Der Schwung der Figuren

Kräftige Figuren können nicht nur eine einzelne Szene ins Rollen bringen, sondern die komplette Geschichte. Sie brauchen einen starken Willen und bestimmte Routinen, sollten aber auch in gewisser Weise flexibel sein, um reagieren zu können und sich innerhalb ihrer Grenzen verändern zu lassen. Im Fernsehen funtionieren die Serien so: Die Figuren werden immer und immer wieder aufeinander losgelassen, nur das Thema variiert. Allerdings liegen hier eben auch die Grenzen von Fernseh-Serien: Dadurch dass die Charaktere sich nie oder nur geringfügig verändern, haben wir immer wieder die gleiche Ausgangssituation, nichts verändert sich.
Ganze Romane wurden angelegt anhand von Figurenlisten.

Simpsons & Commedia dell’arte

Phil Wells vergleicht auf YesAnd die Simpsons mit der Commedia dell’arte: Die Figuren bleiben gleich und werden in immer neue Situationen geworfen, ohne ihren Charakter komplett zu verändern. Wahrscheinlich das Rezept für die meisten Sitcoms und selbst Soaps.
Effektvoll, aber wahrscheinlich ist das auch der Grund, warum ich mir Serien noch nie lange anschauen mochte.
Ich bin offen, mich eines besseren belehren zu lassen.

Sinn für Sinn

Wir können technisch gut gespielte Szenen sehen, die uns dennoch unbefriedigt lassen. Man fragt sich: Es war doch gut akzeptiert, es gab gute Figuren, der Plot war OK aber etwas fehlte.
Wir können Storys nur dann gut entwickeln, wenn wir einen Sinn für die Bedeutung, d.h. für den Sinn des Gespielten entwickeln. Das heißt:

  • Sinn auf der Ebene des Gesprochenen: Was bedeutet das Gesagte für den Sprecher und für den Adressaten?
  • Sinn auf der Ebene der Story: Wohin führt uns das? Was ist die Konsequenz?
  • Sinn auf der Ebene des Spiels (i.S.v. Game): Spielen wir eine Komödie, ein Drama oder was auch immer?

Schlüsse finden

Eine seltsame Scheu erfasst viele Impro-Spieler vor dem Schluss. Vielleicht ist es die Scheu davor, das Werk zu vollenden, nicht mehr zurückzukönnen (ähnlich der Scheu vor dem Abgeben der Dissertation oder Magisterarbeit).
Der letzte Satz der Szene oder des Stücks hat eine große Macht: Er definiert gewissermaßen die Moral des Ganzen – worum ging’s. Aber genau das macht es auch umgekehrt relativ einfach, einen Schluss zu finden: Ab einem gewissen Zeitpunkt kann in einer guten Szene nahezu jeder Satz der Schlusssatz sein. Es ist dann oft weniger eine Frage des Inhalts als des Timing.
Wer auch immer die Verantwortung für das Ende hat – der Lichttechniker, ein Regisseur oder ein Mitspieler – man lauere, wenn die Zeit gekommen ist, auf den ersten starken Satz und beende die Szene. Die Ansprüche für die “Stärke” dieses Satzes sollten nicht zu hoch sein, oft reicht ein stark gesprochener Satz oder die Lach-Reaktion des Publikums. Dass man nach dem Satz das Ende setzt, macht ihn oft erst zum starken Satz.

Einsatzfreude, Witz und Geist

Seltsam, wenn Akzeptieren, Figuren-Schaffen, formales Storytelling usw. funktionieren, aber man als Zuschauer sich dennoch langweilt. Ich glaube, wir sehen so etwas häufig bei “übertrainierten” Gruppen und bei Impro-Spielern, deren Hauptfokus die Rolle ist. Die Show braucht aber ein zusätzliches Element: Kreatives Engagement. Es ist einerseits wichtig loszulassen, sich auf Impulse der anderen einzulassen, aber genauso wichtig ist es, bereit zu sein, sie kreativ zu verarbeiten. Billiges Gagging zu unterlassen heißt nicht, Humor sei verboten. Sich auf andere einzulassen, sich freizumachen, heißt nicht, doof zu spielen oder den Geist auszuschalten. Nutze deine Fähigkeiten, deinen Geist, deinen Witz.

