Ricky Gervais – Jokes, taboos and the right not to be offended. (Witze, Tabus und Beleidigt sein)

„No-one has the right not to be offended. And don’t forget, just because you’re offended, it doesn’t mean you’re in the right. (…) There’s nothing you shouldn’t joke about. It depends what the joke is. Comedy comes from a good or a bad place. (…) When you see my stand-up, on the face of it I’m looking at taboo subjects. But they’re to get me into a position. They’re to get the audience to a place they haven’t been before. I think a comedian’s job isn’t just to make people laugh. I think, it’s to make people think.“

„Niemand hat das Recht, nicht beleidigt zu werden. Und Sie dürfen nicht vergessen: Nur weil man beleidigt ist, heißt das nicht, dass man Recht hat. (…) Es gibt nichts, worüber man keine Witze machen darf. Es kommt darauf an, was es für ein Witz ist. Comedy kommt aus einer guten oder einer schlechten Ecke. Meine kommt aus einer guten Ecke. Oberflächlich gesehen betrachte ich in meinen Stand-Ups Tabu-Themen. Aber die sind nur dafür da, um mich in eine bestimmte Position zu bringen. Sie sind dafür da, um das Publikum dorthin zu bringen, wo es noch nie war. Ich glaube, die Aufgabe eines Komikers besteht nicht nur darin, die Leute zum Lachen zu bringen, sondern sie zum Denken zu bringen.“

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Richtigmacher

Christine Lemke Matwey in der ZEIT über das Ende von Wetten, dass…
Gottschalk habe das richtige Maß an Anarchie in einer eigentlich biederen Sendung verkörpert und macht das an einem Vergleich fest: Bei einer verlorenen Saalwette wurde Gottschalk komplett in Senf getunkt. Das Mikrofon hielt er fest in der Hand. Knapp fünf Jahre später verliert Lanz eine Saalwette und wird in Schokolade getunkt (ob sie da einen Strafen-Ausdenker im ZDF angestellt hatten, dem die Ideen ausgingen?). Und im Gegensatz zu Gottschalk gibt Lanz das Mikrofon der Wettpatin. Bloß nichts kaputtmachen. Bloß alles richtig machen.
Lanz ist ein Richtigmacher, und hatte deshalb keine Chance.
„Ein Volk von Richtigmachern will keinen Richtigmacher vorgesetzt bekommen, das hätte das ZDF bei den alten Griechen ebenso lernen können wie aus der TV-Geschichte.

Harold Bloom über Shakespeares Figuren

„Es hat mich schon immer fasziniert, dass bei Shakespeare mehr als bei jedem anderen Autor, mehr als bei jedem anderen Auto – anders selbst als bei Dante, Goethe, Cervantes -, die Charaktere sich verwandeln, während sie ihren Gedanken zuhören, und dass sie selber von dieser Verwandlung überrascht werden. Die Figuren erfinden sich ständig neu. Sie sind auf die eine oder andere Weise mit sich unzufrieden, daher ihr Wille zur Veränderung. Auf diese Weise entsteht ein Macbeth, ein Egmont (Was macht der in dieser Liste – DR), ein King Lear. Man könnte sagen, sie haben die Autorenschaft übernommen, Shakespeare musste nur noch mitschreiben.“
„Es gibt diese Ansicht, dass Shakespeare (…) humanistische Werte vertrat. Aber es ist kein Zufall, dass alle großen Figuren – Falstaff, Hamlet, Shylock, Macbeth, King Lear, Edgar in King Lear, Kleopatra – Nihilisten waren.“
„Es gibt im Faust keine Personen. Faust ist keine Person, Mephisto nicht, Gretchen nicht. Der Unterschied zwischen Goethe und Shakespeare ist derselbe wie zwischen Shakespeare und Christopher Marlowe oder Ben Jonson, beides brillante Autoren, aber sie geben uns keine Menschen, sondern nur Karikaturen. (…) Moliére kommt Shakespeare am nächsten – hat etwas zwölf Personen. Shakespeare hat mehr als hundert bedeutende Figuren geschaffen und etwa tausend Nebenfiguren, und jede von ihnen spricht individuell, handelt individuell, klingt anders, ist anders als all die anderen.“
(Alle Zitate Harold Blum im Interview mit Susanne Meyer in DIE ZEIT)

(Harold Blum wurde bekannt durch sein Buch „Shakespeare: Invention of the Human“)

Intellekt und Fluss

„Im Akt des Improvisierens können wir eine ganze Reihe von Sachen bewusst tun. Wir können uns sagen: Dieses Thema braucht eine Wiederholung; dieser Teil des neuen Materials muss mit dem, das wir vor drei Minuten hatten, verbunden werden; das hier ist entsetzlich – es muss verkürzt oder geändert werden; das hier ist großartig – es muss wachsen; das hier fühlt sich so an, als ob ich mich dem Ende nähere usw. Wir arbeiten entlang eines kontinuierlichen Flusses von ständig neu auftauchenden Strukturen. Wir können die Musik verändern, sie wachsen lassen, stärker segmentieren, symmetrieren, vergrößern oder verkleinern. All diese Tätigkeiten können gelehrt und gelernt werden. Aber der Inhalt, der Stoff, der bearbeitet wird, kann nicht gelehrt oder gelernt werden. Er ist einfach da, um gesehen, gehört, gefühlt zu werden; nicht durch unsere fünf Sinne, sondern durch eine Gabe, die dem Intelletto gleicht.“ (Stephen Nachmanovitch: Free Play)

Öffentlicher Raum in der Stadt (Amanda Burden) – 453., 454., 455., 456. Nacht

Worum geht es in einer Stadt überhaupt? Was ist das Entscheidende, wenn man Stadtplanung betreibt?
Ich war fünf Mal in New York City: 1997, 2003, 2009, 2010 und 2011. Der Unterschied, den die Stadt zwischen 2009 und 2011 gemacht hat, war selbst für meine ungeschulten Augen gewaltig: Im Süden Manhattans kann man nun bequem aufs Wasser sehen. Es gibt den neuen legendären Park auf der Highline – einer stillgelegten Bahnstrecke. Das Beeindruckendste aber war, dass in der engen Innenstadt von Manhattan, wo sich die Autos hindurchquälten, man das Autoproblem löste, indem man den Autos Spuren wegnahm! Fußgängerzonen mit Stühlen, Sandkästen, Bäumchen. Auf den Avenues gab es Radspuren! Radspuren!! Und das in einer Stadt, wo die einzigen Radfahrer lebensmüde Fahrradkuriere waren. Mit anderen Worten: Die Radspuren wurden geschaffen, als es für sie noch gar keinen Bedarf gab. Man hat den Bedarf für Fahrräder erzeugt.
Hinter all dem steckt eine Stadtplanerin namens Amanda Burden, deren erstes großes Projekt der Battery Park war. Es geht, so Burden, wenn man eine Stadt plant, nicht um die geometrisch-hübschen Ideen der Designer, sondern um die Perspektive der Menschen, die sich in den geschaffenen Räumen aufhalten. Oder in ihren Worten: „[As a city designer] you don’t tap into your design expertise, you tap into your humanity.“
Man schaue sich die riesigen Freiflächen vor den modernen Bürotürmen an. Wer sitzt da schon gern, selbst wenn eine barmherzige Seele ein paar Bänke hingestellt hat?
Parks errichten, die man nutzen kann, Fahrradspuren für künftige Radfahrer, die Wasserseiten für die Bewohner zugänglich machen, Fußgängerzonen erschaffen, die nicht nur Freiluft-Einkaufszentren sind – für all das braucht man einen langen Atem und Mut. Mut, Investoren auch mal Nein zu sagen. Mut, es sich mit Wählergruppen (wie etwa Autofahrern) kurzfristig zu verscherzen.
Im Vergleich zu New York City ist Berlin gesegnet mit vielen Parks und Freiflächen. Aber man sollte diese nicht als gegeben hinnehmen. Was hätte man z.B. aus dem Regierungsviertel machen können! Die Verkehrspolitik lässt sich in Berlin seit über 50 Jahren von der Autofahrerlobby diktieren. Ich erinnere daran, dass einmal die Straßenbahn durch die gesamte Stadt fuhr. Die Oberbaumbrücke wurde damals nach ihrer Rekonstruktion eröffnet mit der Option, die Straßenbahn mindestens bis zum Schlesischen Tor zu verlängern. Die Gleis-Ansätze sind letzte Zeugen dieses Plans. Die A100 ist zum Prestige-Projekt des Regierenden Bürgermeisters geworden. Die gesamte Debatte über dieses Projekt ist derart ideologisch kontaminiert, dass eine rationale Debatte kaum mehr möglich ist. Jeder will schnell von A nach B kommen und Ruhe vor der eigenen Haustür. Aber beides ist eben nicht gleichzeitig zu haben. Fragt man aber die Stadtbewohner nach Prioritäten, so bevorzugen doch die meisten das ruhigere Wohnen. Die durchschnittliche Geschwindigkeit eines Autos im Stadtverkehr beträgt ohnehin meist nur um die 30 km/h. Schadete es da, gleich in allen Wohngebieten Tempo-30-Zonen einzurichten? Das Ganze natürlich gekoppelt an einen Ausbau des Nahverkehrsnetzes. Wenige werden ihren Auto-Kaufwunsch revidieren, wenn sie außerhalb des S-Bahn-Rings mehr als 15 Minuten auf den Bus warten müssen und dieser dann auch noch mit 15 km/h durch die Gegend zuckelt. (Viel schneller als 20 geht ja auch nicht, da die stehenden Passagiere sonst gefährdet sind.)
Ein weiteres Beispiel für die ideologische Verkrustung der Berliner Debatten ist die Diskussion um das Tempelhofer Feld. Der Senat will Wohnungen bauen. Das ist an sich keine üble Sache. Das Feld ist tatsächlich so groß, dass es Wohnungsbau vertragen könnte, und Wohnungen braucht Berlin, gerade in der Innenstadt, zu der man Nord-Tempelhof, wenn man großzügig ist, ja noch zählen kann. Aber was sonst? Abgesehen vom Problem des sozialen (oder eben nicht-sozialen) Wohnungsbaus bleibt die Frage völlig unbeantwortet, was mit dem Tempelhofer Feld passieren soll. Die Hauptstadtbibliothek? Ach mein Gottchen! Das soll ein Konzept sein?
Aber auch die Bebauungsgegner haben sich bisher nicht besonders von der kreativen Seite gezeigt. Am Besten alles so lassen wie es ist? Wer diese Betonfläche behalten will, muss ein eingefleischter Kite-Roller sein. Ansonsten gibt es doch keine Beschäftigung, die nicht ein bisschen Grün vertragen könnte.
Vor allem müssen groß-kommerzielle Interessen draußengelassen werden. Ein, zwei lizenzierte Cafés, keine Ketten, keine Konzerne, kein Trash.
 
***
453. Nacht

Auf die Frage nach der „Gemeinschaft von Mann und Weib“ antwortet die keusche Tawaddud erst, nachdem sie der Kalif dazu auffordert.

„Sie erleichtert den Körper, der voll schwarzer Galle ist, sie beruhigt die Liebesglut, führt zu herzlicher Neigung, weitet das Herz und verscheucht die Trauer der Einsamkeit. Ausschweifung im Liebesgenusse ist in den Tagen des Sommers und der Herbstes schädlicher als zur Zeit des Winters und des Frühjahrs. (…) sie verbannt Sorge und Unruhe, beruhigt das heiße Verlangen und den Zorn und ist gut gegen Geschwüre. (…) Man hüte sich vor der Gemeinschaft mit einem alten Weibe, denn die führt zum Tode.“ (…) „Und welches ist die beste Liebesgemeinschaft?“ „Wenn die Frau noch jung an Jahren ist, von Wuchse zierlich, von Antlitz lieblich, mit schwellender Brust und sich einer edlen Absicht bewusst.“

Das beste Gemüse seien Endivien, die trefflichsten Früchte Granatäpfel und Limonen, die am lieblichsten duftenden Blumen Rosen und Veilchen.
„Wie entsteht der Same des Mannes?“
Die abenteuerliche Antwort ist ein Zitat wert:
„Es gibt im Manne eine Ader, die alle anderen Adern speist. Nun wird der Saft aus den dreihundertsechzig Adern gesammelt, dann tritt er als Blut in den linken Hoden ein; dort wird er durch die Hitze des angeborenen menschlichen Temperamentes zu einer dicken, weißen Flüssigkeit abgekocht, deren Geruch gleich der Palmenblüte ist.“
Gut, dass man nun weiß, wie die Palmenblüte riecht. Unklar bleibt, wozu in dieser Lehre der rechte Hoden dient.
Der Arzt ist erschöpft und Tawaddud besteht wieder darauf, auch ihm eine Frage zu stellen.
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454. Nacht

Sie stellt ihm ein seitenlanges Rätsel, dessen Lösung „Knopf und Knopfloch“ lautet.
Danach muss sie sich einem Astronomen stellen. Dieser fragt sie nach den Hemisphären und den achtundzwanzig Stationen des Mondes.

