Die Show von Foxy Freestyle am letzten Freitag gehörte zu den besten der letzten Monate, und zwar sowohl aus unserer als auch (so weit sich das aus dem unmittelbaren Feedback nach der Show herleiten lässt) aus Publikums-Sicht. Ein kleiner Trick, den wir angewandt haben, war, dass wir uns selbst vor der Show gegenseitig kleine unverbindliche Vorgaben gegeben haben, die unser Spielen fokussierten, z.B.: „Lass deinen Character irgendwann von einer Kuh inspirieren.“ oder „Sortiere Blutproben.“ Diese kleinen Aufgaben wurden bilateral gestellt, d.h. die anderen Spieler wussten auch nichts davon.
Gerade die Szenen, in denen diese Anweisungen befolgt wurden, hatten eine große Kraft.
Tunten
Als ich am letzten Freitag in einer Nebenrolle einen Club-Manager spielen musste, legte ich ihn stark tuntig an – einfach als Kontrast zu den bereits etablierten Macho-Typen. Der Jubel war erwartbar stark.
Hinterher fragte ich mich: Wie oft habe ich in den letzten 10 Jahren auf der Impro-Bühne eine Tunte gespielt? Man kann’s wahrscheinlich an einer Hand abzählen. Die Schnelligkeit und Billigkeit des Lachers will ich eigentlich nicht haben. Andererseits ist’s auch wieder OK, wenn man so etwas sparsam einsetzt, nicht um des Effekts willen und die Story nicht aus dem Auge verliert.
Hitchcock – Suspense und Voyeurismus
Suspense
Das wohl wichtigste Stilmittel Hitchcocks ist die herausgearbeitete Spannung i.e.S. Suspense. Rätsel und Neugier sind relativ uninteressant, Überraschungen nur die Schluss-Synthese.
Der Zuschauer weiß mehr als die handelnden Personen, und in der Regel staut sich der Suspense in Gefahren-Situationen auf. Die Auflösung kommt (a) als Erleichterung oder (b) als Schock daher.
(a) Erleichterung: In „Marnie“ sehen wir, wie Marnie heimlich und leise nach Feierabend einen Tresor ausräumt. Parallel – fast als Split Screen, de facto aber in einer Einstellung – sehen wir im nebenan befindlichen Büroraum eine Putzfrau sich nähern. Wir fiebern mit der Kriminellen mit und hoffen, sie wird nicht erwischt. Tatsächlich gelingt es Marnie, unbemerkt aus dem Tresorraum zu kommen, sie zieht sich die Schuhe aus, um von der Putzfrau nicht gehört zu werden. Doch dann fällt ihr der Schuh, den wir in Großaufnahme sehen, aus der Manteltasche. Nichts passiert: Die Putzfrau ist schwerhörig.
(b) Schock: In „Die Vögel“ greifen die Möwen das Stadtzentrum an. Ein Element inmitten des irren Chaos: An einer Tankstelle verliert eine Säule massig Benzin. Die Passanten haben sich in Panik in ein Diner zurückgezogen. Sie sehen einen Autofahrer, der an der Tankstelle aussteigt und sich eine Zigarre anzündet. Hilflos schreien sie ihm durch die geschlossenen Fenster zu, er möge das Streichholz nicht wegwerfen. (Als Zuschauer beobachten wir die Beobachter.) Und rumms! schon ist es geschehen – das Auto explodiert.
Voyeurismus
Am deutlichsten herausgearbeitet in „Rear Window“ (Fenster zum Hof). Der selbstgerechte Fotograf glaubt, einem Mord auf der Spur zu sein. Aber seine Mittel sind natürlich äußerst zweifelhaft. Und dennoch fiebern wir – die Beobachter des Voyeurs – mit ihm mit.
In „Psycho“ beobachtet Bates die sich ausziehende Marion, und im Grunde sind wir auf seiner Seite: Auch wir sehen ihr gern dabei zu.
Normale Menschen in ungewöhnlichen Situationen
In „Der unsichtbare Dritte“ wird Cary Grant für einen Agenten gehalten. In Psycho wird die unscheinbare Sekretärin Opfer eines Psychopathen. In „The wrong man“ wird Henry Fonda für einen Killer gehalten.
MacGuffin
Ein Objekt oder ein Detail, das die Handlung vorantreibt und die Charaktere zum Handeln zwingt, das aber an sich völlig unerheblich ist. In „Der unsichtbare Dritte“ sind es völlig undefinierte „Staatsgeheimnisse“, in „Berüchtigt“ Uran-Erz.
