Some questions – Ein paar Fragen

Why do improv shows have to be emceed?
Why do impro pros follow sheepishly a storytelling fetishism? [edit: This is not about games vs. storytelling but about narrative vs. anti-narrative. Modern theater has developed non-narrative forms of performance. Improv players don’t seem to watch these kind of shows.]
Why is everybody talking about some great mask workshops but hardly anybody ever performs improv shows with masks?
Why are you walking the old paths?

– Wieso sollen Impro-Shows anmoderiert werden?
– Weshalb folgen die meisten Profis dem Storytelling-Fetischismus?
– Wieso schwärmen immer wieder Impro-Spieler von Masken-Workshops, aber man sieht nie Masken-Shows?
– Warum gehen die meisten Ensembles doch die Pfade, die andere für sie ausgetreten haben?
(Fragen, die in mir entstanden, nachdem ich den Film „AG Geige – ein Amateurfilm“ sah.)

Das Kleine Zuhören und das Große Zuhören

Wir können ganz allgemein zwischen dem Kleinen Zuhören und dem Großen Zuhören unterscheiden. Das Kleine Zuhören bezieht sich dabei eher auf den Moment, die unmittelbare Szene, das Große Zuhören eher auf die Gesamt-Story.
Die üblichen Impro-Games befassen sich vor allem mit dem Kleinen Zuhören, da es die Voraussetzung für das Akzeptieren ist: Was wird gesagt? Welche emotionale Bedeutung hat das Gesagte? Welches Timing wird angeboten? usw.
Für Storys brauchen wir aber auch das Große Zuhören: Welches Angebot ist das Story-Angebot? Wohin geht der Schwung der Story bzw. (in den Worten von Dixon) was ist das „Versprechen“ der Geschichte?
Die Schwierigkeit besteht natürlich darin, beides gleichzeitig zu tun. Das Große Zuhören darf uns nicht von der authentischen Reaktion des Moments ablenken. Das Kleine Zuhören darf uns nicht davon abhalten, das Gesamtbild aus den Augen zu verlieren.

Das Leiden des Helden

Sinngemäß schreibt Keith Johnstone: „Im Zweifel – martere die Heldin.“ (Bin gerade zu faul, das genaue Zitat herauszusuchen.)
Umgekehrt: Wer leidet, ist der Held. Als Nebenfigur sollte man nicht die eigenen Probleme zu sehr auf den Tisch packen (es sei denn, man ist explizit der Antagonist mit der eigenen Agenda).
Vor allem aber muss die Heldin auch zu leiden bereit sein. In vielen kurzformatigen Shows erlebe ich es, dass im Hin und Her des Schlagabtauschs kein Leiden zu sehen ist. Leiden braucht Zeit. Ich muss dem Angebot des Partners die Möglichkeit geben zu entfalten. Blaffe also nicht zurück.

Feedback deuten

Das Feedback der Zuschauer muss gedeutet werden, da sie oft nicht über unser Vokabular verfügen oder den Grund für ihre Zufriedenheit oder Unzufriedenheit mit der Show an den falschen Punkten suchen. So ist eine als zu lang empfundene Show oft gar nicht objektiv lang, aber die Zeit dehnt sich, wenn die Spieler lahm und uninspiriert auf der Bühne agieren, wenn sie nichts zu sagen haben, kurz – wenn sich der Zuschauer nicht zum Geschehen auf der Bühne hingezogen fühlt.
Inhaltliche Kritik wird von Zuschauern oft an den Storys festgemacht: Die Geschichten seien nicht besonders originell gewesen. Und unsere armen Improspieler zergrübeln sich bei ihrer nächsten Probe den Kopf nach komplexeren Plots, deklinieren „die Heldenreise“ ein hundertstes Mal durch, ohne zu sehen, dass es im Grunde die Charaktere sind, denen der Schmackes fehlte, die flach blieben und keine Beziehung zueinander aufbauen konnten. Wenn Zuschauer bemängeln, es habe ein paar offene Fäden in der Handlung gegeben, kann man seinen Bühnenvorhang darauf verwetten, dass der eigentliche Mangel darin bestand, dass die Spieler nicht richtig auf die Angebote der anderen eingegangen sind und das Timing geholpert hat. Stephen Sim  sagte sinngemäß: „Die Zuschauer vergeben dir leicht Löcher im Plot. Schlechtes Timing vergeben sie dir nie.“

Dieselben Storys

Wenn man als Gruppe dazu tendiert, ähnliche Storys oder ähnliche Muster zu verwenden, sollte man sich mal einen Ruck geben und sich nach anderen Storys umschauen. Es genügt oft, sich mal andere Geschichten, Theater-Stücke usw. ins Gedächtnis zu rufen.
„Aber was hast du denn gegen Liebesgeschichten?“, fragte mich einmal eine Improvisiererin in diesem Zusammenhang. Gar nichts habe ich dagegen, nur wird man früher oder später auf der Stelle treten, wenn man sich in der Beziehung nicht immer wieder selbst überprüft.

Story: Der Wettkampf

Ein typisches Storymuster, das ich immer wieder in Impro-Shows beobachte, ist „Der Wettkampf“. Underdog wird zum Eisschnelllauf, Tanzwettbewerb, Boxkampf usw. herausgefordert, zweifelt und gewinnt dann doch. So weit, so langweilig.
Irgendwas muss in dieser Form liegen, dass sie für spontane Geschichtenerfindung so naheliegend macht. Vielleicht das klare Ziel, auf das alles hinstrebt.
Ich finde, eine Wettkampf-Story muss immer noch ein drunterliegendes Element mit sich führen, dass so bezaubert, dass der Plot eigentlich wurscht ist.
Aber wenn’s nach mir geht, brauche ich in den nächsten 10 Jahren keine Wettkampf-Szenen mehr zu sehen, und man muss mir auch keine anbieten.

