • Die Grundtugenden des Unterhaltungsshow-Masters sind Spritzigkeit, Überraschung, Schlagfertigkeit.

Unser armer Improtheater-Moderator braucht all diese Fähigkeiten gleichzeitig.

Publikums-Irritationen

In einem Hildebrandt-Nachruf der heutigen taz verweist der Autor auf den Kabarett-Theoretiker Henningsen, der Kabarett so definiert: „Kabarett [ist das] Spiel mit dem erworbenen Wissenszusammenhang des Publikums.“ (Henningsen, Theorie des Kabaretts 1967)
Im Grunde lässt sich das auch auf die Lesebühnen-Texte anwenden. (Obwohl es bei vielen Lesebühnen einen Anti-Kabarett-Reflex gibt, richtet sich der eher gegen das prätentiös-theatrale Element des Kabaretts, in ihrer Form müssen die Lesebühnen im Grunde wohl dazugerechnet werden.)
Und doch wird in viel zu vielen Texten von viel zu vielen Autoren mit dem Publikum gekungelt, der billige, auf Äußerlichkeiten oder Vorurteilen beruhende Witz wird mitgenommen. (Da reicht’s schon, wenn man „Merkel“ sagt oder den Zusammenhang „Latte Machiato – Prenzlauer Berg“ herstellt.
Meine Lieblings-Ausnahmen: Jochen Schmidt, Ahne, und der vor inzwischen sechs Jahren verstorbene Michael Stein.

(Ich könnte sicherlich noch 5-10 Namen nennen, aber dann wäre meine Liste weniger knackig, und die Leserin dieser Zeilen hätte weniger Gelegenheit, darüber zu spekulieren, wer diese anderen 5-10 sind.

Arbeitsroutinen von Künstlern XIII – Familie

Fortsetzung der Lektüre Daily Rituals. How Great Minds Make Time, Find Inspiration, and Get To Work

Wenn man sich die mit den Routinen einhergehenden Lebensweisen der Künstler betrachtet, fällt auf, in welch krasser Distanz einige Künstler zu ihren Familien leben: Thomas Manns Anweisung, die Kinder dürften nicht im Haus trappeln, Marx‘ Vernachlässigung von Frau und Kinder und Inkaufnahme von Krankheiten und Tod, die Zurückgezogenheit oder gar der Verzicht auf Familienleben, vor allem bei Schriftstellern erscheint, je nach Perspektive, romantisch oder erschreckend.
Das Problem scheint mir oft, dass man als Schriftsteller nicht ins Büro, ins Atelier oder ins Studio muss. Theoretisch kann man einfach am Küchentisch schreiben. Aber wer das mal versucht hat, weiß, wie schwierig das ist. Selbst das von Woolf geforderte „eigene Zimmer“ ist möglicherweise nicht genug, wenn man nicht die Möglichkeit hat, es abzuschließen, wenn die Kinder hereingepoltert kommen, wenn das Baby schreit oder auch nur die liebende Gattin fragt, wann man Mittag zu essen gedenke. Vor diesem Hintergrund erscheint die Lösung einiger Autoren, sich tatsächlich einen einfachen Büro-Job zu suchen und dann in den Mittagspausen zu schreiben, gar nicht mal so absurd. Einige Lesebühnen-Kollegen haben sich ein Büro gemietet, das sie mit anderen teilten. Ich habe aber noch nie gehört, dass in diesen Büros etwas längeres als eine Lesebühnen-Geschichte oder eine Kurz-Szene für einen Comedy-Sketch entstanden wäre. Denn andere schreibende Kollegen können einen genauso nervös machen wie die Frau. Wenn Büro, dann allein. Im letzten Winter hatte ich das Glück, in den Zeiten, da meine Frau das Kleinkind betreute, eine leerstehende Wohnung, in der es kaum etwas gab als ein Bett, einen Tisch und einen Stuhl gratis nutzen zu dürfen, ein Quasi-Teilzeit-Büro – leider mit WLAN-Verbindung.
So einsam aber die Tätigkeit des Schriftstellers ist, so verrät uns doch die Lektüre, dass sie nicht unbedingt familienfeindlich ist, da man viel mehr als 3-5 Stunden dieser produktiven Einsamkeit dann doch nicht braucht. (Vergleichen wir dies mit Film-Regisseuren, die durch die Gegend fahren müssen oder Musikern, die ständig an anderen Orten auftreten.) Viel beschäftigter als ein Büro-Angestellter ist man dann auch nicht. Und dass einsame Arbeiten zu Workoholismus verführen, ist bekannt.

Louis I. Kahn (1901-1974)
Unterricht an der Uni, nachmittags nach Hause. Abends wieder ins Büro, wo seine Arbeit an Entwürfen begann. Oft schlief er gleich dort.