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455. Nacht

Nach den Planeten befragt nennt Tawaddud:

„Sonne, Mond, Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn.“
Urans, Neptun und Pluto fehlen, da sie erst im 18., 19. und 20. Jahrhundert u.Z. entdeckt wurden.
Weiter schreibt sie den „Planeten“ Häuser und Aszendenzen zu. Der Astronom fragt sie außerdem, ob es morgen Regen gebe. Tawaddud schweigt, und als der Kalif auf einer Antwort besteht, antwortet sie:
„Ich wünsche, dass du mir ein Schwert gibst, mit dem ich ihm den Kopf abschlage; denn er ist ein Ketzer.“
Sie begründet das damit, dass die Wettervorhersage eines der fünf Dinge ist, deren Wissen Allah vorbehalten ist. Der Astronom zieht sich darauf zurück, er hätte sie „auf die Probe stellen wollen.“
Weiter fährt sie fort, astrologische Vorhersagen zu treffen, abhängig davon, an welchem Wochentag das Jahr beginnt, beginnend mit dem Sonntag.
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456. Nacht

Sie fährt fort mit ihren vom ersten Tag des Jahres abhängigen Vorhersagen, die unter anderem

  • den Gedeih von Früchten und Korn
  • die Herrschaft der Könige
  • die Zufriedenheit des Volkes
  • die Rechtschaffenheit der Verwalter
  • die Gesundheit der Tiere und Menschen
  • den Preis bestimmter Lebensmittel
  • die Bevorzugung bestimmter Bevölkerungsgruppen
betreffen.

Top Blues Musicians – 449., 450., 451., 452, Nacht

Meine Top 6 Blues Musiker

Lightnin Hopkins

Lighnin‘ Hopkins war ein zufälliges Kennenlernen. In einem Plattenladen in Camdem-Market fand ich im Juli 1993 ein Platte, deren Cover mich so ansprach, dass ich dachte: Wenn es einen guten Blues-Musiker gibt, dann muss es dieser Typ sein. Ich hatte recht.

 

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Billie Holiday

Billie Holiday war die erste Musikerin, von der ich eine Schallplatte nach der Wende kaufte: Da sie vor allem mit Jazz-Musikern auftrat und aufnahm wird sie auch selber eher in diese Ecke gestellt. Und doch liegt ihr der Blues im Blut. Und so sehr ich die Größe einer Ella Fitzgerald auch anerkenne – mein Herz gehört Billie Holiday. Und das Lied, das sie hier singt, lässt jeden erzittern, der ein Herz und ein Ohr hat.

 

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Janis Joplin

Auch Janis Joplin gilt als Grenzgängerin. Ich kannte ihre großen Hits, als ich (ebenfalls 1993 in London) auf einem ollen Kassettenrekorder die Aufnahme von „Silver Threads…“ hörte. Country-Blues – da kommt die Dame her.

 

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Jesse Fuller

Und dieser Mann war für mich die große Blues-Überraschung überhaupt. Blues, das allenfalls selbstspöttische, aber doch eher traurige Genre wurde zur lustigen Melodie, die einen herzzereißenden Text wiedergab. Und man nahm es ihm ab. Fuller hatte in Kalifornien vom Schuhputzer bis zum Statisten alle Jobs durch, um dann im Alter von 60 Jahren noch eine kurze Blitzkarriere hinzulegen. Es gibt ein Filmchen, wo er vor den großen Blues- und Jazzgrößen seiner Zeit spielt. Ein kleines Publikum, und sie hören ihm alle bedächtig zu.

 

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Howlin‘ Wolf

Über Howlin‘ Wolf bin ich komischerweise in Russland gestoßen. Den hatte ich bisher übersehen, die London Howlin‘ Wolf Session bis dahin nicht für voll genommen. Auf dieser Raubpressung sprang mich ein aggressiver rhythmischer Blues an, wie ich ihn vorher nicht gehört hatte.

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Mick Jagger

Es mag seltsam scheinen, aber er ist für mich der weiße Blues-Sänger. Ja, er hat auch Rock’n’Roll gesungen, sich weit in den Pop-Bereich begeben. Aber an den jungen Jagger in den frühen Stones reicht für mich kein anderer weißer Blues-Sänger heran.

 

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John Lee Hooker

Mit ihm hat für mich alles angefangen. Ich weiß nicht mehr, mit welchem Lied. Mit ihm hört es wahrscheinlich auf. Ich habe seine Lieder rauf und runter gehört: Lil‘ Schoogirl, Mean Black Snake, Boom Boom usw. Ich liebe vor allem seine Folk Blues Sachen, denen man das Elektrische schon anhört. Und die letzte Platte „Boogie Chillen'“ – was für ein großartiger Abgesang! Obwohl für eine Bluesplatte reich instrumentiert ist sie nicht überproduziert. Hooker bleibt er selbst.

 

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Big Bill Broonzy

 

Die Wurzeln des Blues verkörpert für mich – vielleicht noch neben Blind Lemon Jefferson – Big Bill Broonzy. Leicht die Schwere des Lebens besingen. Vor seinem Tod hat er darauf insistiert, dass auf seinem Grabstein nur ja nicht „Jazzmusiker“ stünde.

Es gibt einige „große“ Bluesmusiker, die hier nicht auftauchen – einfach weil ich mit ihnen nichts anfangen kann – vor allem Eric Clapton und B.B.King. Man verzeihe mir.

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449. Nacht

Der Rechtsgelehrte legt sein Gewand ab und nun geht es an die Physiologie. Tawaddud gibt unter anderem Auskunft über die Anzahl der Knochen, die Zusammensetzung Adams aus den vier Elementen, die inneren Organe des Menschen.

„Gut! Nun sage mir, wieviel innere Kammern sind im Kopfe des Menschen?“ „Drei; und sie enthalten fünf Kräfte, die man die inneren Sinne heißt, das sind der gesunde Menschenverstand, die Einbildungskraft, das Denkvermögen, die Vorstellungskraft und das Gedächtnis.“

Sie könnte fast in die moderne Hirnforschung einsteigen.

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450. Nacht

Details des Knochengerüsts kommen auf anderthalb Seiten zur Sprache. Interessant außerdem folgende Auskunft:

„Die Leber ist der Sitz des Mitleids, die Milz des Lachens, die Nieren sind der Sitz der List. Die Lunge dient als Fächer, der Magen als Vorratskammer, und das Herz ist der Stützpfeiler des Leibes.“

Über Hinweise für die Annahmen zu Nieren und Leber wäre ich dankbar.

Tawaddud nennt außerdem diverse „äußere Symptome“.

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451. Nacht

Nachdem die Sklavin auch die inneren Symptome benannt hat, bringt sie medizinisch begründete Speiseregeln zur Sprache: Kopfschmerzen entstünden, wenn man satt etwas esse.

„Wer also lange leben möchte, der nehme sein Frühmal frühe und Nachtmahl nicht spät, er sei sparsam im Verkehr mit Frauen und gebrauche wenig, was schädlich wirken kann. (…)“
„Nun gib mir Auskunft über die Zeit, wann das Einnehmen der Arzneien am nützlichsten ist!“

„Wenn der Saft im Holze rinnt,
wenn die Beere in der Traube Gestalt gewinnt,
wenn die beiden Glückssterne aufgegangen sind,
dann ist die günstigste Zeit genaht, um Arzneien zu trinken
und die Krankheit von sich zu winken.“

Außerdem zitiert Tawaddud Galen, der zu langsamem Verzehr von Speisen riet.

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452. Nacht

Sie fährt fort:

„Der Magen ist das Haus der Krankheit, und Diät ist der Heilung Anfang; denn der Ursprung aller Krankheit ist Indigestion.“ (…)
„Nun sage mir, welche Nahrung am besten ist!“ „Bereitet von Frauen, mühlos zu brauen und leicht zu verdauen.“

Zum Weingenuss befragt, weist sie mehrfach auf die Verbote des Korans hin sowie auf Warn-Gedichte, um dann zu konzedieren:

„Er zerbröckelt die Nierensteine, stärkt die Eingeweide, verscheucht die Sorgen und treibt zur Großmut an; er bewahrt die Gesundheit und fördert die Verdauung, er hält den Leib gesund, vertreibt die Krankheiten aus den Gelenken, reinigt den Körper von schlechten Säften und erzeugt Heiterkeit und Freude; er stärkt die Natur, zieht die Blase zusammen, kräftigt die Leber, öffnet die Verstopfung, rötet die Wangen, säubert den Kopf und das Hirn von Grillen und verzögert das Ergrauen der Haare. Und hätte Allah, der Allgewaltige und Glorreiche, ihn nicht verboten, so gäbe es auf dem Angesichte der Erde nichts, was ihm gliche.“

Der Widerspruch dieser Aussage scheint keiner Erörterung wert.

Lobend äußert Tawaddud sich über die vielfältigen positiven Wirkungen des Schröpfens.

443., 444., 445., 446., 447., 448. Nacht

443. Nacht

Der Gelehrte wendet sich an den Kalifen Harûn er-Raschîd, um zu bezeugen,

„dass diese Sklavin besser in der Gesetzeskunde bewandert ist als ich.“

Mir scheint, bisher wurden eher die Basics verhandelt.

Nun dreht Tawaddud den Spieß um und fragt den Gelehrten nach den Angelpunkten der Religion, den Wurzeln des Islams und den Ästen der Pflichtenlehre im Islam. Letzteres kann er nicht beantworten

Da rief sie: „Leg dein Gewand ab; ich will sie dir erklären.“

Das Gewand soll er der Tradition gemäß ablegen, um sich zu demütigen und deutlich zu machen, dass er es nicht wert ist, das Ehrengewand des Gelehrten zu tragen.

Tawaddud trägt ihm „die zweiundzwanzig Äste“ vor, dann legt er tatsächlich Turban und Gewand ab

und verließ die Versammlung des Kalifen, beschämt von der Sklavin und geschlagen.

Ein zweiter Gelehrter beginnt nun, ihr Fragen zu stellen aus den Bereichen Religion, Wirtschaft, Recht und Moral, so z.B. nach der Gültigkeit einer Warenlieferung und den verdienstlichen Handlungen beim Essen. Zu letzteren gehören

„das Waschen der beiden Hände; das Sitzen auf der linken Hinterbacke; das Essen mit drei Fingern; und dass man von dem isst, was vor einem steht.“

Die guten Sitten beim Essen sind

„dass man kleine Bissen nimmt und wenig auf den Nachbar bei Tische schaut.“

***

444. Nacht

Der Gelehrte fragt Tawaddud über

  • die Grundsätze des Herzens und deren Gegensätze

  • die Bedingungen für die kleinere Waschung

  • den Glauben

  • die Anzahl der Himmelstore

„Nenne mir ein Ding, ein Halbding und ein Unding.“
„Das Ding ist der Gläubige, das Halbding der Scheingläubige, das Unding der Ungläubige.“

Und sehr ausführlich berichtet die Sklavin ihm noch über

die verschiedenen Arten des Herzens.

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445. Nacht

Und wieder gibt es – nach ausführlicher Beantwortung aller Fragen – die Retourkutsche. Und der Weise scheitert an folgender Frage:

„Nenne mir
[a] die höchste Pflicht,
[b] die Pflicht, die am Anfang aller Pflichten steht;
[c] die Pflicht, deren jede andere Pflicht bedarf;
[d] die Pflicht, die alle anderen Pflichten umschließt;
[e] die verdienstliche Handlung, die in die Pflicht eindringt;
[f] und die verdienstliche Handlung, auf der die Vollendung der Pflicht beruht.“

Auch dieser Gelehrte muss sein Gewand ablegen, nicht ohne dass ihm Tawaddud noch die Antworten zum Merken mit auf den Weg gibt.

„Es handelt sich um [a] die Erkenntnis Allahs des Erhabenen, [b] das Bekenntnis, dass es keinen Gott gibt außer Allah und dass Mohammed der Gesandte Allahs ist; [c] die kleinere Waschung; [d] die Ganzwaschung nach der Befleckung; [e] das Spreizen der Finger beim Waschen und das Kämmen des dichten Bartes; [f] die Beschneidung.“ […]

„Ich rufe Allah zum Zeugen an, o Beherrscher der Gläubigen, dass diese Sklavin gelehrter ist in der Rechtskunde und den anderen Wissenschaften als ich.“

Dabei war von Wissenschaften nicht die Rede. Im heutigen Sinne wären es lediglich religiöse Fragen und Aspekte des Anstands sowie eine banale wirtschaftliche Frage.

Sie fordert den nächsten Gelehrten heraus:

„Wer von euch ist der Meister in Korankunde, der die sieben Lesarten kennt, dazu noch die Grammatik und die Lehre von der Wortbedeutung.“

Auch dies würde heute ja separat behandelt.

Der Gelehrte stellt zunächst rechnerisch anmutende Fragen: nach der Anzahl der Suren, der Verse, der Buchstaben, der Niederwerfungen, der erwähnten Propheten, der mekkanischen und der medinensischen Suren, der Vögel.

***

446. Nacht

Tawaddud benennt die im Koran erwähnten Propheten:

„Adam, Noah, Abraham, Ismael, Isaak, Jakob, Joseph, Elisa, Jonas, Lot, Sâlih, Hûd, Schu’aib, David, Salomo, Dhu el-Kifl, Idris, Elias, Johannes, Zacharias, Hiob, Moses, Aaron, Jesus, Mohammed.“

Adam als Prophet!

„Von geflügelten Wesen werden neun genannt […] Die Mücke, die Biene, die Fliege, die Ameise, der Wiedehopf, der Rabe, die Heuschrecke, die Ababîl und der Vogel Jesu – über ihm sei Heil! -, das ist die Fledermaus.“

Es folgen schier endlos Fragen, in welcher Sure sich welche Äußerung befindet.

***

447. Nacht

Nun geht’s wirklich in theologische Details. Fragen nach der Bedeutung der Formel „Im Namen Allahs, des barmherzigen Erbarmers“ (Basmala), ihr Vorkommen, ihr ausnahmsweises Nichtvorkommen, ihre Bedeutung, ihre Wirkung auf Mohammed:

„Jetzt bin ich sicher vor drei Dingen, vor dem Versinken in die Erde, der Verzauberung in Tiergestalt und vor dem Ertrinken.“

Alle Fragen beantwortet Tawaddud korrekt, ebenso die nach der Reihenfolge der Offenbarung der Suren.