Hitchcock – wiederholte Inhalte und Charaktere
– heimliches Beobachten
– visuell-sexuelle Metaphern
– falsche Identität
– Flucht
– Helden werden oft allein gezeigt.
– Frauen spielen ein doppeltes Spiel: Agentinnen, Diebinnen
– dominante Mütter
– Männer unter falschem Verdacht
– Liebe in gefährlichen Situationen
– Psychoanalyse
– Obsessionen und Ängste
– Geheimdienste und Verschwörungen (Wobei es nie um die Aufdeckung geht; die Verschwörung ist nur ein Mittel, um Suspense zu erzeugen.)
Hitchcock Kap. 11.1
Aus Truffaut: „Wie haben Sie das gemacht, Mr. Hitchcock“
(Zu „Rear Window“)
H: James Stewart schaut zumn Fenster hinaus und sieht zum Beispiel ein Hündchen, das in einem Korb in den Hof hinuntergetragen wird. Wieder Stewart, er lächelt. Jetzt zeigt man anstelle des Hündchens ein nacktes Mädchen, das sich vor einem offenen Fenster dreht und wendet. Man nimmt wieder dieselbe lächelnde Großaufnahme von James Stewart, und jetzt sieht er aus wie ein alter Lüstling.
…
H: Auf der anderen Seite des Hofes haben Sie alle Arten menschlichen Verhaltens, einen kleinen Verhaltenskatalog. Das musste man unbedingt so machen, sonst wäre der Film ohne Interesse gewesen. Was man auf der Hofmauer sieht, ist eine Fülle kleiner Geschichten, es ist der Spiegel einer kleinen Welt.
T: Und alle diese Geschichten haben als gemeinsamen Nenner die Liebe.
(DR: Das erinnert natürlich an unsere Impro-Langformen wie Harold und entsprechende Abwandlungen.)
H: Und es gibt hier dieselbe Symmetrie wie in Shadow of a Doubt. Auf der einen Seite das Paar Stewart-Kelly, er mit dem Bein in Gips, während sie sich frei bewegen kann, und auf der anderen Seite des Hofes die kranke, ans Bett gefesselte Frau, deren Ehemann kommt und geht.
Eins hat mich an dem Film wirklich unglücklich gemacht, die Musik. (…) Auf der anderen Seite des Hofs gab es den Musiker, der sich betrank. Ich wollte, dass man hörte, wie er sein Lied komponiert, es entwickelt, und den ganzen Film hindurch sollte man die Entwicklung des Liedes mitverfolgen können, bis es schließlich in der Schlussszene mit Orchester von einer Platte kommt.
…
T: Mir fällt eine Sache ein, die bestimmt eine Regel ist bei Ihrer Arbeit. Sie zeigen den ganzen Dekor immer erst im dramatischsten Augenblick einer Szene. In The Paradine Case, wenn Gregory Peck gedemütigt weggeht, sieht man ihn von ganz weit weg, und dabei sieht man den Gerichtssaal, in dem man sich schon seit fünfzig Minuten befindet, zum ersten Mal ganz. (…)
H: Es kommt immer wieder darauf an, die Größe der Bilder im Verhältnis zu ihrem dramatischen und emotionellen Zweck auszuwählen und nicht in der Absicht, nur einen Dekor zu zeigen.
…
T: Die Exposition des Films ist ausgezeichnet. Es geht los mit dem schlafenden Hof, dann gleitet die Kamera auf Hames Stewarts schweißgebadetes Gesicht, schwenkt über sein Gipsbein, dann auf seinen Tisch, auf dem ein zerbrochener Fotoapparat liegt, und an der Wand sieht man Fotos von sich überschlagenden Rennwagen. In dieser ersten Begegnung erfährt man sofort, wo man ist, wer die Person ist und was ihr Beruf ist und was passiert ist.