“Fehler” in einer sehr guten Show

Sehr gute, geradezu exquisite Impro-Show am Freitag im RAW.
Die Spieler von Foxy Freestyle überbieten sich geradezu mit ihrer Spielfreude, ihren Figuren, ihrer Einsatzfreude. Alles wird positiv verwendet. Selbst als der Computer, mit dessen Hilfe wir Bühnenbilder projizieren, abstürzt, verwenden wir das konstruktiv.
Beim genaueren Hinsehen könnte man tatsächlich ein paar kleine, aber ziemlich haarsträubende Storytelling-Lücken entdecken. Verrückt aber, dass das im Grunde nicht mehr zählt, ob es aufgeht. Man nimmt als Zuschauer eigentlich viele Ungereimtheiten inkauf, wenn sie überzeugend vorgebracht werden. Das Konstrukt des Storytelling wird in der Analyse und in der Vorbereitung immer wieder überschätzt.

Geschichten und Szenen beenden

Seltener als Szenenbeginnen wird das Szenenbeenden geübt. (Schade, aber logisch – ohne Anfang kein Ende.)
Es bedarf einer besonderen Schärfung des Blicks für Enden:
Moral (kann auch banal oder gar amoralisch sein), z.B. “Das kann also geschehen, wenn man ein Kind verwöhnt.”
Überraschende Wendungen: Man denke an “Sixth Sense” oder das bescheuerte Maskenspiel bei Johnstone.
Offene Enden: Wie wird sich die Heldin entscheiden.
Erkenntnisse: Und seit jener Zeit gibt es in Europa keine Giraffen mehr.

Techniken des Beendens:
Physisch: Abwinken, Quer über die Bühne laufen
Verbal: “Ende der Szene”
Szenisch: Ausklingen/Stehen lassen
Pointe: Letzter Satz Richtung Publikum
Licht: Black

Übung Storytelling

Kinotrailer spielen, inklusive der Einsprecher, Titelzeilen, schnelle Brüche usw. Man sei so spezifisch wie möglich und orientiere sich an modernen Trailern. Es schärft die Wahrnehmung für Kino-Genres: Wie sehen Action-Filme, Horror, Sci-Fi usw. wirklich aus, statt nur Klischees in unseren Köpfen abzurufen. Das Übel, dass die Trailer oft die Story in 40 Sekunden erzählen, gerät uns zum Vorteil: Schnelle Schnitte, Gegensätze, Brüche, statt abgespulte, voraussehbare Handlungen.

Vorschläge

Es bedarf eines gewissen Feingefühls dafür, in welcher Weise Vorschläge des Publikums eingebaut werden: Sollen sie eher der Hintergrund der Szene sein oder zum Thema gemacht werden?
Hypothese: Ein Vorschlag soll zum Thema gemacht werden, wenn es ein Thema ist, z.B. “Reichtum”. Wenn es aber um die Charakterisierung einer Figur geht, droht die Story platt zu werden, wenn die Eigenschaften der Figur vordergründig thematisiert werden. Beispiel: Ein geiziger Arzt wird therapiert.
Gegenbeispiel natürlich Molieres “Der Geizige”, aber hier ist “Geiz” eben eher als soziales Thema aufgefasst.

Tempo im Storytelling

In längeren Storys ist Tempo vor allem das Spiel mit inhaltlichen Konsequenzen. Immer einen Schritt weiter sein als die Zuschauer.
Wir verlangsamen also das Tempo der Geschichte, wenn wir uns mit Erklärungen aufhalten. Rechtfertigungen sind also hier und da für einen Gag gut. Vom Gesichtspunkt des Storytelling ist es besser, aufmerksam zu spielen, sich nicht lange mit Missverständnissen aufzuhalten und voranzutreiben.

Anpassung

Show mit “The Crumbs” am 14. Mai 2008
Angenehme Atmosphäre, RAW-Tempel fast so voll wie bei der Chaussee, je zur Hälfte Foxy-Fans und Crumbs-Fans, auch Lesebühnen-Kollegen.
Die geringste Herausforderung war anscheinend die Sprache, oder anders gesagt: Die Lücken und Fehler haben das Bühnengeschehen eher produktiv beeinflusst.
Schwieriger empfand ich eher die Herausforderung, ein gemeinsames Gefühl für Timimg, Körperlichkeit, Bögen usw. zu entwickeln. Dies ist ja öfters der Fall, wenn man mit anderen Gruppen spielt. Nach der ersten, von der Story eher stotterigen, vom Publikum aber dennoch geliebten Szene, bekamen wir langsam Boden unter den Füßen. Man passt sich einander an: Wir werden verbal schneller, die Crumbs physischer.
Gegenseitige Inspiration, aber auch gegenseitiges Abschleifen, aber für kommende Shows überwiegt doch die dauerhafte Inspiration.