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448. Nacht

Weitere theologische Fragen, u.a. nach

  • der Zahl der Gefährten des Propheten

  • die Zahl der Leser, deren Lesarten angenommen wurden

  • das Opfern auf Steinplatten [vorislamisch]

  • die Bedeutung der Worte „Du weißt, was in meiner Seele ist; doch ich weiß nicht, was in meiner Seele ist“

  • einer Überlieferung, die auf ed-Dahhâk zurückgeht

Auch hier weiß Tawaddud alle Antworten und stellt dem Gelehrten am Ende eine Frage nach

einem Koranverse, in dem dreiundzwanzig mal der Buchstabe Kâf vorkommt, und von einem anderen, in dem sechzehnmal Mîm vorkommt, und von einem dritten, der einhundertvierzehn ‚Ain enthält, und von einem Abschnitte, in dem die Herrlichkeitsformel fehlt.

Letztere sind die Suren

„‚Genaht ist die Stunde und gespalten der Mond‘, ‚Der Erbarmer‘, und ‚Die Eintreffende‘.“

Auch dieser Gelehrte gibt sich geschlagen.

440., 441., 442. Nacht

Versteher

In diesem Blog war vor knapp zwei Wochen von „Russland-Verstehern“ die Rede. Gemeint waren Journalisten und Politiker, die – vor allem durch fleißiges Benutzen des historischen Zettelkastens – Russlands Völkerrechtsbruch so sehr verstehen wollten, das aus dem Verständnis eine Entschuldigung wurde. Am Abend des Tages, an dem ich den Text geschrieben hatte, schlug ich die ZEIT auf, und da schrie mich das Wort „Russlandversteher“ schon in der Überschrift an. Und nun ist es omnipräsent. Ich wünsche mir im Nachhinein, es nicht benutzt zu haben. Natürlich wäre es leicht, den Blog-Eintrag zu umzuformulieren. Aber es sträubt sich in mir die Aufrichtigkeit gegenüber dem bereits Geschriebenen.
Ja, man muss Russland verstehen, im Sinne von „kapieren“, „begreifen“. Und letztlich habe auch ich das so geschrieben. Die außenpolitischen Husarenstücke von USA und Nato nach der europäischen Zeitenwende 89/90 haben das Völkerrecht zum Spielball willkürlicher Akte werden lassen – man nutzt es, wie es einem passt. Und auch die Anwesenheit von McCain und Westerwelle auf dem Maidan war keine diplomatisch sensible Geste.
Verstehen, aber nicht Entschuldigen. Und Jahreszahlen im Zettelkasten liegenlassen.

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440. Nacht

Die Sklavin Tawaddud wird weiter zu religiösen Themen befragt, u.a.: Gebet, Waschung, Glaube, Vertrauen.

„Wenn er [der Gläubige] aber Allah, den Allgewaltigen und Glorreichen, beim Beginne der Waschung nicht anruft und schweigt, so gewinnen die Teufel Gewalt über ihn, und die Engel wenden sich von ihm; dann flüstern die Teufel ihm arge Gedanken ein, so dass er dem Zweifel verfällt und den Wert der Waschung zunichte macht.“

Interessant doch, wie in der eigentlich monotheistischen Religion der Glaube an Engel, Geister, Teufel soweit hervorlugt, dass man meinen könnte, sie seien in der Vorstellung des Gläubigen ebenbürtige Rivalen Allahs.

„Denn der Prophet – Allah segne ihn und gebe ihm Heil! – hat gesagt: Eine fehlerlose Waschung treibt den Teufel von dannen und vermag die Grausamkeit des Sultans zu bannen.“

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441. Nacht

Weitere Themen, zu denen die Sklavin Tawaddud Fragen beantworten muss: Waschung mit Sand, Bedingungen und Handlungen des Gebets und Armensteuer. Letztere muss entrichtet werden

„von Gold, Silber, Kamelen, Rindern, Schafen, Weizen, Gerste, Hirse, Durra, Bohnen, Kichererbsen, Reis, Rosinen und Datteln.“

Zahlten die Kalifen auch Sekât?

Ein weites Feld eröffnet sich: Das Fasten und seine Gebote.

„Der Gebrauch von Salben und Augenschminke, der Staub der Straße, das Verschlucken des Speichels, der Erguss im Traume oder beim Anblick einer fremden Frau, der Aderlass und das Schröpfen; all das macht das Fasten nicht ungültig.“

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442. Nacht

Das Verhör geht weiter zu den Themen: Gebete der Nacht, Pilgerfahrt. Sie beantwortet alle Fragen ausführlich.

Als der Gelehrte ihre Worte vernommen und dadurch erkannt hatte, dass sie scharfsinnig, einsichtig und von durchdringendem Verstande war und wohlbewandert in der Rechtskunde, der Tradition, der Koran-Auslegung und vielen anderen Dingen, da sprach er bei sich selber: ‚Ich muss sie überlisten, so dass ich sie in der Versammlung vor dem Beherrscher der Gläubigen besiege.‘

Und so fragt er sie nach den wörtlichen Bedeutungen von wudû, salât, ghusl, saum, zakât, haddsch und dschihâd. Als auch dies alles richtig beantwortet wird,

waren die Überführungsversuche des Gelehrten zu Ende.

438.-439. Nacht – Lernen popernen

Lernen popernen

Als wir unsere Tierpark-Runde beenden und uns von einer Tafel über die sieben hier gehaltenen Pelikan-Arten abwenden, frage ich mich spontan, wieviel ich davon behalten habe. Mit einigem Nachdenken kann ich mich an alle sieben erinnern. Heute, einen Tag später, sind es nur noch fünf. Wie bereit ist man überhaupt noch, sich en passant aktiv Wissen anzueignen, wenn es sowieso per Schlauphon abrufbar ist. Ich wette, dass es auch Wissenschaftlern (wenn es nicht gerade Zoologen sind) ähnlich gegangen wäre. Als Kind lief ich damals von Tafel zu Tafel, und merkte mir praktisch alle Tierarten und ihre Besonderheiten.
Im Alter zwischen 20 und 30 lernte ich fünf Fremdsprachen bzw. baute sie aus. Danach nur noch mal kurze zaghafte Versuche, mich an Französisch, Italienisch und Sizilianisch zu versuchen. Die anderen Sprachen bleiben aktiv oder verkümmern, abhängig davon, wie ich mit ihnen konfrontiert werde. Englisch lese und höre ich praktisch täglich. Russisch alle 1-2 Jahre. Bei Spanisch bilde ich mir immer ein, dass ich es jederzeit reaktivieren könnte. Mein Niederländisch ist eine einzige Schummelei, die darauf aufbaut, dass ich flämische Comics zu 90% verstehe. Persisch, das ich über drei Jahre lernte und mit dem ich mich ziemlich gut durch vier Wochen lang durch den Iran schlagen konnte, ist so verkümmert, dass ich mich lediglich an einzelne Vokabeln und einige grammatische Grundlagen erinnere.
Mein Studienfach Soziologie interessiert mich, wenn ich auf die leider inzwischen beinahe als abseitig geltenden Systemtheorie stoße.
Hirnforschung, Philosophie und Psychologie sind zu meinen Steckenpferden geworden. Jura ist es geblieben.
Das Thema Mathematik ist beinahe traurig: Ich war ziemlich gut in Mathematik. So gut, dass ich sie sogar studieren wollte. Wie weit würde ich heute noch mitkommen? Bis zur Differentialrechnung vielleicht?
Theatertheorie nimmt sozusagen aus beruflichen Gründen einen wichtigen Platz ein.
Welche Lernakte sind im Alter von über Vierzig noch bewusst? Wie selektiert man? Ist die Allgemeinbildung ein veraltetes Gut? Wieweit sollte ich Wissen aus der anorganischen Chemie parat haben?
Wichtiger noch: Selbst wenn man nebenbei lernt – über Wikipedia, TED-Vorträge, www.iflscience.com – wieviel behält man davon? Oder stumpft die Konsumtion von Wissen via Internet die Fähigkeit des aktiven Lernens ab?
Oder bin ich zu pessimistisch?

***

436. Nacht

Die Sklavin Tawaddud verlangt von Abu el-Husn, sie dem Kalifen Harûn er-Raschîd für zehntausend Dinare anzubieten. Sie sei eigentlich noch mehr wert. Dieser tut das. Der Kalif fragt sie, auf welchen Wissenschaften sie bewandert sei.

Gibt es das in der europäischen Mythologie, in einem Volksmärchen, einer Heiligengeschichte, einer höfischen Erzählung? Dass der Wert einer Frau (genauer Magd) an ihrer Fähigkeit als Wissenschaftlerin gemessen wird?

Tawadduds Aufzählung ihrer Fähigkeiten umfasst eine komplette Buchseite, darunter:

„die Grammatik, die Dichtkunst, die Rechtswissenschaft, die Auslegung der Heiligen Schrift und der Sprachkunde (…), bewandert in der Tonkunst, der Pflichtenlehre, der Rechenkunst (…), der Erdmessung [es folgt eine Dreiviertel-Seite verschiedener Aspekte der Theologie], der  Geometrie, in der Philosophie, der Heilkunde, der Logik, der Synonymik und der Metonymik. (…) die Dichtkunst (…) Wenn ich singe und tanze, verführe ich die Herzen; doch bin ich geschmückt und mit Spezereien gesalbt, so bringe ich tödliche Liebesschmerzen.“

Der Kalif ist einverstanden unter der Bedingung, dass berufene Männer sie prüfen. Als erstes lässt er den Statthalter von Basra, Ibrahim ibn Saijâr en-Nazzâm [Lesenswerter Artikel über ihn bei Wikipedia] rufen, der als beredter Dichter und Philosoph gilt und er möge weitere Wissenschaftler mitbringen.

Gibt es Wissenschaftler eher in Basra als in Bagdad?

Als erstes wird sie von einem Theologen geprüft, den ihre Antworten erstaunen.

***

437. Nacht

Die Prüfung dauert an. Sie beantwortet nun u.a. folgende Fragen:

– Was ist der Verstand?
– Wo ist der Sitz des Verstandes?
– Was sind die unerlässlichen Pflichten und die ewig bestehenden Normen?
– Was sind die Erfordernisse des Glaubens?
– Diverse Fragen zur Ausführung des Gebets.

Claudia Hoppe interviewt Randy Dixon

Excerpts:
Randy Dixon: „To me improv needs to be more people [than two, three or even solo improvisers]. It needs to be seventeen people to work, I think.“
„Anyone can teach improv, but not anyone can teach improv well.“
„I’m not teaching a system. I’m not saying: ‚Here is how you play this game.‘ I say: ‚Here is why you play this game.'“
„I wish more people would take rehearsing workshops more seriously, in a sense that it’s not about getting laughs, it’s not about being funny, it’s not about performing for your friends. It’s about practising your skills and getting better. So that when you perform for the people, you’re better.“

http://claudiahoppe.com/en/2014/03/29/podcast-nr-15-randy-dixon-zu-gast-im-interview/

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436. und 437. Nacht – Fragen zum Dealerproblem, die ich mir selber nicht beantworten kann

Fragen zum Dealerproblem, die ich mir selber nicht beantworten kann

Erst waren sie weit weg, die Dealer. Hasenheide, Neukölln. Ihre Existenz berührte mich nicht wesentlich mehr als die der Dealer von der 125. Straße in New York City. Hab sie schon mal gesehen. Berührt mich nicht. Und jetzt, seit ein paar Jahren nun also auch im Görlitzer Park. Ich gehe dort joggen, ich fahre dort oft mit dem Fahrrad entlang, und ab und zu fahre ich meinen sprechen- und laufenlernenden Sohn Django dort spazieren. Um die Herren zu ignorieren, sind sie zu präsent. Also bin ich gezwungen, meine widerstreitenden Bedenken und Gefühle unter einen Hut zu kriegen.

