Wann sie nach Griechenland reisen
(Die Mütter)
Ob sie‘s allein auf den Kletterbalken schafft
(Die Jelena)
Dass der Ahmed jetzt auch mal schaukeln darf
(Der Vater)
Daratta daratta daratta.
(Die Bauarbeiter auf der anderen Straßenseite)
Trübe Aussichten
Kälte hält uns noch gefangen.
Ist das Mai? So ist’s ein Joke.
Mai, den wir so gern besangen,
uns um Hoffnung nun betrog.
Der Juni wird, so schätz ich, lau.
Wir werdn wohl nicht in Urlaub fahrn.
Ich weiß es zwar nicht ganz genau,
doch auch der Juli wird nicht warm.
Zu früh, um die Prognos zu wagen:
Kalt wird’s sicher im August.
Doch trifft es ein, so kann ich sagen:
Ich hab’s von Anfang an gewusst.
Endzeitliebe
Schließ die Fäuste, hörst du nicht die wilden Stürme,
die wie irre ganz in unsrer Nähe toben?
Sie umpfeifen schrill die hohen, schlanken Türme.
wo wir nunmehr wohnen – einsam und ganz oben.
Schließ die Augen, hörst du nicht mein wildes Zischen,
das dir sagen soll, ich hab dich ganz umfangen?
So kannst du nicht mir und ich nicht dir entwischen.
Unsre Küsse gierig. Unsre Zungen wie zwei Schlangen.
Wenn’s vorbei ist, zähln vielleicht wir zu den Freien,
die sich völlig auf sich selbst verlassen dürfen.
Doch bis dahin unsre Liebe muss gedeihen,
die wir fleißig weiter füreinander schürfen.
Hokus Pokus Verschwindibus
Der Jesus flog am Donnerstag
zum Himmel rasch hinauf.
Das sollt ihr alle glauben, denn
der Lukas schrieb es auf.
Frühlingshoffnung (Corona 33)
Nun hat der Frühling uns gepackt.
Die Todesstimmen werden leiser.
Wir spüren einen frischren Takt.
Wer wütend war, der ist nun heiser.
Es lebt und stirbt sich scheinbar leichter,
wenn Sonne strahlt mit teuflisch’ Gnade.
Der Virus langsam kam, bald weicht er.
Und wir tun so, als sei das Leben grade.
Immunität, du Himmelsgabe!
Wir werden trinken, singen, tanzen.
Wir feiern auf dem Massengrabe.
Auch dieses Bild fügt sich zum Ganzen.
Die Seuche
Da war ein großes Sterben.
Man wusste nicht warum.
Es fielen ziemlich plötzlich
die Tier’ und Menschen um.
Sie kriegten blaue Häute
und sagten leise „Ach!“
Und alle Hinterbliebnen
die schlugen großen Krach.
Die Christen habn gebetet.
Die Heiden habn geflucht.
Und jeder war erleichtert,
der noch nicht heimgesucht.
Die Seuche ist verschwunden
so rasch wie sie einst kam.
Und wer es überlebte,
der freute sich voll Scham.
Dialog (Corona 32)
Ich fragte das Virus: „Wie ist’s dir gelungen,
das Denken der Menschen zu infizier’n?
Wie hast du die Liebe niedergerungen?
Wie konnt’st die Beziehungen du korrumpier’n?“
Da sprach das Virus: „Na, schönen Dank!
Ich wühle nur auf den Schlamm.
Was jetzt korrumpiert scheint, war vorher schon krank.
Jetzt reißt euch gefälligst zusamm’!“
Kleingarten
Am Rande der Treptower Kolonie
steht trotzig die gezimmerte Laube.
Die Latten gewiss noch damals geklaut
aus einem siechen VEB.
Die hatten kein Westgeld für Gehwegplatten.
Keine Beziehungen und kein Händchen.
Zwei Meter Höhe,
für mehr haben Mühe und Geduld nicht gereicht.
Da wirst du dich bücken müssen beim Betreten.
Der Baum will auch nicht höher wachsen.
Aber Ostereier hängen noch dran
von vor vier Wochen
oder vierzig Jahren.
Berlinfrust
Da ist kein Sternenhimmel, da sind nur Laternen.
Kein Rauschen, Knacken, nur entferntes Motorbrummen.
Im Halbalarm wird diese Stadt wohl nie verstummen.
Wer will das Stillsein auch nur ansatzweise lernen?
Wie schnauft der Igel? Grunzt ein Füchslein, wenn es satt?
Um das zu wissen, müsst ich mich von hier entfernen.
Bleib unterm sternenlosen Himmel dieser Stadt.
Innehalten
Heute hört’ ich einen neuen Klang.
Pianotrio von Kurt Schwaen.
Und als ich’s hörte, blieb ich stehn,
weil eine Ahnung darin schwang:
Noch bin ich frei.
