180. Nacht

Dämon und Dämonin schließen eine Wette ab, wer den schöneren Geliebten habe.

Allerdings wetten sie um nichts. Das habe ich mich schon immer gefragt: Ob eine Wette ohne Einsatz überhaupt eine Wette ist.

Sie betrachten zunächst Kamar ez-Zamân, dann Budûr und können ihren Streit nicht schlichten. Also tragen sie Prinzessin Budûr schlafend neben den Prinzen, um im direkten Vergleich zu entscheiden.

179. Nacht

Der Vater dieser Schönen, so der Dämon weiter sei ein Tyrann, der seiner Tochter sieben Schlösser gebaut habe, und zwar aus:

  • Kristall

  • Marmor

  • chineischem Stahl

  • Edelsteinen und Juwelen

  • Mosaik aus buntem Ton und Achat

  • Silber

  • Gold

In diesen müsse sie abwechselnd wohnen. Der Name der Prinzessin sei Budûr und sie habe eine Abneigung gegen das Heiraten. Daraufhin habe ihr Vater sie eingesperrt und das Gerücht verbreiten lassen, sie sei geistig umnachtet.

Nachtigall, ick hör dir trapsen. Zwei schöne Heiratsunwillige. Es müsste doch mit dem Teufel zugehen…

Der Dämon schaut sie nun jeden Tag an und betrachtet sie gewissermaßen als seine Geliebte. Es kommt zum Streit zwischen Dämonin und Dämon, wer den schöneren Menschen habe.

178. Nacht

In der Gegend, von der der Dämon spricht, herrscht König el-Ghajûr,

der Herr der Inseln und der Meere und der sieben Schlösser.

Dessen Tochter sei unendlich schön, u.a.:

sie hat zwei Brüste wie Kästchen aus Elfenbein, von deren Glanze Sonne und Mond ihr Licht entleihn; und einen Leib mit Falten so zart wie koptisches Gewebe von ägyptischer Art.

Die Beschreibung ihrer Schönheit zieht sich über anderthalb Seiten hin, und dabei habe er seine

Beschreibung kurz gemacht, da ich fürchte, sie würde sonst zu lange dauern.

Bemerkenswert wieder das Lob schwerer Hüften:

Die Hüften hängen an ihrem zarten Rumpfe
Und diese Hüften handeln schlecht gegen sie und mich.
Sie halten stets mich fest, wenn ich nur an sie denke,
Und ziehen sie herab zum Boden, erhebt sie sich.

177. Nacht

Angesichts der Schönheit von Kamar ez-Zamân gelobt die Dämonin:

"Ich will ihn behüten vor allen Gefahren."

Sie steigt nun hinauf und begegnet einem weiteren Dämonen namens Dahnasch, der von ihr Gnade und einen Freibrief erbittet. Er käme

vom äußersten Ende Chinas

wo er etwas wunderbares gesehen habe.

176. Nacht

Kamar ez-Zamân fährt fort zu beten, und zwar folgende Suren:

die Kuh, das Haus Imrân, Jasîn, der Barmherzige, "Gepriesen sei der Herrscher", das reine Bekenntnis, und die beiden Talismansuren; dann schloss er mit der Anrufung176.

Wir erfahren von seinem Nachtlager:

  • Matratze bezogen mit Satin aus Ma’dan, gefüllt mit Seide aus Irak

  • Kissen aus Straußendaunen

  • Hemd aus Wachsleinwand

  • Kopfbedeckung: blaues Kopftuch aus Merw

Im Saal befindet sich ein römischer Brunnen, in dem eine Dämonin namens Maimûna, der Tochter von ed-Dimirjât.

Unklar: Bezeichnet "römischer Brunnen" die Herkunft oder die Bauart?

176 M.a.W die Suren 2, 3, 36, 55, 67, 113, 114 und Nr. 1. Er wird ganz schön lang bebraucht haben.

174. Nacht

Man sperrt Kamar ez-Zamân in einen Saal im Turm, wo er sein Schicksal verflucht. Unwirsch befragt nun der König seinen Wesir:

"Wisse, Wesir, du bist die Ursache von alledem, was zwischen mir und meinem Sohne vorgefallen ist, denn du hast mir damals den Rat gegeben. Was rätst du mir aber jetzt zu tun?"

Vierzehn Tage warten.