  1. Ich kiffe nicht. Insofern kann mir die Anwesenheit der Dealer eigentlich so egal sein wie die eines Nagelstudios. Immerhin – ich habe zwar schon gekifft, mich aber noch nie professionell maniküren lassen. Die akustische Werbung der Dealer „Ss-sss! Some Dope?“ ist zwar aufdringlich, aber auch nicht schlimmer als die ästhetische Beleidigung, die Schaufenster und Ladenschild eines Nagelstudios darstellen. Andererseits:

  2. Nicht nur kiffe ich nicht. Ich halte das Kraut auch größtenteils für schädlich. Man merkt Kiffern an, dass sie kiffen. Gewohnheitsmäßige Kiffer klagen, dass sie nichts gebacken kriegen und bringen ihr Nichts-Gebacken-Kriegen nie in Zusammenhang mit ihrer regelmäßigen Kifferei. Andererseits:
  3. Kiffen sollte legalisiert werden. Gesundheit ist zwar ein schönes soziales Ziel, aber wer sich physisch zerstören will, muss es tun dürfen. Man muss nicht den an dieser Stelle obligatorischen Vergleich mit Alkohol ins Spiel bringen, aber es schadet auch nicht; schließlich zeigt es die Irrsinnigkeit des Hanf-Verbots. Wer den Konsum von Schnaps toleriert und dadurch Sucht, Krankheiten und vorzeitigen Tod von Millionen billigend in Kauf nimmt, kann nicht das zwar ebenfalls krankmachende aber vergleichsweise harmlose Kiffen kriminalisieren. Und man kriminalisiert es auch dann, wenn man den Besitz von Mini-Päckchen toleriert, den kommerziellen Verkauf aber verbietet.
    In Relation zur Gesundheitsfrage erscheint es fast nebensächlich, aber natürlich scheint auch die psycho-soziale Wirkung des Stoffs verträglicher. Zumindest wäre es mir lieber, wenn die acht Hertha-Fans, mit denen ich mir nach einem verlorenen Spiel ihres Vereins den U-Bahn-Wagen teilen muss, gemeinsam eine Riesen-Bong inhaliert hätten als sich pegelsaufend ins Level zwischen Aggressiv Brüllen, Zuschlagen und Kotzen zu manövrieren. Aber:
  4. Die rechtliche Situation ist aber so wie sie ist. Und so stehen die Dealer zu großer Zahl im Görlitzer Park. Jedes Mal, wenn ich denke: ,Ach, das sind jetzt vielleicht doch nur ein paar Leute, die sich sonnen wollen‘, genügt es, den Blickkontakt zu halten. Und prompt werde ich angesprochen, ob ich Dope bräuchte. Wenn ich sage, „zu großer Zahl“, so ist das nicht übertrieben. Es gibt im Görlitzer Park kaum mehr eine Bank, die nicht von dealenden oder sich vom Dealen ausruhenden Afrikanern besetzt wäre.
    Benutzen eigentlich die Grammatik-Feministinnen hier auch ein großes I? Also Dea-lerInnen? Oder ist der in diesen Kreisen übliche Sprech jetzt „Dealende“? Völlig un-nötig. Es sind einfach keine Frauen dabei. Warum, weiß ich nicht. Ebenso wenig wie die geschlechtliche verstehe ich die ethnische Aufteilung prekärer Jobs. Steht irgend-wo geschrieben, dass nur diejenigen Punks, die in katholischen Ländern wie Spanien, Polen und Italien aufgewachsen sind, an Kreuzungen Autoscheiben putzen dürfen? Welcher soziale Mechanismus führt dazu, dass ausgerechnet Pakistani das Rosenverkaufs-Monopol innehaben? Warum sollte Marihuana eine afrikanische Spezialität sein? Anscheinend gibt es einen gewissen Sozial-Magnetismus: Du landest als Afrikaner in Berlin und irgendwann hörst du, dass sich Afrikaner im Görlitzer Park rumtreiben. Also gehst du zu ihnen, und fühlst dich bei ihnen wohler als bei den Verkäufern von Straßen-Magazinen. Und Akkordeon, Trompete und Saxofon hast du auch nicht dabei, um wie die Rumänen als Trash-Folk-Band durch die Öffentlichkeit zu ziehen. Aber:
  5. Fast alle Dealer, so war zu lesen, sind Asylbewerber, stehen also bei ihrer Tätigkeit schon mit einem Bein im Abschiebeknast, sicherlich nicht gerade das, was man sich gewünscht hat, als man sich von Togo aus auf den Weg gemacht hat. Die Gruppen von 10-15 Männern – wieviel mögen sie am Tag verkaufen? Was bleibt an Gewinn übrig? Sind es die größeren Ladungen, die das Geld bringen? Ist es der härtere Stoff, der das Geld bringt? Inzwischen wird ja auch Koks, Heroin und Chrystal Meth ge-dealt, die Depots sind überall – zwischen Schwimmbad, Kuhle, Kinderbauernhof und dem Damm, der bis nach Treptow führt. Dieses Problem wird ein Coffee-Shop jedenfalls nicht lösen. Und über die Legalisierung dieser Substanzen wechsle ich meine Meinung je nachdem, mit wem ich spreche. Außerdem:
  6. Neulich war ein Graffito im Görlitzer Park zu lesen: „Bullen raus! Keine Spießer-überwachung im Görli!“ Irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, dass der Schriftzug von einem der afrikanischen Dealer kam. Im Vergleich zu anderen Orten ist die Polizei im Görlitzer Park ja recht milde zugange. Mal ganz abgesehen davon, dass sie die Depots sowieso fast nie findet. Aber man kommt unweigerlich zur Frage: Wer definiert, was an einem Ort OK ist? Ist es OK, wenn im Görlitzer Park der Grilldreck jede Freifläche bedeckt? Ist es in Ordnung, wenn Hunde in der Größenordnung von Miniponys kleine Kinder anspringen? Ist es in Ordnung, wenn sämtliche Sitzbänke von Dealern besetzt sind? Es ist wie in WG-Debatten – Wen es stört, dass die Socken in der Küche rumliegen, hat schlechte Karten, wenn das allesschlagende Sozial-Gebot Toleranz heißt und durch keine Kompromisse relativiert wird. Und dann das hier:
  7. Gehe mit Django in der Nähe des Spielplatzes spazieren, in dessen Nähe sich eine Dealertruppe sonnt. Warum zum Teufel in der Nähe des Spielplatzes! Hätte ich we-niger Probleme damit, wenn in der Nähe ein Spätverkauf mit Spirituosen stünde? Ich weiß es nicht. Und von allen Richtungen, in die der zweijährige Django laufen kann, wählt er die Richtung Dealertruppe. Die sind anscheinend selber über die unerwartete bewertungslose Neugierde verwirrt. Man schüttelt sich die Hände, stellt einander vor, geht auseinander. Und irgendwie bin ich froh über diese Begegnung. Und dann kurze Zeit später:
  8. Nach langer Zeit gehe ich mal wieder joggen. Nicht durch Kreuzberg. Bleibe bei meiner alten Route durch den Treptower Park und den Plänterwald. Beim Sowjeti-schen Ehrenmal lehnt einer der Afrikaner mit legeren Adidasklamotten an einem Geländer. Geht das jetzt nicht doch zu weit? Meine Empörung über das Dealen in meinem Heimatpark lässt sich moralisch gut befeuern durch die Tatsache, dass wir uns hier in unmittelbarer Nähe eines Friedhofs mit über 2.000 Gefallenen der Roten Armee befinden. Ist das nicht doch recht pietätlos? Soll man was sagen oder nicht? Als ich auf seiner Höhe bin, hat sich die Frage erübrigt: Der Afrikaner legt ein Bein übers Geländer und dehnt sich ausgiebig. Dann joggt er mir hinterher. Kein Dealer, ein Jogger! Joggen in der Nähe des Friedhofs. Auch pietätlos irgendwie?

436. Nacht

Die Alte fährt fort mit einer Anekdote über el-Haddschâdsch ibn Jûsuf, an den eine Petition erging:

"Fürchte Allah und übe keinerlei Bedrückung gegen die Diener Allahs!"

El-Haddschâdsch ibn Jûsuf rechtfertigt sich nun damit, dass ihn Allah über das Volk gesetzt habe wegen dessen (böser) Taten.

"Wenn ich es nicht bin, so ist es einer, der noch schlimmer ist als ich, der noch härter bedrückt und noch grausamer herrscht."

Der arme Tyrann als Schlimmeres-Verhinderer. Ähnliches kennt man heute von Militärdiktaturen. In Wirklichkeit hat er mit seinem Herrschaftsstil so viele gegen sich aufgebracht, dass es immer wieder zu Aufständen kam. Nach seinem Tod wurden 80.000 Menschen aus den Gefängnissen entlassen.

 

***

 

Die Geschichte von der Sklavin Tawaddud

Ein reicher Kaufmann wird alt und gebrechlich, ohne einen Nachkommen zu haben. Nachdem er bei Allah um einen solchen fleht, empfängt eine seiner Frauen von ihm.

Und in der Nacht zum siebenten Tage nach der Geburt des Knaben gab er ihm den Namen Abu el-Husn; die Ammen nährten ihn, die Pflegerinnen hegten ihn, und die Mamluken und Eunuchen trugen ihn, so dass er wuchs und spross und in die Höhe schoss.

Auch für seine Bildung wird gesorgt.

So ward er zur Perle seiner Zeit und zum schönsten Jüngling weit und breit, mit einem Antlitz der Lieblichkeit, einer Zunge der Beredsamkeit, der sich wiegte und neigte im Ebenmaß seiner Gestalt und selbstgefällig dahinschritt in seines Stolzes Gewalt.

Doch dann liegt sein Vater im Sterben, nicht ohne vorher allerlei Mahnungen seinem Sohn auf den Weg zu geben,

bei denen man schon ahnt, dass er sich nicht an sie halten wird.

Nachdem Abu el-Husn eine lange Zeit getrauert hat, reden ihm seine Freunde zu:

"Was dahin ist, ist dahin. Trauer kann nur Mädchen und Frauen gebühren, die im Harem ein abgeschlossenes Leben führen." In dieser Weise redeten sie immer weiter zu ihm, bis er ins Badehaus ging; und auch sie gingen dorthin und machten seiner Trauer ein Ende.

***

437. Nacht

Die bösen Freunde sind es also, die ihn dazu überreden, sein Geld auszugeben. Er fängt an, Wein zu trinken und sein Geld zu verprassen, bis ihm nichts mehr geblieben ist außer einer schönen Sklavin.

Ihr Wuchs betrug fünf Spannen der Hand, und sie war des Glückes Unterpfand.

Ob sich der Übersetzer Littmann hier von dem "Lied der Deutschen" hat beeinflussen lassen?

Ihre Stirn war wie der Neumond im verehrten Monate Scha’bân anzuschauen; sie hatte Gazellenaugen und schön gewölbte Brauen. Ihre Nase war wie des Schwertes Schneide; und ihre Wangen prangten im Anemonenkleide. Ihr Mund schien das Siegel Salomons zu sein; ihre Zähne waren wie Perlenreihn. Ihr Nabel konnte eine Unze Behennussöl fassen; ihr Rumpf war schlanker als der Leib dessen, den die Liebe verzehrt und heimliche Sehnsucht hatte dahinsiechen lassen; und ihre Hüften waren wie der Sandhügel Massen.

Die Tiefe des Nabels als Schönheitskriterium!

Dem Vollmond ist sie gleich, da sich
Zu Fünf und Vier die Vier gesellt.
Ich bin nicht schuld, bin ich durch dich
Ihm gleich, wenn er die Nacht erhellt.

Littmann merkt dazu an: "Das Mädchen ist vierzehn Jahre, der Vollmond vierzehn Tage alt. Der Dichter wird um der Liebe zu dem Mädchen blass wie der Mond."

Nachdem sich Abu el-Husn drei Tage lang seinem Leid hingegeben hat, verlangt sie von ihm, zu Harûn er-Raschîd geführt zu werden.

Rezension „Untergetaucht“ von Marie Jalowicz Simon

Im Jahre 1941 wird die knapp 18jährige Berlinerin Marie Jalowicz zur Zwangsarbeit verpflichtet, weil sie Jüdin ist. Seit ein paar Wochen ist sie Waise und muss sich nun alleine durchschlagen. Als die Gerüchte, die nach Osten Deportierten würden dort ermordet, sich zur Gewissheit verdichten, taucht sie unter. Vier Jahre lang von einer zur anderen Unterkunft – zwanzig Stationen. Einmal nutzt sie sogar die Liebesbeziehung zu einem Bulgaren, um mit ihm nach Sofia zu fahren, in der Hoffnung, in die Türkei zu fliehen, nur um dann wieder zurückkehren zu müssen. Sie kommt unter bei jüdischen Freunden und Freunden von Freunden; bei kommunistischen Arbeiterfamilien; bei Lumpenproletariern, die ein verwanztes Zimmer vermieten wollen; bei einer exaltierten Künstlerin; bei Leuten, die aus purem Anstand Nazigegner sind; und sogar unter Vorwand bei einem eingefleischten Nazi. Es helfen ihr Anpassungsfähigkeit, Chuzpe, Charme und vor allem – das wird sie nicht müde zu betonen – immer wieder Glück.
Sie beendet ihre Zwangsarbeit, indem sie sich mehrmals krankschreiben lässt; und als später ein Brief vom Arbeitsamt kommt, sagt sie dem Briefträger, die Jalowicz sei in den Osten deportiert worden.
Kurioserweise kommt ihr auch die in den Berliner Arbeiter-Wohngebieten verbreitete Schoddrigkeit zugute – Säufer und Prostituierte und Arbeiter pflaumen Nazis an. Als ihr Zweck-Verlobter sie mit dem Stiefel verprügelt und sie ein blaues Auge davonträgt, ist sie regelrecht froh; denn erst jetzt sei ihr der Übergang zum Proletariat auch äußerlich anzusehen.
Und in jeder neuen Situation macht sie sich klar: Was auch immer geschieht, sie wird nicht mitgehen, wenn die Gestapo kommt. Und dann klingelt es tatsächlich eines morgens an der Tür. Sie spielt die Halbblöde, die sich für die lange Zeit der Vernehmung noch von der Nachbarin „’n Stücke Brot borgen will. Dürf ick mir det holn? So in Unterrock …. Naja, mir sieht ja keena früh um sechse, und … na, wegloofen kann ick Ihn’ ja so bestimmt nich.“ Und währen die Vermieterin lenkt den Gestapo-Mann mit weitschweifenden Gesprächen ablenkt, veralbert Jalowicz den unten wartenden Gestapo-Mann auf ähnliche Art und flieht in Unterwäsche in den frühen Berliner Morgen, wo ihr glücklicherweise ein Arbeiter hilft.
Die Odyssee ist spannend und interessant, aber leider doch irgendwie unspannend geschrieben, und es wirkt nicht, als sei es Absicht. Dem Buch liegen 77 von Jalowicz in einem sanft geführten Gespräch besprochene Tonbandkassetten zugrunde. Hätte man es nicht ein wenig straffen können?
Anscheinend begann Marie Jalowicz Simon erst in den 80ern über ihre Erfahrungen ausführlich zu sprechen. Das hat einen seltsamen Effekt: Die Perspektive bleibt die der naiven Zwanzigjährigen. Nicht nur bei ihren Feinden, sondern auch bei fast jedem ihrer Helfer und Freunde lässt sie sich despektierlich über die Äußerlichkeiten aus. Das blonde dicklich e Kind der Freundin einer Helferin wird als „der kleine Germane“ bezeichnet. Eine ebenfalls untergetauchte ungarische Familie kommt in die Wohnung und macht sich „unerträglich in der Küche breit.“ Sie übernimmt die Berliner Schnauze von damals. Nur selten relativiert sie ihre Angriffe. Die Familienfreundin Hannah Koch organisiert ihr über Jahre hinweg Lebensmittel und Geld und lässt sie gegen Kriegsende auch bei sich wohnen. Und doch unterstellt Jalowicz ihr vor allem Eigensucht. „Erst nach und nach begriff ich, dass Hannchen Koch noch etwas anderes belastete: Mit dem Krieg würde auch meine Abhängigkeit von ihr zu Ende gehen. Die grandiose Rolle der Widerstandsheldin, die diese schüchterne Frau aus armen Verhältnissen jahrelang gespielt hatte, war damit vorbei.“ Koch habe Jalowicz gebraucht, um ihre Sucht zu helfen zu auszuleben. Nicht dass man als junger Mensch – vor allem als Mensch in Not – nicht so denken kann, aber als Greisin, die auf ihr Leben zurückblickt, könnte man doch auch versuchen, die Perspektive dieser Menschen zu verstehen. Nach dem Krieg sei ihre Gefühlsverhärtung aufgebrochen. Davon merkt man wenig.
Zwischendurch viel Phrasenhaftes: Jemand „schimpft wie ein Rohrspatz“ usw.
Soziologisch interessant ist denn das Buch auch vor allem, wo es die Berliner Milieus beleuchtet: Da wird gestritten und geschlagen. Frauen müssen arbeiten, werden verprügelt. Nachbarn belauschen einander, tratschen im Hausflur. Pöbelei ist allgegenwärtig. So wirken selbst heutige Schulhofgespräche in Neukölln zivilisierter.
Das Eingesperrtsein in der DDR erwähnt das spätere SED-Mitglied überhaupt nicht.