Bald ist’s vorbei.
Und als dann wieder alles still,
stand ich noch immer an dem Ort.
Für diesen Klang find ich kein Wort,
vielleicht weil ich keins finden will.
Was heut noch brennt,
bald ist’s zuend.
Das D-Wort
Derfst ned Deifi sogn.
Gottseibeiuns!
Jetzt hob i’s selber gsogt.
Gottseibeiuns!
Do bleibter fort.
Jo wer!
Der Deifi hoit!
Gottseibeiuns!
Entscheidung
In Schweden war ich auch noch nie.
Man sagt, das soll sich lohnen.
Es sollen dort viel Elchenvieh
und viele Schweden wohnen.
Doch gibt’s im Winter nicht viel Licht.
Drum gehe ich nach Schweden nicht.
Vorteile (Corona 31)
Corona muss man so mal sehn:
Ich musste nicht zur Arbeit gehen.
In Bussen, Läden und Passagen
sah ich nicht lauter Drecksvisagen.
Und was ich auch gar nicht vermisse,
ist das Von-Fremden-Abgeküsse.
Auch bin ich wirklich fasziniert:
Die Fliegerei ist reduziert.
(Ich weiß, wer mich so reden hört,
glaubt wohl, ich sei komplett gestört.)
Trotz diesen supertollen Gründen
kann jetzt Corona gern verschwinden.
Schön und kurz (Corona 30)
Schien bis gestern alles klar,
weiß heut man nicht, was gestern war.
Wer gesund ist und wer krank.
Covid 19, schönen Dank.
Ist das alles nur ein Test,
das du uns nun spüren lässt,
dass das Leben schön und kurz?
Nutz es! Oder ist’s dir schnurz?
Schwieriges Verzeihen
Ach, könnte ich dir nur verzeihen
für den Verrat, den du begingst.
Wie konntst die Freundschaft du entweihen,
an der du doch auch selber hingst?
Ich geh durchs Wäldchen unsrer Zeiten,
in dem wir uns die Treue schwor’n
und dass wir immer uns begleiten.
Die Freundschaft wurde so gebor’n.
Ich hatte seitdem viele Mühen.
Und mein Gewissen du beschwerst.
Ich hätt vielleicht dir schon verziehen,
wenn du nicht schon gestorben wärst.
April-Depri
Hat sich doch des Frühlings
Drängen nicht erfüllt.
Hat die Eichhornbabys
die Krähe doch gekillt.
Müssen wir doch weiter
den Winter akzeptiern
und im Sonnenaufgang
bei Minusgraden friern.
Angestrengt und heiter
seh ich Wolken dräu’n
will mich dennoch weiter
auf den Sommer freu’n.
Symptome (Corona 29)
Hart im Blick und lätschig in der Birne
– zwei übersehne Folgen der Pandemie.
Wo einst klare Zärtlichkeit, herrscht nun
trübsinnige Feindschaft.
Wir haben verlernt, nicht übereinzustimmen
und doch Freunde zu bleiben, wenngleich auf Distanz.
Der Krebs des Unmuts breitet im Magen sich aus.
Mit Freundlichkeit sollt’ man sich impfen.
Kleiner Spaß
Dichtend dichtete der Dichter.
Richtend richtete der Richter.
Der Sprecher: Sprechend spricht er.
Der Leuchter beleuchtete die Lichter.
Die Kuckuckin legte frech ein Ei.
Nicht-Verstehen
Als du lagst in der Kapelle,
sprach der Pfaff’ von Gott.
Du hieltst so was stets für Schrott,
doch konntest nicht von dieser Stelle.
Als die Blumen und der Sarg
unterm Sand verschwanden,
mein Gesicht ich rasch verbarg.
Hab’s bis heute nicht verstanden.
Krim ’94
Und als ich damals keine Münze
schleuderte ins Schwarze Meer,
als ich nicht wehmütig zurückschaute
auf die sanften Wellen am geliebten Strand,
als ich den Zug in Simferopol
mit Bitterkeit bestieg und flüsterte: Poka!,
da wusste ich: Der Abschied ist für immer.
Was ich nicht ahnte, als durch schmutzige Scheiben ich starrte:
Der eignen Jugend sagte ich Adé.
Frühlingsgruß
Ein sanfter Klang, dein Morgensang
der lässt mich froh erwachen.
Ich spüre neuen Lebensdrang,
hör ich dich drüben lachen.
Der Bärlauch sprießt, die Amsel grüßt,
mich ruft’s hinaus ins Freie.
Am Fluss ein Mann im Klappstuhl liest.
Der Frühling ruft aufs Neue.
Die Christen zu Ostern
Sie danken dem Herrn Jesu Christ,
dass er für sie gestorben ist.
Das find ich doch recht schräg gedacht:
als hätt er selbst sich umgebracht.