George Gershwin (1898-1937)
Anfallsartiges Arbeiten, das meist am späten Vormittag begann und sich dann bis in den Abend zog.
Bemerkenswert: Auch er wartete nicht auf Inspiration, sondern arbeitete in der Hoffnung, dass einige Werke inspirierter sein würden als andere.

Joseph Heller (1923-1999)
Heller schrieb sein berühmtes „Catch 22“ in den Abendstunden nach der Arbeit. Er konnte sich keinen besseren Zeitvertreib vorstellen: „Ich kann mir nicht vorstellen, was Amerikaner abends taten, wenn sie keine Romane schrieben.“
Sehr langsamer Entstehungsprozess. Als er seinen Job aufgegeben hatte, lag er manchmal nachmittags im Bett und dachte stundenlang über den Roman nach.
Beim Schreiben hörte er Musik, vor allem Bach. (Eine Marotte, die wir hier bisher noch nicht gefunden haben. Wie konnte er sich dabei konzentrieren?)

James Dickey (1923-1997)
Arbeitete lange Zeit bei einer Werbe-Agentur, seine Gedichte schrieb er zwischendurch, bis sie ihn schließlich feuerten (trotz seiner guten Arbeit).

Nikola Tesla (1856-1943)
Als er für Edison tätig war, arbeitete er von 10:30 morgens bis 5 Uhr am nächsten Morgen. Später arbeitete er auch tagsüber mit runtergezogenen Jalousien.
Obsessionen: Sein Dinner im Waldorf-Astoria musste bestimmten Ansprüchen genügen, wie dem, dass stets 18 Stoff-Servietten bereit lagen, die er alle benutzte und deren Volumen er beim Aufstapeln berechnete.

Glenn Gould (1932-1982)
Hypochonder.
Verschloss sich oft und lange in seiner Wohnung. Machte zu seiner Hauptwachzeit, nämlich nachts, Telefonanrufe bei Freunden, die er zutextete.
Maximal 1 Stunde pro Tag üben.

Louise Bourgeois (1911-2010!!)
Ihr Leben, aber auch ihr Schaffen war von Schlaflosigkeit geprägt: Wenn sie nachts nicht schlafen konnte, stand sie auf und zeichnete auf Karton. Tagsüber arbeitete sie hart, ohne das Gefühl zu haben, etwas zu erreichen.

Chester Himes (1909-1984)
Früh aufstehen, großes Frühstück. Dann bis zum Mittag arbeiten. Danach Post. Wenn es gute Nachrichten sind, dann weiterarbeiten.
Keine Wörterbücher o.ä.
Zigaretten, Whisky, Fleisch.

Flannery O’Connor (1925-1964)
Im Alter von 26 Jahren wurde bei ihr die Erbkrankheit Lupus diagnostiziert. Ein regulärer Tagesablauf wurde für sie zur Überlebensstrategie.
6 Uhr aufstehen, Beten, Frühstück, Heilige Messe.
9 -12 Uhr schreiben.
21 Uhr Schlafen.

William Styron (1925-2006)
Schlafen bis Mittag. Denken bis 13:30 Uhr. Dann Mittagessen.
Besorgungen und Post am Nachmittag, womit er sich langsam in einen Arbeitsmodus begab.
Kein Alkohol beim Schreiben. Aber doch ab und zu, „um den Geist zu lockern“.

Arbeitsroutinen von Künstlern XII – Allein oder mit anderen kreativ werden

Impro-Kollegin Claudia Hoppe machte mich neulich in einem Kommentar darauf aufmerksam, dass bestimmte Formen der Kreativität sich eher im Gespräch entfalten. Das betrifft natürlich besonders Bereiche, in denen die Kreativität kooperativ entfaltet wird. Folgerichtig nehmen besonders Firmen aus dem IT-Bereich diesen Gedanken auf und schaffen kreative Zonen, quasi Spielbereiche. So entstehen Sphären, die im normalen Büro-Alltag bzw. der üblichen Büro-Anordnung nicht möglich gewesen wären. Bei Schriftstellern ist in diesem Zusammenhang (wir haben es hier schon ein paar mal gelesen), dass sie das Geschriebene ihren Freunden oder Familienmitgliedern vortragen und diese manchmal Vorschläge unterbreiten, wie es weitergehen könnte. Von Brecht ist bekannt, dass er von seiner Sekretärin Margarete Steffin erwartete, dass sie das von ihm Diktierte, kommentieren und kritisieren würde. Als er sie einem Schriftstellerkollegen „auslieh“ (ich erinnere mich nicht mehr, wer es war), empfand der ihre Kommentare als unangebracht.
Manches lässt sich aber nur allein erschaffen. Über Gauß las ich in diesen Tagen, dass er im Alter von 18 Jahren eines Morgens eine Stunde lang im Bett mit halbgeschlossenen Augen verbrachte, um einen Lösungsweg für die Konstruktion eines Siebzehnecks nur mit Zirkel und Lineal herauszufinden. Er kam auf diese:

Ich kann mir nicht vorstellen, dass er das im gemeinsamen Gespräch herausgefunden hätte.