Gewalt als Ende und Lösung

Wie soll der Held dem Bösen begegnen? Was macht ein befriedigendes Ende aus?
Eine häufig anzutreffende Lösung ist die der Rache oder der Tötung. Tatsächlich ist dies eine klassische Möglichkeit, eine Geschichte zu beenden. Denken wir an klassische Geschichten wie Märchen und Mythen aber auch Western, Abenteuer-Geschichten, Thriller, Horror, Krimi.
Unabhängig davon, ob man als Zuschauer Gewalt überhaupt als Lösung akzeptiert (wenn man das nicht tut, hat man wahrscheinlich sowieso ein Problem mit Abenteuer- und Horror-Geschichten), braucht die Gewalt der guten Seite hinreichend gute Gründe.
Das Böse darf nicht dem Guten an Macht und Intention ebenbürtig sein, sondern muss eine übermächtige Bedrohung darstellen.
Andere Optionen, wie z.B. der legale Weg oder Kommunikation sind ausgeschlossen.
Das Gute muss unmittelbar bedroht sein, nicht nur abstrakt.
Wenn wir dies nicht beachten, wird der Rachefeldzug der guten Seite selbst als unmenschlich und widerwärtig wahrgenommen, so dass wir als Zuschauer nicht mehr das Gefühl haben, das Gute habe gewonnen. Auch dies ist natürlich als Geschichte denkbar, nur sollte das Unbehagen dann auch storymäßig markiert werden, z.B. wenn sich im Horror das Böse nun aufs Gute übertragen hat oder im Krimi der überreagierende Detektiv an seiner Handlung verzweifelt.

Laurel, Hardy und meine Kollegen

Gab es eigentlich schon mal Improspieler, die systematisch den Stil von Laurel und Hardy zu erfassen versucht haben?
Am letzten Freitag ist mir das spontan gelungen. Aus einer lang angelegten Story, die eigentlich voller Szenenwechsel sein sollte, entstand eine 20minütige Slowburn-Szene mit meinem genialen Kollegen Paul Moragiannis.
Applaus verdient aber auch Janine Tuma, die die Szenen mit kleinen Nebenfiguren unterstützte, uns sozusagen Futter gab, und nicht etwa die „Story vorantrieb“.

Der Held, dieses Arschloch

Es wäre noch mal schön auszuprobieren, wieviel Schattenseiten man dem Helden mitgeben kann, damit er fürs Publikum noch erträglich ist. Oder anders gefragt: Kann der Held ein ausgemachtes Arschloch sein?
Meine Vermutung ist: Es hängt von der Zeit ab, die man für die Story zur Verfügung hat. In „Rain Man“ ist der von Tom Cruise gespielte Charlie Babbitt ein unangenehmer Kerl, aber natürlich ist er der Held (und nicht der autistische Bruder Raymond!), denn er ist es, der sich wandelt. (Raymond wäre wie Heidi oder Vito Corleone eine Engelsgestalt.)
Die Frage tauchte vor einer Weile auf, als in einer mittellangen improvisierten Szene (15 Minuten) die eigentlich sympathische Heldin auf einmal nach der Hälfte der Story missgünstig und rassistisch wurde. Ich denke, in dem Moment hatte sie die Sympathien des Publikums verspielt. Und schlimmer noch: Wenn sie sie nicht verspielt hat, erschiene die sympathische Figur wie ein Vorwand, Rassismen und Missgunst zu äußern.

Hitchcock 5

Aus Truffaut: „Wie haben Sie das gemacht, Mr. Hitchcock“
H: (Über „The Secret Agent): Der Held soll einen Menschen töten, und er will das nicht. Das ist ein negatives Ziel, und das Ergebnis ist ein Abenteuerfilm, der nicht vorankommt, der leerläuft.
(…) In gewissen Fällen ist ein Happy End nicht notwendig. Wenn Sie das Publikum gut in der Hand haben, folgt es Ihrer Argumentation und akzeptiert auch einen unglücklichen Schluss. Vorausgesetzt, es hat im Verlauf des Films genug befriedigende Elemente gegeben.

(…)
H: Man muss versuchen alle lokalen Gegebenheiten in das Drama einzubauen. Die Seen müssen dasein, damit Leute darin ertränkt werden, und die Alpen, damit sie in Schluchten stürzen.
T: Das ist etwas, das ich sehr mag in Ihren Filmen. Auch der Beruf der Leute ist von dramaturgischer Bedeutung. In The Man Who Knew Too Much ist James Stewart Arzt, und den ganzen Film hindurch verhält er sich auch als Arzt.

(…)
T: Man könnte sich fragen, ob nicht die Begriffe Kino und England eigentlich unvereinbar sind. Das ist sicher übertrieben, aber ich denke an nationale Eigenheiten, die mir als filmfeindlich erscheinen, zum Beispiel das friedliche englische Leben, die solide Routine, die englische Landschaft und sogar das englische Klima. Der berühmte englische Humor, der soviele charmante Mordkomödien hervorgebracht hat, verhindert oft die wirkliche Emotion.
(…)
H: Die in England vorherrschende Haltung ist eine Inselhaltung. Sobald man England verlässt, findet man eine viel universellere Vorstellung von der Welt. (…)
Der englische Humor ist sehr oberflächlich und hat enge Grenzen (!!!).

Hitchcock 4

Aus Truffaut: „Wie haben Sie das gemacht, Mr. Hitchcock“

H: Die Konditionierung des Publikums ist die Voraussetzung für jeden Suspense. (…) Ich habe oft bemerkt, dass bestimmte Suspense-Situationen dadurch infrage gestellt werden, dass das Publikum die Situation nicht ganz erfasst. Zum Beispiel tragen zwei Schauspieler fast gleiche Anzüge, und schon unterscheidet sie das Publikum nicht mehr.
(…)
T: Ich frage mich manchmal, ob man Künstler nicht in zwei Kategorien einteilen kann, die Vereinfacher und die Komplizierer. Unter den Komplizierern gibt es natürlich große Künstler, gute Schriftsteller. Aber meinen Sie nicht auch, dass man, wenn man auf dem Gebiet des Schauspiels Erfolg haben will, besser ein Vereinfacher sein sollte?
H: Das ist schon deshalb wichtig, weil man dem Publikum nur die Emotionen vermitteln kann, die man selbst verspürt. Zum Beispiel können Leute, die nicht zu vereinfachen wissen, die Zeit nicht kontrollieren, über die sie verfügen.
(…)
H: Was mir an Buchan so gefällt, ist etwas absolut Britisches, was wir Understatement nennen. (…)
T: Im Französischen gibt es eine rhetorische Figir, die Litotes, aber die hat mehr zu tun mit Zurückhaltung, mit Bescheidenheit als mit Ironie.
H: Understatement bedeutet, dramatische Ereignisse in einem leichten Ton zu präsentieren.
(…)