Ritt zum Ox-bow

Aus story-struktureller Perspektive ein sehr seltsamer Film aus dem Jahr 1944.
Zunächst werden wir irritiert, was das Genre betrifft: Es wirkt eher wie eine Farce oder eine Western-Komödie. Außerdem werden wir über den Helden getäuscht, der zunächst wie ein Troublemaker wirkt.
Dann der Bruch – es geht um Mord und Lynchjustiz. Aber wer ist der Protagonist? Im Grunde wird einer der Nebencharaktere zum Protagonisten stilisiert, indem wir die Story immer wieder aus seiner Perspektive sehen. Aber so wie sein Gewissen geprüft wird, geschieht es auch mit allen anderen. Kameraarbeit, Timing und das einprägsame Gesicht Henry Fondas. Im Originalbuch ist kurioserweise sein Begleiter der Held, bzw. Fondas Figur ist der Begleiter.
Ein weiterer Bruch: Das völlig unmotivierte Auftauchen der Kutsche und der alten Liebe des Helden. Das Ganze trägt absolut nichts Inhaltliches zur Story bei, aber es gibt ihr einen interessanten poetischen Schlenker.

Nochmal Helden, die keine sind

Im September letzten Jahres hatte ich schon mal Heidi erwähnt, die gar keine Heldin, sondern eher eine Engelsgestalt ist. Ebenso Der Pate im gleichnamigen Buch und Film. Sie verändern sich im Grunde gar nicht.
Allerdings könnte man sagen, dass in Heidi der eigentliche Held der Alm-Öhi ist, der durch die Konfrontation mit der unverbrüchlichen Liebe des Heidi seine eigene Wandlung erfährt.
Ebenso in “Der Pate”. Der eigentliche Held ist Michael Corleone, der durch die Ereignisse reift und schließlich den Thron einnimmt. Dass gerade er, der sich stets von der Familie absonderte, zum kaltherzigen Mörder und Führer einer kriminellen Organisation wird, ist die Tragik der Geschichte.

Realismus, Glaubwürdigkeit

Carol Hazenfield meint, viele Spieler würden zu viel Wert auf Realismus legen, anstatt die Möglichkeiten des Improtheater zu nutzen und aus der alltäglichen Realität auszubrechen. Dazu ein paar Gedanken.

Wir müssen zunächst einige Sachverhalte auseinanderhalten:
1. Realismus bedeutet nicht, dass es immer um alltägliche Probleme durchschnittlicher Menschen geht. Wir können ihn im Improtheater vielmehr als Abgrenzung zu surrealistischen Szenen, Musical-Szenen, abstrakten Szenen, Szenen im Makro-Level usw. verstehen.
2. Glaubwürdigkeit heißt nicht, dass wir im Rahmen der Alltagswahrscheinlichkeit spielen. Es ist z.B. nicht sehr wahrscheinlich, dass es unbemerkt bleibt, wenn am hellichten Tage in Los Angeles ein Beifahrer einen anderen Mann im Auto aus Versehen in den Kopf schießt und das ganze Auto von innen mit Blut beschmiert ist. Aber in Pulp Fiction nehmen wir das als verrückte Variante hin. Der Alltag per se ist story-technisch nicht allzu interessant. Interessant ist der Tag, an dem xy geschah.
3. Inwieweit realistische mit surrealistischen oder anderen non-realistischen Elementen angereichert wird, ist eine Frage der Form. Z.B. gibt uns die Form “Der rote Faden” (“Thread“) die Möglichkeit, in die Poesie der kleinen Sinneserlebnisse des Alltags einzutauchen. Da wäre rein formal einfach schade drum, wenn auf einmal die Gegenstände zu sprechen begönnen.

Allerdings sollte man als Spieler bereit sein, die Brechungen der Mitspieler zu akzeptieren und sich so auf die Suche nach neuen Formen begeben.

Story oder Prozess

An irgendeiner Stelle meint Johnstone, es käme dem Zuschauer nicht darauf an, ob die Szene improvisiert oder geschrieben sei – er wolle letztlich nur eine gute Story sehen. Ich bezweifle das. Zu beobachten, wie die Szene entsteht, wie die Spieler sich die Bälle zuspielen, wie das Unerwartete freien Lauf nimmt, ist ein ganz besonderes Vergnügen, und schließlich bauen auch viele Spiele Johnstones genau auf dieser Erkenntnis auf.