*
Fortsetzung der Lektüre Daily Rituals. How Great Minds Make Time, Find Inspiration, and Get To Work

Al Hirschfeld (1903-2003!)
Striktes Arbeits-Regime. Den ganzen Tag über wird gearbeitet in einem isolierten Raum, in dem sich aber immerhin ein Telefon befindet. Abends Freunde, Bekannte, Theater, aber keine Partys.
Am späten Abend Lesen, hauptsächlich Philosophie.
Nach Auskunft seiner Frau arbeitete er sogar im Schlaf, da er oft von seiner Arbeit träumte.

Truman Capote (1924-1984)
Capote arbeitete grundsätzlich im Bett und behauptete, nur in der Horizontalen denken zu können. Auch das Tippen erledigte er im Bett mit Schreibmaschine auf den Knien. Dabei: Kaffee und Zigaretten. Am Nachmittag Tee statt Kaffee.
Obsessionen: Ein riesiger Berg an abergläubischen Verhaltensweisen – keine Arbeit an einem Freitag beginnen, zwanghaftes Addieren von Zahlen, keine Unglückszahl am Telefon wählen usw.

Richard Wright (1908-1960)
Wright wohnte lange Zeit bei der Familie eines kommunistischen Parteifunktionärs und lebte von einem Stipendium. Er stand früh auf, um das häusliche Chaos zu vermeiden und schrieb auf gelbem Schreibpapier mit Füllfederhalter und Tinte. 10 Uhr zurück ins Haus und besprach mit der Hausfrau den weiteren Verlauf des Romans. Danach abtippen des Manuskripts. Nachmittags Bibliothek und Freunde. Abends Weiterarbeiten am Manuskript.

H.L. Mencken (1880-1956)
Morgens Manuskript lesen und Post beantworten. Textbearbeitung am Nachmittag, Schreiben am Abend.

Philip Larkin (1922-1985)
Harte tägliche Arbeit, selten Ausgehen, wenig Freunde treffen, sich betrinken am Abend. Versuchte, jeden Tag gleich zu gestalten.

Frank Lloyd Wright (1867-1959!)
Wright schien völlig absorbiert von Telefonaten, Arbeit mit Studenten, Briefeschreiben usw. In aller Frühe von 4 – 7 Uhr sammelte er seine Ideen und brachte sie zu Papier. Oft arbeitete er unter enormem Zeitdruck. Sein berühmtes Fallingwater entwarf er binnen zwei Stunden, als der Kunde bereits im Auto auf dem Weg zu ihm saß.

Arbeitsroutinen von Künstlern XI – Schreib-Material

Gestern besprach ich hier das Notizbuch. Heute möchte ich kurz die Frage behandeln, wo das eigentliche Schreiben stattfindet. (Ich reduziere hier auf Schriftsteller. Mit Malern und ihren vielfältigen, das Werk bestimmenden Untergründen kenne ich mich zu wenig aus. Interessant wäre noch, wie Komponisten verfahren: Stets auf Notenpapier? Oder ziehen sie sich die Linien lieber auf eigenem Papier? Oder gar am Computer mit einem Komponierprogramm?)