(Hitchcock zitiert eine von ihm eingebaute Story in The 39 Steps, in der ein Fremder bei einem Bauern und dessen Frau Unterkunft findet. Als der Bauer in den Hühnerstall muss, will die Frau den Fremden verführen: „Schnell, mach, jetzt ist der geeignete Augenblick.“, worauf der Fremde die Hühnerpastete verschlingt. Erinnert mich sehr an den Dieter-Krebs-Klassiker „Pik Flöte“

Anm. DR)
(…)

T: Was man in Ihren Filmen häufig findet und was große Genugtuung bereitet: eine Figur, die ihrem Charakter treubleibt bis zum Äußersten, bis in den Tod, mit einer unerschütterlichen Logik.
(…)

(Zur Perspektive bemerkt Truffaut über ein schlechtes französisches Remake von 39 Steps, dass in einer Beobachtungsszene, sowohl die Perspektive des Beobachteten als auch der Spione gezeigt wurde. Letztere fehlt natürlich bei Hitchcock. DR)H: Das ist wirklich jämmerlich. Wer sowas macht, weiß wirklich nicht, worauf es ankommt. Man kann doch in einer solchen Situation nicht einfach den Standort wechseln, das ist einfach unmöglich.
(Der grundlegende Fehler im ZDF-Remake von der Seewolf (2009). Ständig wird die Perspektive gewechselt, während im Roman und in der Staudte-Verfilmung das Grauen aus der konsequenten Ich-Perspektive rührt. DR)
(…)

H: Wenn man alles analysieren wollte und alles nach Erwägungen der Glaubwürdigkeit und Wahrscheinlichkeit konstruieren, dann würde keine Spielfilmhandlung dieser Analyse standhalten.
(Das ist wohl wahr. Erzählenswert ist immer das Unwahrscheinliche. Andererseits gibt es auch Grenzen der Handlungslogik. Wir können uns zwar wundern über seltsame Taten, aber wenn eine bestimmte Grenze überschritten wird, wirkt die Handlung konstruiert und zusammengeschustert, was einen ganzen Film ins Wanken bringt, wie etwa Flightplan, DR)
(…)

H: Wenn ein Regisseur von der Kritik enttäuscht ist, (…) dann ist der einzige Ausweg, den Beifall des großen Publikums zu suchen. Wenn aber ein Regisseur seine Filme nur noch für das große Publikum dreht, dann versinkt er in Routine, und das ist schlecht.
(…)

H: Eine Geschichte darf unwahrscheinlich, aber sie darf nie banal sein.
(…)
H: Die einzige Frage, die ich mir stelle, ist, ob die Postierung der Kamera an der oder der Stelle der Szene die maximale Kraft gibt. Die Schönheit der Bilder un der Bewegung, der Rhythmus, die Tricks, das alles muss der Handlung untergeordnet und geopfert werden.

Hitchcock – 1-2

Aus Truffaut: „Wie haben Sie das gemacht, Mr. Hitchcock“
(Im Film Downhill)
H: John bittet Laurita, ihn zu heiraten, und sie antwortet: „Ich werde Sie gegen Mitternacht anrufen.“ Die nächste Einstellung ist eine Armbanduhr, auf der man sieht, dass es Mitternacht ist. Es ist die Uhr eines Telefonfräuleins, das in einem Buch liest. Ein kleines Licht leuchtet auf dem Schaltbrett, sie stellt die Verbindung her und will weiterlesen, dabei hält sie automatisch den Kopfhörer ans Ohr. Da lässt sie das Buch liegen und hört hingerissen der Unterhaltung zu. Das heißt, den Mann und die Frau habe ich überhaupt nicht gezeigt, aber man verstand alles, was passierte, aus den Reaktionen des Telefonfräuleins.
(…)
(The Ring)
H: Mit dem  Film habe ich verschiedene Verfahren eingeführt, die danach in den allgemeinen Gebrauch übergingen. Zum Beispiel, um den Aufstieg eines Boxers zu zeigen, zeigte ich zuerst ein großes Plakat auf der Straße, sein Name steht unten auf dem Plakat. Man merkt, es ist Sommer, sein Name wird größer und steigt auf dem Plakat nach oben. Dann ist es Herbst, und so weiter.
(…)
(Champagne)
H: Das ist wahrscheinlich der Tiefpunkt meiner Karriere. (…)
T: Ich erinnere mich an das Essen, an dem in der Küche alle mit dreckigen Fingern herumfummeln, und als das Gericht die Küche verlässt, wird es mit großen Gesten weitergereicht, immer feierlicher, bis zu dem Augenblick, wo es dem Gast hingestellt wird. Zu Beginn ist es richtig ekelhaft, und dann wird es immer raffinierter. Der Film ist voller Erfindungen.

(Zum Thema Stummfilm)
H: Die Stummfilme waren die reinste Form des Kinos. Das Einzige, was den Stummfilmen fehlte, waren die Stimmen der Leute auf der Leinwand und die Geräusche. Aber diese Unvollkommenheit rechtfertigte nicht die große Veränderung, die der Ton mit sich brachte. Ich will damit sagen, dem Stummfilm fehlte sehr wenig, nur der natürliche Ton. Man hätte deshalb die Technik des reinen Kinos nicht aufzugeben brauchen, wie man das mit dem Tonfilm gemacht hat. (…)
Wenn man im Kino eine Geschichte erzählt, sollte man nur den Dialog verwenden, wenn es anders nicht geht. Ich suche immer zunächst nach der filmischen Weise, eine Geschichte zu erzählen durch die Abfolge der Einstellungen, der Filmstücke. Es ist bedauerlich, dass das Kino mit dem Aufkommen des Tonfilms in einer theaterhaften Form erstarrt ist. Daran ändert auch eine bewegte Kamera nichts. Die Kamera mag den ganzen Gehsteig entlangfahren, und es ist doch immer noch Theater. Die Folge ist das Verschwinden des filmischen Stils und auch ein Schwund an Phantasie.