173. Nacht

Im kommenden Jahr befiehlt ihm nun König Schehrimân in Anwesenheit der Wesire, Emire und Krieger, zu heiraten, worauf er entgegnet:

"Niemals werde ich mich vermählen, auch wenn ich den Becher des Todes trinken müsste, du bist ein Mann von großem Alter, aber von keinem Verstand."

Das geht dem Herrn Erzeuger nun über die Hutschnur:

"Wehe dir, du Bastardblut, du schändliche Brut! Wie darfst du mir so antworten vor meinen Kriegern und meinem Heere? Freilich, bisher hat dich noch niemand gezüchtigt."

172. Nacht

Der Wesir rät König Schehrimân, seinen Sohn beim nächsten Mal in Anwesenheit der Emire, Wesire und Krieger zu bitten, so dass dieser sich schämen würde, eine Heirat abzulehnen. Kamar ez-Zamân wird nun zwanzig Jahre alt,

da war sein Blick ein größerer Zauberer als Harût, und das Spiel seiner Augen war verführerischer als et-Taghût. (…) Sein Leib war schmaler als ein Faden im Gewand, und seine Hüften waren schwerer als Hügel von Sand.

171. Nacht

In seiner Weisheit zürnt ihm der Vater nicht, sondern gewährt Kamar ez-Zamân ein weiteres Jahr des Reifens und Schönerwerdens. Doch auch im Folgejahr verweigert sich der Sohn:

Wen die dreisten Dirnen fingen,
Der sieht keine Rettung mehr,
Baut er sich auch tausend Burgen
Bleiumgossen ringsumher.
Ja, ihr Bau ist ganz vergeblich,
Unnütz stehn die Festen da;
Denn die Frauen überlisten
Jeden Mann ob fern und nah –
Sie, die ihre Finger färben
Die das Haar der Zöpfe drehn,
Sie, die ihre Wimpern schminken,
Die auf Gifttrank sich verstehn!

Das ist ja mal ein lustiges Gedicht – Schminken und Vergiften als Fähigkeiten derselben Kategorie!

Die Frauen sind, wenngleich man sie ob Keuschheit rühmt,
Nur Kehricht, bei dem die Geier schweben, um zu wühlen.
Zwar gestern galt noch dir allein ihr lispelnd Wort;
Doch morgen wird ihre Wade und Hand ein andrer fühlen –
Ein Gasthaus, in dem du wohnst, von dem du dich morgens trennst,
In dem nach dir ein andrer wohnt, den du nicht kennst.

Man möchte ihn glatt bemitleiden für seine Furcht vor Frauen.

170. Nacht

Die Geschichte von Kamar ez-Zamân

Wieder haben wir es mit einem König – namens Schehrimân – zu tun, der in hohem Alter noch keinen Sohn hat und ob dieses Problems seinen Minister befragt.

Jener Wesir antwortete ihm: "Vielleicht wird Gott doch etwas geschehen lassen. Drum vertraue auf Allah, o König, und bete zu ihm inständigst!"

Was sonst sollte der Wesir auch raten. Vielleicht ist das inständige Beten übrigens tatsächlich auf eine Art hilfreich. Immerwährendes Beten erschöpft, so wie das ständige Sprechen eines Wortes, es verliert den Wortsinn für den Sprecher. So kommt man in einen Zustand des inneren Loslassens. Vielleicht nicht unwichtig für einen alternden König mit Erektionsproblemen.

Er hält sich an des Wesirs Anweisung und tatsächlich empfängt die Gemahlin und gebiert ihm einen schönen Knaben, den sie wegen seiner Schönheit Kamar ez-Zamân nennen.

Ich vermute, die Geschichte spielt in Persien.

Als der Sohn alt genug ist, will der König ihn vermählen, doch dieser sträubt sich.

Wen ihr mich nach Frauen fragt, so wisset:
Ich kenn die Art der Frauen alleweil.
Ergraut des Mannes Haupt und schmilzt sein Geld,
Hat er an ihrer Liebe keinen Teil.

Es fragt sich, ob hier Misogynie, Homosexualität oder Angst vor dem Erwachsenwerden der Hauptgrund dieses immer wiederkehrenden Motivs ist.

169. Nacht

In Bagdad trifft unser Juwelier die Sklavin wieder, die ihm vom Ableben Schams en-Nahârs berichtet, die während eines Trink- und Gesangsgelages mit dem Kalifen, Musikern und Sängerinnen ihren Tod fand.