Relativierung

Ich habe am 25.1. vielleicht etwas dogmatisch die Hierarchie gepostet:
Körper -Atem -Emotion -Narrativ
Eigentlich würde ich nach einigem Überlgen, wenn schon hierarchisch, den Atem noch vor der körperlichen Bewegung ansetzen.
Aber es geht natürlich auch alles umgekehrt. Die Hierarchie aber vereinfacht es, lässt uns am ehesten ins Spielen kommen statt in die vorhersehbare Berechnung.
Wir berühren hier den sensiblen Bereich des Entscheidens. Ich kann natürlich auch Entscheidungen treffen und tue es auch. Aber wen ich mit Partnern improvisiere, kann ich narrativ allenfalls Optionen erkennen oder dynamisch verstärken. Denn der Partner kann mit seinem Angebot wieder alles umwerfen. (Hoffentlich tut er es auch, möchte ich eigentlich hinzufügen.) Wenn ich aber die erzählerischen Optionen wahrnehme und vielleicht auch Timing genügend trainiert habe, dann kann ich physische Entscheidungen treffen oder Atementscheidungen, die wiederum eine gewisse Unsicherheit einführen und gleichzeitig für glaubwürdige Bühnenpräsenz sorgen.… Weiterlesen

Konflikt

Die Rolle des Konflikts ist gerade im Improtheater etwas schwierig zu erfassen. Konflikte an sich sind für den Zuschauer nur wenig interessant. Wichtig sind innere Konflikte. Dennoch sind Konflikte als Narrativ-Element entscheidend. Konflikte dürfen wir hier nicht mit “Katastrophen” verwechseln. Mit anderen Worten: Ein brennendes Hochhaus ist kein Konflikt, sondern eine von außen herangetragene Katastrophe, die die Funktion hat, die Dinge ins Laufen zu bringen und eventuell noch ein schönes Ornament abgibt. Einen Konflikt gibt es erst dann, wenn ein Feuerwehr-Einsatzleiter gegen den Willen seines Chefs seine Mannschaft die Treppen hochschickt, um ein hilfloses Kind zu befreien. Der innere Konflikt spielt sich dann im Herzen des Einsatzleiters ab. Dabei ist es relativ unerheblich, ob die am Konflikt beteiligten Figuren, ihren Konflikt wirklich austragen.
Kurz gefasst:
1) Eine Katastrophe macht noch keinen Konflikt.
2) Ein Streit ist nur Ornament des Konflikts.
3) Der innere Konflikt ist entscheidend.

Körper, Atem, Story

Carol Hazenfield bestätigt meine Auffassung, derzufolge die Story dem Körper folgt, nicht umgekehrt. Aber ich sehe den Atem auch als entscheidenden Mittler an. Wenn der nicht dabei ist, glaube ich den Figuren nicht. Sie bleiben bestenfalls in der ironischen Distanz hängen. Der Atem führt zur emotionalen Glaubwürdigkeit, die den Spieler selbst vorantreibt.
Schematisch also:
Körper -Atem -Emotion -Narrativ… Weiterlesen

Von Comics Komik lernen

(c) TOM hat im Laufe der letzten Jahre seinen Stil immer mehr verfeinert (wenn man mal von der ewig unkomischen Postoma absieht).Die Pointe liegt meist in dem, was man nicht sieht. Die Impro-Spieler könnten sich mal davon eine Scheibe abschneiden.


(Abbildung nur zu Studienzwecken. Alle Rechte beim Zeichner (c) Tom. Bild wird auf Verlangen unverzüglich gelöscht.)

Verknüpfungen

Wann soll verknüpft werden. Manche Spieler sind geradezu blind für in der Luft liegende Verknüpfungen, die sozusagen die Szene “rund” machen, andere sind übereifrig im Verknüpfen. Im Grunde sind zu flinkeVerknüpfungen auch eine Form des Gagging. Das superschnelle Benennen macht ist eine Form des “Comic Relief”, die den für lange Szenen oder Stücke notwendigen Spanungsbogen zu schnell aufhebt.
Wie man damit umgeht? Keine Ahnung. Zuschauen, ausprobieren, Sensibilität entwickeln.