Hitchcock – Suspense und Voyeurismus

Suspense
Das wohl wichtigste Stilmittel Hitchcocks ist die herausgearbeitete Spannung i.e.S. Suspense. Rätsel und Neugier sind relativ uninteressant, Überraschungen nur die Schluss-Synthese.
Der Zuschauer weiß mehr als die handelnden Personen, und in der Regel staut sich der Suspense in Gefahren-Situationen auf. Die Auflösung kommt (a) als Erleichterung oder (b) als Schock daher.
(a) Erleichterung: In „Marnie“ sehen wir, wie Marnie heimlich und leise nach Feierabend einen Tresor ausräumt. Parallel – fast als Split Screen, de facto aber in einer Einstellung – sehen wir im nebenan befindlichen Büroraum eine Putzfrau sich nähern. Wir fiebern mit der Kriminellen mit und hoffen, sie wird nicht erwischt. Tatsächlich gelingt es Marnie, unbemerkt aus dem Tresorraum zu kommen, sie zieht sich die Schuhe aus, um von der Putzfrau nicht gehört zu werden. Doch dann fällt ihr der Schuh, den wir in Großaufnahme sehen, aus der Manteltasche. Nichts passiert: Die Putzfrau ist schwerhörig.
(b) Schock: In „Die Vögel“ greifen die Möwen das Stadtzentrum an. Ein Element inmitten des irren Chaos: An einer Tankstelle verliert eine Säule massig Benzin. Die Passanten haben sich in Panik in ein Diner zurückgezogen. Sie sehen einen Autofahrer, der an der Tankstelle aussteigt und sich eine Zigarre anzündet. Hilflos schreien sie ihm durch die geschlossenen Fenster zu, er möge das Streichholz nicht wegwerfen. (Als Zuschauer beobachten wir die Beobachter.) Und rumms! schon ist es geschehen – das Auto explodiert.

Voyeurismus
Am deutlichsten herausgearbeitet in „Rear Window“ (Fenster zum Hof). Der selbstgerechte Fotograf glaubt, einem Mord auf der Spur zu sein. Aber seine Mittel sind natürlich äußerst zweifelhaft. Und dennoch fiebern wir – die Beobachter des Voyeurs – mit ihm mit.
In „Psycho“ beobachtet Bates die sich ausziehende Marion, und im Grunde sind wir auf seiner Seite: Auch wir sehen ihr gern dabei zu.

Normale Menschen in ungewöhnlichen Situationen
In „Der unsichtbare Dritte“ wird Cary Grant für einen Agenten gehalten. In Psycho wird die unscheinbare Sekretärin Opfer eines Psychopathen. In „The wrong man“ wird Henry Fonda für einen Killer gehalten.

MacGuffin
Ein Objekt oder ein Detail, das die Handlung vorantreibt und die Charaktere zum Handeln zwingt, das aber an sich völlig unerheblich ist. In „Der unsichtbare Dritte“ sind es völlig undefinierte „Staatsgeheimnisse“, in „Berüchtigt“ Uran-Erz.

Hitchcock Kap. 11.1

Aus Truffaut: „Wie haben Sie das gemacht, Mr. Hitchcock“
(Zu „Rear Window“)
H: James Stewart schaut zumn Fenster hinaus und sieht zum Beispiel ein Hündchen, das in einem Korb in den Hof hinuntergetragen wird. Wieder Stewart, er lächelt. Jetzt zeigt man anstelle des Hündchens ein nacktes Mädchen, das sich vor einem offenen Fenster dreht und wendet. Man nimmt wieder dieselbe lächelnde Großaufnahme von James Stewart, und jetzt sieht er aus wie ein alter Lüstling.

H: Auf der anderen Seite des Hofes haben Sie alle Arten menschlichen Verhaltens, einen kleinen Verhaltenskatalog. Das musste man unbedingt so machen, sonst wäre der Film ohne Interesse gewesen. Was man auf der Hofmauer sieht, ist eine Fülle kleiner Geschichten, es ist der Spiegel einer kleinen Welt.
T: Und alle diese Geschichten haben als gemeinsamen Nenner die Liebe.
(DR: Das erinnert natürlich an unsere Impro-Langformen wie Harold und entsprechende Abwandlungen.)
H: Und es gibt hier dieselbe Symmetrie wie in Shadow of a Doubt. Auf der einen Seite das Paar Stewart-Kelly, er mit dem Bein in Gips, während sie sich frei bewegen kann, und auf der anderen Seite des Hofes die kranke, ans Bett gefesselte Frau, deren Ehemann kommt und geht.
Eins hat mich an dem Film wirklich unglücklich gemacht, die Musik. (…) Auf der anderen Seite des Hofs gab es den Musiker, der sich betrank. Ich wollte, dass man hörte, wie er sein Lied komponiert, es entwickelt, und den ganzen Film hindurch sollte man die Entwicklung des Liedes mitverfolgen können, bis es schließlich in der Schlussszene mit Orchester von einer Platte kommt.

T: Mir fällt eine Sache ein, die bestimmt eine Regel ist bei Ihrer Arbeit. Sie zeigen den ganzen Dekor immer erst im dramatischsten Augenblick einer Szene. In The Paradine Case, wenn Gregory Peck gedemütigt weggeht, sieht man ihn von ganz weit weg, und dabei sieht man den Gerichtssaal, in dem man sich schon seit fünfzig Minuten befindet, zum ersten Mal ganz. (…)
H: Es kommt immer wieder darauf an, die Größe der Bilder im Verhältnis zu ihrem dramatischen und emotionellen Zweck auszuwählen und nicht in der Absicht, nur einen Dekor zu zeigen.

T: Die Exposition des Films ist ausgezeichnet. Es geht los mit dem schlafenden Hof, dann gleitet die Kamera auf Hames Stewarts schweißgebadetes Gesicht, schwenkt über sein Gipsbein, dann auf seinen Tisch, auf dem ein zerbrochener Fotoapparat liegt, und an der Wand sieht man Fotos von sich überschlagenden Rennwagen. In dieser ersten Begegnung erfährt man sofort, wo man ist, wer die Person ist und was ihr Beruf ist und was passiert ist.
H: Das heißt, die Mittel zu verwenden, die im Kino zur Verfügung stehen, um eine Geschichte zu erzählen. Das finde ich interessanter, als wenn jemand James Stewart fragen würde: „Wie haben Sie sich das Bein gebrochen?“ (…) Das wäre doch eine banale Szene. Für einen Szenaristen finde ich, ist es eine Todsünde, wenn man vor einer Schwierigkeit steht und sagt: „Das kriegen wir schon durch einen Dialogsatz.“

T: Was so toll an dem Film ist: wie Sie die Idee [des Eherings als Mord-Indiz] ausgeschmückt haben. Grace Kelly möchte, dass James Stewart sie heiratet, aber er will nicht. Sie dringt in die Wohnung des Mörders ein, um ein Indiz gegen ihn zu finden, und sie findet den Ehering seiner Frau. Sie steckt sich den Ring an den Finger und hält ihre Hand auf den Rücken, damit Stewart von der anderen Seite des Hofes her den Ehering durchs Fernglas sieht. Für Grace Kelly ist es ein doppelter Sieg, sie hat Erfolg mit ihren Nachforschungen, und sie bringt es fertig, dass Stewart sie heiratet. Sie hat den Ring schon am Finger.
H: Genau das ist es. Das ist die Ironie der Situation.