Und in heftigem Schmerz um ihr Hinscheiden befahl er [der Kalif], alle Geräte, alle Lauten und alle anderen Musikinstrumente, die in dem Saale waren, zu zerbrechen.

Erinnert mich an Hannes Hegens Digedags-Comics. Sobald Musikinstrumente auftauchten, konnte man sich sicher sein, dass sie früher oder später beschädigt wurden.

Die Sklavin aber wurde vom Kalifen freigelassen.

Wenn das mal nicht ein schönes Happy End ist. Figuren (wie Abu el-Hasan) werden großspurig eingeführt und spielen dann absolut keine Rolle mehr, ein ewiges Hin und Her im Austausch der immerselben Nachrichten, und am Ende sind alle tot.
Storytelling: 4 minus.
Pracht: 3 minus
Figuren: 4 minus

168. Nacht

Der Juwelier berichtet Ali ibn-Bakkâr die schlechten Nachrichten. Sie beladen jeder drei Kamele, nehmen ein paar vertrauenswürdige Sklaven mit und reiten aus Bagdad fort. Prompt werden sie von Räubern überfallen, die die Sklaven töten und ihnen die Besitztümer rauben. Zu Fuß ziehen sie weiter, gelangen in ein Dorf und gehen dort in eine Moschee, wo sie das Frühgebet absolvieren. Ein alter Mann kommt dazu und lädt die beiden in sein Haus, um sich auszuruhen, aber wieder bricht Ali ibn-Bakkâr zusammen und bittet den Juwelier, im Falle seines Ablebens seine Mutter zu verständigen.

Erinnert mich hier in seinem Selbstmitleid arg an Tom Sawyer.

Aus der Ferne hört er ein Mädchen ein Klagelied singen und verstirbt.

Ups, doch nicht Tom Sawyer.

Der Juwelier kehrt zurück und richtet der Mutter den Tod Ali ibn-Bakkârs aus:

"Beeile dich, sein Begräbnis auszurichten."

So kann man’s auch sagen.

164. Nacht

Am nächsten Morgen kommt ein Mann zum Haus des Juweliers, der behauptet, seine Geschichte zu kennen und Abhilfe schaffen zu können, wenn er ihm nur folge. Dies tut er. Man geht zu einem Haus, dessen Tür verschlossen ist, dann weiter zu einem anderen Ort, bis man aufs offene Feld kommt und dann zu einem Fluss.

Im Improvisationstheater erleben wir immer wieder, dass geschlossene Türen, Tore und Fenster etabliert werden, wenn die Handlung aufgehalten wird, quasi eine Art Blockieren des Handlungsfortschritts. Ein Boot – es ist offenbar derselbe Fährmann wie zu Beginn – rudert die beiden zum anderen Ufer. Der Mann führt den Juwelier in eine Gasse, öffnet dort eine Tür und die beiden betreten eine Halle. Der Juwelier – inzwischen äußerst müde – muss erkennen, bei Räubern gelandet zu sein.

"Ja, wir sind es, die gestern nacht deine Habe geraubt und deinen Freund mit der, die bei ihm sang, entführt haben." Da rief ich: "Allah lasse seinen Schleier tief über euch herabfallen."

Jetzt wäre es gut zu wissen, was Allahs Schleier ist.

Der Juwelier enthüllt die Identität von Schams en-Nahâr und Ali ibn Bakkâr.

Sie gingen hin, und entschuldigten sich bei den beiden.

Nette Räuber. Könnten direkt einem bundesdeutschen Kinderbuch entsprungen sein.

Sie entlassen die Gefangenen und geben dem Juwelier sogar einen Teil des Geraubten zurück.

Da ward mein Herz beruhigt; doch sie spalteten sich in zwei Parteien, die einen waren für mich, die anderen wider mich.

Man kann jetzt schon sagen, dass das für den Verlauf der Geschichte keine Rolle mehr spielt.

Sie lassen sich vom Fährmann übersetzen, dort werden sie von Wachsoldaten festgenommen, und die Ausrede, sie seien Sänger, zieht nicht. Erst Schams en-Nahâr muss dem Hauptmann etwas ins Ohr flüstern. Man führt sie zum Kalifenpalast, der Juwelier und Ali ibn Bakkâr dürfen nach Hause.

