271. Nacht b)

Kantinenlesen-Essen mit Uli Hannemann Ahne, Hans Duschke, Jakob Hein, Anselm Neft, Stefanie Winny, Falko Hennig, Robert Rescue, Frank Sorge, Bohni, Micha Ebeling, Volker Strübing, Volker Surmann, Ivo Smolak und Kirsten, Lea Streisand, Kirsten Fuchs, Daniela Böhle, Paul Bokowski. Heiko Werning, Thilo Bock, Michael-André Werner, Sarah Schmidt, Manfred Maurenbrecher. Im persischen Restaurant Sufissimo. Gutes Essen, nette Bedienung, ein wenig Slowfood-Tradition, durchaus empfehlenswert. Kein einziger Wein wurde verkauft. Im letzten Jahr noch mehr Freundinnen dabei. Die Kellnerinnen tun einem leid, weil bei uns reflexartig jeder zu seiner Bestellung noch einen lustigen Spruch glaubt machen zu müssen oder an der eigenen Entscheidungsunfähigkeit (es gibt nur 4 Gerichte) scheitert. Aber Mascha verliert den ganzen Abend über ihr Lächeln nicht. Mit einigen kommt man dann doch nicht ins Gespräch. Aber ich habe mir abgewöhnt, bei solchen Feiern mich verpflichtet zu fühlen.
Ein Lesebühnen-Gruppenfoto kommt nicht zustande. Ein bis auf zwei Autoren fast komplettes hätten wir auf Steins Beerdigung schießen können, selbst aus alten Zeiten waren noch Kollegen da. Die Chance gibt es wahrscheinlich (oder sollte man sagen "Hoffentlich"?) nicht so schnell wieder.

Ingeborg Junge-Reyer ist der Name jener Sozialdemokratin, deren Aufgabe es ist, für eine angemessene Stadtentwicklung in Berlin zu sorgen. Zum Thema Gentrifizierung fällt ihr allerdings nur ein, dass es doch gut sei, wenn in ein Haus, in dem sonst nur Arbeitslose wohnen, jemand einzieht, der einen Job hat. Anscheinend bezieht die Dame ihr Wissen über das Thema aus einer halbseitigen Zusammenfassung, die ihr ein Referent auf den Schreibtisch gelegt hat. Fazit: Man kann sowieso nichts machen.
Natürlich ist es begrüßenswert, wenn die Qualität der Häuser verbessert wird, wenn in einen armen Bezirk auch Wohlhabende ziehen, wenn es neben Eckkneipen auch Cafés gibt usw., aber ab einem bestimmten Punkt kippt es. Die Prognosen des guten alten Häußermann haben sich in dem Punkt bisher ziemlich bewahrheitet: Mietenexplosion in Mitte und Prenzlauer Berg. Massive Verdrängung der lange dort wohnenden Bevölkerung, teilweise sogar mit Gewalt. Aber von brennenden Dachstühlen, verstopften Schornsteinen, vermauerten Türen, abgestelltem Wasser lässt sich weniger knackig schreiben als von brennenden Autos.
Soviel zur Tagespolitik.

*

Es folgen: Zimmer aus Gold, Silber, Edelsteinen, köstliche Mahlzeiten, Sängerinnen, Tänzerinnen, Polster und

Kissen, die aus Stickperlen und altpersichen Geweben gearbeitet waren,

Gäste, Sklavinnen usw.

Sechs Monate flossen ihm so im Feenlande dahin, neben Perî Banû, der er in so zärtlicher Liebe zugetan war, dass er es auch nicht einen Augenblick ertragen konnte, sie nicht zu sehen. (…)
Doch nach einer Weile erwachte sein Gedächtnis aus dem Schlummer, und bisweilen ertappte er sich dabei, wie er sich danach sehnte, seinen Vater wiederzusehen.

Die großzügige Prinzessin gestattet ihm die Reise, obwohl sie vor Sorge vergeht. Unterdessen grämte sich natürlich Ahmeds Vater, und wie so oft kooperieren ein böser Wesir, der dem Herrscher einen Floh ins Ohr setzt, der Sohn könne etwas gegen ihn im Schilde führen und eine alte Zauberin, die sich zum Werkzeug des Bösen machen lässt. Sie findet zunächst heraus, dass Ahmed noch lebt. Cut! Unterdessen nimmt Perî Banû ihrem Gatten das Versprechen ab,

"dass du mit aller erdenklichen Eile hierher zurückkehren willst, und dass du mir nicht durch langes Fernsein schmerzliche Sehnsucht und banges Warten auf deine sichere Heimkehr verursachen wirst."

Natürlich darf er nichts vom Feenland erzählen. Sie gibt ihm noch zwanzig Ritter mit, und der grandiose Einzug in die Hauptstadt ist garantiert.

Dort ward er mit so lautem Jubel empfangen, wie man ihn noch nie zuvor im Lande vernommen hatte.

Als er sich seinem Vater nähert gibt er ihm ein redundantes Verlaufsprotokoll der Ereignisse, das wir uns hier sparen. Der Sultan bittet nun seinen Sohn, ihn einmal pro Monat zu besuchen. Als Ahmed nach vier Tagen zu Perî Banû zurückkehrt, gewährt sie ihm von nun an bedingungslose Reisefreiheit.
Als Ahmed zum zweiten Mal seinen Vater besucht, wird der Neid des Wesirs angestachelt:

"Niemand vermag zu sagen, woher der Prinz kommt und auf welche Art er sich solch ein prächtiges Gefolge verschafft hat."

Und wie es in dieser Art von Geschichten eben geht: Die Charaktere bleiben konstant. Psychologisierung oder gar Soziale Konditionierung entfällt. Er ist neidisch = er war neidisch = er wird immer neidisch sein.

Der König wird nervös und beauftragt die Zauberin, herauszufinden, wo Ahmed immer verschwindet, doch die Tür zum Feenpalast bleibt dem menschlichen Auge verborgen, also muss sie eine List anwenden und verkleidet sich als alte, kranke Bettlerin. Prinz Ahmed erbarmt sich ihrer und nimmt sie mit zur Pflege in den Palast.

Wieder einmal das Motiv der listigen Alten, die sich verkleidet einnistet. Fehlte nur noch, dass sie die Fromme mimt und alleingelassen werden will. Doch das bleibt uns diesmal erspart.

Perî Banû entdeckt den Schmu:

"Diese Frau ist nicht so krank, wie sie sich stellt, nein, sie übt Betrug an dir, und mir ahnt, dass irgendein Neider gegen dich und mich Arges im Schilde führt."

Mit einem Trunk aus der allheilenden Löwenquelle wird die Alte wieder auf die Beine gebracht und entlassen. Am Tor sieht sie sich um und findet den Eingang nicht mehr. Dem Sultan berichtet sie alles und stachelt ihn auf:

"Wer weiß, ob er nicht mithilfe von Perî Banû Zwietracht und Zwiespalt im Reiche hervorrufen wird? Hüte dich vor den Listen und der Tücke der Frauen."

Der letzte Satz entfaltet natürlich seine Ironie, wenn er von einer listigen und tückischen Frau ausgesprochen wird.

Den Rat seines Ministers, den Sohn hinrichten zu lassen, verwirft er, lieber will er ihn in den Kerker werfen lassen, aber die Zauberin rät ihm ab, da die Knappen von Prinz Ahmed schließlich Dämonen sind. Lieber möge er seinen Sohn "auf die Probe stellen" und ihn ein Zelt besorgen lassen, dass den ganzen Hofstaat aufnehmen könne. Daraufhin würde sie sich eine weitere Probe ausdenken, usw., bis er am Ende seiner Kräfte sei und endlich gedemütigt und beschämt sich nicht mehr in die Hauptstadt wagen.

271. Nacht a)

Diskussion bei der Chaussee, ob es sich lohnt, unsere Lotsen am Tor2 des RAW zu positionieren, solange wir im Skandal auftreten. Ist es peinlich und hirnverbrannt, wie die eine Fraktion meint, oder liebenswürdig und notwendig, wie die anderen sagen? Wie in der Mathematik kommt man der Sache näher, wenn man sich das Extrem der anderen Seite vorstellt: Man stünde umsonst am Tor oder es kämen wöchentlich Hunderte dort vorbei.
Indessen ignoriert uns de zitty im Programmteil, während sie uns in der vorigen Ausgabe noch mit einem Tagestipp bedachte.
Was die Immobilienspekulanten auf dem RAW nun vorhaben, ist unklar. Aber ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass 2007, beim Verkauf des Geländes nur der offizielle Preis gezahlt wurde (obwohl doch die Immobilien- und Baubranche doch sonst als so sauber gilt.)
Trenne mich nun von 10 Jahrgängen "Rolling Stone". Die New Noises CDs klingen für mich von Jahr zu Jahr gleicher. Meine besten Entdeckungen der Nullerjahre habe ich aber auch diesem Heft zu verdanken: Fiona Apple, Laura Veirs, The Strokes. Es sieht nicht so aus, als würde ich mehr als 1 Euro pro 12 Hefte bei Ebay dafür bekommen.
Kuriositäten bei Facebook: Ich soll Fan einer Künstleragentur werden, die sich nicht mit ihren Künstler rühmt, sondern damit, dass sie wirbt. Wieder eine Freundschafts-Anfrage eines ausländischen Künstlers, der mich mit Daniel Richter aus Hamburg verwechselt.
Grob fahrlässige Körperverletzung im Pflegeheim. Aber man zögert, Anzeige zu erstatten, aus Angst, der geliebten Verwandten könne dann noch übler mitgespielt werden. Alternativen: Keine; denn es ist eines der teuersten und am besten ausgestatteten Heime der Gegend, und die Schlamperei und der Zynismus des Pflegepersonals dem Vernehmen nach überall gleich.

*

Ahmed geht wieder eines Morgens den Pfeil suchen.

Wie er so überall suchte, sah er, nachdem er schon etwa drei Parasangen weit gegangen war, den Pfeil flach auf einem Felsen liegen.

Wieviel das sein mag, darüber wird noch gestritten. Wahrscheinlich zwischen 5 und 10 km.

Er entdeckt, dass der Pfeil nicht steckt, sondern abgeprallt war.

Darauf bahnte er sich einen Weg zwischen den spitzen Klippen und den großen Blöcken und kam alsbald zu einer Höhle im Boden, die in einen unterirdischen Gang auslief.

Bis er schließlich an einem unterirdischen Palast landet.