Hitchcock Kap. 10

Aus Truffaut: „Wie haben Sie das gemacht, Mr. Hitchcock“

H: Niemand sonst interessierte es, die Regeln zu studieren.
T: Welche Regeln?
H: Die Regeln des Suspense.

T: In ihren Filmen begibt sich oft jemand irgendwohin, und dort erwartet ihn eine Überraschung. Ich glaube, in solch einem Fall (…) schaffen Sie immer eine Ablenkungs-Suspense, damit die Überraschung gleich darauf vollkommen ist. (…) So dringt [in Strangers On A Train] Guy nachts in das Haus ein. Er muss in die erste Etage, in das Zimmer von Brunos Vater. Würde er ruhig die Treppe hinaufgehen, so würde der Zuschauer versuchen, weiterzudenken, und vielleicht käme er darauf, dass nicht Brunos Vater ihn oben an der Treppe erwartet, sondern Bruno selbst. Aber darauf kommt man unmöglich, weil Sie einen kleinen Suspense einbauen mit einem großen Hund, der mitten auf der Treppe steht, und einen Augenblick lang ist es die Frage, ob der Hund Guy vorbeilassen wird, ohne ihn zu beißen.

H: Das große Problem bei Filmen dieser Art [Filme mit stringentem Plot] ist, dass aus den Hauptpersonen zu leicht bloße Figuren werden.

T: Man spürt deutlich, dass hier der Schurke Ihre Sympathie hatte.
H: Natürlich, das ist ganz klar.

H: [Agenten legen mir meistens Geschichten vor] mit Gangstern oder Berufsverbrechern oder ein Whodunnit, das heißt Dinge, die ich nie anfasse.
(DR: Vielmehr geht es um die menschlichen Abgründe, was Hitchcock eben oft so weit treibt, dass man gar nicht kann, als mit dem Verbrecher mitzufiebern.)

H: Wenn wir an einem Drehbuch arbeiten, ist der Satz, der am häufigsten vorkommt: „Wäre es nicht amüsant, wenn er auf diese Weise umgebracht würde?“

H: Wenn man aus Psycho einen ernsten Film machen wollte, würde man einen klinischen Fall zeigen. Dann dürfte man weder Rätsel noch Suspense in die Sache hineinbringen. (…) Man kommt also in den Grusel- und Suspense-Filmen nicht ohne Humor aus.

Phasen des Sinns für strukturelle Schönheit

„Es gab immer wieder kurze historische Phasen, in denen es einen Schwung an guten Dramatikern gab, gefolgt von langen historischen Perioden, in denen uns die Künstler nichts Nennenswertes hinterlassen haben. Ich denke an die kurze Zeit der antiken griechischen Dramatiker und die Shakespeare-Zeit. In diesen Zeiten wussten die Künstler um die Schönheit von Struktur. Das war es, was den anderen Generationen verlorenging.“ (Keith Johnstone sinngemäß 24.9.11)
Habe dazu noch keine Meinung. Abgesehen davon, dass KJ hier natürlich auch ausblendet, dass es Epochen gab, die für Künstler eher günstig waren und dass es auch sein kann, dass gerade aus der Antike große Werke einfach nicht mehr erhalten sind, so hat der Gedanke doch eine gewisse Kraft.

Versuch, über Brecht zu improvisieren

Nach Tschechow wieder eine völlig neue Erfahrung, eine Story anzugehen. Ich muss sagen, wir haben Brecht sicherlich nicht so gemeistert wie den Russen in der letzten Woche. Aber wenn Bertolt gesehen hätte, wie wir uns ihm von verschiedenen Seiten genähert haben, hätte ihn das sicherlich gefreut.
Aus der Sicht des Improvisierers ist mir natürlich auch wieder einmal klar geworden, wie sehr wir im Improtheater zu Melodramatik neigen. In einem längeren Stück zeigten wir einen unsicheren Mann, der versucht, über Facebook eine Freundin kennenzulernen und der erst am Ende versteht, dass es sein eigener Mitbewohner ist, mit dem er chattet und in den er verliebt ist. Die beiden treffen sich zum Date im Park. Jeder Improvisierer ist hier natürlich instinktiv froh, die Story rund hinbekommen zu haben. Aber es widerspricht natürlich völlig dem Brechtschen Ansatz, die Moral von der Geschicht in eine Psycho-Botschaft zu verpacken (á la „Der Mensch, den du liebst, steht neben dir.“) Vielmehr geht es immer um soziale Zusammenhänge. Damit herumzuexperimentieren, macht natürlich außerordentlich Spaß.
Und wir haben – schließlich sind wir bei Brecht – durch den V-Effekt alle Möglichkeiten, dies auch auf der Bühne zu diskutieren. „Endlich! Endlich!“, geht es mir durch den Kopf – improvisierte wahre Dialoge auf der Impro-Bühne, also das, was wir bei der Chaussee der Enthusiasten schon seit Jahren tun.