  • Der jüdische Gynäkologe Benno Heller überredet Dutzende, wenn nicht Hunderte jüdische Frauen, unterzutauchen, bis ihn schließlich eine Jüdin, die das nur widerwillig tut und bei einer furchtbaren Vermieterin landet, verrät, weil sie meint, viel schlimmer als bei dieser Vermieterin könne es im Lager auch nicht sein. Als ihn die Gestapo abholt, ist die ganze Wohnung voller Juden, um die sich aber niemand kümmert.
  • Die in der DDR hochgelobten Kurierdienste der Bästlein-Gruppe waren Kartoffeltransporte von Marie Jalowicz. Überhaupt zweifelt sie am kommunistischen Widerstand, der wenig bewirkte als gegenseitige Selbstvergewisserung.
  • Strategie: Niemals Kontakt zu jüdischen Gruppen suchen. Die äußeren Merkmale der einzelnen Juden würden sie addieren zu einer Stürmer-Karikatur, so dass schließlich alle als Juden erkennbar wären.
  • Nach Konzerten oder Theater warteten jüdische „Greifer“ am Ausgang und verrieten die bürgerlichen untergetauchten Juden.
  • In Magdeburg fällt sie durch ihr Äußeres auf – nicht als Jüdin, sondern als Berlinerin.
  • Eine kommunistische Helferin erwirbt billig „Judenmöbel“. „Wenn ich sie nicht kaufe, nimmt sie ein anderer.“
  • Zwischendurch feiert sie irgendwann Pessach, „indem ich immer wieder den Refrain Dajenu sang.“
  • Ein Trick: Behaupten, man sei lange Koch gewesen. So kommt man an Lebensmittel.
  • Es gab eine „Markthalle“ in der Rigaer Straße. Wo?
  • In einem Haus schlägt ein Nachbar ungefragt Durchbrüche auf den Dachböden, um ihr eine Fluchtmöglichkeit zu geben, falls die Gestapo kommt.
  • Der Holländer schlägt sie, weil sie nicht seine Vorliebe für mit Kaffee-Ersatz und Zucker bestreutes Schwarzbrot teilt.
  • Sie erträgt diverse Vergewaltigungen oder Nötigungen –vorm Untertauchen, währenddessen und auch danach. Einer ihrer Helfer rächt sich so posthum an ihrem Vater, der ein Verhältnis mit seiner Frau gehabt hat.
  • Eine alte schwerhörige Helferin meint, dass 1945 die jungen Männer zum „Volks-Turm“ sollen, wo jeder eine „Panzerfrau“ bekäme.
  • Man halte sich fern von Ämtern und dergleichen: „Gehe nicht zu deinem Fürscht, wenn du nicht gerufen wirscht.“
  • Eine einfache Frau ist so beschränkt, dass sie ihre beiden Töchter Veronika nennt.
  • In den letzten Kriegstagen fährt noch eine S-Bahn nach Kaulsdorf.

Mein Senf zur Krim – 435. Nacht.

Hier, vielleicht etwas spät, mein Senf zur Krim

Was mich in den letzten Wochen am meisten an den Russland-Verstehern genervt hat, war der Verweis auf "Die Geschichte" der Krim, die ja viele im Westen ignorieren würden. Wer sich in der Politik auf Geschichte beruft, will meistens betrügen. Und je kleiner die Jahreszahl, um so sicherer kann man davon ausgehen, dass dieser Satz wahr ist. Wenn es dabei noch um Gebietsansprüche geht, kann man auch noch mit großer Sicherheit davon ausgehen, dass der, der es fordert, ein Verbrecher ist. Ja, die Krim gehörte lange Zeit zu Russland. Na und? Stettin gehörte Jahrhunderte zu Deutschland. In diesen Debatten spielt die Geschichtswissenschaft die Rolle einer Geburtshelfern des Kriegs. Beide Seiten haben immer Gute Gründe, diese oder jene Jahreszahl aus der Wünsch-dir-was-Tombola zu ziehen.
Das Problem ist nur: Wir leben nicht im Früher, sondern im Heute. Und heute gilt die Souveränität der Staaten, einschließlich ihrer Territorialgrenzen, die nur unter bestimmten völkerrechtlichen Bedingungen verändert werden können. Ein Referendum ist da kein hinreichendes Kriterium.
Die moderne Staatenordnung nach dem Ersten Weltkrieg kam mit einem Geburtsfehler auf die Welt: Bei der Zerschlagung der Imperien ist man davon ausgegangen, dass Frieden am besten durch ein ethnisch interpretiertes "Selbstbestimmungsrecht der Völker" gewährleistet sei. Und das zieht sich bis heute als Leitmotiv durch die europäische Politik.
Jugoslawiens Zerfall wurde interpretiert als Explosion eines Kessels, auf den das Tito-Regime den Deckel gehalten habe. Dabei war es der Westen, der den nationalistischen Kräften in die Hände gespielt hat. Als erstes mit der scheinbar harmlosen Anerkennung Sloweniens. "Scheinbar", weil es zwar in Slowenien kaum zu einem spürbaren Krieg gekommen war, aber wer Slowenien anerkannte, konnte ja schlecht den Kroaten die Anerkennung verweigern und so weiter und so fort. (Man stelle sich vor, die Jugoslawen hätten 1991 einen Antrag auf ein Assoziierungs-Abkommen mit der EU gestellt. Wie viel Leid wäre allen erspart geblieben.)
Mit welcher Begründung verweigert man eigentlich den nationlaistischen Basken und Katalanen ihre Unabhängigkeit? Wenn der russischen Regierung so viel am Selbstbestimmungsrecht der Völker läge, sollten sie mal Referenden in Tschetschenien oder Tatarstan abhalten. (Nicht dass ich denke, dass eine Unabhängigkeit in allen diesen Fällen die richtige Wahl wäre.)
So wie früher die Kommunisten sagten: "Wo ein Genosse ist, da ist die Partei", da sagen nun die Russen offenbar: "Wo ein Russe ist, da ist russische Interessens-Sphäre." Die Balten werden sich freuen. Und ist erst einmal die Krim gefallen, dann kann die übrige Ukraine sich schon mal auf was gefasst machen. Militärischen Beistand vom Westen kann keine ukrainische Regierung- ob mit oder ohne Faschisten als Kabinettsmitglieder – erwarten. Für Putin ist das alles auch zuhause wichtig: Er kann die Muskeln spielen lassen und den Russen zeigen, was für ein toller Hecht er ist: Nicht mal der Westen traut sich, ihm ans Rad zu pissen.
Das Völkerrecht erodiert wieder einmal. Das ist schlimmer als es sich anhört. Denn wenn man sich auf nichts gegenseitig Verbindliches mehr berufen kann, gilt nur noch das Machbare. Und das Machbare ist das, was der Stärkere machen kann.
In der Internationalen Politik unterscheidet man zwischen zwei grundlegenden Ansätzen: Dem "Realismus" und dem "Institutionalismus". Die Realisten gehen, kurz gesagt, von einem anarchischen Staatensystem aus. Kooperationen und Verträge sind allenfalls kurzfristiges Mittel zum Zweck. Wer das Interesse, die Macht und die Gelegenheit hat, die Verträge zu brechen, wird das auch tun. Die Institutionalisten hingegen betonen den Wert der Kooperation und völkerrechtlicher Verträge über das kurzfristige Ziel hinaus. Der Witz ist, dass beide Ansätze selbsterfüllende Prophezeiungen sind: Je eher ich bereit bin, der anderen Seite Vertrauen zu schenken, desto eher wird sie mir vertrauen. Umgekehrt, je eher ich bereit bin, mich über die Verträge und Konventionen hinwegzusetzen, umso eher wird das auch mein Gegenüber tun und ich werde in der Annahme des Staaten-Anarchismus bestätigt. Der Realismus ist durch die Kraft der Fakten, die er schafft am längeren Hebel. Ich kann Vertrauen schenken und trotzdem übers Ohr gehauen werden. Aber wenn ich umgekehrt Verträge breche, wird mir keiner vertrauen.
An der Erosion des Völkerrechts hat also der Westen erheblichen Anteil. Vor allem die USA. Die Vereinigten Staaten waren – mit kurzen Ausnahmen wie Wilson, Roosevelt, Carter – nie ein großer Freund des gemeinschaftlich entstehenden und durchgesetzten Völkerrechts. Nach dem Kalten Krieg hat diese Arroganz neue Züge angenommen. Aus lauter Desorientierung rief George Bush sen. zum Aufbau einer neuen Weltordnung. Schön und gut, aber der Ruf ging nicht nach Osten. Die Frage, ob man denn die Nato noch brauche, wenn der Warschauer Pakt sich auflöst, wurde nicht gestellt. Stattdessen wurde aus dem Verteidigungsbündnis ein Interventionsbündnis. Deutschland begann nach und nach die Schleusen zu öffnen: Entlastung der Nato-Einheiten in der Türkei während des 1991er Irak-Kriegs, 1991 in Kambodscha ein paar Sanitätssoldaten (um die Reaktion der Öffentlichkeit zu testen: Wer kann schon etwas gegen Sanitätssoldaten haben), die Awacs-Einsätze, bei denen sogar das Bundesverfassungsgericht eingeknickt ist und die Verfassung derart skandalös aber nachhaltig interpretiert hat, dass die Folgen bis heute spürbar sind und nicht mehr hinterfragt werden.
Präsident Clinton bemühte sich zumindest um internationale Absicherung, auch wenn die Bombardierung Serbiens völkerrechtlich zumindest zweifelhaft war. Unter George W. Bush kamen die Einpeitscher Cheney und Condoleezza Rice zum Zuge. Und mit dem Einmarsch im Irak waren alle Konventionen fallengelassen. Obama zog zwar die Truppen aus dem Irak ab, aber nun zeigt sich, dass das nur eine Frage der instrumentellen Vernunft war – mit dem Trümmerhaufen wollte man nichts mehr zu tun haben, es war schlicht zu teuer und machtpolitisch unsinnig. Aber der Einsatz von Drohnen ist zum neuen Spielzeug billiger völkerrechtswidriger Intervention geworden.
Ja, warum sollte sich Russland unter diesen Bedingungen nicht ermutigt fühlen zuzuschlagen? Der Westen kann nicht mal den Zeigefinger auf Russland richten, ohne dass drei Finger auf ihn zeigen: Die anhaltende Ethnisierung der Außenpolitik; die Selektivität, mit der der Westen auf Menschenrechte pocht oder auch nicht; die militärischen Brüche des Völkerrechts. Russland hatte die Sache ganz offensichtlich schon seit langem vorbereitet: Die Truppen waren bereit, die Abstimmungszettel gedruckt, die Logistik für die Einführung des Rubel stand.
Ach ja: Und die Jahreszahlen hatte man auch parat. 882, 1783. Nur falls jemand fragen sollte.

 

***

435. Nacht

Der Pilger lobt das eigene Land in den höchsten Tönen

"In unserem Land gibt es geräumige Häuser, reife und köstliche Früchte, zahlreiche süße Gewässer, wohlschmeckende Speisen, fettes Fleisch, viele Herden von Kleinvieh…"

Die Alte erwidert:

"… habt ihr nicht einen Sultan,  der über euch herrscht und der euch Unrecht antut, während ihr unter seiner Gewalt steht; der einem jeden von euch, wenn der sich vergeht, seine Habe nimmt und ihn vernichtet; der euch, wenn er will, aus eurfen Häusern vertreibt und mit der Wurzel ausrottet." Der Pilger antwortete: "So mag es wohl sein." Da fuhr die Alte fort: "Wenn dem so ist, so sind, bei Allah, jene Speisen der Köstlichkeit und das Leben in Herrlichkeit, ja all die Freuden und Wonnen bei Tyrannei und Bedrückung nur ein Gift von durchdringender Kraft, während unsere Speisen, die wir hier in Sicherheit genießen, ein Heilkraut sind, das Genesung schafft…"

Kurioserweise richtet sich der Erzähler (oder Schehrezâd) nun direkt an die Zuhörer oder die aktuellen Herrscher: Man brauche einen klugen und starken Herrscher, da das Volk auf Gemeinheit sinne.