163. Nacht

Die Sklavin kommt abermals zum Juwelier, diesmal um ihm mitzuteilen, dass der Kalif den Palast verlassen hat, und die beiden Liebenden zusammengeführt werden könnten. Der Juwelier bietet daraufhin seine Zweitwohnung an. Tatsächlich schafft er, alles dorthin,

was die Gelegenheit erforderte, prächtige Gefäße und Teppiche; ich ließ Geschirr aus Porzellan und Glas, aus Silber und Gold dorthin bringen und rüstete alles, was an Speise und Trank nötig war.

Wer würde das heute schon für zwei eher entfernt Bekannte tun? Warum hier wieder Ich-Form des Juweliers?

Es kommt nun endlich zum Treffen, und man müsste schon ein schlechter Leser sein, wenn man nicht erriete, dass die beiden bei ihrer Umarmung in Ohnmacht fallen.
Man singt zur Laute Lieder, bis eine Sklavin mit der Meldung eintritt, das Haus sei umstellt, man müsse fliehen. Dem Juwelier, der glaubt, die Wache des Kalifen sei ihnen auf die Schliche gekommen, gelingt die Flucht übers Dach zu seinem Nachbarn, der ihm am nächsten Morgen berichtet, Räuber hätten das Haus geplündert und die Gäste erschlagen.

Dieser Dreh kommt nun ein bisschen deus-ex-machina-mäßig daher, aber besser solche Action als gar keine.

162. Nacht

Schams en-Nahâr verschwindet, und der Juwelier macht sich auf zu Ali ibn-Bakkâr, um ihm von den neusten Ereignissen zu berichten und ihm für eine Vereinigung der beiden, seine Zweitwohnung anzubieten.

Wäre ich an König Schehrijârs Stelle, hätte Schehrezâd nun so langsam allen Grund, um ihr Leben zu bangen.

161. Nacht

Auf seinem Weg von dem leidenden Ali ibn-Bakkâr findet der Juwelier einen Brief, der der Sklavin, die als Botin der Schams en-Nahâr arbeitet, aus der Tasche gefallen war. Briefe werden getauscht, es wird in Ohnmacht gefallen und geweint. Der Juwelier erklärt sich der Sklavin gegenüber bereit, den Boten zu spielen. Dafür, so die Sklavin, müsse aber Vertrauen zwischen ihm und Schams en-Nahâr hergestellt werden. Sie bittet ihn in den Palast des Kalifen. Der Juwelier fürchtet sich aber, keine angemessene Ausrede zu haben, sollte er entdeckt werden. Er bietet sein eigenes Haus an. Schams en-Nahâr kommt tatsächlich, man tauscht Nettigkeiten aus, und der Juwelier berichtet von el-Hasans Abreise und davon, dass er für weitere Treffen noch ein weiteres Haus zur Verfügung hätte.

Unendlich schwerer und quälender als die Pein der Liebenden ist die Lektüre dieser Story. Ständig werden irgendwelche unnützen Figuren in die Handlung eingeführt, die das Ganze nur langatmiger und weitschweifiger erscheinen lassen: Wozu wird el-Hasan durch den Juwelier ersetzt? Warum muss der jetzt noch eine weitere Wohnung anbieten? Warum ist dieses ganze Botengetue überhaupt notwendig, wo doch Schams en-Nahâr offenbar relativ problemlos den Kalifenpalast verlassen und betreten kann? Alles, um möglichst viele Liebesgedichte unterzubringen?

159. Nacht

Die ständigen Botschaftertätigkeiten zwischen den beiden Liebenden und Bakkârs andauernde Ohnmachtsanfälle beginnen Abu el-Hasân zu nerven:

"Wie wäre es erst, wenn du ein Mädchen liebtest, das Abneigung gegen dich hätte und dich verriete, so dass dein Geheimnis offenbar würde?" Da war – so erzählte Abu el-Hasan – Alî ibn-Bakkâr zufrieden mit meinen Worten; und er war durch sie beruhigt, und dankte mir dafür.

Woher auf einmal die Ich-Perspektive el-Hasans?

El-Hasan schmiedet eine List. Er klagt einem Freund sein Leid und behauptet, aus Furcht, als Kuppler verurteilt zu werden, nach Basra zu reisen, was er tatsächlich auch tut.
Als Heulsuse ibn-Bakkâr von el-Hasans Freund dies erfährt, nostalgiert nun den vergangenen Heul-Zeiten nach:

Einst pflegte ich zu weinen um vergangene Freuden,
Als meine Freunde all an meiner Seite weilten.
Doch heute hat mein Schicksal sie von mir geschieden;
nun weine ich um die, so meine Liebe teilten.