Und alsbald trat aus dessen Inneren eine liebliche Maid, schön und voll Liebreiz, eine Feengestalt in fürstlichen Gewändern und über und über mit den kostbarsten Juwelen geschmückt. Sie schritt langsam und majestätisch dahin und doch anmutig und bezaubernd, umgeben von ihren Dienerinnen wie der volle Mond von den Sternen.

Na, auf so etwas wartet man doch! Die ganze Zeit wird der Leser in die Irre geführt mit irgendwelchen Abenteuern, die die Brüder zu bestehen haben, einer Cousine, die geheiratet werden soll, und nun kommt diese Beauty-Queen. Aber es kommt noch besser:

"Herzlich willkommen, Prinz Ahmed! Ich bin erfreut, dich zu sehen. Wie ergeht es deiner Hoheit, und weshalb bist du so lange mir ferngeblieben?

Nicht nur, dass sie seinen Namen weiß, sie führt ihn auch in den Palast, sie gibt sich ihm auch als Fee zu erkennen:

Du hast wohl in der Heiligen Schrift gelesen, dass diese Welt nicht nur eine Wohnstätte von Menschen ist, sondern auch von einem Geschlechte, das man die Geisterwesen nennt, die an Gestalt den Sterblichen ganz ähnlich sind.

Vielleicht ist diese Stelle gemeint: "In jenen Tagen gab es auf der Erde die Riesen, und auch später noch, nachdem sich die Gottessöhne mit den Menschentöchtern eingelassen und diese ihnen Kinder geboren hatten. Das sind die Helden der Vorzeit, die berühmten Männer." (1. Buch Mose 6, 4)
Oder sollte sie sich auf die im Koran Dschinni erwähnten Dschinni beziehen?

"Ich bin die einzige Tochter eines Geisterfürsten von vornehmster Abkunft, und mein Name ist Perî Banû."

Sie war es, die den nicht weit genug abgeschossenen Pfeil entführte und vor ihre eigene Schwelle legte.

Also sprach die schöne Maid Perî Banû, indem sie mit dem Blicke sehnender Liebe zu Prinz Ahmed aufschaute; dann aber senkte sie die Stirn in züchtiger Scham und wandte den Blick ab.

Sie möchte ihn ehelichen, und erläutert dies mit einem erstaunlich emanzipierten Standpunkt der Feenwelt:

"Ich habe dir bereits gesagt, dass ich hierüber mit vollkommenster Willensfreiheit entscheiden kann. Zudem ist es bei uns Sitte und uralter Brauch, dass wir Mädchen, wenn wir das mannbare Alter und die Jahre des Verstandes erreichen, nach dem Gebote des Herzens uns vermählen dürfen, eine jede mit dem Manne, der ihr am meisten gefällt und von dem sie glaubt, er werde ihr das Leben am glücklichsten machen. So leben denn Mann und Frau ihr ganzes Leben in Eintracht und Glück. Wenn aber eine Jungfrau von ihren Eltern nach deren Wahl, nicht nach ihrer eigenen, vermählt wird, und sie so an einen Gefährten gekettet wird, der nicht der rechte für sie ist, weil er eine hässliche Gestalt oder ein hässliches Wesen hat und ihre Zuneigung nicht zu gewinnen vermag, dann werden die beiden wohl ihr ganzes Leben lang miteinander streiten, und Not ohne Ende wird für sie aus einer solchen unglücklichen Verbindung entstehen. (…)
Wir tun offen unsere Neigung dem Manne kund, den wir lieben, und wir brauchen nicht zu warten und zu schmachten, bis wir umworben und gewonnen werden."

Was die Bemerkung vom in züchtiger Scham gesenkten Blick Lügen straft. Jedenfalls kann Ahmeds Cousine Nûr en-Nahâr von solcher Wahlfreiheit nur träumen, denn gefragt wurde sie ja nicht.

Doch auch die Eheschließung erfolgt unkonventionell:

"Du bist mein Gemahl, und ich bin dein Weib. Dies feierliche Versprechen, das wir beide einander geben, steht an Stelle einer Eheurkunde. Wir brauchen keinen Kadi; den bei uns sind alle andern Förmlichkeiten und Zeremonien überflüssig und nutzlos."

Es wäre schön zu wissen, ob wir es hier mit der utopischen Phantasie einer weiblichen Erzählerin zu tun haben oder vielleicht eines männlichen, der sich vielleicht eine Beziehung auf Augenhöhe erträumt.

271. Nacht

Die Geschichte von dem Prinzen Ahmed und der Fee Perî Banû

Eine Fußnote des Übersetzers Littmann merkt an, dass diese Geschichte in der Kalkuttaer Ausgabe nicht vorkommt.

Ein König von Indien hat drei Söhne – Husain, Alî und Ahmed, die sich alle für ihre Cousine Nûr en-Nahâr interessieren. Da der König keinen von ihnen bevorzugen will, stellt er ihnen die Aufgabe, in die Welt zu ziehen. Welcher ihm das Sonderbarste brächte, der dürfe die Prinzessin Nûr en-Nahâr ehelichen.
Weitschweifend wird von den Reisen der Brüder berichtet, die gemeinsam losziehen und sich nach einem Jahr in einer Karawanserei wieder treffen wollen. Husain bringt einen fliegenden Teppich mit, ‘Alî ein Fernrohr, das alles erkennt und Ahmed einen Apfel, der alle Krankheiten heilt, wenn man an ihm riecht.

Dies ist hier die erste Geschichte mit fliegendem Teppich!

Als sie sich nach einem Jahr wiedertreffen, schauen sie durchs Fernrohr nach Nûr en-Nahâr.

Diese Schlingel.

Aber die Prinzessin ist krank, also reisen sie per Teppich zu ihr, Ahmed lässt sie an seinem Apfel riechen und sie gesundet auf der Stelle.
Da nun alle denselben Anteil an ihrer Errettung haben, steht der Sultan vor demselben Problem wie zuvor. Nun müssen sich die Söhne im Pfeilweitschießen messen.

Das hätten sie im Grunde auch vorher tun können, nur wäre dann die Prinzessin nicht am Leben. Was aber den Leser irritiert ist die narrative Folgenlosigkeit der auf mehreren Seiten ausgebreiteten Erzählung der Reisen der Söhne. Sie steht im Grunde für sich und ist ohne Plotrelevanz.

Alî schießt den Pfeil weiter als Husain. Den Pfeil von Ahmed findet man nicht mehr. Also wird Alî verheiratet.

Prinz Husain aber wollte bei dem Hochzeitsfeste nicht zugegen sein, da er enttäuscht und von Eifersucht erfüllt war; denn er war der Herrin Nûr en-Nahâr mit einer viel heißeren Liebe zugetan als seine beiden Brüder. Darum legte er seine fürstlichen Kleider ab und zog im Gewande eines Fakirs von dannen, um als Einsiedler zu leben.

Lebensverneinung als Problemlöser. Erst extremer Schmerz scheint die Liebe zu beweisen – das Motiv zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichten.

Der jüngste Bruder Ahmed verweigert sich auch dem Hochzeitsfest und sucht stattdessen den Pfeil.

 

270. Nacht d) – Gesund und glücklich alt werden

Dan Buettners Vortrag über Regionen, in denen die Lebenserwartung extrem hoch ist, beunruhigt mich. Zusammengefasst, sind die Voraussetzung diese:
– andauernde Freundschaften
– geerdete Spiritualität
– überwiegend vegetarische und vielseitige Ernährung,
– natürliche Bewegung, d.h. die alltäglichen Handlungen sind bewegungsreich
– täglicher Lebenszweck – ein täglicher Grund, warum man aufsteht
– tägliche Ruhepause
– gute Familienbeziehungen und -traditionen
– mäßig essen und wenig Alk
– sich in gute Gesellschaft begeben.

 

Nur wenig davon beherzige ich. Vom meisten hat man sich frei gemacht. Einige Dinge muss man sich schwer neu erarbeiten. Wer überhaupt Mangel empfindet, ist auf Lebensberatungsliteratur, Therapeuten, Trainer usw. angewiesen, wenn er nicht das Glück hatte, die gesunden Traditionen der eigenen Community ungefragt weiterzuleben.

*

Am nächsten Morgen zeigt Mardschâna ihrem Herrn Ali Baba die toten Räuber in den Ölschläuchen und berichtet ihm, was geschehen ist.

Und zwar so, dass wir Leser auf zwei Seiten auch noch mal dasselbe erfahren.

Ali Baba schenkt zum Lohn der Sklavin Mardschâna die Freiheit. Die 38 toten Räuber werden im Hof begraben.

Es müssen also ursprünglich 41 und nicht 40 gewesen sein, wenn man den Hauptmann und die beiden von ihm getöteten Gauner hinzurechnet.

Der Räuberhauptmann indessen klagt nicht lange, sondern verkleidet sich erneut als Kaufmann, eröffnet auf dem Basar einen Laden, in dem er teure Edelsteine zum Verkauf anbietet.

Die Großen kamen zu ihm in Mengen, und die Kleinen begannen sich, um ihn zu drängen; er empfing die Menschen mit großer Zuvorkommenheit und behandelte sie mit Höflichkeit. (…) Und dabei war dies alles doch gegen seine Natur; denn er war innerlich roh und hart, von grober und rauer Art; er pflegte auf Mord und Raub zu sinnen, Blut zu vergießen und Beute zu gewinnen. Aber die Not hat ihre Gesetze, und sie zwang ihn zu solchem Tun.

Sein Laden befindet sich nun direkt gegenüber vom Laden des Sohnes Ali Babas, dessen Vertrauen er gewinnt. Bald lädt Ali Babas Sohn ihn zum Gastmahl ein. Dieser willigt ein:

"Ich will mich deinem Wunsche fügen und einkehren um der Freundschaft willen. Aber es geschieht nur unter der Bedingung, dass du kein Salz an die Speisen kommen lässest; denn ich habe die größte Abneigung dagegen und kann es weder essen noch auch riechen."

Der Hintergrund scheint zu sein, dass er selbst als Räuber das Gastrecht nicht verletzen will, dem er sich unterwirft, sobald er mit dem Gastgeber Salz geteilt hat.

Als Mardschâna, die die Männer bekocht, dies hört, wird sie zornig, doch als sie den Kaufmann sieht, erkennt sie ihn und greift wieder zu einer List.