Tschechow improvisieren

Ich habe hier schon vor zwei Wochen einen Artikel über unsere Probe zu Tschechow geschrieben. Gestern also die Aufführung. Trotz allem Spaß bei der Probe, waren wir durchaus auch etwas skeptisch, ob das Publikum diesen Spaß würde teilen können. Und tatsächlich: Es hat funktioniert. Es wurde gelacht, es gab gespannte Ruhe, keine Nervosität. Alle sind nach der Pause geblieben. (Wenn 5-10% nichts damit anfangen konnten, waren sie zumindest so höflich, es nicht zu zeigen und ihre kritischen Gedanken für Zuhause aufzusparen.
Als Inspiration ließen wir uns einen Titel geben, einen fiktiven russischen Ortsnamen sowie vier Haupt-Charaktere.
Daraufhin improvisierten wir ein zweistündiges Stück in vier Akten. Beim Umgang mit Tschechow wurde mir immer mehr bewusst, wie sehr unser Impro-Spiel und überhaupt viele Improtheater-Konventionen sich auf den Film beziehen: Die Darstellungsweise, das Tempo, das Storytellipng. Hier jedoch muss man es erst mal aushalten, den Schauplatz über 20 Minuten nicht zu verlassen, die angekündigte Handlung eben nicht geschehen zu lassen, die Story nicht voranzutreiben.
Eine wahre Freude ist es, ein Blockiergewitter abregnen zu lassen.
Der Major zum Koch: „Jetzt geh und hol die Suppe.“
Koch: „Ja.“, (setzt sich aber hin).
Das schließt auch Selbstblockaden ein.
Die Mutter des Majors, die sich im ganzen Stück todkrank fühlt: „So frisch habe ich mich seit Jahren nicht mehr gefühlt. Wollen wir ein Fest haben!“
Der Arzt: „Das ist eine gute Idee.“ (geht ab)
Mutter des Majors: „Alle wollen wir zusammen sein.“
Arzt (von draußen): „Ich reite fort. Ich muss mich nun verabschieden.“
Major: „Ja, lasst uns feiern.“
Sohn des Majors: „Ich werde mich stärken, und dann geht’s auf nach Paris.“
Koch tritt auf: „Die Bäume im Garten sind umgefallen.“
Mutter des Majors: „Ich werde neue Bäume pflanzen.“
Koch: „Ich habe Euch noch nie so krank gesehen.“
Mutter des Majors fröhlich: „Ich bin so unruhig. Ich habe Fieber. Ich werde sterben. Herrlich!“

Es fragt sich, ob einige kleine Redundanzen noch vermieden werden könnten, wenn die Haltungen der verschiedenen Figuren zueinander noch klarer differenziert werden könnte. Denn das scheint mir inzwischen die Stärke zu sein. Wenn man es noch einmal aufführt, wäre meine Frage: Welches Tempo muss die Story haben, um nicht zu sehr stille zu stehen und andererseits noch die Tschechowsche „Wir-tun-nur-so-als-bewegten-wir-uns“-Komik zu haben?

Wenn ihr Erfahrungen zum Improvisieren mit Tschechow habt, schreibt es gern in die Kommentare oder mir per Mail.

Randy Dixon on audiences, attitudes and variety

„The limitations in improvisation are the improvisers, not the audience. The work that we choose to do or we choose to focus on, that holds us back. Every-one talks about wanting to do long-form, storytelling and all that stuff, but some of the groups don’t. Or they’re so tied into the games. To me there are so many groups, they are not necessarily improvisers, they’re game players. They play games by rules, and without the games they can’t create anything. We need more people to love the art of improv for the art of improv and not as a process to get to something else.“
„The groups need to go deeper in the group work. I think in theatersports we have something that I call personality improv. You are like Oh, that’s the funny guy! And that’s why that person is doing improv. It’s because they get the adulation /admiration of the audience, rather than thinking of what’s the group dynamic, where’s the group going. And I think that in the group work we’re getting deeper and deeper. It’s not really short or long form, it’s an attitude.“
„My development in terms of thinking about this is, I start each project by thinking, what do I want the audience to experience.“
„Our style is pretty low key, pretty mellow. (…) We’re going to start slow, and take our time, and it seems to be successful for us in terms of training that audience.“
„My main philosophy in improvisation is variety.“
„One thing about the audience in our shows: We try to make them storytellers as well.“
„We don’t need to recreate the story of an audience member. We’re translating it into the language of theater.“
„I’m not in improvisation so much for what we do, although that’s great, but I still see so many possibilities in terms of what we can do or could be doing or should be doing. And so I’ve never really had a moment of like ‚Oh, well, this is it.'“
(Alle Zitate von Randy Dixon auf der Podiumsdiskussion des Internationalen Improtheater-Festivals am 20.3.2011 in Berlin)

Blake Snyder: „Save The Cat. Das letzte Buch übers Drehbuchschreiben“

Exzerpt von Blake Snyders berühmter Drehbuchfibel „Save The Cat.“

1. Worum geht’s?
Die Story sollte in einem, höchstens in zwei Sätzen zusammenzufassen sein: Worum geht’s?
Die so zusammengefasste Story sollte eine gewissen Ironie haben.
Beispiel Stirb langsam: Ein Polizist kommt nach LA, um seine Frau zu besuchen, mit der er sich verstritten hat, während ihr Büro von Terroristen besetzt wird.
Wie bei Prousts Madeleine brauchen wir ein mentales Bild, das die ganze Story sich entfalten lässt.
Finde einen Titel, der einen regelrecht anspringt und der ihn von anderen unterscheidet.
Teste deine Idee an Fremden. „Ich habe keine Angst, dass irgendwer meine Idee klauen könnte. Und wer diese Angst hat, ist ein Amateur.“

2. Das Gleiche aber anders
„Du kannst in der Nähe des Klischees bleiben, du kannst es umtanzen, du kannst dich hineinbegeben, es umarmen. Aber im letzten Moment musst du dich abwenden, du musst der Sache einen Dreh geben.“
Snyder gibt uns 10 Filmtypen. Man könnte auch „Genres“ sagen, allerdings sind sie etwas gegen unsere herkömmliche Genre-Kategorisierung gebürstet.

1. Das Monster im Haus
Beispiele: Der weiße Hai, Der Exorzist, Panic Room
Dieses Genre spielt mit Ur-Instinkten: Werde nicht gefressen!
Die Regeln sind einfach:
– Das „Haus“ muss ein klar abgegrenzter Raum sein: Ein Bade-Ort, ein Raumschiff, usw.
– Es wird eine „Sünde“ begangen,
– die das Monster wie einen Rache-Engel erscheinen lässt.

2. Das Goldene Flies
Beispiele: Der Zauberer von Oz, Star Wars, Die glorreichen Sieben
– Äußerlich unternimmt der Held eine Reise, eine Mission.
– Tatsächlich findet die Reise im Inneren statt.

3. Aus der Flasche
Beispiele: Die Maske, Flubber, Und immer grüßt das Murmeltier
– Der Held wünscht sich etwas sehnlichst, das ihm ziemlich schnell erfüllt wird.
-Schon bald zeigt sich aber die dunkle Seite des Wünschens. Der Held muss lernen, dass Wünschen nicht alles ist.