 

157. Nacht – Indianer in der DDR

Elftes Buch von rechts aus der Regalreihe Kinder- und
Jugendbücher

Liselotte Welskopf-Henrich: „Die Söhne der großen Bärin – Band 2 – Der Weg in die Verbannung“

Erworben: ca. 1981

Status: Nie gelesen.

Erster Satz: „Die Sonne stand hoch am Himmel.“

Kommentar: Ich bekam den ersten Band dieser Indianerbuch-Reihe zu meinem 10.
Geburtstag geschenkt und nahm mir vor, erst dann mit dem Lesen zu beginnen, wenn
ich die sechs Bände beisammen hätte. Das war aber erst der Fall, als ich schon
siebzehn war und eigentlich kein Interesse mehr an derartigen Büchern. Karl May,
dessen Bücher erst Mitte der 80er in der DDR verlegt wurden (mit der Begründung,
es habe sich erst eine eigenständige DDR-Indianer-Literatur entwickeln müssen),
habe ich verschlungen. Welskopf-Henrich nervte. Aber vielleicht tue ich damit
Stephan Zeisig unrecht, der
diese Bücher liebte.

***

Die Sklavin berichtet weiter, dass Schams en-Nahâr nach diesen
und weiteren Versen ohnmächtig wurde. Abu el-Hasan schickt die Sklavin fort mit
der Bitte, Schams en-Nahâr möge sich beruhigen. Er geht wieder zu Ali îbn Bakkâr,
der ebenfalls mehrere Ohnmächte erleidet. Schließlich kehrt die Sklavin mit eine
Brief wieder.

156. Nacht

Fortsetzung der Reihe „Elfte Bücher aus meinen Regalen“

Regal Kinder- und Jugendbücher. In einem Anfall von Irrsinn habe ich 1990 fast alle meine Kinderbücher in den Papiermüll geworfen. Sonst wäre das Regal wesentlich länger.

Das elfte Buch von links:

Sándor Török: „Ein Zauberer geht durch die Stadt“

Erworben: zum zehnten oder elften (??) Geburtstag geschenkt bekommen.
Status: Drei, vier mal gelesen.
Erster Satz: „Ein Zauberer geht durch die Stadt.“
Kommentar: War zu einer gewissen Zeit eines meiner Lieblingsbücher. Es gab auch eine Verfilmung, in der der hübsche Zauberspruch „Tschilitschala bazi hip und hop“ vorkam. („Hip und Hop“ im Jahre 1969!)

***

Als Abu el-Hasan am nächsten Tag wieder bei Ali ibn Bakkâr eintritt, ist er umringt von Freunden und diversen Ärzten,

und ein jeder von ihnen verschrieb ihm etwas, und alle fühlten seinen Puls.

Als sie verschwunden sind, gesteht er, dass das natürlich nur mit seiner Liebeskrankheit zu tun hat.

Als endlich die Sklavin, die die beiden zum Fährmann begleitet hatte, bei Abu el-Hasan eintritt, berichtet sie, dass auch Schams en-Nahâr an der Liebe leidet. Gegenüber dem Kalifen redete sie sich heraus:

„Ein Mischgericht hat mich krank gemacht und Feuer in meinem Leib entzündet; da ward ich ohnmächtig vor dem Übermaß meiner Schmerzen, und ich wusste nicht, wie mir geschah.“

Trennkost als gesunde Lebensweise zu Zeiten des Kalifen er-Raschid?

Sie singt:

Fürwahr mein Leben ist nichts wert, seit du geschieden.
Ach käme aus der Ferne ein Bote doch von dir!
Es ziemet sich, dass ich nun Tränen Blutes weine,
Wenn du jetzt Tränen weintest, weil du fern von mir!“

***

Die zehn häufigsten Suchbegriffe, mit denen Surfer im Mai auf meiner Seite gelandet sind:

  1. Geschichten
  2. Richter
  3. Dan
  4. Stubenfliege
  5. Improvisation
  6. Berlin
  7. Improtheater
  8. Improvisationstheater
  9. Sklavin
  10. Stones

155. Nacht

Die Sklavin lässt Abu el-Hassan und Ali ibn-Bakkâr am anderen Ufer zurück, und die beiden tauchen bei einem Freund el-Hassans unter, der in dieser Gegend wohnt und dem sie mit einer Ausrede die Gastfreundschaft abtrotzen.
Am nächsten Tag kehren sie zurück und Abu el-Hassan versucht, seinen Freund mit Wein, Weib und Gesang aufzuheitern, doch das kann natürlich nur schiefgehen.