Ich schrieb lange Zeit fast nur am Desktop-Computer, in einer Haltung, die jedem Orthopäden die Tränen in die Augen getrieben hätte: Auf einem Bürostuhl mit Klapplehne, nach hinten gelehnt, die Füße auf dem Tisch, die Tastatur auf dem Schoß. Das hätte noch ewig so weiter gehen können. Das Problem war irgendwann, dass die Internet-Aufgaben zu groß wurden und es mich ablenkte, die Option des Surfens zu haben (schnell bei Wikipedia nachsehen –> oder gibt es zu diesem Thema Foren? –> schnell mal Mails abrufen usw.) Ich schrieb dann meine Texte auf einem nicht internetfähigen Laptop und übertrug sie dann auf den PC zum Speichern und Ausdrucken. Schließlich hatte ich einen Laptop mit WLAN-Funktion und nun besitze ich gar keinen Desktop-PC mehr. Das hat im Laufe der Jahre dazu geführt, dass ich die meisten Texte erst mal per Hand in ein Buch schreibe und dann in einem zweiten Schritt abtippe. Oder, was noch öfter passiert: Ich schreibe den Anfang des Textes per Hand, habe dann gewissermaßen den notwendigen Schreibschwung, schreibe dann auf dem Laptop weiter und tippe dann den ersten Teil nach. Manche Texte, die ich quasi schon von vornherein im Kopf habe, brauche ich nicht vorzuschreiben. Ebenso Blog-Einträge wie diesen oder ähnlich Nicht-Fiktionales. Dialoge und Szenen kriege ich auf Papier nicht so gut hin. Gedichte und Lieder kann ich nur per Hand und Stift schreiben.
So sehr ich gestern Moleskine in der Frage der Notizbücher kritisieren musste, so muss ich sie doch heute für ihre Schreibhefte loben. Das von der DIN-Norm abweichende Format ist genau richtig zum Schreiben und Umblättern, das Papier fühlt sich gut an beim Schreiben, hat für Papier, Kuli, Füller und Stift den richtigen Widerstand. Füller und einige Stifte können teilweise etwas durchsuppen, aber das spielt keine große Rolle, wenn man einseitig schreibt. (Das kommt vielleicht ein bisschen wie eine Umweltsauerei daher, aber die linke Seite freizuhalten, ist wichtig für Kommentare, Korrekturen, Anmerkungen usw.)
Bei Blockaden hat mir im Übrigen immer wieder geholfen, eine andere Schreib-Variante zu finden, womöglich kehre ich demnächst zur Reiseschreibmaschine zurück. Kein Witz. (Cafés erübrigen sich dann allerdings als Schreibort, wobei es in einigen Cafés wegen des Dauergedröhnes wahrscheinlich gar nicht besonders auffallen würde.)

Die meisten meiner Lesebühnen-Kollegen schreiben, nach einer kleinen, nicht-repräsentativen Umfrage zufolge am Computer, einige mit ein paar Notizen neben sich oder am unteren Ende des Textes. Einige sind notorische Schreibheft-Schreiber.
So z.B. Volker Strübing, den man oft im Zosch oder im RAW noch besessen an einem Text rumwurschteln sah. Volker schreibt in sehr, sehr großer Schrift. Die Buchstaben teilweise drei Zentimeter groß. Ebenso große Lücken für Korrekturen. (Auf seinem schönen Blog Schnipselfriedhof findet man immer wieder mal Fotos von Schreibheft-Stapeln, die zeigen, wie sehr er seine Hefte liebt.)
Ahne schreibt seine Zwiegespräche mit Gott in Hardcover-Schreibbücher. Er war einer der letzten, die seine Texte überhaupt digitalisierten. Wenn sie zur billigen Sorte gehören, verziert er sie gern mit Eigen-Deko.
Die kurioseste Form des Schreibens hatte Stephan Zeisig entwickelt: Er schrieb seine Texte mit Bleistift in ein Schreibbuch und überschrieb diesen Text beim Korrigieren mit Kugelschreiber.

Fortsetzung der Lektüre Daily Rituals. How Great Minds Make Time, Find Inspiration, and Get To Work

Wallace Stevens (1879-1955)
Wie so viele seiner Schriftsteller-Kollegen arbeitete er nebenbei in einer Versicherungsfirma.
Früh um 6 Uhr aufstehen. Zwei Stunden lesen.
9 Uhr im Büro, 16:30 Uhr Arbeitsende.
5-6 km zu Fuß von und zur Arbeit. Auf diesem Weg schrieb er die Notizen für seine Lyrik, die er im Büro vollendete.

Kingsley Amis (1922-1995)
Spätaufsteher. Bis zum späten Mittag im Pyjama. 13-14 Uhr Schreiben, dann Alkohol und Zigaretten. Wenn dringend nötig, noch ein wenig am Nachmittag Schreiben.
Interessanterweise verschiebt sich die Routine im Alter völlig. Vor 8 Uhr aufstehen, waschen, frühstücken, Zeitung. Arbeiten ab 9:30 an dem Punkt, wo er am Abend aufgehört hat. Minimum: 500 Wörter.
12:30 Bar. 15:30 Mittagsschlaf. 17 Uhr Weiterschreiben mit Scotch. Nach dem Abendessen. Fernsehen. 23 Uhr wieder Scotch und Schlaftabletten.

Martin Amis (geb. 1949)
Schreiben von 9-11 Uhr. Dann Lesen, Tennis, Snooker.