H: Das heißt, die Mittel zu verwenden, die im Kino zur Verfügung stehen, um eine Geschichte zu erzählen. Das finde ich interessanter, als wenn jemand James Stewart fragen würde: „Wie haben Sie sich das Bein gebrochen?“ (…) Das wäre doch eine banale Szene. Für einen Szenaristen finde ich, ist es eine Todsünde, wenn man vor einer Schwierigkeit steht und sagt: „Das kriegen wir schon durch einen Dialogsatz.“
…
T: Was so toll an dem Film ist: wie Sie die Idee [des Eherings als Mord-Indiz] ausgeschmückt haben. Grace Kelly möchte, dass James Stewart sie heiratet, aber er will nicht. Sie dringt in die Wohnung des Mörders ein, um ein Indiz gegen ihn zu finden, und sie findet den Ehering seiner Frau. Sie steckt sich den Ring an den Finger und hält ihre Hand auf den Rücken, damit Stewart von der anderen Seite des Hofes her den Ehering durchs Fernglas sieht. Für Grace Kelly ist es ein doppelter Sieg, sie hat Erfolg mit ihren Nachforschungen, und sie bringt es fertig, dass Stewart sie heiratet. Sie hat den Ring schon am Finger.
H: Genau das ist es. Das ist die Ironie der Situation.
Hitchcock Kap. 10
Aus Truffaut: „Wie haben Sie das gemacht, Mr. Hitchcock“
H: Niemand sonst interessierte es, die Regeln zu studieren.
T: Welche Regeln?
H: Die Regeln des Suspense.
…
T: In ihren Filmen begibt sich oft jemand irgendwohin, und dort erwartet ihn eine Überraschung. Ich glaube, in solch einem Fall (…) schaffen Sie immer eine Ablenkungs-Suspense, damit die Überraschung gleich darauf vollkommen ist. (…) So dringt [in Strangers On A Train] Guy nachts in das Haus ein. Er muss in die erste Etage, in das Zimmer von Brunos Vater. Würde er ruhig die Treppe hinaufgehen, so würde der Zuschauer versuchen, weiterzudenken, und vielleicht käme er darauf, dass nicht Brunos Vater ihn oben an der Treppe erwartet, sondern Bruno selbst. Aber darauf kommt man unmöglich, weil Sie einen kleinen Suspense einbauen mit einem großen Hund, der mitten auf der Treppe steht, und einen Augenblick lang ist es die Frage, ob der Hund Guy vorbeilassen wird, ohne ihn zu beißen.
…
H: Das große Problem bei Filmen dieser Art [Filme mit stringentem Plot] ist, dass aus den Hauptpersonen zu leicht bloße Figuren werden.
…
T: Man spürt deutlich, dass hier der Schurke Ihre Sympathie hatte.
H: Natürlich, das ist ganz klar.
…
H: [Agenten legen mir meistens Geschichten vor] mit Gangstern oder Berufsverbrechern oder ein Whodunnit, das heißt Dinge, die ich nie anfasse.
(DR: Vielmehr geht es um die menschlichen Abgründe, was Hitchcock eben oft so weit treibt, dass man gar nicht kann, als mit dem Verbrecher mitzufiebern.)
H: Wenn wir an einem Drehbuch arbeiten, ist der Satz, der am häufigsten vorkommt: „Wäre es nicht amüsant, wenn er auf diese Weise umgebracht würde?“
…
H: Wenn man aus Psycho einen ernsten Film machen wollte, würde man einen klinischen Fall zeigen. Dann dürfte man weder Rätsel noch Suspense in die Sache hineinbringen. (…) Man kommt also in den Grusel- und Suspense-Filmen nicht ohne Humor aus.