Wie ihnen nun so wohl war, griff die Sängerin zur Laute und begann zu singen:

Ich ward vom Schicksal getroffen mit dem Geschoss eines Blickes,
Der warf mich nieder. Ich hab vom Liebsten Abschied genommen.
Das Schicksal ward mir feind, und meine Geduld versagte.
Doch ahnte ich zuvor, es müsse also kommen.

Der aufmerksame Leser ahnt, was folgt: Ali ibn-Bakkâr sinkt in Ohnmacht. Als er sich erholt, begleitet ihn Abu nach Hause.

***

(22. April – Shanghai – Nanjing)
Wer je mit Jochen Schmidt verreiste, wird sein periodisch auftauchendes Bedürfnis, sämtliche externen Eindrücke von sich abzuschirmen, nicht vergessen.

Schlafforscher warnen übrigens vor ständiger Benutzung dieser Hilfsmittel.

154. Nacht

Man tändelt weiter, doch da kündigen die Sklavinnen die Ankunft des Kader Eunuchen und Masrûr dem Schwertträger des Kalifen an. Die beiden Herren werden versteckt, und sicherheitshalber lässt sich Schams en-Nahâr von einer Sklavin die Füße kneten.
Von einem Balkon sehen Alî ibn Bakkâr und Abu el-Hasân der Tändelei zwischen dem Kalifen und Schams en-Nahâr zu, nicht ohne dass Alî ibn Bakkâr ständig in Ohnmacht fällt, aus der er mit Rosenwasser wieder zu Bewusstsein gebracht wird. Als es schließlich zu unsicher wird, bringt eine Sklavin sie zu einem Fährmann, der die beiden zum anderen Ufer rudert.

***

Nachtrag zur Anreise in China:

Wenig nur wissen wir über China, als Jochen Schmidt, Volker Strübing und ich in das Reich des gelben Mannes aufbrechen, um dort unsere Texte einem die deutsche Sprache lernenden Publikum vorzutragen. Die wichtigsten Fakten zusammengefasst:

1. Die Wirtschaft des Landes boomt. Bedeutet das jetzt, dass sich jeder Chinese einen Opel leisten kann oder heißt es nur, dass er zur täglichen Schale Reis, von der er bekanntlich lebt, nun auch noch Kompott verlangt?

2. Einen großen Teil seiner sozialen Probleme entsorgt der Chinese dadurch, dass er seine Landsleute ins Gefängnis sperrt. Lediglich die USA haben eine höhere Inhaftiertenquote. Wir werden unser Verhalten diesem Umstand anpassen und unsere Solidaritätsbekundungen mit unterdrückten Bergvölkern zu unterdrücken wissen, denn unser Verlangen danach, den Haftalltag von Gefangenen zu studieren, hält sich in den Grenzen von 1937.

3. Der Chinese hat Philosophien erfunden, die sich der aristotelischen zweiwertigen Logik entziehen, Taoismus und Konfuzianismus sind nur zwei davon, Yin und Yang zwei andere.

4. Mao ist tot. Aber wie heißt der Typ noch mal, den sie jetzt haben?

5. Dass der Chinese kleiner ist als der Europäer, dass er verschmitzt lächelt, dass seine Haut zum Gelbsein neigt, dass er sich flink und verschlagen bewegt und Kampfsportarten beherrscht, in denen die Gesetze der Schwerkraft, der Kohäsion und des gesunden Menschenverstandes außer Kraft gesetzt werden, darf nicht zur Aufbauschung rassistischer Vorurteile genutzt werden.

Das Flugzeug startet so früh, dass wir uns verschlafen begrüßen und nur wenige Worte miteinander wechseln. Diesen geistigen und sozialen Aggregatzustand konservieren wir für die nächsten zwei Wochen. Zwischenstopp in London. Jochen sucht sich, wie er es immer auf Zwischenstopps tut, eine Bank, legt sich hin und schläft sofort ein. Diese Fähigkeit, jederzeit und überall schlafen zu können, erweckt Neid, und die Müdigkeit steckt an. Volker hingegen filmt, fotografiert, schreibt, liest, trinkt Kaffee und spricht gleichzeitig. Diese Unruhe – nach eigener Auskunft hat er seit drei Wochen keinen Schlaf mehr von innen gesehen – ist ebenfalls ansteckend. Und so wanke ich ziellos müde und unruhig durch die Hallen des Heathrow Airport Terminal 5.