Mardschâna trug ein Hemd von durchbrochener, alexandrinischer Arbeit, dazu eine Jacke aus königlichem Brokat und andere prächtige Kleider, und sie war mit einem goldenen Gürtel, der mit allerlei Edelsteinen besetzt war, geschmückt. Ihr Leib war schmal, und darunter wölbten sich ihre Hüften. Auf ihrem Haupt lag ein Perlennetz und um ihren Hals eine Kette von Smaragden, Hyazinthen und Korallen. Und darunter wölbten sich ihre beiden Brüste wie zwei Granatäpfel. Sie war mit Schmuck und schönen Kleidern geziert; sie glich einer Blume des Frühlings, und dem Mond in seiner Vollendung Nacht.

Sie tanzt eine Art erotisierten Dolchtanz, an dessen Ende sie schließlich den Räuber ermurkst. Nach kurzem Schrecken erklärt Mardschâna alles und zum Lohn wird sie an Ali Babas Sohn verheiratet.

Schließlich ward die Braut vor ihm entschleiert, er blieb mit ihr allein und nahm ihr das Mädchentum.

Nach einiger Zeit (Ali ist skeptisch, da er die zwei Räuber, von deren Tod er nichts weiß, vermisst), führt er seinen Sohn an den Berg und lässt ihn sich an den Reichtümern der Höhle bedienen.

So führten sie ein herrliches und glückliches Leben, bis Der zu ihnen kam, der die Freuden schweigen heißt und der die Freundesbande zerreißt, der die Schlösser vernichtet und die Gräber errichtet.

Eine schöne, wesentlich gründlichere Analyse, inklusive Versionsvergleiche findet sich bei Winfried Seibert.

Ende der Geschichte und des Zweiten Bandes… Weiterlesen

270. Nacht c)

Bücher, die mich im Jahr 2009 davon abhielten, mich weiter in die Tausendundein Nächte zu vertiefen:

Alexander Solschenizyn: "Der Archipel Gulag"
Andy Goldberg: "Improv Comedy"
Barack Obama: "The Audacity of Hope"
Bill Lynn: "Improvisation of Actors and Writers"
Charna Halpern: "Art by Committee"
David Richio: "The Five Things We Cannot Change… and the Happiness We Find By Embracing Them"
Derren Brown: "Tricks of the Mind"
Dick Francis: "Comeback"
Giacomo Leopardi: "Gesänge und Fragmente/Canti e Frammenti"
Harlan Coben: "Hold Tight"
Ian McEwan: "Ein Kind zur Zeit"
Jo Salas: "Improvising Real Life: Personal Story in Playback Theatre"
Jochen Schmidt: "Schmidt liest Proust"
John Wright: "Why is that so funny?"
Jonathan Fox/ Heinrich Dauber (Hg.): "Playbacktheater"
Joseph Campbell: "Der Heros in tausend Gestalten"
Konstantin Simonow: "Die Lebenden und die Toten"
Maarten ‘t Hart: "Mozart und ich"
Manfred Geier: "Worüber kluge Menschen lachen: Kleine Philosophie des Humors"
Manfred Maurenbrecher: "Ich bin nicht da"
Manuela Ritz: "Die Farbe meiner Haut"
Martin Cohen: "99 moralische Zwickmühlen"
Patrick Lindsay: "Now is the Time"
Philip Zimbardo & John Boyd: "The Time Paradox"
Roger-Pol Droit: "Fünf Minuten Ewigkeit. 101 philosophische Alltagsexperimente"
Theodor Storm: "Beim Vetter Christian"
Theodor Storm: "Bulemanns Haus"
Thomas Harris: "The silence of the lambs" (zum wiederholten Male)
Tiki Kustenmacher: "How to Simplify Your Life"
William Shakespeare: "Ein Sommernachtstraum"
(plus diverses Abgebrochenes)

Auffällig: Der Mangel an original deutschsprachiger Literatur. Viel Impro- und Theaterliteratur. Romane lediglich: McEwan, Harris, Simonow, Coben, Maurenbrecher.

*

Die störrische Gattin des inzwischen von den 40 Räubern gevierteilten Bruders Kâsim wird mangels Alternativen eine Ehe mit Ali Baba in Aussicht gestellt. Die Sklavin Mardschâna sorgt sich inzwischen um die Leiche. Sie bestellt beim Apotheker Arzneien und lässt durchblicken, der Patient sei sterbenskrank. Dann geht sie eines morgens zu einem Schuster, der stets als erster seinen Laden im Basar öffnet, drückt ihm zwei Goldstücke in die Hand, verbindet ihm die Augen, führt ihn zu ihrem Haus und lässt ihn Kâsims vier Teile zusammennähen; zwei weitere Goldstücke sind des Schusters Lohn. So muss sich niemand übermäßig wundern, als Ali Baba den Tod seines Bruders verkündet.
Nach der gesetzlichen Frist heiratet Ali Baba seine Schwägerin. Und nebenbei erfahren wir, dass Ali Baba einen zwölfjährigen Sohn hat.

Was nicht recht zum Zeitplan der Story zu passen scheint. Wann soll er ihn gezeugt haben? Wohl kaum in der Zeit seiner Armut, die als "kurze Zeit" beschrieben wurde. Die Ereignisse danach könnten höchstens ein paar Monate umfassen.

Ali Baba übergibt seinem Sohn den Laden,

und er versprach auch, ihn zu vermählen, wenn es mit seinem Tun gut und erfolgreich stehe und wenn er den Weg des Rechtes und der Tugend gehe.

Der Erzähler wendet sich nun den Räubern zu, die argwöhnisch werden, als sie das Verschwinden von Kâsims Leiche bemerken. Der Hauptmann fordert nun seine Leute auf, die Städte zu durchforsten:

"Fragt, ob ein Armer reich geworden ist oder ob ein Erschlagener begraben ist."

Außerdem bräuchte man einen listigen Mann, der diese Stadt nach dem Widersacher durchforschen solle – mit großem Lohn bei Erfolg und mit Todesstrafe bei Misserfolg. Tatsächlich meldet sich ein Freiwilliger, dem zur Tarnung Kaufmannsgewänder angezogen werden und der sofort in die Stadt geht.

Wie nun? Eben sollte die Stadt erst noch gefunden werden? Und nun weiß man schon, welche es ist.

Tatsächlich trifft der verkleidete Räuber auf den Schuster, der drauflosplaudert und ihm die Tür, in der er die Totenvernähung vorgenommen hat, nur zeigen kann, wenn er wieder mit verbundenen Augen dahingeführt wird.
Um sich die Tür zu merken, kennzeichnet der Räuber die Tür mit Kreide. Mardschâna, nicht doof, die dies am nächsten Morgen bemerkt, kennzeichnet die anderen Häuser ebenso.

Warum wischt sie nicht einfach das Zeichen am eigenen Haus ab? Das Motiv finden wir haargenau wieder in Andersens Märchen " Das Feuerzeug".

Die Räuber wollen loslegen, aber ihre Moral ist erschüttert, als sie sich vor lauter Kreidebemalten Häusern wiederfinden. Der mutige aber glücklose Räuber willigt in sein Schicksal ein:

"Es ist recht, ich verdiene die Todesstrafe, da mein Plan missglückt ist und meine Klugheit nicht ausreichte; ich habe meinen Auftrag nicht auszuführen vermocht; und so habe ich keine Lust mehr, am Leben zu bleiben."

Ein billiger Preis fürs Leben. Ein weiterer Räuber namens Ahmed el-Ghadbân wird losgeschickt, die Arbeit noch einmal zu erledigen.

Wieder bedient sich Galland eines Namens aus einer anderen Originalerzählung. Ahmed el-Ghadbân heißt der schwarze Sklave in "Die Geschichte des Königs Omar ibn en-Nu’mân und seiner Söhne und dessen, was ihnen widerfuhr an Merkwürdigkeiten und seltsamen Begebenheiten" und Gegenspieler der weisen Dienerin Mardschâna (!).

Dieser begeht natürlich denselben Fehler wie sein Vorgänger. Und mit denselben fatalen Folgen für ihn. Ein Räuberhauptmann, der sich in kürzester Zeit um 5% seiner Truppe entledigt, erinnert mich doch sehr an "Pawel Tropotkin" von Phil Tägert (Fil).

Schließlich begibt sich der Hauptmann in einer Wenn-man-nicht-alles-selber-macht-Haltung allein in die Stadt, lässt sich ebenfalls von dem Schuster führen

(welcher sich sicherlich inzwischen wundert, wie schnell man als Leichenpräparator Geld verdienen kann. Inzwischen sind es immerhin 16 Goldstücke.)

undmerkt sich die Tür.
Daraufhin kauft er 40 Schläuche, näht in 38 von ihnen seine Männer ein, füllt zwei von ihnen mit Öl, hängt diese Maultieren um und begibt sich in die Stadt, wo er als Fremder bei Ali Baba Einlass begehrt. Als Schlafenszeit ist, geht Mardschâna das Öl ihrer Lampe aus und sie will sich Nachschub besorgen, als sie den wahren Inhalt der Schläuche bemerkt. Die Räuber glauben, sie sei der Hauptmann und fragen – in ihrer engen Lage gequält – wann es denn nun endlich losgehe. Flüsternd beruhigt Mardschâna sie, holt sich Öl aus den letzten Schläuchen, erhitzt es in einem Kessel und verbrüht damit die 38 Banditen. Sehr zum Schrecken des Räuberhauptmanns, der ob des ekligen Geruchs am nächsten Morgen erkennt, was hier gespielt wurde und Reißaus nimmt,

Man fragt sich, ob auch dieses immerhin originelle Geschichten-Element geklaut ist, aber ich kann nicht erkennen wo.
Zuende ist die Geschichte aber hier noch nicht.

 

270. Nacht b)

Wenigstens das Best-Of-Kantinenlesen-2009 spendet mir doch Freude, an einem Tag, der mir viele Schmerzensnachrichten bringt: Verwandte schwerkrank, Freunde leiden an Schmerzen, Meinungsverschiedenheiten doch nicht friedlich ausgetragen, Probe fällt aus, Hakeleien, wo die Chaussee der Enthusiasten nun bald auftritt. Woher die Inspiration zum Schaffen nehmen? In die Zeitung wagt man gar nicht zu schauen bei den Nachrichten, die man im Radio hört.

*

Inhaltlich nicht viel anders als Simeliberg: Ali Babas Frau besteht darauf, das Geld zu zählen oder wenigstens mit einem Scheffelmaß zu messen, dass sie sich von ihrer Schwäherin borgt, die schon beim Ausborgen skeptisch den Boden des Maßes mit Wachs beschmiert, und dann umso erstaunter ist, dass sich nicht Getreide, sondern ein Golddinar darin befindet.