Money pressure & Creativity
Grace Kelly: „Where does a man get inspiration to write a song like that?“
James Stewart: „Well, he gets it from the landlady once a month.“
(in Hitchock’s „Rear window“)
Bühnenmagie
Was erzeugt die Magie der Bühne, was zerstört sie? Mit Bestimmtheit kann ich es noch nicht genau sagen. Hilfreich ist sicherlich ein klarer Bühnenfokus. Scheinwerfer, die sich bestenfalls auch verschiedenen Stimmungen anpassen oder diese erzeugen, helfen auf jeden Fall. Neulich wollte bei einem Gala-Auftritt keine rechte Stimmung aufkommen. Ein Grund war sicherlich, dass wir unter diffusem Licht spielen mussten. Was das Licht betrifft, war bisher die Scheinbar in Berlin sicherlich mein Lieblings-Impro-Ort. Dem Fokus hilft es aber auch, wenn das Publikum nicht verstreut oder an Tischen sitzt. Wenn andere optische Eindrücke ablenken, verliert das Bühnengeschehen an Bedeutung. Ein überfüllter Raum ist zwiespältig, da stehende oder auf dem Boden hockende Zuschauer an der mangelnden Bequemlichkeit leiden, aber fast immer entsteht bei solchen Veranstaltungen ein Publikums-Gefühl, hier geschehe gerade etwas ganz besonderes. Intensiv habe ich das als Zuschauer bei den Veranstaltungen der Reformbühne im Schokoladen erlebt. Später in extremster Form bei der Chaussee der Enthusiasten, als Zuschauer sogar noch Eintritt bezahlen wollten, um auf der Kellertreppe sitzen zu dürfen, wo sie nur einen vagen akustischen Eindruck dessen erhaschen konnten, was die meist halb-defekte Box noch in den Hinterraum herüberließ. Sehen konnte uns oft gerade mal die Hälfte der Zuschauer. Nebengeräusche sind vor allem für sanfte Passagen ungemein störend. Ich habe es nie verstanden, warum es sich einige Lesebühnen gefallen ließen, dass während der Veranstaltung an der Bar gequatscht wurde. Beim Improtheater sind solche akustischen Störungen sanfter Szenen natürlich noch schlimmer. Man wird aus der Phantasie der etablierten Welt herausgerissen. Plötzlich sehen wir nicht mehr zwei Gangster in einem Krankenhaus, sondern zwei Pantomimen, die auf einer Bühne so tun als ob. Angenehme Bühnen versprühen Charme und inspirieren die Schauspieler, schwierige Bühnen banalisieren die Darstellung.
Sieben Elemente der Improvisation nach Dave Morris.
1. Spiel
2. Lass dein Scheitern zu.
3. Hör zu (Man hört nur dann wirklich zu, wenn man bereit ist, sich zu verändern.)
4. Sag Ja.
5. Sag Und.
6. Spiel das Spiel.
7. Hab Spaß.
Western – Ergänzung
Hatte hier vor längerer Zeit mal eine umfangreiche Zusammenstellung der Western-Merkmale gegeben: http://improgedanken.blogspot.com/2010/03/western-fur-impro.html Gestern fragte ich mich, ob (unabhängig vom Improtheater) ein Western eigentlich auch woanders spielen könnte als in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Westen der USA. Die vorläufige Antwort lautet Nein. Die historische Situation ist einmalig, und es kommen mehrere Faktoren zusammen, die das Thema ausmachen: – Wir sehen die Landnahme in der gefährlichen Wildnis und den beginnenden Aufbau von Zivilisation. – Die Protagonisten tragen Waffen. – Wir sehen dem Übergang von Rechtlosigkeit zu moderner, bürgerlicher Rechtstaatlichkeit zu. Alles, was vor und nach dieser Zeit spielt, ist eigentlich nur noch mit Abstrichen als Western zu bezeichnen. Und dass es diese Kombination von Ereignissen gleichzeitig woanders gegeben hätte, ist mir zumindest nicht bekannt.
Use your space
„You played in very small rooms, and that’s where Mick Jagger’s style comes from?“
„Oh yes, I’ve always said that. Mick could work this table here [Keith points on the small table in front of him] better than anybody in the world, because there was nowhere else to go. So he would put energy and interest into that small spot.“
(Interview with Keith Richards)
Plot vs. Story
Es ist gut, sich von Zeit zu Zeit mit Plottechniken zu beschäftigen. Aber letztlich zählen Dinge wie Rhythmus, Charaktere, Stimmung.
Melodram vs. controversy | Kubrick vs. Spielberg
A few weeks ago I wrote here that ambitious improv theater tends to be melodramatic. I guess this is because the endings are to comforting. Why don’t we leave some space for controversy?
Moderation – Frechheit und Freundlichkeit
Wie frech kann man als Moderator sein? Kann man das Publikum auch mal vor den Kopf stoßen? So weit, dass es über nette „Frechheit“ hinausgeht?
Ich denke, es funktioniert eine ganze Menge, solange man auf der Seite des Publikums ist. Umgekehrt funktionieren alle Nettigkeiten nicht, wenn man von oben herab belehrend wirkt.
Jedes Mal aufs Neue frisch das Publikum zu lesen, das ist die große Kunst.