Umberto Eco (geb. 1932)
Oft ohne richtige Schreibroutine. Manchmal stundenlang, dann wieder tagelang gar nichts. Routine auf seinem Landsitz: Morgens am Computer E-Mails, dann Lesen, dann bis nachmittags schreiben. Ins Dorf, wo er Zeitung in einer Bar liest. Abends Fernsehen oder DVD.
„Wenn ich in Mailand oder an der Uni bin, bin ich nicht der Herr meiner eigenen Zeit, es gibt immer jemanden, der mir sagt, was ich tun soll.“

Woody Allen (geb. 1935)
Allen wechselt oft die Räume, um die Energie anzufachen. Manchmal auch auf den Balkon oder auf die Straße.

David Lynch (geb. 1946)
Täglich Transzendentale Meditation.

Maya Angelou (geb. 1928)
Aufstehen 5:30 Uhr. Nach knappem Frühstück um 6:30 Uhr in ein kleines Hotel mit nichts als einem Bett und einem Waschbecken. Mindestens bis 12:30 Uhr Arbeiten. Wenn’s gut läuft, auch länger.
Zuhause noch mal das Geschriebene lesen und dann damit abschließen. Manchmal liest sie es abends ihrem Mann vor, der es aber nicht kommentieren darf. Kommentare nur vom Lektor erwünscht.
„Ich bin total zwanghaft, das gebe ich zu. Ich sehe das aber nicht als etwas Negatives.“

George Balanchine (1904-1983)
Die Ideen kamen ihm beim Bügeln. „Das ist die Zeit, in der ich arbeite.“

Arbeitsroutinen von Künstlern X – Das Notizbuch

Was den Malern der Skizzenblock, ist den Schriftstellern, Wissenschaftlern (und oft auch Musikern) das Notizbuch.
Ich habe es in den letzten 20 Jahren immer wieder mit verschiedenen Notizbüchern probiert. Und mit nur wenigen war ich zufrieden. Es sollte im Idealfall leicht in die Jackentasche, eventuell auch in die Hosentasche passen, stabil genug sein, blanko, und (hier scheitern die meisten) eine Gummi-Halterung für einen kleinen Stift angebracht haben. Das Papier möge angenehm sein und der Einband das Auge nicht beleidigen. Wer in diesem Punkt so sensibel ist wie ich, sollte also um Läden wie McPaper einen weiten Bogen schlagen, wenn es um den Kauf von Notizbüchern geht (die man übrigens ganz aktuell wegen ihrer pinken „Mädchen-Ecke“ überhaupt boykottieren müsste.
Man landet dann allerdings schnell im höherpreisigen Segment. Und wenn man nicht gerade voll auf Magnet-Klappbücher mit Hokus-Pokus-Ornamenten steht, bleibt einem fast nur übrig, auf Moleskine zurückzugreifen, aus denen man immer die wortschwalligen Beipackzettel entfernen muss, in denen einem suggeriert wird, Hemingway und Picasso, hätten diese Bücher schon gekauft, dabei haben sie einfach Notizbücher gehabt. Es gibt aber Alternativen: Zum einen sind es die handschmeichelnden in Leder eingebundenen Notizbücher von Ciak, deren Gummizug quer verläuft und in die deshalb wenigstens ein Bleistift ganz gut passt. Das Papier etwas dicker als üblich. Man muss aber auch mit dem ungewöhnlich breiten Format klarkommen. Ab und zu werden in dem Schrottladen „Nanu Nana“ extrem billige Moleskine-Imitate verkauft, die vom Original nur in wenigen Details und nur beim genauen Hinsehen zu unterscheiden sind. Eine schöne Idee sind auch „Paperback“-Notizbücher, für die wiederverwendbare Lederhüllen angeboten werden.
Ein wichtiges, bisher kaum handhabbares Problem ist für mich, wie ich die Notizen ordnen soll. Grob gesprochen fallen meine Notizen in folgende Bereiche:

  1. Text-Ideen, Gedicht- und Reim-Ideen, Zitate, Erinnerungen, Projekt-Ideen, Kurioses und Aktuelles.
  2. Impro-Ideen: Gedanken zu Theorie, Workshop-Ideen, Format-Ideen, Impro-Projekt-Ideen
  3. Privates: neue Telefonnummern und Notizen zu den dazugehörigen Personen, Geschenk-Ideen. 

Oft habe ich nun mehrere Notizbücher parallel verwendet, abhängig von den jeweiligen Themen oder von der Schmuddelhaftigkeit/dem Adel des in den Notizbüchern verwendeten Papiers. Das Problem war, dass ich dann völlig durcheinanderkam und vieles nicht mehr finden konnte. Oft blieb ein vager Gedanke: Die Notiz befindet sich auf der linken Seite im mittelgroßen roten Ciak-Buch.
Ich bin vor 2 Monaten auf eine neue Idee gekommen:
Kategorie 1) ist die Größte. Ich mache die Notizen auf der rechten Seite des Notizbuchs.
Für Kategorie 2) drehe ich das Notizbuch um und mache ebenfalls Notizen auf der rechten Seite. Wenn sich Kategorie 1) und 2) treffen, ist das Notizbuch voll und wird nicht weiter beschrieben.
Kategorie Nr. 3) ist die kleinste. Es genügt, wenn ich auf den linken Seiten der Kategorie 1)-Seiten diese Notizen schreibe.