Diese Grundidee, einen Armen das Gold mit einem Scheffel zu messen, da er zum Zählen nun keine Zeit mehr hat, ist schon wirklich originell. Im "Simeliberg" und bei Andersen wird allerdings Pech statt Wachs benutzt.
"Schwäherin" ist hier übrigens die Frau des Schwagers, auch wenn Wikipedia es anders sieht.

Vor lauter Neid muss nun Ali Babas SchwäGerin weinen. Sie stachelt ihren Mann an

Natürlich sind wieder die Weiber schuld…

Kâsim fordert nun von seinem Bruder nicht etwa einen Teil des Schatzes, sondern das Zauberwort, die ihm dieser verrät:

"Hüte dich, sie zu vergessen."

Foreshadowing

Mit zwölf Maultieren geht dieser nun zum Berg, öffnet ihn, und schon als er den ersten Sack heraustragen will, vergisst er den Spruch. Statt Sesam probiert er nun Gerste, Weizen, Kichererbse und weitere Kornfrüchte aus. Vergeblich. Die Räuber fangen ihn, stoßen ihm eine Lanze durch die Brust und hängen ihn zur Abschreckung gevierteilt am Eingang auf. Kâsims Weib (deren Namen wir übrigens nicht erfahren) weint vor Sorge die ganze Nacht.

Doch sie enthielt sich, so laut zu schreien, wie es sonst die Frauen zu tun pflegen; denn sie befürchtete, die Nachbarn könnten davon erfahren und sie dann nach dem Grunde ihres Weinens fragen.

Am nächsten Morgen klagt sie Ali Baba ihr Leid, der zum Berg geht, die Blutspuren und anschließend auch seinen Bruder findet.

Und so dachte er zunächst daran, dass es ihm als eine religiöse Pflicht obliege, seinen Bruder in das Leichentuch zu hüllen und zu begraben.

Für diesen zweiten Teil der Geschichte braucht Galland, oder wer auch immer der Urheber der Geschichte sein mag, 14 Seiten. Und doch geht sie an dieser Stelle, wo Simeliberg endet, erst richtig los. Ich verrate hier nur, dass die schöne Sklavin Mardschâna eine Rolle spielen wird. Nach Alâ ed-Dîn und Prinzessin el-Budûr klaut Galland nun auch den Namen Mardschâna aus der Geschichte von Alî ibn-Bakkâr und Schams en-Nahâr.

270. Nacht a)

Bei unserem Aufenthalt in der Türkei entdeckte ich, dass antike Münzen aus dem römischen Reich und auch aus dem alten Griechenland einigermaßen erschwinglich bei Ebay zu erwerben sind. Dies trieb mich zur Suche nach weiteren Antiquitäten an. Derzeit bei Ebay zu erwerben:


Ein 27 mm großer Koran aus dem Jahre 1600 auf Persisch für $ 300.000,-

 


Amerikanische Bibel aus dem Jahre 1685 – Erstdruck für $ 195.000,-


Handschriftliche Anmerkungen von George Washington an seiner persönlichen Kopie der US-Verfassung

 


Fehlpressung einer britischen 20-p-Münze von 1970 für 4.000.000,- Pfund

***

Pragmatisch kauft Ali Baba von dem verbliebenen Geld eine Axt und ein paar Esel und arbeitet fortan als Holzhacker im Gebirge, der vom Erlös des Brennholz

die Ausgaben für seine Familie bestreiten

kann.

Familie? Bisher ist von Kindern nicht die Rede.

Eines Tages, als er wieder Holz hackt, sieht er eine Staubwolke.

Doch als die Wolke sich hob, da erschieb unter ihr eine Schar von Rittern, dräuenden Löwen gleich; die starrten in Waffen, sie waren mit Panzern angetan, mit Schwertern gegürtet, sie trugen Lanzen unter den Armen und die Bögen über den Schultern. Ali Baba erschrak vor ihnen.

Er versteckt sich in einem Baum und beobachtet das Treiben,

da er sie für Räuber hielt.

Wie nun öffnet der Räuberhauptmann das Tor?

"Sesam, öffne dein Tor!"

Im Vergleich dazu bei Grimms: "Berg Semsi, Berg Semsi, tu dich auf!" Interessant natürlich auch, dass das Grimms-Märchen nach dem falschen Namen ("Simeli") benannt ist.
Und im allgemeinen Sprachgebrauch weitaus geläufiger: "Sesam öffne dich!" Eine Begründung für diesen Unterschied konnte ich nicht finden.

Die Räuber laden ihre Satteltaschen im Berg aus, von denen Ali Baba annimmt, dass sie

voll von geprägtem weißen Silber und rotem Gold sein müsse

Dann verschwinden sie wieder.

Und weiter berichtete mir der Erzähler, dass Ali Baba, als er sich von seinem Schrecken erholt hatte, von dem Baume herunterstieg und zur Tür ging.

Diese Form – dass nämlich ein Erzähler direkt erwähnt wird – kam in 1001 bisher auch nicht vor.

Die Höhle öffnet sich tatsächlich und enthält u.a.: Marmor, Speisen, Getränke, Goldbarren, Silber, Dinare, Dirhems, Kleider aus Baumwolle, Seide, Brokat.

Sie stammten von Syriens Auen und aus Afrikas fernsten Gauen, aus China und dem Industal und Hinterindien zumal.

Warum nur fällt Littman immer nur der Reim "zumal" ein? Als ob sich ausgerechnet auf die Silbe -al nichts weiter reimen würde! Und das am Ende des Satzes!

Außerdem: Perlen, Hyazinthe, Smaragde, Türkise, Topase, Achate, Korallen, Aloeholz, Moschus, ZIbet, Rosenwasser, Nadd, Weihrauch, Safran, Sandelholz.
Ali Baba schleppt aus der Höhle so viel er tragen kann, einkalkulierend, dass bei dieser Menge die Räuber das Fehlen nicht bemerken. Das Gold auf den Eseln bedeckt er unter einer Brennholzschicht,

und zog heiteren und zufriedenen Sinnes nach Hause.

 

 

270. Nacht a)

Zimbardo und Boyd unterscheiden sechs Aspekte der Zeitwahrnehmung:

– positive Vergangenheit
– negative Vergangenheit
– hedonistische Gegenwart
– fatalistische Gegenwart
– positive Zukunft
– transzendentale Zukunft

Diese Aspekte sind voneinander unabhängig, d.h. eine hohe oder niedrige Ausrichtung auf einem Aspekt bewirkt nicht unbedingt die Ausrichtung auf einem anderen. Die Lektüre ist überaus befruchtend, auf jeder Seite Anstreichungen. Jeder dieser Aspekte wird durch Fragebögen operationalisiert. Die transzendentale Zukunft, welche sich auf Fragen nach dem Tod bezieht, wird allerdings im Fragebogen nur mit religiösen Fragen erfasst, obwohl, wie die Autoren meinen, durchaus auch säkulare Probleme angesprochen werden, so etwa, wenn das eigene Handeln auf ökologische Nachhaltigkeit ausgerichtet ist, die das Leben künftiger Generationen einbezieht.
Steffi und ich in der Warteschlange zum Boarding in Istanbul. Ich referiere ihr meine Lektüre alle zwei Stunden, so auch jetzt. Und für die Mitwartenden, für die mein Satz völlig aus dem Zusammenhang kommt, muss ich wie ein irrer Philosoph wirken:

 "Der Aspekt der transzendentalen Zukunft scheint mir nicht hinreichend operationalisiert."

***

Ali Baba und die vierzig Räuber

Wir haben es hier mit der zweiten Geschichte zu tun, bei der wir annehmen müssen, dass Galland sie sich ausgedacht hat. Bei Alâ ed-Dîn lag die Vermutung schon nahe, weil er völlig skrupellos Namen benutzte, die in den vorangegangenen Geschichten auftauchten – nämlich Prinzessin el-Budûr und eben Alâ ed-Dîn. Hier hingegen müsste man sich in die Forschung vertiefen – das Motiv des Eingeschlossenen im Berg, der den falschen Zauberspruch ruft, ist ziemlich weit verbreitet, hierzulande durch die Gebrüder Grimm – der Simeliberg. Andererseits war natürlich Galland mit seiner Übersetzung eher da als die Grimms mit ihrer Version. Das Motiv mit dem beschmierten Maß kennt man auch von Andersens "Der große und der kleine Klaus" (meine Lieblingsgeschichte von Andersen). Aber auch Andersen hat sich wahrscheinlich bei 1001 Nacht bedient oder bei ähnlichen europäischen Motiven.
Der deutsche Übersetzer Littmann meint:

Diese Erzählung ist erst 1910 im arabischen Urtexte bekannt geworden durch Macdonalds Ausgabe der Oxforder Handschrift; nach ihr habe ich übersetzt. (…) Die Schreibung Ali, nicht ‘Alî, ist hier gewählt, weil der Träger des Namens als Türke gedacht wird.

Dass er als Türke gedacht wird, scheint schon auf der ersten Seite Fraglich, da die beiden Brüder

Kâsim, der andere aber Ali Baba (…) in einer Stadt von Chorasân im Perserlande lebten.

Der Vater der beiden stirbt. Kâsim heiratet eine reiche, Ali Baba aber eine arme Frau,

und doch war er ein Mann von Wissen und Verstand, in Gelehrsamkeit und feiner Bildung gewandt.