Auf einmal sitzen wir in einem Flugzeug, Jochen schläft schon, bevor überhaupt angesagt werden konnte, dass man sich anzuschnallen habe. Volker filmt, fotografiert, schreibt, liest, und mit mir legt sich ein Schwabe an, der sein Handgepäck in meinem Fach verstaut hat. In meinem Fach! Schließlich ist es aber wie früher, wenn man mit der Schulklasse im Kino war – zuerst streiten sich alle um die Plätze, bewerfen sich und nörgeln, die vor einem Sitzenden würde zu sehr die Köpfe in die Höhe strecken, aber wenn es losging, funktionierte es wie von selbst.

Von Stewardessen lernen, heißt Sozialkompetenz lernen. Ihre ewig freundliche Art macht sie unangreifbar. Ihre Körpersprache signalisiert Kompetenz, wie man sie heutzutage selbst von Ärzten nicht mehr erwartet. Sie sind die Göttinnen in Blauweiß. Damit die Fluggäste sich nicht wie Kinder aufführen und zu streiten beginnen, werden einem ständig Snacks, Getränke, Luxusspielzeug und andere Dienstleistungen angeboten. Um in den Genuss der sprichwörtlichen Nymphomanie der Stewardessen zu kommen, muss man aber wahrscheinlich mindestens Business Class gebucht haben.

Jochen schläft, und Volker liest. Jochen schläft und Volker schreibt. Jochen schläft und Volker guckt Acionfilme. So geht es die ganze Zeit. Ich bin zu müde, um zu lesen, zu schreiben oder mich auf die Logik der Zombie-Actionfilme einzulassen, aber auch zu aufgekratzt um zu schlafen. In später, sehr später Nacht setzt das Flugzeug zum Sinkflug an und ich schlummere für zwanzig Minuten ein. Und schon werde ich wieder aus meinem Sessel vertrieben. Wir sind schon da. Kann ich nicht trotzdem sitzenbleiben und weiterschlafen? Nein. Das ist aber ungerecht! Raus, raus! Ich bin doch kein Vieh! Die Sonne scheint. Ich verstehe nicht. Achso, die Zeitumstellung. Hier ist ja noch gestern. Ach nee, hier ist schon morgen! Schnell, schnell! Volker filmt und fotografiert.

Das Zeichen für Passkontrolle sieht aus wie das, was es bedeutet – ein großes Männchen wartet vor einem Häuschen, in dem ein kleineres Männchen hockt, darauf, dass ihm sein Pass zurückgegeben wird.

Wer holt uns eigentlich ab? Es soll wohl ein Chinese sein, auf dessen Schild „Berliner Lesebühne“ steht. Jetzt stehen wir dumm da. Lauter Chinesen, lauter Schilder. Wir hatten vergessen, bescheid zu sagen, dass der Chinese „Berliner Lesebühne“ auf Deutsch schreiben soll. Wir stehen verloren rum und warten, bis sich vor unseren Augen ein junger Mann kung-fu-film-mäßig materialisiert und uns akzentfrei begrüßt und einen Fahrer des Goethe-Instituts kommandiert, uns zur Wohnung unseres Gastgebers zu lotsen. Der Name des jungen Mannes ist Wenn, aber mein schreibt es Wuan. Trotz seiner Akzentfreiheit und seines stellenweise thomas-mann-artigen mündlichen Stils versteht er kaum ein Wort von dem, was wir sagen. Schließlich lernt er erst seit einem halben Jahr die Sprache der Deutschen.

Unser Gastgeber, Rupprecht Mayer, ist eigentlich Schriftsteller, aber als er als junger Mann einmal seinen Berufswunsch in einer Liste ankreuzen musste, ist er in der Zeile verrutscht, und kreuzte aus Versehen Sinologe statt Schriftsteller an. Um aber vor seinen Altersgenossen und seinen Eltern nicht deppert dazustehen, richtete er seinen Lebenskompass nun auf China aus, was schließlich dazu führte, dass er als Dolmetscher im oberen Stockwerk eines Shanghaier Wolkenkratzers lebt. Damit hat er es gut getroffen.