Er nahm auch auf sich ihre Sünden,
die sind jetzt nur bei ihm zu finden.
So läuft es für die Christen glatt.
Die Logik setzt’s derweil schachmatt.
Sie schmücken sich, was jeder kennt,
mit einem Folterinstrument.
Und wer es dann noch krasser kann,
trägt Kruzifix mit Leiche dran.
Doch weinet nicht, seid ohne Not.
Der Jesus ist nicht wirklich tot.
Das Grab war leer. Ganz ohne Scheiß –
das ist der Aufersteh-Beweis.
Jetzt
Jetzt bleimse ma schön ruhig und locker.
Jetzt schreinse mich ma nich so an.
Jetzt kommse runter von dem Hocker.
Jetzt lassense ma los den Mann.
Jetzt wird sich nich jekloppt.
Jetzt wird hier nich jeprahlt.
Jetzt wird erst ma jestoppt.
Jetzt wird erst ma bezahlt.
Jetzt mach ma Trab.
Jetzt nimm den Hut.
Jetzt hau ma ab.
Und jetzt is jut.
(Dan Richter)
Inbalance
Spiegelblick: Seh aus als hätt ich Magenkrämpfe.
Kann die schlechte Laune mir nur schwer verzeihn.
Bitter stimmen mich die nicht gekämpften Kämpfe,
denn die trägt am End’ man aus mit sich allein.
Etwas schallt im Raum: Es ist mein eignes Lachen.
Könnt’ nicht sagen, was mich heute fröhlich stimmt.
Waren’s Klänge (in B Dur), die leicht mein Glück entfachen?
Eine Kerze, die im Fenster drüben glimmt?
Bleibe ich der Spielball meiner Emotionen?
Man sagt, ich sei zu lesen wie ein offnes Buch.
Soll mein Wille über den Gefühlen thronen?
Warum kämpf ich mit dem Lachen und den Tränen?
Ohne Spiel wird jede Emotion zum Fluch.
(„Lächle, und dann knirschst du nachts nicht mit den Zähnen.“)
„… wird’s still“ (Corona 28)
In der fremdgewählten Stille
zieh ich meine kleinen Bahnen.
Meine Challenge: Lebensfülle.
Muss mich zum Aktivsein mahnen.
Meine Stimme nicht vergessen
und die Eleganz beim Tanzen
statt mich selbst im Frust zerfressen
und von innen zu verranzen.
„Ohne Kunst wird’s still“, sie sagen.
Doch was will ich mich beschweren.
Nur wer still ist, kann sich fragen
und die eigne Stimme hören.
100 Tage Sport
100 Tage Sport
100 Tage
100 Pfund
100 Nächte
Bin gesund
100 Tage
100 Meilen
100 Nächte
Kein Verweilen
100 Tage
1000 Sprünge
100 Nächte
Guter Dinge
Morgenlied im Frühling
Statt des Handys Düdeldü
werde ich nun aufgeweckt
durch des Vögleins Melodie,
die es selber ausgeheckt.
Lieber Vogel, fliege weiter
nimm ein’ Gruß mit und sei still.
Und ich kann dich nicht begleiten,
weil ich weiterschlafen will.
Fort und geblieben (Corona 27)
Verschwunden sind die Instrumentenspieler,
die alte Filmmusiken dilettieren.
Im Görli hoffnungsarm die Drogendealer,
die zukunftsbange sich den Arsch abfrieren.
Verschwunden ist die alte Kiezverrückte,
die immer dienstags auf der Kreuzung schrie
und die dir manchmal in die Augen blickte,
als kennte sie Moralphilosophie.
Ich will mich hier ja nicht beschweren,
nur wissen, ob sie wiederkehren.
Ungeduld
Statt Vogelsänge graue Stille.
Winter geht mir auf den Keks.
Vermisse so des Frühlings Fülle.
Stare, seid ihr unterwegs?
Winterende (Corona 26)
In all dem Hin und Her sucht’ ich noch einen Sinn.
Was sollt ich lassen und was sollt’ ich machen?
Ein närrisch Weltgeist scheint, vergnügt uns auszulachen.
So geb ich mich ganz dem, was uns erwartet, hin.
Das Aufbegehren bringt nur meinem Stolz Gewinn.
Werf meine Energie dem Nichts in seinen Rachen.
Die Stille um mich – künstlich. Dabei müsst’ es krachen.
Ich dreh mich um mich selbst und weiß nicht, wer ich bin.
Hat uns das letzte Jahr was Bleibendes gelehrt?
Vielleicht ja gar nichts, wenn sich jeder wichtig nimmt.
Man fühlt gekränkt sich, weil man kurz etwas entbehrt.
Die Emotionen wurden längst auf lau gedimmt.
Vom Ein und Aus und Auf und Ab bin ich benommen.
Ach, Frühling! Spute dich mit deinem Kommen.