269. Nacht k)

Zum dritten Mal in der Türkei.
Beim ersten Mal 1996 auf Durchreise in den Iran. Ich war vorher so sehr mit den Iran-Vorbereitungen beschäftigt, dass ich mir erst auf dem Flug nach Istanbul klarmachte, dass es ja nicht schlecht wäre, sich türkisches Geld zu besorgen, ein paar türkische Sprachfloskeln und wenigstens einen Stadtplan. Der Taxifahrer versicherte mir, die Fahrt ins Hostel würde mich "Tri Dollar" kosten. Dass er später dreißig wollte, hielt ich für eine Unverschämtheit. Wahrscheinlich wusste er gar nicht, warum ich mich aufregte. Die Busfahrt nach Iran an dir kurdische Grenze kostete mich meinen Gelassenheitsvorrat für mehrere Jahre. Es war März, auf den Serpentinen lag teilweise noch Schnee, und der Busfahrer heizte wie ein Lebensmüder durch die Berge. Hinter Uwe und mir betete ein Jugendlicher während der gesamten Fahrt, und ich glaubte, den Grund dafür zu kennen. Im Bus saßen viele freundliche Iraner, die uns darüber belehrten, welche Verhaltensweisen man im Iran beherzigen sollten, z.B. die Positiv-Geste des Daumenhochstreckens vermeiden, da diese identisch mit unserer Mittelfingergeste sei. Nicht vergessen werde ich die fünf Stunden Aufenthalt im Iranisch-Türkischen Transitraum. Über der einen Tür ein Bild von Atatürk, über der anderen eines von Chomeini. Zwei große Veränderer mit so unterschiedlichen Zielen und mit einem guten Gespür für Gelegenheiten. Der eine unterzieht das zerfallende Osmanische Reich mit einem gehörigen Schuss Autorität einer Säkularisierung, Modernisierung und Republikanisierung. Der andere nutzt ebenfalls die Gelegenheit einer untergehenden Monarchie und geht den umgekehrten Weg.
Bei meinem zweiten Aufenthalt in der Türkei weilte ich nach der AIDA-Tour mit dem Improtheater "Paula P." nur kurz in Antalya und lernte Schiffs- und Flughafen kennen.
Als Kind war für mich die Türkei eine Art Exotenland. Und während andere Jungen damals Piraten und Indianer zeichneten, waren meine Modelle die Türken aus Hannes Hegens Mosaik.

Turbane, Pluderhosen, Bärte aller Art, Spitzpantoffeln, rund geformte Dächer und Dolche. Nichts davon wiederzufinden in Klein-Istanbul, wovon man in Ostberlin nur die seltsamen Zeilen aus dem Radio hörte

Kebabträume in der Mauerstadt,
Türk-Kültür hinter Stacheldraht
Neu-Izmir in der DDR,
Atatürk der neue Herr.

 

und sie nicht richtig politisch einordnen konnte. "DAF spielten dreist mit Faschismus, Fehlfarben ironisierte Ängste." Und man glaubte beinahe, Politische Wissenschaft zu betreiben.

*

Der seinen fiesen, aber glücklicherweise inzwischen toten Bruder in Fiesheit übertreffende Maure sucht nun, in China angelangt, eine weise alte Einsiedlerin namens Fatima auf, die er überfällt und deren Kleider er sich geben lässt und sich außerdem seine Haut von ihr färben lässt. Als er nun wie sie aussieht, bringt er sie um,

und warf sie in eine Grube, die sich vor ihrer Höhle befand.

Als Fatima heilt er vorm Palast Kranke, und wieder ist es Prinzessin el-Budûr, die auf die Maurenkünste hereinfällt, die Schein-Fatima in den Palast holt und ihr ein Gemach anweist.

Das Motiv der scheinbar Heiligen kennen wir bereits aus der Geschichte des Königs Omar ibn en-Numân und seiner Söhne Scharkân und Dau el-Makân und dessen, was ihnen widerfuhr an Merkwürdigkeiten und seltsamen Begebenheiten

"Fatima" lobt das Gemach, bemängelt jedoch das Fehlen des Eis des Vogel Roch. Alâ ed-Dîn wünscht es sich vom Mârid, der außer sich gerät:

"Du Undankbarer, ist es dir nicht genug, dass ich und alle Geister der Lampe dir zu Diensten sind? Nun verlangst du auch noch, dass ich dir unsere Herrin bringe, damit du sie zu deinem Vergnügen in der Kuppel deines Söllers aufhängst, auf dass du mit deiner jungen Frau dich daran ergötzest?"

Doch er verzeiht ihm, da es die Schuld des Mauren sei. Der listenreiche Alâ ed-Dîn gibt nun vor, Kopfschmerzen zu haben. Seine Frau führt ihn zur angeblichen Fatima, die ihm die Hand auflegen soll. Der Maure zückt schon den Dolch, aber Alâ ed-Dîn entreißt ihn und

bohrte ihn ihm ins Herz.

Heirat, Königreich erben. Alle glücklich. Mit dieser Coda endet die Geschichte, deren Wiedergabe ich hier vor über 1 Jahr begonnen habe. Sie mit der Disney-Version zu vergleichen, steht jedem frei. Sagen wir mal so: Disney erzählt stringenter.… Weiterlesen

269. Nacht j)

Technologische Verschlechterungen durch Handys:
1. Seit es Handys gibt, werden weniger Armbanduhren verkauft und getragen. Man muss länger auf die Antwort warten, wenn man nach der Uhrzeit fragt.
2. Die Sound-Qualität der von Jugendlichen im öffentlichen Raum abgespielten Musik fällt hinter Ghettoblaster und Transistorradio (Hat eigentlich je irgendwer das Wort "Kofferheule" benutzt?) auf Grammophonstandard zurück.

In Antalya tragen nur wenige Frauen Kopftuch. Ob es hier auch schimpfende Konservative gibt, die meinen, man fühle sich schon wie in Klein-Berlin?

Eine 30jährige Kellnerin bedient in akzentfreiem Deutsch. Wir fragen, wo sie herkommt. Berlin. Wir auch. "Wilmersdorf. Aber schon seit sechzehn Jahren nicht mehr. Typisch türkisch: Man wird verheiratet, in die Türkei geschickt, und das Leben ist ruiniert." Traurig lächelnd nimmt sie unsere Bestellung auf."

S. fragt ein japanisches Pärchen: "Are you here on a trip through Europe." Mir ist die Frage peinlich, denn schließlich liegt Antalya in Asien, aber die Japaner nicken freundlich: "Yes."

In der Nacht wieder mein monatlicher Traum über Ralf. Und wie von fern weiß ich, dass er ja tot ist. Doch diesmal ist er, anders als sonst sehr nah, spricht mit mir, lächelt. In anderen Träumen entfernt er sich rasch. Ich frage, ob er mich nicht auch gegen den Arm boxen kann, damit ich wüsste, dass das kein Traum sei. Er tut es, aber es schmerzt nicht. "Dann bist du also doch nicht real?", frage ich. Er lächelt und zuckt bedauernd die Schultern. Dann verschwindet er.

*

Alâ ed-Dîn wird eine Frist von vierzig Tagen eingeräumt. Das Volk jubelt, als es ihn frei sieht, doch er verlässt die Stadt betrübt und wandelt durch die Felder. Als er sich eines Tages zur religiösen Waschung über den Fluss beugt, reibt seine Hand den Siegelring, den er trägt, und ein Mârid erscheint.

Warum erscheint der erst jetzt? Hat Alâ ed-Dîn es mit den religiösen Waschungen vorher nicht so genau genommen?

Der Geist trägt ihn auf Befehl "nach Afrika", wo er unter dem Turm seiner Gemahlin nächtigt, die ihn am nächsten Tag durch eine Geheimtür hereinlässt. Alâ ed-Dîn verfällt auf den guten alten Bendsch-Trick: 2 Gramm auf dem "Drogenbasar" gekauft, Prinzessin el-Budûr spielt nun die Liebende gegenüber dem Zauberer, und schüttet ihm die Droge in den Wein. Nach langwierigen Flirtspielchen trinkt er endlich, fällt um und wird von Alâ ed-Dîn geköpft. Die Lampe wird gerubbelt, zack, ist man wieder in China, der König verzeiht, und die Geschichte könnte zuende sein, wäre da nicht ein

Bruder, der noch durchtriebener war als jener in Zauberei; Geomantie und Astrologie.

269. Nacht i)

Aus Bachs Markus-Passion "Ich will daraus studieren" geklaut von Heinrich Isaacs "Innsbruck ich muss dich lassen". Später hat er sich noch mal offensichtlicher in "O Welt ich muss dich lassen" bedient. Heute würden ihm Gema und WMG einen Strick draus drehen.
Haydn beklaut sich selbst: Kaiserquartett op. 76 C-Dur und Trompetenkonzert Es-Dur HOB VIIE 2. Satz benutzen dieselbe Anfangsfigur.

Am Ende von "The Man Who Shot Liberty Valance" sagt der Herausgeber des Shinbone Star den entscheidenden Satz: "If the legend becomes fact, print the legend." Der Satz könnte auch von jedem Herausgeber deutscher Tageszeitungen über die Wende stammen. Die Geschichte ist offen. Und das war sie auch 1989/1990. Aus der bequemen Haltung des heutigen Status Quo sieht eben alles so schön folgerichtig und eindeutig aus:

1. Der Versprecher, der keiner war. Schabowski hat sich natürlich nicht verplappert, als er die Öffnung der Grenze verkündete. Es war schon mehrere Tage vorher abgesprochen. Momper wusste bescheid. Und alle befürchteten, dass die Situation unbeherrschbar würde. Und so hielt Schabowski erst mal bewusst eine langweilige Pressekonferenz ab, an deren Ende der die erstaunliche Nachricht wie nebenbei einflocht. Und auf das Nachhaken des Journalisten so antwortet, als hätte er nichts weiter damit zu tun.

2. Die Demonstranten hätten gerufen "Wir sind ein Volk". Es gab den gerufenen Slogan "Wir sind das Volk", mit dem aber nicht die Zweistaatlichkeit attackiert wurde, sondern die Bewohner des Elfenbeinturms, die sich für die Elite hielten und die Augen vor dem Offensichtlichen verschlossen. Zwar wurde ab Dezember 1989 "Wir sind ein Volk" in Reden und auf Transparenten verwendet, nicht aber in Sprech-Chören. Ich behaupte das solange, bis mir jemand das Gegenteil beweist

3. Die DDR-Bürger hätten im November 1989 die deutsche Einheit gefordert. Am 28. November 1989 legte Kohl den in jenen Wochen visionär erscheinenden Zehnpunkteplan vor. http://www.kas.de/wf/de/71.6032/ Noch im Dezember 1989 war nur jeder Dritte für eine Wiedervereinigung. Kohls politischem Instinkt und Geschick ist es natürlich zu verdanken, dass er diesen Plan schleunigst über den Haufen warf, die Ost-CDU schluckte, und international die Weichen für den Anschluss der DDR stellte, allem Zweifel zum Trotz. Und als Trostpflaster für die Ostler holte er eine plump wirkende Trine ins Kabinett, die ihm garantiert nie gefährlich werden würde. Dabei wusste er doch selbst, dass man Plumpwirkende nie unterschätzen darf.