Lieber hundert Jahre der Tyrannei des Sultans als ein einziges Jahr der Tyrannei des Volks untereinander. Wenn die Untertanen einander bedrücken, so setzt Allah über sei einen Sultan der Grausamkeit und einen König der Gewalttätigkeit. (…)
Da bemerkte Schehrezâd, dass der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an.

Dilemma statt Problem

Im Storytelling konzentrieren wir uns oft darauf, dem Helden ein Problem zu schaffen, das er dann zu lösen hat.
Das ist schön und gut, aber manchmal emotional ein wenig unbefriedigend. Das kann daran liegen, dass Probleme eben irgendwie gelöst werden – durch Kraft, durch Cleverness usw., aber die Katharsis, die moralische Herausforderung bleibt tendenziell flach.
Zumindest flacher als wenn wir es mit einem Dilemma zu tun haben.
Kurz zur Unterscheidung.

  • Ein Problem kann man versuchen zu lösen. Zum Beispiel: Der Held fährt nachts auf der Landstraße eine Frau an, die dabei ist zu verbluten, und auf dem Weg zum Krankenhaus geht im das Benzin aus.
  • Ein Dilemma kann man entweder nur managen oder man muss sich für eine Seite entscheiden. Zum Beispiel: Der Held fährt bei seinem Sohn im Auto mit. Der fährt eine Frau an und begeht Fahrerflucht. Wird er seinen Sohn anzeigen? ( nach Keith Johnstone)
Der springende Punkt ist: Wir haben es mit einer moralischen Zwickmühle zu tun. Der Held kann nicht beides haben.
Beispiele für problem-orientierte Storys im Film:

  • Stirb langsam 
  • Kill Bill
  • Rainman
Beispiele für dilemma-orientierte Storys:
  • High Noon
  • Der Pate
  • Hamlet
Überhaupt scheinen mir Filme, die Blake Snyder in die Kategorie „Institionalized“ beschreibt, oft mit Dilemmata zu spielen. Im Film der Pate muss sich Michael entscheiden zwischen dem klaren Wunsch, sein eigenes Leben ohne Kriminalität zu führen oder „die Familie“ zu retten.
Aber auch eher „problem-orientierte“ Filme bauen hier und da Dilemmata ein. So z.B. Pulp Fiction: Butch (Bruce Willis) entkommt der Folterhöhle der beiden Sadisten und fragt sich, ob der Marsellus Wallace, den er eben noch töten wollte, aus ihren Fängen befreien soll.
Das Dilemma lässt uns tiefer in die Abgründe des Helden schauen.

Hundert Prozent Hingabe

Geburtstagsfeier bei meiner vierjährigen Nichte. Sie und ihre Freundin beschließen am Kaffeetisch, sie seien jetzt Pferde. Und sofort ist alles an ihnen Pferd – Sprache, Bewegung, Sicht auf die Welt. Und zwar mit totaler Hingabe. Nichts Ironisierendes, keine Peinlichkeit.
In unseren Kursen versuchen wir, diese Hingabe wieder freizulegen.
Und man möchte beten, dass niemand die Spielfreude und Hingabe dieser beiden Mädchen je verschüttet.

Keith Johnstone and the servant

For Keith Johnstone the servant is the prime example of the low status. I’ve always felt there’s something wrong about it.
Charles Carson (Downtown Abbey) puts it this way: „You must remember that a good servant at all times retains a sense of pride and dignity that reflects the pride and dignity of the family he serves.“

Für Keith Johnstone ist der Diener das beste Beispiel für den Tiefstatus. Irgendwie hat mich das schon immer gestört.
Charles Carson von „Downtown Abbey“ drückt es so aus: „Sie müssen stets daran denken, dass ein guter Diener zu jeder Zeit einen Sinn für Stolz und Würde behält, der die Würde und den Stolz der Familie, der er dient, widerspiegelt.“

Lehrer hinter sich lassen.

„If I’d known Spolin’s work when I started, I probably would’ve copied her and I wouldn’t be here.“ (Keith Johnstone)
Sich selbst etwas zu erarbeiten kann oft viel weiter führen, als wenn man sich zu sehr oder zu lange an Lehrer oder Gurus hängt.
Ich ermutige meine Schüler immer wieder, selbst etwas auszuprobieren und mich als Lehrer hinter sich zu lassen.

Storytelling vs. Moment

Zu den Fragen, die mir immer wieder begegnen, seit der Zeit als ich anfing, Improtheater zu spielen, gehört auch diese: Wie können wir überhaupt im Moment sein und gleichzeitig eine gute Story improvisieren? Gibt es da nicht einen Widerspruch? Muss ich nicht doch ein bisschen planen, wenn ich einen guten „Bogen“ spannen will? Oder bleibt das Im-Moment-Sein doch die Regel Nummer Eins, und das Ergebnis mehr oder weniger Glückssache?
1. Storytelling-Mechanismen müssen zu Gewohnheiten verinnerlicht werden.
Da Storytelling, so wie andere Impro-Kompetenzen dem einen mehr, dem anderen weniger liegen, muss Storytelling auch trainiert werden. Das fängt von den einfachsten Impro-Tugenden an, z.B. nicht mit Nörgelei beginnen. Fast jeder, der ein Jahr lang improvisiert, hat diese Tugend mehr oder weniger verinnerlicht. Später wird man lernen, wie man mit dem Helden umzugehen hat, wie man Enden baut, wie man eine Story in einem bestimmten Stil oder Genre baut. Im Prozess des Erlernens dieser Fähigkeiten kann es durchaus mal passieren, dass man am Bühnenrand steht und ins Nachdenken kommt: „Wie lasse ich den Helden noch mehr erstrahlen?“ Das ist OK, aber es sollte uns klar sein, dass das Nachdenken nicht überhand nehmen darf, nicht mehr als ein, zwei Gedanken, vor allem aber dürfen wir nicht verpassen, was gerade stattfindet und nicht vergessen, was schon geschah.
2. Natürlich passiert es, dass uns Ideen zum Fortgang der Story in den Kopf schießen. Das ist nicht nur „OK“, sondern das ist auch gut. Entscheidend aber ist, wie wir mit diesen Ideen umgehen. Sie dürfen 1. nicht unsere Aufmerksamkeit für den Moment blockieren, 2. sollten wir uns nicht an sie klammern; denn dann verlieren wir den Zugang für die Optionen der Mitspieler, und 3. sollten wir sie nicht forcieren.
Ich betrachte Ideen in der Improvisation (das habe ich hier, glaube ich, schon mal beschrieben) wie Elemente, die durch den Bewusstseinsstrom fließen – spontane Assoziationen. Es ist gut, diesen Strom lebendig zu halten und ab und zu zuzugreifen. Aber lasse ihn nicht ins Stocken kommen.

Power of Limits – The Edge and the terrible low strings

It’s not your instrument. It’s how you’re using it.

„I like a nice ringing sound on guitar, and most of my chords I find two strings and make them ring the same note, so it’s almost like a 12-string sound. So for E I might play a B, E, E and B and make it ring. It works very well with the Gibson Explorer. It’s funny because the bass end of the Explorer was so awful that I used to stay away from the low strings, and a lot of the chords I played were very trebly, on the first four, or even three strings. I discovered that through using this one area of the fretboard I was developing a very stylized way of doing something that someone else would play in a normal way.“(The Edge, U2)

Großzügig mit Ideen

Der erstaunliche Rat in „Save the cat“ von Blake Snyder lautet, man solle eine Drehbuch-Idee möglichst vielen Leuten in seiner Umgebung vorstellen und ihre Reaktion testen. Er sei damit immer sehr gut gefahren. Wie argwöhnisch dagegen doch so viele sonst ihre literarischen Ideen hüten, ständig in der Angst, jemand könnte sie „klauen“.
Im Improtheater ist ja Großzügigkeit eine der Haupttugenden auf der Bühne. Aber ich freue mich auch, dass es sich in der internationalen Szene eingebürgert hat, mit Formaten großzügig umzugehen. Als äußerst produktiv und freigiebig muss man hier Randy Dixon bezeichnen, der das Projekt „Living Playbook“ begründet hat, in dem er auch viele der von ihm erfundenen Langformen gesammelt hat.
(Dem Vernehmen nach musste Johnstone dazu fast gezwungen werden, „Theatersport“ schützen zu lassen, damit in den USA nicht andere ihre Finger drauf legen. In Deutschland ist „Theatersport“ übrigens, entgegen anderer Gerüchte, frei, jede Gruppe kann sich „Theatersport Kleinsiehstenicht“ nennen.)

Hiro Onoda versus Pinocchio – 431., 432., 433., 434. Nacht

Onoda versus Pinocchio

Hiro Onoda ist tot. Der Japaner starb am 16. Januar 2014 im Alter von 91 Jahren. Angeblich an Herzversagen. Ich aber tippe auf Schlechtes Gewissen als Todesursache. Im Zweiten Weltkrieg war Onoda als Offizier des militärischen Geheimdienstes auf den Philippinen eingesetzt und kämpfte erbittert weiter. Selbst als die kaiserliche Regierung schon lange kapituliert hatte, fühlte er sich an seinen Eid weiter gebunden. Er war dem japanischen Kaiser treuer als dieser gegenüber seiner eigenen idiotischen Kokutai-Ideologie. Mit drei Kameraden hielt er im philippinischen Dschungel aus und wartete auf den Tag, an dem sich das Blatt wenden würde. Selbst als seine Kampfgefährten flohen oder starben, selbst als Flugblätter mit kopierten Briefen von der Regierung und von seiner Familie auf ihn herabregneten, hielt er durch, denn das konnte ja alles nur ein Trick sein. Eines Tages, so war er sich sicher, würden ihn die kaiserlichen Truppen raushauen, und dann würde man es den Amis so richtig zeigen. 30 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, die Amerikaner waren gerade dabei, gleich nebenan einen anderen Krieg zu verlieren, begegnete er einem japanischen Studenten, der auf der Suche nach Onoda, dem Panda und dem Yeti war. Und jetzt kamen ihm erste Zweifel. Aber erst ein unterzeichneter Befehl seines früheren Vorgesetzten Major Taniguchi konnte ihn dazu bewegen, mit dem Abbrennen philippinischer Reisfelder aufzuhören. Zu dieser Zeit trug er immer noch seine Uniform, sein Katana-Schwert, sein Gewehr sowie etwa 500 Schuss Munition und mehrere Handgranaten bei sich. Für Onoda war es die Demütigung seines Lebens: Vom Geheimdienst-Offizier zum Survival-Robinson, und sein Kaiser hatte ihn vergessen. Vor allem aber war er enttäuscht von sich selbst. Nach all den Jahren hatte er den Eid doch gebrochen.

So wie ich. Ich erinnere mich noch genau. Es war ein sonniger November-Tag im Jahre 1987, als ich bewaffnet und in Uniform schwor, der DDR „zu dienen, den Sozialismus gegen alle Feinde zu verteidigen und mein Leben zur Erringung des Sieges einzusetzen. (…)Sollte ich jemals diesen meinen feierlichen Fahneneid verletzen, so möge mich die harte Strafe des Gesetzes unserer Republik und die Verachtung des werktätigen Volkes treffen.“
Wenn ich heute einkaufen gehe oder S-Bahn fahre, sehe ich die Verachtung in den Augen der Werktätigen: „Ach!“, denkt die Edeka-Kassiererin, wenn sie bekümmert und lustlos meine westdeutschen Waren über den Scanner zieht und mürrisch „23,89“ sagt, „auch so einer, der seinen Eid damals brach und dem wir die ganze Scheiße hier zu verdanken haben.“
In meinen häufigen Alpträumen hält die gesamte DDR-Bevölkerung inne, alle drehen sich zu mir um und schütteln missbilligend die Köpfe. „Aber was hätte ich denn tun sollen!“, schreie ich sie schuldbewusst an. Dabei wird es doch am Beispiel des braven Soldaten Onoda sonnenklar: Harre aus in den Wäldern Ostdeutschlands! Das Volk der DDR ist nicht so geschichtsvergessen wie der abgehobene japanische Kaiser. Der Plänterwald zum Beispiel. Im Vergleich zum philippinischen Dschungel, das muss doch jeder zugeben, wäre es doch ein Kinderspiel, da zu überleben. Gemäßigtes Klima, keine gefährlichen Raubtiere. Und von Schlangen, Spinnen und Malaria-Mücken ausgehende Gefahr hält sich in Grenzen. Ernähren könnte ich mich von Blaubeeren, Pilzen und Eichhörnchen. Und um das Ganze ernährungsphysiologisch abzurunden könnte man sich von Zeit zu Zeit einen Abstecher zu Burger King leisten. Natürlich wäre im locker geforsteten Laubwald die Gefahr hoch, von Spaziergängern entdeckt zu werden. Aber auch dafür gäbe es eine Lösung. Ich könnte mich verkleiden als Jogger und mich unerkannt unter die Einheimischen mischen. Ohne dass sie wüssten, welche Pläne ich wirklich hege, könnte ich mir eine Wohnung in einer der nahegelegenen Straßen Treptows suchen und dort als Schläfer ausharren, bis der Wind sich dreht und die arbeitende Klasse mich ruft. Dann, Agenten des Imperialismus, geht’s euch an den Kragen.