Rhythm
Question: „In all your films, the pacing is very quick. Do you have the actors deliver their lines faster?“
Billy Wilder: „Well, there is a sort of a misconception that pace and quickly speaking is the same thing. You can have pace by people not speaking quickly. It depends on the cut. It depends on the rhythm of the thing, because leisurely moments, silent moments, they have much more power, but certain pictures have to be played at a good clip. But pace and actors just rattling things off…, you know, don’t confuse that.“
Massage
Woher nur kommt dieser Drang von Improspielern, einander in der Szene zu massieren, wenn sie nicht weiter wissen? (Selbst bei Profis neulich wieder gesehen.)
Witzig popitzig
„Charaktere müssen im Lustspiel sein,
nicht bloßer Witz, wie keck er auch sprühe.
Tu ein Stück Fleisch in den Topf hinein,
das Salz allein gibt schlechte Brühe.“ (Heyse)
Improvisierte Grenzüberschreitung 1912
Karl Valentin berichtet, dass er 1912 in der Singspielhalle auftrat und den Besitzer mehrmals bat, die Bühne erneuern zu lassen. Endlich gab dieser nach. Es wurde entschieden, dass der Abriss der alten Bühne direkt nach der Vorstellung begonnen werden sollte, die Arbeiter würden, wenn sie rund um die Uhr arbeiten würden, die neue Bühne bis zum nächsten Tag errichtet haben.
Valentin hatte nun den Einfall, die Bühne nicht erst nach der Vorstellung, sondern schon währenddessen abzureißen.
„Wir hatten als Schlusskomödie eine Bauernszene, bei der ein Bauer zu spät nach Hause kommt und von der Bäuerin eine Gardinenpredigt erhält. Der Bauer bekommt deshalb Streit mit seiner Frau, fängt an zu toben und schlägt mit den Fäusten auf den Tisch; sonst tat er nichts. Im Ernstfalle würde der Bauer vielleicht im Jähzorn die Möbeleinrichtung demolieren. Das könnte er doch eigentlich heute machen, dachte ich mir, denn die alte Bühne brauchen wir morgen sowieso nicht mehr. Gut. Ich teilte meine Idee dem Bauern mit, sonst niemand, nicht einmal der Bäuerin (…) Als die Gardinenpredigt zuende war, ergriff der Bauer nicht nur das Wort, sondern auch das Beil und schrie: „Jetzt wird’s mir aber amol zu dumm, Himmisapprament“, und ein wuchtiger Hieb zertrümmerte gleich die Zimmertüre. (…) Dann schrie er zum Fenster hinaus: „Großknecht, da geh rei.“ Ich erschien ebenfalls mit einem Beil – und nun ging es los.
Alle, der Besitzer des Frankfurter Hofes, die Besitzerin, die Stammgäste, das Publikum und die Bäuerin – alle sperrten Augen und Mund auf, als die ganze Bühne vor ihren Augen in Trümmer zerfiel. Sogar die Gäste flogen aus dem Saal, weil sie glaubten, die Schauspieler seien wahnsinnig geworden. Kopfschüttelnd verließen die Gäste die Singspielhalle und einige meinten: ‚Die haben aber natürlich gespielt.'“
(Karl Valentin in „Autobiographisches und Vermischtes“ – Piper)
Originalität und Folgerichtigkeit
Oftmals wird die Frage diskutiert, welche Rolle „Originalität“ im Improtheater spielt. Keith Johnstone lehnt sie bekanntlich ab, und schwört auf das Naheliegende, obwohl es in seinen Szenenbeispielen von Elfen, Monstren, wahnsinnigen Tätowierern und verwunschenen Meerschweinchen nur so wimmelt. Dies begründet er damit, das sei eben „sein Naheliegendes“.
Auf dieses Problem hat Gunter Lösel in seinem Buch Theater ohne Absicht hingewiesen: Die erste Assoziation ist auf Dauer doch ein wenig langweilig. Gerade in der Phase der Assoziation, d.h. im Entwickeln des Ausgangsmaterials können wir ruhig unseren Horizont ein wenig verbreitern, ohne gleich albern zu werden. Angenommen, die Szene startet im so oft vorgeschlagenen Schwimmbad, so müssen wir nicht die zwölftausendste Schwimmlehrer-Schüler-Szene sehen. Andererseits wirken Alien, die plötzlich aus der Rutsche trudeln etwas gewollt, oder in Johnstones Worten „originell“. Aber ich kann den Charakteren, die ins Schwimmbad gehen, eine zusätzliche Eigenschaft geben, z.B. Geheimdienst-Agenten, die über unerklärliche Morde spekulieren. Wenn dann die Aliens auftauchen, wäre es gewissermaßen die logische Folge des bereits Etablierten.