*

Der maurische Zauberer ist unterdessen in seiner Heimat wieder angekommen. Täglich freut er sich darüber,

"dass dieser Bastard (= Alâ ed-Dîn) unter der Erde verreckt ist."

und trauert über das Abhandenkommen der Lampe. Eines Tages wirft er geomantische Figuren, um zu sehen, was denn nun geschehen ist. Zu seiner Überraschung lebt Alâ ed-Dîn und die Lampe ist verschwunden. Da heißt es, hurtig das Ränzlein schnüren und ab nach China.


(Quelle Wikipedia)

Zu seinem Schrecken erfährt der Maure in China, wie reich und beliebt sein Widersacher geworden ist. Durch seine astrologischen Instrumente kann er die Lampe orten und lässt sich durch einen ortsansässigen Kupferschmied neue bauen. Verkleidet als Händler setzt er sich an den Markt und bietet diese Lampen zum Tausch:

"O, wer vertauscht alte Lampen gegen neue Lampen?"

Der weitere Verlauf ist vorhersehbar: Die Prinzessin Badr el-Budûr lässt die Zauberlampe durch den Obereunuchen eintauschen, und am Abend lässt der fiese Maure das Schloss samt Sklaven und Prinzessin nach Afrika abtransportieren.

Was die durch den Mârid herbeigezauberten Sklaven betrifft, frage ich mich auch, ob diese eine Vorgeschichte haben. Sind sie also von jemand anderem geraubt worden? Oder erschafft der Mârid Menschen und ist also gottgleich?

Als der Sultan das Verschwinden von Schloss und Tochter bemerkt, will er zunächst dem Rat des Wesirs nachgeben, doch nun geschieht etwas eigenartiges: Da Alâ ed-Dîn beim Volk so beliebt ist,

taten sich alle Bürger zusammen, nahmen ihre Waffen in die Hand, verließen ihre Häuser und folgten den Soldaten.

Sie drohen dem Sultan:

"In diesem Augenblick werden wir den Palast über den Häuptern aller, die in ihm sind und auch über deinem Haupte niederreißen, wenn dem Alâ ed-Din das geringste Leid geschieht!"

Das klingt mir denn doch sehr nach französisch-bürgerlicher Erhebung und nicht nach arabischer Story.

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269. Nacht h)

Auf dem Weg zur Physiotherapeutin. In der U-Bahn fährt meine Hand in die Hosentasche. Ein Bonbonpapier. Im Alter von 2 oder 3 Jahren lernte ich, Bonbonpapier nicht einfach auf die Straße, sondern in den Papierkorb zu werfen. Und wenn gerade keiner in der Nähe sei, behalte man es eben in der Hosentasche. Seitdem quellen meine Hosentaschen über mit Dingen, die später woanders abgelegt werden sollen. Wenn ich also jetzt plötzlich stürbe und man mich so fände, müsste man aus meiner Hose folgendes aussortieren:
– ein gebrauchtes Papiertaschentuch
– drei Euro
– mein heutiger Adventskalenderinhalt: zwei Hunde-Witze, einer gezeichnet, einer geschrieben, eingefaltet in eine Hundepostkarte
– mein Schlüsselbund mit Schlüsseln für: Wohnungstür, Haustür, Fahrrad, Briefkasten, drei nicht zuordenbare Schlüssel, ein Schlüssel aus meiner früheren Kammer in der Libauer Str. 9, der mir nun als Flaschenöffner und Erinnerungsstück dient, die Schlüsseltasche mit kaputtem Reißverschluss, ganz blass darauf noch zu entziffern: "Autohaus  […..]sthof"
– meine Armbanduhr
– eine Rolle Tesafilm
– eine angerissene Kaugummipackung "Wrigley Extra Kariesschutz" (nicht empfehlenswert)
– eine leere (von mir taktil als Bonbonpapier) eingestufte Folie einer Lactaid-Kapsel

In der Tasche des Parka:
– zwei Wärmepads
– Inhalt des Adventskalendertürchens vom 7.12.
– Bandmaß aus dem Bauhaus
– leere Kaugummipackungen
– ein Stofftaschentuch (benutzt)
– eine Packung Aldi-Papiertaschentücher "Super Soft" (Wie kommen die zu mir?)
– Fünfteiliges Taschenmesser (Ausklappbar zu Messer und Gabel)
– zwei leere Mini-Haribo-Goldbären-Tüten
– eine abgelaufene Kurzstreckenfahrkarte, abgestempelt am S-Bahnhof Storkower Straße
– Küchenpapiertuch (zum Abwischen des Fahrradsattels benutzt)
– zwei schwarze Strickstoffhandschuhe
– zerknüllter Wegweiser für RAW-Besucher, die ins "Skandal" umgeleitet werden sollen
– Kaugummipapier
– Kaugummipackung
– kleines Taschenmesser meiner Oma, dass ich gestern geschenkt bekam: Perlmuttgriff, zweiteilig
– Portemonnaie mit etwas mehr als 100 Euro, eigene und fremde Visitenkarten, 10-Uhr-Monatskarte, Fahrrad-Ticket AB, Personalausweis, Krankenkassenkarte, Bahncard, Video-Collection-Karte, zerschnittene Kreditkarte, ohne die ich neulich nicht hätte reisen können, und das obwohl sie ungültig war.

Bin ich der Typ, der solche Dinge mit sich herumschleppt? Zwei Messer und lauter Kaugummis? Hundewitze und zerschnittene Kreditkarte? Tesafilm? "Kennen Sie diesen Mann?" Ich hätte verneint.

***

Der Sultan aber wunderte dich in Gedanken auch über die Mutter Alâ ed-Dîns, wie sie früher in ärmlichen Kleidern zu ihm zu kommen pflegte, während ihr Sohn doch über so gewaltige Reichtümer verfügte.

Auch wir wundern uns, aber dieser Widerspruch scheint konsequenzlos zu bleiben.

Am Nachmittag findet noch ein kleines Turnier statt, bei dem

Alâ ed-Din sie alle besiegt hatte.

Dass er sich Reiterkünste vom Marid gewünscht hatte, erfahren wir nicht. Ebensowenig, dass er sie anderswo erworben habe, oder dass der Geist sie ihm überhaupt verleihen könne, denn bisher besteht ja seine Leistung vor allem in der überpünktlichen Lieferung von Waren und Dienstleistungen.

Prinzessin Badr el-Budur betritt nun auch Alâ ed-Dîns Palast, doch zunächst, kommt noch eine 80köpfige Girlgroup des Wegs.

Nun begannen die Mädchen ihre Finger zu regen, so griffen in die Saiten und spielten klagende Wiesen, so dass sie die Herzen der Hörer zerrissen.

Schließlich

erhob Alâ ed-Dîn sich und ging zu seiner Braut ein.

Der böse Wesir bequatscht weiterhin intensiv den Sultan, es fehle noch ein Gitter am oberen Kiosk 269-8a (welches Alâ ed-Din absichtlich freigelassen hatte). Der Sultan will es nun mit allem Gold und allen Edelsteinen fertigstellen, doch es will seinen Juwelieren einfach nicht gelingen. Der Marîd muss wieder ran.
Alâ ed-Din lebt glücklich und besiegt auch durch seinen Mut und seine Kampfkünste ein feindliches Heer.

Unklar, woher diese Fähigkeiten kommen.

Lassen wir nun Alâ ed-Din und sehen wireinmal, was inzwischen aus dem maurischen Zauberer geworden war.

 

269-8a Kiosk – eigentlich ein kleiner Pavillon. etymologisch aus dem Persischen (کیوسک)

269. Nacht g)

Das Problem unter uns freiwurschtelnden Künstlern immer wieder: Wie hältst du’s mit der Disziplin? Sie scheint uns zunächst wie eine Einschränkung der Freiheit, aber wenn wir ziellos durch die Tage mäandern, gehalten von den Verpflichtungen, die man irgendwann eingegangen ist, dann werden die als konservativ abgetanen Rituale ersetzt durch dumme Angewohnheiten. Niemand sagt mir, wann ich zu Bett gehen muss, niemand zwingt mich, den Wecker zu stellen. Und wenn ich dann um 3 Uhr schlafen gehe und um 10 Uhr gerädert aufstehe, weiß ich, dass der Tag nicht so abgelaufen ist, wie er es sollte. Schlimmer noch, wenn man Tätigkeiten als Arbeit verbucht, die eigentlich nur Privat-Entertainment sind, was ohnehin schon verschwimmt, wenn man im künstlerischen Sektor arbeitet und das auch noch mit einem Arbeitsmittel, das zugleich Inspiration beflügeln, Information besorgen, Unterhaltung bereitstellen, Verwaltung und Kommunikation erleichtern und beim Schreiben helfen soll.

*

Für den Sultan ist die Annullierung der Ehe ein dicker Brocken, denn

er hatte schon vor Freuden die zehn Heiligen angerufen, weil ihm ein solches Glück widerfahren war.

Das wäre natürlich mal interessant zu erfahren, von welchen Heiligen hier eigentlich die Rede ist. Im Islam gibt es sie jedenfalls nicht.

Inzwischen sind die drei Monate verstrichen und Alâ ed-Dîns Mutter kommt wieder zum Sultan, um die Vermählung mit ihrem Sohn einzufordern. Der Sultan grämt sich, da

"sie arme Leute sind und nicht zu den Vornehmen gehören."

Der Wesir rät, vierzig Schüsseln aus reinem Waschgold zu verlangen, ferner vierzig Sklavinnen, die die Schüsseln tragen, und vierzig Sklaven.

Soll der Wesir wirklich Waschgold (statt Berggold) gefordert haben? Die Sklavinnen müssten dann aber auch ordentlich durchtrainiert sein, wenn sie die Schüsseln schleppen sollen.

Der Lampengeist sorgt erwartungsgemäß für die Erfüllung des Auftrags. Die Sklavinnen (nebst Eunuchen) marschieren durch die Stadt,

von denen eine jede sogar einem Gottesmanne den Verstand hätte rauben können.

Doch der Wesir ist immer noch von Neid zerfressen:

"Hoher Herr, alle Schätze der Welt sind nicht so viel wert wie ein Nagel von der Hand deiner Tochter."

Diesmal jedoch lässt sich der Sultan nicht abbringen und lässt nach Alâ ed-Dîn schicken. Dieser lässt sich vom Mârid noch ein Bad bescheren, Scherbett und ein Königsgewand. Weiterhin: 48 Mamluken mit Rössern, Rüstungen und Waffen, einen Hengst, wie ihn die Perserkönige reiten, achtunvierzigtausend Dinare und zwölf Sklavinnen. Auf seinem Weg zum Palast wird er vom Volk, dem er Geld zuwirft, bejubelt. Der Sultan ist entsprechend überrascht.