4. Ein Typ mit einem Problem
Beispiele: Schindlers Liste, Terminator, Stirb langsam
– Der Held hat ein Problem.
– Dieses Problem sollte groß sein, und zwar im Verhältnis zum Helden. Der Schurke sei so schurkig wie möglich. (Für Bruce Willis muss es schon ein Terrorist sein, und nicht ein Falschparker.)

5. Übergangs-Riten
Beispiele: About Schmidt, American Pie
– Es geht um wachsenden Schmerz beim Übergang von einem in den nächsten Lebensabschnitt.
– Hier geht es ums Aufgeben, die Akzeptanz des Mensch-Seins.

6. Kumpel-Story
Thelma und Louise, Wayne’s World, Laurel & Hardy, Alexis Sorbas
– Blake Snyder meint, diese Art von Geschichten seien im Grunde Erfindungen des Filmzeitalters, die durch das Problem entstanden sind, dass im Film der innere Monolog wegfällt, den es im Buch oder auf der Bühne noch gab.

– „Das Geheimnis einer guten Kumpel-Story ist, dass es eigentlich eine getarnte Liebesgeschichte ist. Und umgekehrt sind alle Liebesgeschichten Kumpel-Storys mit dem Potential für Sex.“
– Die Helden brauchen einander. Sie müssen ihr Ego aufgeben, um gemeinsam zu gewinnen.
– Oft ist der eigentliche Held der weniger Präsente, der Unsympathischere, der Schwächere: Tom Cruise in Rainman, Paul in Paul und Paula, Basil in Alexis Sorbas

7. Whydunit
Citizen Kane, Chinatown, JFK, jeder Krimi
– Es ist eben kein Whodunit, da uns das Warum viel mehr als das Wer interessiert. Und so
– unternehmen wir eine Reise in die dunkle Welt des Menschseins.
– Im Gegensatz zum Goldenen Flies verändert sich nicht der Held, sondern das Publikum.

8. Der triumphierende Narr
Beispiele: Amadeus, Forrest Gump, Harold-Lloyd-Filme
– Nach außen ist der Held ein Dorftrottel. Wenn man genau hinschaut, ist der Weiseste von uns allen.
– Gegen alle Wahrscheinlichkeit gewinnt der völlig minderbemittelte Narr gegen übermächtige Institutionen

9. Institutionalisiert
Beispiele: Einer flog über Kuckucksnest, Der Pate, American Beauty
– Es geht um Pro und Contra von Gruppenloyalität.
– Häufig erzählt aus der Perspektive des Außenseiters oder des Newcomers.

10. Superheld
Beispiele: Frankenstein, Gladiator, A Beautiful Mind
– Dies ist das Gegenteil von „Ein Typ mit einem Problem“: Hier findet sich eine außergewöhnliche Person in der normalen, der mittelmäßigen Welt wieder.
– Letztlich geht es ums Anderssein.
– Entscheidend ist hier, dass wir eine Sympathie für den Superhelden empfinden.

3. Es geht um jemanden, der…
Das Was bleibt abstrakt, solange das Wer nicht klar ist. Die Figuren dienen dem Inhalt.
Man schaffe einen Helden, der
– den schärfsten Konflikt in der betreffenden Situation anbietet.
– emotional einen langen Weg zurücklegt.
– demographisch am attraktivsten ist (sprich: jung. Denn vor allem junge Leute gehen ins Kino.)
(Die Fokussierung Blake Snyders auf den Kassenerfolg versperrt ab und zu die Sicht auf interessante Themen und künstlerische Ansätze, aber darum geht es ihm auch gar nicht. Anm. Dan Richter)
Auf jeden Fall sollte man nicht allein von der eigenen Wahrnehmung ausgehen oder zumindest die eigene Wahrnehmung nicht für die einzige halten. In diesem Zusammenhang erzählt er die Anekdote seines Vaters, der Werbezeit im Fernsehen verkaufte. Er bot einem wohlhabenden Klienten an, einen Werbe-Clip am Sonntagnachmittag zu schalten. Dessen Antwort: „Sonntags bleibt doch niemand zuhause, um fernzusehen. Da spielen doch alle Polo.“
Der Held sollte einem Urtrieb folgen.
Als Faustregel gilt: Gib mir einen Helden
– mit dem ich mich identifizieren kann,
– von dem ich lernen kann,
– dem ich zwingend folgen muss
– von dem ich glaube, dass er es verdient zu gewinnen;
– bei dem es um etwas Ursprüngliches geht.

4. Let’s Beat it Out
In diesem Kapitel legt Snyder seine Drehbuch-Stuktur an, von der er meint, dass sie einem viel Nachbearbeitung erspare.
Vielleicht ist dies das Kapitel, in dem man am meisten kopieren kann, um Langform-Storytelling auf die Improbühne zu bringen.