Eine Handvoll teils voller, teils halbleerer Notizbücher dieses Jahres.

Von den Notizbüchern abzugrenzen, sind die größeren Schreibbücher oder Schreibhefte, die freilich auch manchmal als Notizbücher für größere Einzelprojekte dienen. Dazu vielleicht später mehr.

Fortsetzung der Lektüre Daily Rituals. How Great Minds Make Time, Find Inspiration, and Get To Work

Somerset Maugham (1874-1965)
Drei bis vier Stunden jeden Morgen Schreiben. Setzte sich das persönliche Minimum von 1500 Wörtern.
Marotte: Schreibtisch musste vor einer schwarzen Wand stehen, damit Maugham nicht abgelenkt würde.

Graham Greene (1904-1991)
Um den Roman, der ihm am Herzen lag („The Power and the Glory“) schreiben zu können, legte er diesen beiseite und schuf ein paar melodramatische Thriller, um sich und seine Familie über Wasser zu halten. Um nicht von der Familie abgelenkt zu werden, mietete er sich ein Büro, dessen Adresse und Telefonnummer nur seine Frau kannte! Mit 2 Tabletten Benzedrine hielt er in dieser Phase sich wach und produktiv.
Später nur noch 200 Wörter pro Tag. Keine Drogen. Schreiben von 9 Uhr bis 10:15 Uhr.

Joseph Cornell (1903-1972)
Bis 1940 hatte Cornell als Ernährer der Familie einen Tages-Job, bis dahin arbeitete er abends an seinen Shadow Boxes. Später hin und her gerissen, ob er weitere Tages-Jobs annehmen sollte. Schließlich widmete er sich ausschließlich seiner Kunst und seiner Korrespondenz sowie seinen Besuchern in seinem Werkstattkeller.

Sylvia Plath (1932-1963)
Immer wieder tat sie sich schwer, das Schreiben in ihren Tagesrhythmus einzubauen. Frühes Aufstehen, oft noch müde. Schreiben, wenn die Kinder noch schliefen. Oder nach dem Frühstück. Schlaf mit Beruhigungsmitteln, mit denen sie auch ihrem Suizid auf die Sprünge half.

John Cheever (1912-1982)
Frühaufsteher und Frühschreiber. In der Jugend auch nachmittags.
Marotte: Als er älter wurde, zog er sich wie alle anderen Business-Leute, die in dem East-Side-Manhattan-Gebäude wohnten einen Anzu an und betrat den Fahrstuhl, fuhr mit diesem aber in den Keller, wo er in einem Lagerraum sich seines Anzugs entledigte und in Boxer-Shorts bis 10:30 Uhr arbeitete. Den Rest des Tages spazierte er mit der Tochter oder ging in Bars.
Alkoholproblem.
Sexuelle Obsessionen: „Mit steifem Schwanz kann ich das Kleingedruckte in Gebetsbüchern lesen, mit schlaffem Schwanz nicht mal die Überschriften der Zeitungen.“

W.B.Yeats (1865-1939)
„Ich habe nie mehr als fünf oder sechs gute Zeilen pro Tag geschrieben.“ Dies tat er abends.
Sonst: Lesen von 10 bis 14 Uhr, Mittag, dann wieder lesen bis 15:30 Uhr. Dann Waldspaziergang oder Angeln. Die langen Lesephasen brauchte er, da er sein Geld als Literaturkritiker verdienen musste.

Behind the scenes – UCB New York

Als ich im Jahr 2003 das erste Mal das UCB sah, war ich völlig von den Socken. So cool, unprätentiös, schnell, lustig und intelligent konnte Impro also sein. Man halte sich vor Augen, dass hier an manchen Abenden 3 Shows mit je 10 Improvisierern, darunter auch berühmte Fernseh-Komiker improvisieren – ohne Gage! An einigen Wochentagen wird um 0 Uhr eine Show gratis gespielt. Aber auch die normalen Shows kosten nur 5 Dollar. (Die Herausforderung für den Zuschauer ist nur, herauszufinden, wann die Nachwuchs-Spieler auftreten und diese Shows zu vermeiden (Es wimmelt dann oft von verklemmt-versauten Geschmacklosigkeiten.) Das Tempo ist ungeheuer, die Fähigkeit der Verknüpfung ebenfalls. Man schaue sich dieses 9minütige Video an. Es gibt vor der Show kein Warm Up, die Atmosphäre ist entspannt. Man isst Pizza, trinkt Bier.
Man lasse sich aber nicht täuschen: Diese Spieler haben dermaßen viel Impro und Miteinander im Blut, dass sie die Bühne ungeheuer rocken.
In 60 Minuten (in den USA geht eine Improshow selten länger) hauen die Impro-Spieler gutgelaunt eine energiegeladene Szene nach der anderen raus.