Die Frage liegt nahe, warum dann Alâ ed-Dîn seine Mutter andauernd in Lumpen herumlaufen lässt.

Dann bedachte er auch die reine und feine Redeweise Alâ ed-Dîns.

Wo Alâ ed-Dîn die so schnell gelernt hat, erfahren wir allerdings nicht. Es sprengte vielleicht auch die Macht der Geister, Wünsche nach geistigen Gütern zu erfüllen:

Der Sultan begann, sich mit Alâ ed-Dîn zu unterhalten und mit ihm zu plaudern, während dieser ihm mit aller Höflichkeit und Feinheit der Rede antwortete, als ob er in den Palästen der Könige erzogen wäre.

"Joanne K. Rowling: "Während ich am ersten Band arbeitete, habe ich zahllose Notizen gemacht, wie Zauberei funktioniert, und – ganz, ganz, ganz wichtig – wo ihre Grenzen sind."

Alâ ed-Dîn will aber noch mehr, nämlich für die Prinzessin ein Schloss bauen:

"Ich kann nicht eher zu ihr eingehen, als bis das geschehen ist."

Süße Tugend. Ich hab nicht mal eine Eigentumswohnung.

Und natürlich erledigt der Geist auch diese Aufgabe, ohne groß rumzunörgeln. Seitenweise Beschreibungen des Interieurs. Aber dann

"Ich wünsche mir von dir eins, das noch fehlt und das ich dir zu sagen vergessen habe (…) einen großen Teppich aus Brokat (…), der, wenn er ausgebreitet ist, sich von meinem Schlosse bis zum Sultanspalast erstreckt."

Man muss wohl annehmen, dass hier nicht Alâ ed-Dîn etwas vergessen hat, sondern Galland, der zu faul war, sein Geschreibsel neu zu ordnen. Sloppy writing in den Zeiten vor Copy&Paste.

Das Ehebündnis wird vor den Kadis geschlossen.

269. Nacht f)

Nun also endlich weiter an den 1001 Nächten. Nach über einem Jahr Pause. Die Lektüre führt, so muss ich mir eingestehen, schnell zu Übersättigung. Nur weil ich weiß, dass es weiter hinten noch ein paar hübsche Perlen gibt, lese ich weiter. Aber der Rhythmus ewiger Wiederholungen, redundanter Beschreibungen und flacher Charaktere ermüdet schnell. Hätte man sich nicht doch etwas wie Luhmanns "… der Gesellschaft"-Werke oder Shakespeares Dramen herauspicken können? Aber die Orient-Faszination lässt mich nicht los, selbst wenn es der Galland-gefälschte Orient ist. Als Kind haben mich diese Pluderhosen-und-Turban-Träger aus den Digedag-Comics schon mehr fasziniert als beispielsweise Indianer. Hauff, der mit den 1001-Nacht-Elementen sowieso viel erzählerischer spielt, hatte es mir dann schon angetan, sobald ich lesen konnte. Mein Vater hatte Gott sei Dank ein großes Vertrauen in meine psychische Stabilität. Wer gibt sonst seinem sechsjährigen Kind eine Story wie "Die abgehauene Hand" zu lesen? Meine erster Horror-Erzählung, die ja eigentlich in Florenz spielt, aber aus Sicht eines Griechen berichtet wird, und zwar in einem Zelt einer Karawane.

Ungeordnet ein paar Ereignisse seit meiner letzten Lektüre der 1001 Nächte

– Schmidt-liest-Proust-Lektüre
– Impro-Reisen nach Halle/Saale und Chicago
– Auszug mit der Chaussee erst aus dem Ambulatorium, dann aus der Stenzerhalle
– Umzug von Foxy Freestyle aus dem Edelweiss in die Alte Kantine
– Geburt von Kirstens Kind
– Ich wurde 40.
– Facebookmitgliedschaft
– Silvester in Matzes Theater
– Obama wird Präsident
– Westerwelle wird wohl Außenminister
– Das Görlitzer Kantinenlesen etabliert sich
– Pinguin-Impro-Show im Zebrano
– sieben Workshop-Serien unterrichtet, an einem einzigen teilgenommen
– Juror bei der deutschen Theatersport-Meisterschaft
– 2 Mal in Buckow
– 152 Artikel bei Ebay verkauft
– Keinen Baum gepflanzt
– Kein Kind gezeugt
– Kein Haus gebaut.
– Kein Buch geschrieben
– In Amerika ein wirkungsvolles Mittel gegen Laktose-Intoleranz gefunden.

***

Als Alâ ed-Dîns Mutter ihm die Edelsteine überreicht, sagt der König:

Wahrlich, wer mir solche Juwelen schenkt, der verdient es, der Gemahl meiner Tochter zu werden; denn soweit ich sehe, ist keiner würdiger als er."

Aber wie auch schon in der Erzählung von Nûr ed-Dîn ‘Alî und Enîs el-Dschelîs ist es ein neidischer Wesir, der hier die Pläne zu vereiteln sucht,

weil der König ihm versprochen hatte, er wolle seine Tochter mit seinem Sohne vermählen.

Der entscheidungsunfreudige Sultan gewährt drei Monate Aufschub. Alâ ed-Dîn wartet zwei Monate ab, bevor seine Mutter wieder auf den Basar begibt, wo er erkennt, dass die Stadt zu einer Feier geschmückt ist – der Hochzeit zwischen Sultanstochter und Wesirssohn.

"Mein Sohn, ich will dir eine Kunde melden; aber der Kummer, den sie dir bereitet, wird schwer auf mir lasten."

Hoffentlich nicht so schwer, wie der Kummer des Dorfpfarrers in "Das weiße Band", den dieser erleidet, als er sich gezwungen sieht, seine Kinder mit der Rute zu züchtigen.

Wie Alâ ed-Dîn das hören musste, erfasste ihn ein Fieberanfall vor Kummer; aber gleich darauf dachte er an die Lampe, und erfreut sprach er zu seiner Mutter "Bei deinem Leben, liebe Mutter, ich glaube, der Sohn des Wesirs wird sich ihrer nicht so erfreuen, wie du denkst. Doch lass uns jetzt davon schweigen! Setze das Abendessen vor, auf dass wir speisen."

Die unmittelbare Wirkung psychosomathischer Phänomene ist erstaunlich. Andererseits aber auch, dass niemand auf die Idee zu kommen scheint, dies bewusst zu nutzen. Zumindest bis hier wird nicht einmal dem Gebet eine solche Wirkung zugesprochen Dabei denke ich Inzwischen, dass das islamische Gebet gesundheitlich außerordentlich wirkungsvoll sein muss:
– Die Waschung zuvor ist ja nicht nur rituell, sondern auch ein tatsächliches Waschen.
– Um gültig zu sein, muss das Gebet in völliger Demut erfolgen. Und so erleichtert es das innere Loslassen von Sorgen, Problemen usw. erleichtert psychisch.
– Die Positionen erinnern teilweise an den Sonnengruß im Yoga. Die geöffneten Hände öffnen sich aufs neue der Welt, statt sie dominieren zu wollen.
– Und schließlich ist der Ablauf eine gute Dehnung der Bänder und Muskeln, der Ablauf kann sogar als Gymnastik empfunden werden.

In der Hochzeitsnacht lässt Alâ ed-Dîn den Wesirssohn von seinem Lampengeist auf den Abort schaffen und legt sich selbst neben die Prinzessin,

Geklautes Motiv aus der Geschichte von den drei Äpfeln

legte ein Schwert zwischen sich und sie und ruhte an ihrer Seite auf demselben Lager, ohne etwas Schmähliches zu tun.

Das Motiv, das Schwert als Trennlinie zwischen zwei züchtig Ruhenden zu verwenden, ist weit bekannt und verbreitet, etwa Ring des Nibelungen oder auch im Grimms-Märchen "Die zwei Brüder". Galland hat sich also ordentlich bedienen können. Fragt sich nur: Woher hat der arme Alâ ed-Dîn auf einmal ein Schwert?

Die Verstörung der Prinzessin erklärt die Königin dem Sultan am nächsten Morgen:

"… das ist so bei Neuvermählten; am Tage nach der Hochzeitsnacht schämen sie sich und zieren sich ein wenig."

Die Hochzeitsfeiern gehen weiter und Alâ ed-Dîn wiederholt das Spiel in der folgenden Nacht. Prinzessin und Wesirssohn berichten das Vorgefallene ihren Eltern und annullieren die Ehe.

269. Nacht e) Lernen in einer Woche

Ich stolpere über die Nachricht der Nachrichtenagentur AP: “Erstmals seit Ende des Zweiten Weltkriegs können Bundeswehrsoldaten wieder mit einem speziellen Tapferkeitsorden ausgezeichnet werden.” Abgesehen von der Frage, ob so ein Orden überhaupt notwendig ist, warum steht da “wieder” und “seit Ende des Zweiten Weltkriegs”? Damals gab es doch keine Bundeswehr? Oder sollte sich die Bundeswehr in der Tradition der Wehrmacht sehen? Gott behüte!

Kleinigkeiten, die ich in dieser Woche gelernt habe

  • Montag: Die Impro-Langform “Deconstruction” lässt sich formal auf hunderte Arten spielen, ebenso wie der “Harold”.
    Camouflage war eine schwäbische Band.

  • Dienstag: Es gibt kaum Gerichte, in denen Kohlrabiblätter die Hauptzutat sind. Eines stammt aus Brasilien (wobei hier eigentlich Mineira verwendet wird).

  • Mittwoch: Laktose-Intoleranz ist angeblich durch Biofeedback-Therapie “heilbar”. Andererseits gerade vor ein paar Tagen einen Artikel in der ZEIT gelesen, in dem betont wurde, dass Laktose-Intoleranz eben keine Krankheit sei. Mit anderen Worten, diese seltsame Therapie müsste meine Enzymproduktion wieder derart in die Gänge bringen, dass ich auf einmal wieder anfange Laktase zu produzieren.