Bei allem Akzeptieren, Ja-Sagen usw., sollte man sich nicht davor scheuen, ein frisches Irritierendes Moment hinzuzufügen.
Werden Kontraste zu wenig wertgeschätzt?
Selten wird der Wert des Kontrasts in der Improvisation gewürdigt. Flow wird häufig nur aus der Perspektive des Sanft-Nachahmens und Hinzufügens gesehen. (Vielleicht, weil der Kontrast etwas von Nein-Sagen hat?) Aber auch der scharfe Kontrast hat seinen Wert:
– Der Stimmungs- oder Tempo-Wechsel in der Szene (ähnlich der Musik)
– Der entgegengesetzte Character.
– Die entgegengesetzte Haltung.
– Ein neues Erzählelement.
Auch habe ich bisher kaum Kontrast-Übungen in Improtheater-Workshops erlebt. Ausnahmen bisher: Contact-Impro und Tanz-Impro, die ich durch Nina Wehnert kennengelernt habe, sowie die Storytelling-Workshops von Lee White.
(Bitte um Kommentare)
The actor as an instrument of the story
„In my opinion, the chief requisite for an actor is the ability to do nothing well, which is by no means as easy as it sounds. He should be willing to be utilised and wholly integrated into the picture by the director and the camera. He must allow the camera to determine the proper emphasis and the most effective dramatic highlights.“ (Alfred Hitchcock)
Das Geheimnis der Crumbs
Ja, die Geschichten haben eine klare Struktur, die Figuren sind gut ausgearbeitet, Lee und Steve sind gut aufeinander eingespielt.
Aber das Entscheidende ist: Die Crumbs haben etwas zu sagen. Kein Rumgerede über heiße Luft. Sie verhandeln auf der Bühne starke Themen.
Ein paar Kernaussagen von Lee White
- Respektiere dein Publikum, deine Mitspieler, deine Kunst.
- Man kann zwar Comedy-Sketche aufführen; wir aber sagen: Das was wir zeigen, ist, worum es im Leben geht.
- Es geht nicht darum, dein Publikum zum Lachen zu bringen, sondern darum, dass sie deine Figur lieben. Das Publikum wird eine Figur nie „zu stark“ lieben.
- Vermeide Smalltalk. Jeder Satz sollte etwas bedeuten. Warum sonst sollten wir ihn sagen?
- „Ich habe noch nie eine schlechte Szene mit Jacob Banigan gesehen.“ (der bekannt für seine Großzügigkeit mit seinen Mitspielern ist.)
- Was das Publikum sieht, sollten wir nutzen, statt es zu verändern. (in diesem Sinne naheliegend sein.)
- Figurengegensätze schaffen, nicht nur durch Status, sondern auch durch Emotion, Fähigkeiten, Haltungen usw.
Patti Stiles‘ view on developing impro by discussing it
„I think it is important we discuss openly what we think, feel, want in impro. We should do this with respect and without one person trying to be right or better than the other. We should understand that one person’s point of view is simply that – one persons point of view. There is never a question of whether or not someone should do their work. Of course, follow your passion. Many great teachers, artists and art forms are a response to disliking what was currently being offered or performed as ‚art‘.“ (Patti Stiles)
Scenes with just one word
The great example in „The Wire“
Joe Bill & Patti Stiles
Die beiden verbreiten bei ihrer Show so viel Liebe auf der Bühne, dass sie ins Publikum brodelt. Will nie wieder etwas anderes machen.
Die Blockaden der Fortgeschrittenen
Habe hier ab und zu schon das Problem thematisiert, dass fast alle Spieler, nach dem sie sich 1-2 Jahre mit Improtheater beschäftigt haben, an einen Punkt kommen, wo sie lahm werden. Sie haben den Anspruch „Geschichten zu erzählen“, anspruchsvolle Szenen zu spielen. Sie wissen bereits enorm viel, aber die eigenen Fähigkeiten bleiben dahinter zurück. Das Wissen um „die Regeln“ beginnt, sie zu hemmen.
Wie geht man dieses Problem an? Auf lange Sicht natürlich durch Übung und Geduld. Andererseits können sich diese Blockaden zu einem regelrechten Leidensdruck auswachsen: Es kommt zu Frustration, Streit in den Gruppen, Zweifel am Sinn von Improvisation usw.