Aber ach, welchen Wert hat denn heute noch ein Eid, ein Schwur, ein Versprechen? Im Februar 1990, kurz bevor das SED-Regime endgültig kollabierte, wurde mein Freund Willy zur NVA eingezogen. Warum er sich nicht einfach nach Westberlin verpisste, wo man dem Ruf zur Waffe bequem ausweichen konnte, ist mir bis heute unklar. Er schwor den zu jener Zeit bereits antiquiert wirkenden Eid, nur um kurz nach den Volkskammer-Wahlen im April erneut auf die DDR vereidigt zu werden, diesmal aber mit dem nach dem Minister benannten um alle sozialistischen Bezüge entschlackten Eppelmann-Eid. Der Anschluss an die alte BRD ließ nicht lange auf sich warten. Nachdem sich Willy von einem Bein-Durchschuss, den ihm ein zu drastischen Späßen aufgelegter Kamerad verpasst hatte, erholt hatte, schwor er: „Ich gelobe, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen.“ Wäre er Soldat auf Zeit gewesen, hätte er den Zusatz „so wahr mir Gott helfe“ anhängen müssen, ein Gott, den Willy für genausowenig existent hielt wie den Weihnachtsmann. Gesetzt den Fall, es gebe diesen Gott trotzdem, so könnte man fragen, ob er dem ungläubigen Willy dennoch hülfe. Aber die „ethisch-religiöse Bindungskräftigung“, wie es in den Kommentaren zum Soldatengesetz heißt, die wäre dahin.
Kritiker der Vereinigung bemerkten damals, dass die DDR sich lieber an Dänemark hätten anschließen sollen, da die dortige Mentalität eher mit der ostdeutschen kompatibel sei, was sich durch den Spruch des dänischen Film-Ganoven „Ich habe einen Plan“ und dem regelmäßigen Scheitern dieser Pläne belegen ließe. Willy, so vermute ich hätte seine Treue auch dem dänischen oder dem marokkanischen Volk geschworen.
Genaugenommen war er mit seinen drei Schwüren pro Jahr nicht einmal besonders produktiv, zumindest wenn man die heutige Schulholf-Schwörerei als Maßstab nimmt. „Chschwöre“, ist die andauernde Beteuerung des Halbstarken, dem man ohnehin kaum glaubt und der gerade deshalb seinen Gesprächspartnern immer wieder versichern muss, gerade dies Mal nun wirklich die Wahrheit zu sagen. Überhaupt scheint das der Schlüssel des Schwörens zu sein: Je größer die Anfälligkeit zum Abhauen und zur Illoyalität, umso eher muss geschworen werden. Wenn Gewehre und Kanonen auf dich gerichtet sind und die Lage aussichtslos scheint, musst du schon ordentlich mit Ehre oder Angst vollgepumpt sein, um nicht Reißaus zu nehmen. Vor Gericht wirkt sich Lügen fatal aus, was auch schon Moses wusste, als er das Lügen im Allgemeinen zwar zuließ, aber das falsch Zeugnis wider den Nächsten ablegen, verbot. Und so wird allenthalben geschworen, sobald vorne einer eine Robe anhat.
„Wo du hörest hohe Schwüre, steht die Lüge vor der Türe.“ Wo geschworen wird, herrschen Macht, Angst, Ungerechtigkeit, Unsicherheit.
Ob die Bundeskanzlerin manchmal, in diabolischen Momenten sich wünscht, sie dürfte den Nutzen vom deutschen Volke abwenden und den Schaden fürs deutsche Volk mehren? Doch dann erinnert sie sich wieder: „Ach ja, ich hab ja damals das Gegenteil geschworen. Dann wird ich wohl mal wieder ans unangenehme Tagwerk der Nutzenmehrung und Schadenabwendung gehen.“
Das in der bundesdeutschen Öffentlichkeit bekannteste Ehrenwort stammt ja bekanntlich vom Oberlügner, dem schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Uwe Barschel. „Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, dass die gegen mich erhobenen Vorwürfe haltlos sind.“ Und man erkannte damals, noch während er sprach, diese betont schlaffe Unschulds-Mimik des schlimmsten Lügners der Schule, wenn er vom Direktor ertappt wurde und nach der Unschuldsbeteuerung schnell nach rechts unten schielte.
Aber Barschel war kein Hiro Onoda. Merkel ist kein Hiro Onoda. Ich bin kein Hiro Onoda. Im Vergleich zu Hiro Onoda sind wir alle nichts als kleine Pinocchios. Und das ist vielleicht gar nicht mal so schlimm.

 

***

431. Nacht

Umständlich wie üblich berichtet Ali seiner Frau, was ihm zugestoßen ist, und wir hören es auch noch mal.
Er lässt sich in Bagdad als Kaufmann nieder und wird der berühmteste unter ihnen, so dass auch der König von Bagdad von ihm erfährt.

Was "der König von Bagdad" sein soll, habe ich nicht herausfinden können. Offenbar wohl nicht der Kalif, sonst hätten sie ihn ja so genannt. Infrage käme dann nur die vor- oder nach-abassidische Ära.

Der König lässt ihn jedenfalls holen und lobt ihn:

"Kaufmann, du hast unser Land beglückt!"

Das ist nun eine bemerkenswerte Auffassung für einen König.

Ali schenkt dem König vier goldene Platten voller Edelsteine. Dieser wiederum ist so erfreut, dass er Ali gleich seine Tochter zur Ehe anbieten will.

***

432. Nacht

Die Berater halten die Hochzeit zwischen Ali und der Prinzessin für eine gute Idee, ebenso die Gemahlin des Königs.
Ali und der "Kadi des Diwans" werden geholt.

Der Diwan ist der Hofrat der Regierung. Das wiederum macht es wahrscheinlicher, dass die Geschichte zur Zeit des Osmanischen Reichs spielt, welches ab 1534 n.Chr. Bagdad beherrschte.

Ali wendet ein, er sei ja schon verheiratet und legt dem König nahe, seinen Sohn mit ihr zu vermählen.

"Ich gewähre dir nicht nur diese Gunst, sondern ich mache dich auch zum Wesir."

Wozu? Glaubt der König, ein reicher Mann könne ihm gute Ratschläge geben oder gut mitregieren? Wieder ein schöner Fall von vor-systemischer sozialer Differenzierung: Der Kaufmann wird ohne Umschweife ob seines Reichtums zum Wesir gemacht. Sein scheinbares kaufmännisches Talent soll sich in politisches Geschick übersetzen lassen?

Man feiert die Hochzeit.

Am Ende der dreißig Tage ging Hasan, der Sohn des Wesirs, zur Tochter des Königs ein und freute sich ihrer Schönheit und Lieblichkeit.

Außerdem werden neben dem königlichen Palast zwei weitere Schlösser errichtet – eines für Ali und eines für Hasan und seine Frau.

So blieben sie beieinander in einem Leben der Glückseligkeit.

***

433. Nacht

Der König wird krank, und nach Beratung mit seinen Ratgebern beschließt er, Hasan zu seinem Nachfolger zu ernennen.

"Denn wir wissen, dass er verständig und einsichtig und in allem vollkommen ist, und er kennt den Rang von hoch und gering."

Bisher haben wir von keiner bemerkenswerten Leistung Hasans erfahren außer der Entjungferung der Königstochter. Und selbst der "Kaufmann" und "Wesir" Ali ist nicht einmal durch kaufmännische Leistungen aufgefallen. Seinen Wohlstand verdankt er dem Dämon aus dem Spukhaus. Die Qualifikation, den "Rang von hoch und gering" zu kennen, führt uns auf die Fährte: Wir sind in einer streng stratifiziert differenzierten Gesellschaft. Das Oben und das Unten ist, was zählt. Und das scheint auch in anderen Erzählungen hier immer wieder durch – zum Beispiel wenn ein verarmter Adliger aufgrund seines Verhaltens als hochstehend erkannt wird.

***

434. Nacht

Der alte König stirbt.

Und König Hasan, der Sohn des Wesirs, führte die Herrschaft; die Untertanen freuten sich seiner, und alle seine Tage waren eitel Glück. (…) Das Land gedieh, und er blieb lange Zeit hindurch König von Bagdad; und durch die Tochter des alten Königs wurden ihm drei Söhne geschenkt, die nach ihm das Reich erbten und herrlich und in Freuden lebten, bis Der zu ihnen kam, der die Freuden schweigen heißt, und der die Freundesbande zerreißt. Preis sei ihm, der da bleibet in Ewigkeit, und der durch die Macht Trennung und Einigung verleiht.

Das Irritierende an dieser Geschichte ist wieder einmal, dass sie so ganz unserem Verständnis des Storytelling widerspricht, nach dem der Held sein Leiden als Prüfung zu verstehen habe. Es gibt hier aber keinerlei Katharsis – Ali verarmt und kommt durch pures Glück zu Geld. Dies aber war "seit alters her" so vorgesehen. Alis Vater hatte für seinen Sohn gebetet. Und so kann das Ganze auch als Geschichte zum Lobpreis Allahs verstanden werden.

***

Die Geschichte von dem Pilgersmann und seiner Frau

Ein Pilgerer verliert nachts den Anschluss an seine Karawane, verirrt sich, läuft weiter und entdeckt an einem Zelt eine alte Frau mit einem Hund.
Als er sie um Essen bittet, schickt sie ihn in ein benachbartes Tal, um dort Schlangen zu fangen, die man braten könne, was er widerwillig tut. Das Wasser, das sie ihm zum Trinken anbietet, ist von beißender Bitterkeit.

"Ich wundere mich über dich, o Greisin, und darüber, dass du an diesem Orte wohnst und an solcher Stätte verweilst."

Da bemerkte Schehrezâd, dass der Morgen begann und hielt in der verstatteten Rede an.… Weiterlesen

427., 428., 429., 430. Nacht

427. Nacht

Mit dem bisschen Geld, dass die Gattin von einer Freundin leiht, begibt Ali sich auf Reisen, um einen Weg aus der Not zu finden. Von Bulak aus fährt er auf einem Schiff nach Damiette, wo ihn ein Kaufmann aus Mitleid aufnimmt. Dort bleibt er eine Weile;

aber schließlich sagte er sich: "Wie lange soll ich noch in fremder Leute Häuser wohnen?" Darum verließ er das Haus und suchte sich ein Schiff, das nach Syrien fuhr.

Für eine fiktive Geschichte macht diese Episode so gar keinen Sinn, da sie praktisch nur überbrückt. Es sei denn, der Erzähler will zeigen, dass er die Stationen einer Reise bis nach Bagdad kennt; oder dass Ali sich nun aktiv auf die Suche begibt.

Mit etwas Wegzehrung reist er nach Damaskus, wo er wieder von einem "gütigen Mann" aufgenommen wird. Eines Tages erblickt er eine Karawane auf dem Weg nach Bagdad, der er sich anschließt.
Kurz vor Bagdad wird diese von Wegelagerern überfallen. Ali flieht Richtung Bagdad und kommt gerade vor Sonnenuntergang am Haupttor an, wo er dem Torwächter vom Überfall erzählt, allerdings gespickt mit der Flunkerstory, er habe

Waren, Maultiere, mit Lasten, Sklaven und Diener.

Der Torwächter bietet ihm seine Hilfe an und macht ihn mit einem Kaufherren aus Bagdad bekannt, der ihn einkleidet und ihn ins Badehaus führt.

Die Erzählperspektive wechselt nun seltsamerweise bis zum Ende der 427. Nacht:

"Ich ging nun", so erzählte Ali aus Kairo, der Sohn des Kaufmannes Hasan, des Juweliers, "mit ihm ins Badehaus…"

Als sie wieder herauskommen, gibt er ihm einen Sklaven namens Mas’ud mit, er möge am anderen Ende der Stadt sich eines von zwei Häusern für die Unterkunft aussuchen. Allerdings steht ein großes drittes daneben, das der Sklave aber nicht aufschließen möchte:

"Weil es dort spukt. Jeder, der dort nächtigt, ist am andern Morgen tot. Wir öffnen auch nicht einmal die Tür, um den Toten hinauszuschaffen, sondern wir steigen auf das Dach eines der beiden anderen Häuser und holen ihn von dort aus herauf."

Kann ich mir nicht bildlich vorstellen.
Die Richtung der Geschichte scheint sich an dieser Stelle abrupt zu ändern. Von einer Moral-Geschichte in eine Spukgeschichte. Oder sollte beides noch verknüpft werden?
Als Grimm-Sozialisierter denkt man natürlich gleich an "Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen".

Ali besteht darauf, in dem großen Haus zu nächtigen.

Denn ich sagte mir in meinem Herzen: "Das ist es, was ich suche! Ich will dort nächtigen, und dann bin ich morgen früh tot und kann von all dieser Not, die ich leide, ausruhen."

***

428. Nacht

Der Kaufmann willigt nur unter der Bedingung ein:

"Stelle mir eine Urkunde aus, dass ich nicht für dich verantwortlich bin, wenn dir etwas zustößt." – "So sei es!", erwiderte Ali. Darauf ward ein Zeuge vom Gericht geholt, und Ali stellte dem Kaufmann die Urkunde aus; der nahm sie in Empfang und gab dem Ägypter den Schlüssel.

Ali befreit ihn sozusagen per Vertrag von der Haftpflicht. Was mit dem "Zeugen" gemeint ist, ist unklar. Vielleicht eine Art Notar?

Nach der zeremoniellen Waschung, den obliegenden Gebeten und dem Abendessen beschließt er "oben" zu schlafen.

Dort entdeckte er eine prächtige Halle, deren Decke vergoldet und deren Boden und Wände mit buntem Marmor bedeckt waren. Er breitete sein Lager aus und setzte sich nieder, indem er Sprüche aus dem hochherrlichen Koran sprach. Doch ehe er sich dessen versah, rief plötzlich ein Wesen die Worte: "O Ali, o Sohn des Hasan, soll ich dir das Gold hinabsenden?"