Weiterlesen

Arbeitsroutinen von Künstlern IX – Im Zug

Fortsetzung der Lektüre Daily Rituals. How Great Minds Make Time, Find Inspiration, and Get To Work
Im Zug zu schreiben ist für mich quasi ein Ding der Unmöglichkeit. Ich weiß nicht, wie es in einem stillen 1.-Klasse-Abteil mit vernünftigem Tisch wäre. Aber auch in der Mitropa kann ich mich nicht konzentrieren. Bestenfalls Notizen für einen Text, manchmal Tagebuch-Einträge, was aber auch schwierig ist, weil man die Schriftart kleinhalten muss, um Mitlesern keine Chance zu geben. Tatsächlich starrte mal ein Business-Typ immer wieder von der Seite ungeniert auf meinen Bildschirm und schaute, fast genervt, weg, als ich ihn anschaute, nur um 5 Minuten später wieder meine E-Mails zu begutachten. Was blieb mir übrig, als ein Word-Dokument anzulegen, Schriftgröße 20 einzustellen und zu beginnen:
Lieber Django!
Neben mir sitzt ein Business-Rotzlöffel, der seine Neugier-Impulse nicht unter Kontrolle hat und nach Ei riecht.

Nichtsdestotrotz arbeite ich im Zug. E-Mails beantworten, Dateien sortieren, Websites aktualisieren. Das geht alles auch offline und erfordert weniger Konzentration.

Pablo Picasso (1881-1973)
Spät ins Bett, spät aufstehen.
Arbeiten ab 14 Uhr bis zur Abenddämmerung.
Bei Mahlzeiten, auch wenn Freunde anwesend waren, sprach er oft wenig und war in Gedanken noch bei seiner Arbeit, auch wenn er sich bemühte, sie zu unterhalten.

Jean Paul Sartre (1905-1980)
„Man kann auch fruchtbar sein, wenn man nicht zu viel arbeitet. (…) Drei Stunden morgens, drei Stunden am Abend. Das ist meine einzige Regel.“
Diese sechs Stunden variierten nach seinen sozialen Bedürfnissen und Verpflichtungen. Meist bis 1:30 Uhr Arbeiten, dann 2 Stunden Mittag mit 1/4 l Rotwein. 15:30 Uhr noch einmal drei Stunden Arbeit, oft mit Simone de Beauvoir.
Drogen: zwei Packungen Zigaretten, dazu Pfeifentabak, Barbiturate, Corydrane (con dem er die zehnfache Menge nahm), Kaffee, Tee, reichhaltiges Essen, Wein, Whisky, Bier, Wodka, Aspirin.

T.S. Eliot (1888-1965)
Für acht Jahre arbeitete Eliot Vollzeit in London in Lloyds Bank, was er gern tat, um sich andere Brotjobs vom Leibe zu halten. Später hasste er diese Arbeit. Später schufen Freunde von ihm einen Fonds über Abonnenten, um ihm ein jährliches Einkommen zu sichern.

Dmitri Schostakowitsch (1906-1975)
Schostakowitsch schien nie zu arbeiten. Er schuf seine Musik im Kopf, probierte sie nur selten am Klavier aus, sondern schrieb sie einfach auf und spielte sie danach auf dem Klavier.
Sport: Fußball.

Henry Green (1905-1973)
Ein seltsamer Tagesablauf.
Als Adliger schrieb er unter Pseudonym und ging außerdem ohne Not einem Brotwerwerb nach, um geistig gesund zu bleiben und Erfahrungen zu sammeln.
10 Uhr im Büro. Start mit einem Gin! Durchs Büro Spazieren und mit Sekretären schwatzen. 11:30 Uhr in den Pub. Ein paar Bier, dann wieder Gin.
Nachmittags im Büro ein bis zwei Seiten.
Abends Freunde und Bekannte treffen.
Nachts lange wach und Ideen ins Notizbuch schreiben.

Agatha Christie (1890-1976)
Christie hatte nach ihrem Erfolg Schwierigkeiten, Journalisten ihren Schreibtisch zu zeigen, da sie keinen hatte. Sie schrieb, wo es gerade möglich war. Sie zog sich irgendwann im Laufe des Tages von Familie oder Freunden zurück um eine oder eine halbe Stunde zu schreiben.