Auf der Bühne drückt sich das am sinnfälligsten durch eine erstaunliche Langsamkeit aus. Dieses kuriose Phänomen habe ich am deutlichsten bei den Sommerfesten der Gorillas kennengelernt. Je „fortgeschrittener“ die Schüler waren, umso langsamer wirkten sie auf der Bühne.
Wahrscheinlich hilft auf Dauer nur Wiederholung von Basics: Tempo, den Zensor ausschalten, radikales Akzeptieren, leichte Euphorie beim Spiel. Ich lehre inzwischen „Unhöflichkeit“. Die Spieler sind oft zu nett zueinander, wollen einander in den Szenen nicht unterbrechen, selbst wenn das (wie beim Reigen) Teil des Games ist. Oder ihre Angebote sind „zu lieb“. Wenn die Gruppe atmosphärisch gut funktioniert, kann man Frechheiten trainieren.
Neues
Seltsamer Satz eines Improvisierers: „Ich spiele schon seit 10 Jahren Improtheater. Ich brauche keine Experimente mehr.“
Start-Angebot in einer freien Szene
Das erste Angebot in einer freien Szene ist nicht nur inhaltlich zu verstehen, sondern setzt vor allem auch stilistisch bzw. genremäßig die Grenzen. Gerade dafür braucht man als Mitspieler ein sehr offenes Ohr.
„Die Nacht naht bald heran, Sir John, ihr seht,
die Türen Eures Schicksals sind geöffnet.“
„Okay, dann gucken wir doch einfach mal rein, oder wat?“
Ethik-Code für Theaterdarsteller 1945
(http://www.lastagetimes.com/2009/08/a-1945-code-of-ethics-for-theatre-workers-surfaces/)
1. I shall never miss a performance.
2. I shall play every performance with energy, enthusiasm and to the best of my ability regardless of size of audience, personal illness, bad weather, accident, or even death in my family.
3. I shall forego all social activities which interfere with rehearsals or any other scheduled work at the theatre, and I shall always be on time.
4. I shall never make a curtain late by my failure to be ready on time.
5. I shall never miss an entrance.
6. I shall never leave the theatre building or the stage area until I have completed my performance, unless I am specifically excused by the stage manager; curtain calls are a part of the show.
7. I shall not let the comments of friends, relatives or critics change any phase of my work without proper consultation; I shall not change lines, business, lights, properties, settings or costumes or any phase of the production without consultation with and permission of my director or producer or their agents, and I shall inform all people concerned.
8. I shall forego the gratification of my ego for the demands of the play.
9. I shall remember my business is to create illusion; therefore, I shall not break the illusion by appearing in costume and makeup off-stage or outside the theatre.
10. I shall accept my director’s and producer’s advice and counsel in the spirit in which it is given, for they can see the production as a whole and my work from the front.
11. I shall never “put on an act” while viewing other artists’ work as a member of an audience, nor shall I make caustic criticism from jealousy or for the sake of being smart.
12. I shall respect the play and the playwright and, remembering that “a work of art is not a work of art until it is finished,” I shall not condemn a play while it is in rehearsal.
13. I shall not spread rumor or gossip which is malicious and tends to reflect discredit on my show, the theatre, or any personnel connected with them-either to people inside or outside the group.
14. Since I respect the theatre in which I work, I shall do my best to keep it looking clean, orderly and attractive regardless of whether I am specifically assigned to such work or not.
15. I shall handle stage properties and costumes with care for I know they are part of the tools of my trade and are a vital part of the physical production.
16. I shall follow rules of courtesy, deportment and common decency applicable in all walks of life (and especially in a business in close contact with the public) when I am in the theatre, and I shall observe the rules and regulations of any specific theatre where I work.
17. I shall never lose my enthusiasm for theatre because of disappointments.
In addition, the document continued:
“I understand that membership in the Circle Theatre entitles me to the privilege of working, when I am so assigned, in any of the phases of a production, including: props, lights, sound, construction, house management, box office, publicity and stage managing-as well as acting. I realize it is possible I may not be cast in a part for many months, but I will not allow this to dampen my enthusiasm or desire to work, since I realize without my willingness to do all other phases of theatre work, there would be no theatre for me to act in.”
All members of the Circle Theatre were required to sign this document. And they must have-because the theatre, and the group into which it evolved, was successful for many years.