The Blake Snyder Beat Sheet
(In den Klammern die Seitenzahlen des 110seitigen Drehbuchs. Bei längerem Drehbuch müssen die Proportionen stimmen.)
1. Eröffnungsbild (1)
Es verleiht dem ganzen bereits eine Stimmung, eine Farbe. Und es korrespondiert mit dem Schlussbild.
2. Das Thema wird benannt (5)
Oft wird das Thema von einer Nebenrolle nebenbei erwähnt. Jeder Film (d.h. auch jedes Stück, jede Geschichte) muss um etwas gehen.
3. Set Up (1-10)
Jede Figur wird in den ersten Seiten eingeführt, mit all ihren Macken. Das Ziel des Helden, die Hindernisse, all das wird hier schon etabliert. Das Set-Up ist die These, des Helden Welt „Davor“.
4. Katalysator (12)
Ein Moment, der alles verändert: Ein Telegramm. Entlassen werden. Die eigene Frau mit jemand anderem im Bett erwischen.
„Lebensverändernde Momente erscheinen oft getarnt als schlechte Nachricht.“
5. Debatte (12-25)
Soll der Held seinen Weg gehen oder nicht?
6. Der Bruch in zwei Teile (25)
Etwas Großes muss geschehen, damit der Held seine Entscheidung treffen kann. Er muss sie allein treffen, und er darf nicht gelockt oder überrumpelt werden.
7. Die B-Story (30)
Die B-Story gibt uns eine Atempause und den Figuren die Möglichkeit, die Hauptgeschichte zu thematisieren, ohne sich darin zu verwickeln. Sie kommt oft als Liebesgeschichte daher.
8. Spaß und Spiel (30-55)
Dies ist der Kern der Geschichte, das was man in den Trailern und auf den Postern sieht. Das, weshalb ich ins Kino gegangen bin.
9. Mittelpunkt (55)
Der Mittelpunkt ist entweder ein Höhe- oder ein Tiefpunkt. Der Held hat einen scheinbaren Sieg gewonnen oder einen scheinbaren Verlust erlitten.
Der Mittelpunkt korrespondiert mit dem Alles-ist-verloren-Punkt (s.u. 11)
10. Die Bösen brechen herein (55-75)
Gerade nach dem Mittelpunkt ist ein geeigneter Zeitpunkt für die Bösen, um mit aller Macht nun die echte Herausforderung zu etablieren.
11. Alles ist verloren (75)
Der Atem des Todes. Der Mentor stirbt, so dass der Schüler erkennen kann: Er trug es selber schon  in sich.
Wenn Tod an sich nicht passt, kann es etwas bildliches oder symbolisches sein: Eine Blume, ein Fisch.
12. Die dunkle Nacht der Seele
Der Moment der Hoffnungslosigkeit.
13. Der Bruch in drei Teile (85)
A-Story und B-Story verschmelzen. Die Antwort wird gefunden.
14. Finale (85-110)
Der Held hat seine Lektion gelernt. Die Schurken wurden besiegt. Eine neue Gesellschaft ist geboren.
15. Schluss-Bild (110)
5. Building the Perfect Beast
40 Karten für 4 x 10 Film-Teile.
Jede Szene muss wie ein für sich stehender Film sein.
6. Die unabänderlichen Gesetze der Drehbuch-Physik
1. Save the Cat
Der Held, der ja oft zu Beginn seiner Heldenreise etwas zögerlich ist und vielleicht sogar ein wenig dumm, egoistisch o.ä., braucht einen sympathischen Moment, damit wir als Zuschauer mit ihm sympathisieren, eine Verbindung zu ihm aufbauen können. Ein solcher Moment kann eine kleine, nebensächliche Handlung sein, wie etwa eine Katze aus einem brennenden Gebäude zu retten. Es ist auch möglich, einen negativen Helden (z.B. Vince in Pulp Fiction) aufzupolieren, in dem der Oberschurke (Marsellus Wallace) noch fieser dargestellt wird.
2. Der Papst im Pool
Einleitungen und Erklärungen an sich sind oft öde im Film, dummerweise aber manchmal notwendig. Wir lösen die Situation, in dem wir das Ganze in ein interessantes Setting einbetten. In einem (nicht realisierten?) Drehbuch etwa, musste dem Papst eine Hintergrundgeschichte aufgedröselt werden. Man ließ ihn im Pool baden.
3. Double Mumbo Jumbo
Als Zuschauer verträgt nur man nur ein Stück Magie pro Film. Man kann nicht Außerirdische in einem UFO landen sehen, die dann von Vampiren gebissen werden und jetzt Aliens und Untote sind.
Als schlechtes Beispiel wird Shyamalans Signs angeführt. Aliens überfallen die Erde, und es geht um Mel Gibson’s Glaubensverlust. Gott und Aliens ist ein Schuss Magie zuviel.
(Und eine Double Mumbo Jumbo Pizza will schließlich auch keiner.)
(Anm. DR: Im Juni 2010 sah ich eine Parodie darauf im Magnettheater Improtheater New York: Aliens, die sich als Vampire verkleidet haben, aber in Wahrheit Zombies, ach nein, eigentlich Humanroboter sind.)
4. Laying Pipe
Gemeint sind ewig lange Einführungen, bis wir zum Kern der Sache kommen. Beispiel „Minority Report“ – 40 Minuten Einführung, bis wir erfahren, worum es geht.
(Eine Ausnahme ist definitiv Psycho. Aber Hitchcock darf das.)
5. Black Vet – Zu viel Marzipan
Eine Variante des Double Mumbo Jumbo. Zu viele unwahrscheinliche positiven Eingenschaften des Helden auf einem Haufen.
6. Pass auf, der Gletscher!
Gefahr muss unmittelbar sein. Wenn sie langsam daherkommt wie die Klimaerwärmung oder ein Vulkan, der irgendwann ausbrechen könnte, verliert sie an Wirkung.
7. Der Bogen
„Bogen“ heißt Veränderung der Figuren. Jede Figur verändert sich im Laufe der Handlung mit Ausnahme des Schurken.
8. Keine Presse
Sobald die Presse oder Massenmedien in die kleine Geschichte eindringen, zerstören sie ihre Relevanz.
(Beispiel: Was wäre, wenn die Presse in „E.T.“ aufgetaucht wäre?)
7. Filmkorrekturen
Der Held übernimmt die Führung:
– Der Held braucht ein Ziel.
– Es darf nicht zu einfach sein für den Helden.
– Der Held muss aktiv sein.
– Faustregel: Der Held stellt keine Fragen.
Handlung statt Plot
– Zeige, statt zu erklären.
– Wenn man den Figuren Raum für Handlung gibt, sind sie am besten.
Mach die Schurken böser.
– Dadurch erhöhen sich die Herausforderungen für den Helden.
Bewegung
– Der Plot läuft nicht einfach durch, er verändert sich andauernd.
Kein Small Talk
– Jeder Character muss auf seine spezifische Weise reden.
Dreh am Gefühlsrad
– Nicht auf einer emotionalen Ebene bleiben.
A Limp and an Eye Patch
– Sowohl äußerlich als auch charakterlich sollten die Figuren speziell sein.
Geh einen Schritt zurück:
– Es geht nicht so sehr ums Ziel, als darum, wie der Held zu diesem Ziel gelangt.
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Storytellers: Sich zurücklehnen

Randy Dixon rät: „Lehnt euch zurück und lasst die Geschichte sich selbst erzählen.“
Daran knoble ich nun schon seit Monaten.
Nachvollziehbar auf jeden Fall: Mach nicht zu viel Sinn. Erkläre nichts. Die Zuschauer machen sich ihren eigenen Reim drauf.
Andererseits: Es bedarf auch einer gewissen Erzähl-Erfahrung, einer Gewandtheit in Genres und vor allem eines gewissen Grund-Engagements. Einem tendenziell zurückhaltenden Spieler zu raten, sich zurückzulehnen, wäre dann wohl kontraproduktiv, oder?