Das Gold fließt auf Ali herab, und der Geist erklärt,

"dies Gold ist ein Schatz, der von alters her auf deinen Namen verzaubert war."

Dies ist natürlich nur denkbar, wenn man prädestinativ denkt; denn der Schatz muss ja dort liegen, bevor an Alis Geburt überhaupt nur zu denken war.
Unklar: Ist der Geist, der hier den Schatz bewacht, ebenfalls "von alters her" hier? Ist der Schatz älter als das Haus?

Und deshalb wurden alle anderen Besucher getötet. Der Geist eröffnet ihm, es läge für ihn noch ein Schatz im Jemen, und bittet darum, freigelassen zu werden. Aber Ali verlangt von ihm, den jemenitischen Schatz herbeizuholen und ebenso Weib und Kind. Der Geist bejaht.

Dann nahm er Urlaub von ihm auf drei Tage, innerhalb deren all dies bei ihm sein sollte, und eilte fort.

"Urlaub"? Siehe dazu Grimms Wörterbuch

Am frühen Morgen sucht und findet Ali hinter einer Marmorplatte ein Versteck für den Schatz.
Dann setzt er sich auf die Bank und wartet auf den Sklaven des Hausherrn.

Allein wie der ihn dort ruhig sitzen sah, lief er eilends zu seinem Herrn zurück.

***

429. Nacht

Dem Kaufmann verrät Ali nichts vom Erlebten. Aber nun dreht sich seine Lüge gegenüber Kaufmann und Torwächter zur Wahrheit: Seine Güter treffen innerhalb von drei Tagen ein. Man erblickt eine Staubwolke am Horizont.

die tat sich aber auf, und es erschienen unter ihr Maultiere, Männer, Packleute, Zeltaufschläger und Fackelträger, die singend und tanzend daherkamen.

Ausgestorbene und gleichzeitig unklare Berufe: Zeltaufschläger.
Die Diener kommen singend und tanzend daher, da sie angesichts der Stadt das Ende der Reise (und ihrer Plackerei) feiern.

***

430. Nacht

Die Kaufleute der Stadt schicken ihm Geschenke.

Unklar: Warum tun sie das? Vielleicht, um ihn in ihrer Mitte willkommen zu heißen? Oder eigennützig gedacht: Um sich bei ihm einzuschmeicheln?

Der gastgebende Kaufmann bleibt noch bei Ali, und dieser beauftragt ihn, den Eunuchen und Sklaven mit den Mauleseln Gelegenheit zu geben, sich auszuruhen.

Sie konnten kaum warten, bis er ihnen die Erlaubnis dazu gab, und so nahmen sie alsbald Abschied von ihm, zogen zur Stadt hinaus und flogen durch die Luft zu ihren Stätten davon.

Also sind auch diese Geister?

Als sie allein sind, berichtet Alis Weib ihm, wie sie und ihr Sohn sanft durch die Luft geflogen wurden. Ali zu ihr:

"Das alles ward uns durch die Güte Allahs des Erhabenen zuteil."

Wer den Schatz verzaubert hat und ihn an den Geist gebunden hat, bleibt im Dunklen. Allah selber?

Playing mean characters

„If you play a character who is really mean and ugly, you should find something good in the man. And if you’re playing someone who is really, really wonderful and noble, you should find something dark in the man.“ (Michael Madsen about Steve McQueen’s acting)
http://www.youtube.com/watch?v=KL1ruc_F-hI
(20:30-21:00)

Marlon Brando’s last role

In 2004 Marlon Brando’s health was declining dramatically. He had to use an oxygene flask. Still, he took a role in the animated comedy „Big Bug Man“. Offered the role of an overweighed candy store owner, Brando instead chose the role of a sweet elderly woman, named Ms. Sour.
„As we were entering the house, he was sitting there, head to toe dressed as closely as possible to what he felt the live action version of his character would look like: Gigantic blonde curly whig, full make up, glasses, earrings, necklace, turcoise and gold moo moo, black gloves at elbow length, jewelry… He was a woman. He wasn’t campy, he wasn’t doing any of the cliches that anyone would think a man could fall into. He didn’t fall into that trap. He had created a full, rich, adorable, interesting, unpredictable character.“
1:18:28 – 1:20:00

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423., 424., 425., 426. Nacht

423. Nacht

Die gelehrte Frau fährt fort:

"Und auch der Prophet – Allah segne ihn und gebe ihm Heil! – hat gesagt: ‚Der Dinge, die ich in eurer Welt am liebsten habe, sind drei: die Frauen, die Wohlgerüche und mein Augentrost im Gebet."

Und sie rezitiert ein Gedicht gegen die Homosexualität:

Des Mannes Sehnsucht nach dem Rücken ist ein Rückgang;
Doch wer die freie Frau liebt, ist ein freier Mann.
Wie schön ergeht es dem, der bei dem Schwarzaug nächtigt,
Der Gattin, deren Blick ihm Seligkeit gewann.

Hier merkt der Übersetzer (Littmann) an: "In fünf weiteren ‚trefflichen Versen‘ werden diese Dinge noch näher ausgeführt; doch diese Verse sind so abstoßend, dass sie sich etwa nur mit Juvenals lateinischen Versen wiedergeben ließen."
Es fragt sich, ob er sich dann überhaupt aufs Übersetzen hätte einlassen sollen. Oder sollte Littmann immer noch von der Angst vor Zensur geprägt gewesen sein, die zum Zeitpunkt der Veröffentlichung aber nicht mehr gegriffen hätte? In der englischen Übersetzung Burtons lauten die Verse so:

Men’s turning unto bums of boys is bumptious;
Whoso love noble women show their own noblesse.
How many goodly wights have slept the night, enjoying
Buttocks of boys, and woke at morn in foulest mess
Their garments stained by safflower, which is yellow merde;
Their shame proclaiming, showing colour of distress.
Who can deny the charge, when so bewrayed are they
That e’en by day light shows the dung upon their dress?
What contrast wi‘ the man, who slept a gladsome night
By Houri maid for glance a mere enchanteress,
He rises off her borrowing wholesome bonny scent;
That fills the house with whiffs of perfumed goodliness.
No boy deserved place by side of her to hold;
Canst even aloes wood with what fills pool of cess!

Nichts da von Schwarzaug und Gattin! Stattdessen krasse Vulgarität. Die letzten zwei Verse hat sich Littmann also aus den Fingern gesogen!

Die Weise schließt an mit den Worten:

"Ihr Leute, ihr habt mich herausgetrieben aus den Regeln der Sittsamkeit und aus den Grenzen der edlen Weiblichkeit, so dass ich hässliche Worte in den Mund genommen, die den Weisen nicht frommen. Doch in den Herzen derer, die edelgeboren, sind die Geheimnisse wie in Gräbern verloren (…)" Darauf schwieg sie und gab uns keinerlei Antwort mehr. Nun machten wir uns auf und verließen sie, erfreut über den Nutzen, den wir durch den Wortstreit mit ihr empfingen, aber traurig, dass wir von ihr gingen.

***

Die Geschichte von Abu Suwaid und der schönen Greisin

Abu Suwaid erblickt in einem Garten

eine alte Frau, die ein schönes Antlitz hatte; doch ihr Haar war schon weiß geworden, und sie kämmte es mit einem Kamme aus Elfenbein.

Er fragt sie, warum sie sich die Haare nicht färbe.

***

424. Nacht

Sie antwortet

Ich färbte, was die Zeiten färbten. Was ich färbte,
War nicht von Dauer; doch es blieb der Jahre Färben.
Als ich noch einst im Kleid der Jugend stolz einherschritt,
Da konnt ich vorn wie hinten Freude mir erwerben.

Ist es so obszön gemeint, wie es dem aufgeschlossenen Leser erscheint? Die Antwort gibt Abu Suwaid selbst:

"Vortrefflich, du edle Greisin! Wie aufrichtig warst du in deiner Sehnsucht nach verbotenem Gut, und wie verlogen wärest du, wenn du behauptetest, dich reue der Übermut!"

***

Die Geschichte von dem Emir Ali ibn Mohammed und der Sklavin Munis

Der Emir kauft die wohlgebildete Sklavin Munis für siebzigtausend Dirhems, nachdem sie folgenden Dialog in Versen miteinander wechseln.

Was sagst du nur von dem, an dem die Krankheit frisst
Um deiner Liebe willen, so dass er ratlos ist.

Sie antwortet:

Wenn wir den, der liebt, in seinem schweren Leid
Der Liebe schaun, so sei ihm unsre Huld geweiht.

und er zeugte mit ihr den Obaidallâh ibn Mohammed, einen Mann, der treffliche Eigenschaften besaß.

Und das war schon die ganze Geschichte.

***

Die Geschichte von den beiden Frauen und ihren Geliebten

Abu el Ainâ berichtet, zwei Frauen im Disput über ihre Geliebten belauscht zu haben. Die eine mit jungem, die zweite mit älterem Geliebten. Die mit dem jüngeren stört sich am stachligen Bart älterer Männer und bevorzugt den Flaum der jungen.

(Im Grunde werden hier nur die Argumente der Frau mit dem reiferen Geliebten wiedergegeben.) Ich wähle hier mal aus:

"Weißt du nicht, dass der Bart für den Mann das gleiche ist, was die Schläfenlocken für die Frau sind? (…) Du Törin, wie könnte ich daran denken, mich unter einen Knaben zu betten, der eilig sein Werk tut und schnell erschlafft? Und von einem Manne lassen, der, wenn er Atem holt, mich umfasst; wenn er eindringt, gemach handelt; wenn er fertig ist, wiederkehrt; wenn er sich bewegt, vortrefflich ist; und sooft er sein Werk beendet hat, wieder von neuem beginnt."

Die Geliebte des Knaben:

"Ich schwöre meinem Geliebten ab, beim Herrn der Kaaba!"

(= Allah)

Hier enden vorerst die Liebes-Anekdoten, und es beginnt endlich mal wieder eine etwas längere Geschichte.

***

Die Geschichte von dem Kaufmanne Ali aus Kairo

Ein reicher Kaufmann in Kairo namens Hasan wird "der Juwelier aus Bagdad" genannt. Er spürt sein Ende kommen und ruft seinen Sohn Ali zu sich.

Wenn man die bisherigen Story-Inhalte verfolgt, müsste ihm der Vater nun Mahnungen auf den Weg geben, die dieser in den Wind schlägt.

***

425. Nacht

Und tatsächlich: Nachdem Hasan ihn seine Ländereien und Güter aufzählt, ermahnt er ihn zu Gottesfurcht, Barmherzigkeit, gutem Umgang, Liebe.

Darauf begann der Kaufmann das Glaubensbekenntnis zu sprechen und Koranverse zu sagen, bis die Stunde da war; dann sprach er zu seinem Sohne: "Tritt nahe zu mir, mein Sohn!" Nun trat Ali nahe zu ihm: Der Vater küsste den Sohn und tat den letzten Seufzer. Seine Seele entfloh seinem Körper, und er ging ein zur Barmherzigkeit Allahs.

Stephen Cave beschreibt vier Story, mit denen wir hoffen, den Tod zu überlisten: 1. Die Elixir- oder Jungbrunnen-Story (inklusive Wundermedizin-Geschichten), 2. Auferstehungs-Story (inklusive Einfrierungs-Storys), 3. Die Geschichte der Seele, 4. Vermächtnis-Storys (an die sich auch einige Künstler-Kollegen klammern).

 

Der Vater wird in einer riesigen Zeremonie bestattet, und Ali hält nicht nur die vorgeschriebenen vierzig Tage Trauerzeit ein, sondern trauert auch noch darüber hinaus und besucht an jedem Freitag das Grab des Vaters.

Zur Zahl 40 gibt es verschiedene Angaben: Sie taucht in vorjudäischen Religionen auf, aber auch in der russischen Orthodoxie, in der muslimischen Praxis und scheint auch den psychologischen Prozess des Trauerns zu umfassen: Man braucht eben so lange, um die Phasen der Trauer soweit durchschritten zu haben, bis sich Akzeptanz festigen kann.

Irgendwann drängen die Freunde ihn, seine Geschäfte wieder aufzunehmen.

Doch wie sie so bei ihn waren, war auch der verfluchte Teufel unter ihnen, der ihnen einflüsterte; und während sie ihn zu überreden suchten, mit ihnen zum Basar zu gehen, versuchte der Teufel ihn so lange, ihnen nachzugeben, bis er einwilligte, mit ihnen das Haus zu verlassen.

Unklar: Wieso sollte es teuflisch sein, nach der vorgeschriebenen Trauerzeit, wieder die Geschäfte aufzunehmen?

***

426. Nacht

Aber sie führen ihn nicht zum Basar, sondern zu einem Garten, wo

sie aßen und waren guter Dinge und saßen plaudernd zusammen, bis der Tag zu Ende war.

Und so bedrängen sie ihn jeden Tag, nötigen ihn zum Weinkonsum, und irgendwann ist Ali mit Einladen dran. Ali verschwendet allmählich sein Geld, obwohl ihn sein Weib an die Ermahnungen des Vaters erinnert.

Sie begaben sich zur Nilinsel er-Rodâ und zum Nilmesser. Dort blieben sie einen ganzen Monat bei Speise und Tran und Saitenklang und Fröhlichkeit.

 

Dieses Leben führt er nun drei Jahre. Als das Geld zu Ende geht, verscherbelt er die Juwelen, dann die Häuser und Grundstücke, dann die Gärten und Landhöfe, dann den Marmor und das Holzwerk aus seinem Haus, und schließlich das Haus selbst. Seine Freunde lassen ihn schließlich, als er arm ist, im Stich.… Weiterlesen