Aus dem Interview von Pam Victor mit David Razowsky

„I’ve never had abad show in 25 years.“ „Listen to your partner. …then listen to your heart… …then let your brain do what it’s supposed to do… …make sentences… …then say those sentences. …then be internally still and await the wonderful response that’s coming your way. That’s your new move.“ „Your ego is not allowed in the room. Your personality is not allowed in the room. Your politeness is not allowed in the room.“ Das komplette Interview hier: http://pamvictor.blogspot.de/2012/12/geeking-out-withdavid-razowsky.html

Arbeitsroutinen von Künstlern VIII – Und mach dann noch’nen zweiten Plan. Gehn tun sie beide nicht.

Fortsetzung der Lektüre Daily Rituals. How Great Minds Make Time, Find Inspiration, and Get To Work
Die schönsten Rituale kollabieren dann doch oft in Ausnahme-Situationen: Krankheiten, dringliche soziale Verpflichtungen, frühe Züge und Flüge, usw.
Im Nachhinein erscheint vieles allerdings doch vorhersehbar: Ist es sinnvoll, den Flug ab 6:30 Uhr zu buchen, nur weil er 20,- Euro billiger ist, einem aber den wertvollen Schlaf raubt? Für Reisen braucht man ohnehin einen Plan B. Auf manchen Flügen kann man schreiben, auf anderen nicht. Einplanen, dass die Reise eher anstrengend ist und man sich genügend Aus-Zeiten für Ruhe und Kreativität setzt. In Zeiten der Krankheit gelingt einem vielleicht nicht immer der große Wurf, aber immerhin Notizen. Lieber locker planen und im guten Fall mehr rausholen, als sich den Kalender dicht an dicht zupacken und dann keinen Puffer mehr haben, wenn der Kindergarten anruft, man müsse das kranke Kind abholen.

*

James Joyce (1882-1941)
Aufstehen am späten Vormittag.
Arbeiten am Nachmittag, „wenn der Geist am besten funktioniere“. Allerdings nicht nur Schreiben, sondern auch andere Verpflichtungen, wie Englisch- und Klavierunterricht.
Abends Bars und Restaurants.
Lange Perioden des Nicht-Schreibens.
Aber auch während der späteren täglichen Arbeit an „Ulysses“ blieb er bei diesem Zeitplan.
Schätzte seine Arbeitszeit für diesen Roman auf knapp 20.000 Stunden. (Das wären bei einem Arbeitstag von 7 Stunden – nur für dieses Buch – 20 Stunden pro Seite. Fragt sich, inwieweit man dann noch vom „Bewusstseinsstrom“ sprechen kann.)

Marcel Proust (1871-1922)
Ab 1908 bis zu seinem Tod arbeitete er an „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“. Ab 1910 sozialer Rückzug. Schlafen und Arbeiten im Bett.
Aufwachen (fraglich, inwieweit man von „Aufstehen“ bei ihm sprechen kann) zwischen 15 und 16 Uhr. Entzünden von Asthmapulver, bis das Zimmer völlig verraucht war! Croissant und Milchkaffee. Nach Post und „Frühstück“ erst begann er zu schreiben.
Abends von Zeit zu Zeit Spaziergänge in Bars und Restaurants für Inspirationen.
Weitere Drogen: Koffeintabletten, die er mit Veronal auszubalancieren versuchte.
(Man beachte den recht frühen Tod.)

Samuel Beckett (1906-1989)
Um 1946 begann er eine intensive und gleichzeitig exzessive Lebens- und Arbeitsweise:
Aufstehen am Nachmittag, Rühreier. Dann Schreiben bis zur Erschöpfung. Nachts in Bars von Montparnasse, wo er sich gezielt betrank. Die Dämonen der Dunkelheit, der Einsamkeit, der Erschöpfung sollten ihn zum Schreiben bringen.

Igor Strawinsky (1882-1971)
Aufstehen 8 Uhr morgens, Sport, Arbeit bis 13 Uhr.
Tägliches Komponieren, egal ob inspiriert oder nicht. Auf Tourneen komponierte er nicht (s.o.)
Wenn ihn die Inspiration verließ, behalf er sich mit einem Kopfstand, was, wie er meinte „den Kopf erholt und das Hirn säubert.“


Erik Satie (1866-1925)
Ab 1898 lebte er in Arcueil, von wo er Abends nach Paris spazierte und am nächsten Morgen zurück. Auf dem Weg notierte er seine Ideen. Wann er sie zu Papier brachte, bleibt unklar.… Weiterlesen