Rupprecht wohnt in der Nähe der iranischen Botschaft, vor deren Gebäude das Shanghaier Gartenbauamt den Ahornbäumen Stacheldraht umgehängt hat, damit, wie wir erfahren, politisch unterdrückte Shanghaier nicht versuchen, über die Botschaft abzuhauen. Ich frage mich, wie schlecht es einem politisch Verfolgten gehen muss, dass er versucht, ausgerechnet in den Iran abzuhauen.

Rupprechts Wohnung ist, wie es sich für Diplomaten gehört, mehrstöckig, mehrbalkongig, mehrwc-ig und mehrbettig sowieso. Fünf Zimmer gibt es – für jeden eines, und dann bleibt noch eins übrig. Wir haben die Schlafräume noch nicht gesehen, aber schon regt sich in Volker und Jochen die Panik, womöglich das schlechtere zu erwischen. Prinzip Zufall entscheidet. Man schläft dort, wo man gerade hinfällt. Es wird ein ausgedehnter Mittagsschlaf, der die innerer Uhr völlig durcheinanderbringt.

Als ich aufwache, müssen wir schon los, zum Bund, einer sehenswürdigen Uferpromenade, deren Sehenswürdigkeit darin besteht, dass man von hier aus gut die modernen Wolkenkratzer auf der gegenüberliegenden Seite fotografieren zu können. Alte Frauen bieten einem lustige Knetfiguren an, die, ähnlich wie früher in der Sesamstraße, auf den Boden geworfen werden und sich dann von selber wieder in ihre ursprüngliche Form zurückverwandeln. Alle zwei Meter werden einem diese Dinger hier angeboten, und dann auf unserer Reise nie wieder. Wir werden bereuen, sie nicht gekauft zu haben.

Ich war lange nicht mehr an einer richtigen touristischen Sehenswürdigkeit und nun erinnere ich mich wieder, warum. An Sehenswürdigkeiten fotografiert man im besten Falle Sehenswürdigkeiten, die man auf Postkarten besser fotografiert bekommt. Im schlechteren Falle, der meistens der Fall der Fälle ist, fotografiert man Touristen, die andere Touristen beim Fotografieren fotografieren, während sie versuchen, den Postkartenverkäufern, auszuweichen, die doch lediglich versuchen, ihnen Postkarten zu verkaufen, auf denen die Sehenswürdigkeiten aus besserer Perspektive, mit besseren Lichtverhältnissen und ohne störende Touristen, Fotografen und Postkartenverkäufer zu sehen sind.

Auf der Mauer, auf der Lauer

Der Platz des Himmlischen Friedens unterscheidet sich von anderen Top-Sehenswürdigkeiten auf unserem Planeten nicht. Man fotografiert Touristen, die Touristen fotografieren. Eine im Vergleich zu anderen Orten ist das Wegducken eine auffällig häufige Bewegung: Man duckt sich aus Höflichkeit weg, um nicht auf dem Foto eines fremden Posierenden vorzukommen. Dadurch, dass aber stets und ständig in alle Richtungen fotografiert wird, tauchen auf Sehensüwrdigkeitsfotos immer häufiger gebückte Menschen auf, die so wirken, als gingen sie vor Schüssen in Deckung.

***

Wir fahren einen mehrstündigen Umweg, um einen Teil der chinesischen Mauer zu besichtigen, der weniger frequentiert ist.
***


Ein Verkehrsregler scheint es darauf anzulegen, Fußgänger unter die Räder zu bringen.

Wieder in Shanghai

Drei Lesungen in Nanjing, Hangzhou und Shanghai mit Jochen Schmidt, Volker Strübing und Rupprecht Mayer. Auf Rupprechts eigentlich putzig-kaminereske Geschichte über die Schwierigkeiten eines Europäers, sich durch den Shanghaier Verkehr zu bewegen, reagieren einige Chinesen etwas verschnupft: Wo denn das Positive bleibt. Sie können es nicht verknusen, dass sich ein Europäer erdreistet, einen satirischen Blick auf „ihre“ Stadt zu werfen. Ebenso seltsam: Jochens Geschichte über die Warnungen, die Eltern ihren Kindern auf den Weg geben, wird nur von wenigen Chinesen goutiert. Sie glauben, er mache sich über den Tod von Kindern lustig und ordnen es sozusagen technisch-analytisch unter „schwarzer Humor“ ein.