Story / Collage

Diskussion mit Volker Strübing und Jochen Schmidt über die Nervosität von Verlegern, wenn sie auf den Einband ein Prosawerk nicht das Wort “Roman” draufschreiben können. Ich kenne mindestens sechs Bände mit Erzählungen und Kurzgeschichten von Berliner Lesebühnen-Autoren, die unter ein Motto gezwängt wurden oder denen eine Chronologie aufgestülpt wurde. Angeblich verkaufen sich Bücher sonst nicht. Kaminer und Goldt zeigen erfolgreich, wie falsch diese Annahme ist.
Jochen Schmidt hält Plots ohnehin für überflüssig behauptet er (um Volker Strübing und mich zu provozieren?), während Volker Strübing glasklare Plots geradezu anbetet.
Dabei kann der Roman seit dem 20. Jahrhundert alles – die ausgefeilte “geplottete” Story (die einem am Ende noch mal ein Aha-Erlebnis verschafft) episodenhafte Aneinanderreihung, intertextuelles Zitieren, Collagen. Und selbst die Story kann fragmentiert erzählt werden.
Im Langform-Improtheater erarbeiten wir uns das alles neu.

langweilige Assoziationen

Einen berechtigten Einwand zu Johnstones Forderung, das Offensichtliche zu wählen, erhebt Gunter Lösel (Theater ohne Absicht): Immer das absolut naheliegende zu wählen, wird auf Dauer langweilig. Man möchte allerdings Johnstone zugute halten, dass es sich hier zunächst nur um eine Technik handelt, die zum Ziel hat, die Angst abzuschalten. Du brauchst weder perfekt noch originell zu sein: Sag das Einfache, das Naheliegende. Aber so wie die Angst vor der Unperfektion gibt es auch die Angst davor, für verrückt gehalten zu werden. (Wird ebenfalls von Johnstone beschrieben, Nachmanovitch nennt die Angst vor Geisteskrankheit eine der “five fears”, der fünf Ängste.)
Also muss auch das mutige Assoziieren, der weite Wurf trainiert werden. Es muss durchaus nicht alles sofort verständlich und nachvolliehbar sein. Aus der Perspektive des Storytelling macht ja erst die Besonderheit, das Merkwürdige die Geschichte erzählenswert (s. Goethe über die Novelle).
Allerdings, auch darauf weist Lösel hin, nerven “originelle Assoziationen”, d.h. wenn Originalität forciert wird. Es kommt also darauf an, das Verrückte zuzulassen, ohne es zu forcieren.

Langweilige/Spannende Geschichten

Die langweiligsten Geschichten auf der Bühne entstehen meistens von Spielern, die sagen, dass sie sich beim Improtheater “für die Geschichten” interessieren. Warum ist das so? Ich vermute, dass viele dieser Spieler sich mit Story-Strukturen usw. beschäftigt haben und diese dann hübsch brav ausführen. Somit aber werden die Geschichten auch erwartbar, vorhersagbar, langweilig. Es bedarf meines Erachtens eine gewisse Radikalität der Entscheidungen, die auch den Improspieler selber überraschen. Ansonsten rutscht man in ein Abarbeiten der Szenen. Dann sieht man hinterher grübelnde Spieler an der Bar, die sich fragen, warum das alles so öde war. (“Na du hättest doch an der einen Stelle, wo ich reingekommen bin, nicht sagen dürfen, dass du den Ring hast…” – “Nein. Du hast doch in der zweiten Szene…”)

Sich aufs Drahtseil zu begeben, auch wenn man Storytechnik beherrschen will, das ist der Witz bei Impro.

Protagonist/Held sein

In Johnstones Buch gibt es das seltsame Kapitel “Wie man kein Held ist”. Auch sonst lässt er zur Heldenfrage hier und da einen Gedanken fallen: Die Heldin muss gemartert werden usw.
Abhängig von der Länge der Szenen ergibt sich auch, wie schnell “die Heldin gemartert” werden muss, wieviel Zeit wir uns für eine positive Plattform lassen usw.
Eine hübsch einfache Faustregel, um nicht in eine Vertauschung der Helden zu rutschen: Der Held sagt “Ich”, alle anderen sagen “Du”. (Mit anderen Worten: Es geht immer um den Helden.)

Publikumsbindung

Wollte heute Abend zur Impro-Show der Gruppe “…” gehen, und habe es dann doch nicht getan. Warum nicht? Dachte erst, wegen dem Regen. Aber in Wahrheit, weil ich nichts wirklich Neues erwartet habe.
Das also ist entscheidend, um Publikum dauerhaft zu binden: immer neu, immer frisch bleiben, selbst auf Entdeckungsreise gehen. Höre nicht auf die erhitzten Zuschauer, die dir sagen, wie witzig dieses oder jenes Game war. Ich komme nur dann wirklich wieder, wenn ich nicht gelangweilt werde. Die Spieler sollen etwas riskieren – in der Art wie sie spielen, Geschichten erzählen, wie sie auftreten usw.