  • Donnerstag: Es gibt ein Bundesamt für Steuern.
    Ronald Reagan hatte sich als kalifornischer Gouverneur persönlich für die Absetzung der kommunistischen Professorin Angela Davis eingesetzt. Ob er etwas mit ihrer Verhaftung zu tun hatte, weiß ich nicht.
    Als Bradley-Effekt wird in den USA eine Verzerrung bei Wahlumfragen genannt, bei denen der Interviewte aus sozialer Erwünschtheit nicht zugibt, den schwarzhäutigen Kandidaten nicht wählen zu wollen. Unklar ist, ob dieser Effekt bei den diesjährigen Präsidentschaftswahlen eine Rolle spielt. Was ich außerdem nicht gelernt habe: Ob die Meinungsforschungsinstitute diesen Effekt bei ihren Prognosen schon mit einberechnen.
    Ruth Fischer, die KPD-Chefin der mittleren zwanziger Jahre und Schwester von Hanns Eisler, argumentierte oft antisemitisch, obwohl ihr Vater einer jüdischen Familie entstammte.

  • Freitag: An Tuberkulose erkrankt man vor allem, wenn das Immunsystem geschwächt ist.
    Biofeedback hat nichts mit Bioresonanztherapie zu tun.

  • Samstag: Ich habe bisher keine systemtheoretische Analyse der derzeitigen Wirtschaftskrise gefunden.

  • Sonntag: McCain besänftigt seine Fans, die Obama aufgrund der Schmierenkampagne für einen terroristischen Araber halten. Erstmals tut mir McCain beinahe leid.

***

Nachdem ihr Sohn sie ausführlich beredet hat, begibt sich Alâ ed-Dîns Mutter Mit einer Schüssel voll Edelsteinen zum König von China, um für ihren Sohn um die Hand dessen Tochter anzuhalten.

269. Nacht d)

Was ich mal mochte, jetzt aber nicht mehr

  • Vollmilchschokolade

  • Beethoven

  • Fernsehen überhaupt und Talkshows im Speziellen

  • Recht behalten

  • Auf Rockkonzerte gehen

  • Otto Waalkes

 Was ich mal nicht mochte, jetzt aber schon

  • Ingwer

  • Tanztheater

  • Goethe

  • Mozart

  • Ein Telefon besitzen

  • Yoga

  • Soziologische Systemtheorie und Konstruktivismus

 Was ich mal nicht mochte, jetzt aber immer noch nicht

  • Tocotronic

  • Fisch

  • Orgelfugen

  • Samt

  • Kalt duschen

  • Fußballgucken

  • Walt-Disney-Comics

Was ich mal mochte, jetzt komischerweise immer noch

  • Boney M.

  • Honig

  • Früh aufstehen

  • atonale Musik von Hanns Eisler

  • Texte meiner Kollegen der Chaussee der Enthusiasten

  • Zaubertricks

***

Alâ ed-Dîn hört auf seine Mutter, schmeißt Ring und Lampe weg. Ende der Geschichte.

Alâ ed-Dîn besteht darauf, die Lampe zu behalten. In den folgenden Tagen leben sie vom Verkauf der Schüsseln, deren Wert Alâ ed-Dîn nicht kennt. Er nimmt eine nach der anderen zum Basar, und verkauft sie einem Juden,

der gemeiner war als der Teufel.

Für jede Schüssel erhält er einen Dinar und der Jude flucht insgeheim, dass er ihm

nicht einen Dreier gegeben hatte.


Dreier 17. Jh. (Abb. Numispedia)

 


Golddinar 5. Jh. (Abb. Numispedia)

Scheint eine seltsame Übersetzung aus dem Französischen zu sein. Denn der Dreier als Kleinmünze war nur in Norddeutschland gebräuchlich, nicht aber in Frankreich. In China schon gar nicht.

Nachdem die zehn Schüsseln und auch noch der Tisch verkauft sind, rubbelt Alâ ed-Dîn wieder an der Lampe, alles wiederholt sich. Nach dem Verbrauch der Lebensmittel will er wieder die Schüsseln verkaufen, wird aber von einem muslimischen Händler abgefangen, der ihn darüber aufklärt, dass

den Juden das Gut der Muslime, die den einigen Allah, den Erhabenen verehren, als erlaubte Beute gilt.

Man beachte, dass diese antisemitischen Zeilen vom Franzosen Galland verfasst wurden.

Der muslimische Händler gibt ihm siebzig Dinar pro Schüssel, und Alâ ed-Dîn lernt nun auf dem Basar das Handeln, verkehrt auch unter Juwelieren und erfährt so, dass die Steine, die er aus der Höhle geholt hatte, keine Glasmurmeln sind, sondern Edelsteine.
Eines Tages läuft ein Ausrufer durch die Straßen der Stadt und befiehlt allen, sich zu verbergen,

denn die Herrin Badr el-Budûr, die Tochter des Sultans will sich ins Bad begeben. Jeder, der diesen Befehl übertritt, wird mit dem Tode bestraft werden.

Wie lange war wohl die Prinzessin nicht mehr baden?

Um sie zu beobachten, versteckt sich Alâ ed-Dîn hinter der Tür des Badehauses.

Wer streute Zauberschminke wohl auf die Blicke ihr
Und pflückte Rosenblüten wohl von der Wange ihr?
Ein nächtlich Dunkel ziert der Haare schwarze Pracht,
Doch ihrer Stirne Licht erhellt die finstre Nacht.

Die ersten Verse in dieser Erzählung. Man beachte den Primreim der ersten beiden Zeilen.

Alâ ed-Dîn kehrt heim, legt sich nieder und wird liebeskrank.

269. Nacht c) – Berlin Marathon 2008

Eine gute Woche ist nun nach dem Berlin Marathon vergangen. Ich bin völlig erholt. Aber auch der Lauf selber ging so gut wie noch nie. Keine Blasen während des Laufs, kein Mann mit dem Hammer, keine Gelenkprobleme, keine Krämpfe, keine ausgedehnten Gehpausen. Von Anfang an, lief alles perfekt.

Ich hatte vorher die etwas seltsame Idee, meine während des Laufs zunehmenden physischen Probleme zu dokumentieren, indem ich an jedem Kilometer einen Stopp einlegte. Aber das Leid hielt sich in Grenzen, vielleichtgerade wegen der kurzen Pausen. Schon bei km 9 habe ich die erste kleine Stretchingpause eingelegt. Ab der Hälfte widmete ich jeden weiteren Kilometer einigen Personen, die mir gerade wichtig sind.

Den kompletten Lauf habe ich hier dokumentiert

***

Es mutet schon etwas seltsam an, dass der Maure so schnell aufgibt, da er ja immerhin mehrere Jahre gebraucht haben muss, bis er nach China gelangt ist.

Nachdem Alâ ed-Dîn mit Weinen und Klagen fertig ist, besinnt er sich des Rings, den ihm der Zauberer gegeben hat. Er fleht weiter zu Allah und ringt dabei wie ein Trauernder mit den Händen, so

dass seine Hand an dem Ringe rieb.

Aber warum musste er sich da des Ringes besinnen?

Es erscheint ein Dämon, der bekennt, er sei der Sklave des Ringträgers. Alâ ed-Dîn befiehlt ihm, ihn zu befreien, was auch höchste Zeit wird, da er schon seit drei Tagen in der Höhle festsitzt. Er geht den Weg zurück, den er gekommen ist und

dankte Allah dem Erhabenen, der ihn zur Oberfläche der Erde herausgeführt und ihn vom Tode errettet hatte.

Allah? Oder nicht doch der Dämon?

Alâ ed-Dîn kehrt ins Haus seiner Mutter zurück und berichtet ihr alles ausführlich,

was wir dann auch noch in aller Ausführlichkeit lesen müssen, Galland scheint Zeilen schinden zu wollen. An anderen Stellen in "1001 Nacht" heißt es immer: "Doppelt erklärt ist nichts wert."

Nachdem sich der Sohn ausgeruht hat, will die Mutter zum Basar gehen, um vom Erlös des gesponnenen Garns Essen zu kaufen. Alâ ed-Dîn rät ihr, lieber die Lampe zu verkaufen, die brächte sicherlich mehr Geld. Doch wie Mütter so sind, sie meint, man müsse die Lampe vorher putzen, dann brächte sie einen höheren Erlös. Ein Dämon erscheint. Sie fällt in Ohnmacht, Alâ ed-Dîn jedoch befiehlt dem Geist, gutes Essen zu besorgen, dies bringt er augenblicklich herbei. Ausdrücklich erwähnt wird darunter nur:

Brot, weißer als Schnee.

Sie essen sich satt, aber anschließend bittet die Mutter ihren Sohn Alâ ed-Dîn darum, Ring und Lampe fortzuwerfen:

"denn sie verursachen uns große Furcht; (…) Auch wäre es eine Sünde für uns, mit ihnen zu verkehren; denn der Prophet – Allah segne ihn und gebe ihm Heil – warnt uns vor ihnen."… Weiterlesen

269. Nacht b) Jekaterinburg – Jonglage mit Omnibusschimmeln

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Jekaterinburg – Jonglage mit Omnibusschimmeln

(12.4.07)
E-Mails und das Weltweitgewebe katapultieren einen gedanklich nach Hause. In wenigen Stunden ist man nun nach Asien geflogen, hat sich flink ein paar Urteile zurechtgebastelt, hat in einem Tschechenrestaurant gespeist, von weitem die Gedenkstätte für die Zarenfamilie in Augenschein genommen. Das Reisen wird banalisiert, die grundlegenden Fakten kann ich mir ganz ohne Reiseführer aus der deutschen Wikipedia zusammenklauben. Es liegt einzig in der Kraft des Einzelnen, sich die Aufregung zurückzuerobern. Goethe ritt aus purer Neugier nach Italien, und das zu einer Zeit, als man in Italien nichts davon wusste, was man außerhalb von Italien für ein Italienbild hatte, und somit auch keine entsprechenden standardisierten Klischee-Wünsche industriell zu befriedigen wusste. Das Staunen war echt. Heute hat jede Stadt, jeder Ort ihr Muss-man-gesehen-haben, und dort ist Staunen Pflicht. Da man aber zu einer derartigen spontanen Empfindung ja allein durch die Standardisierung des Ortes nicht in der Lage ist, muss der Besucher die Besonderheit durch das Hervorholen der Kamera signalisieren. Aber selbst das ist vergebliche Liebesmüh, denn um so gute Fotos wie die vom Postkartenstand oder in der Google-Bildersuche hinzukriegen, müsste man schon mehrere Jahre in eine Profi-Fotografen-Ausbildung investieren. Man kann sich zwar auch selber vor der Sehenswürdigkeit ablichten lassen, aber was ist das viel mehr als der Beweis, seine Pflicht des Sich-Ablichtens vor der Sehenswürdigkeit erfüllt zu haben? Da uns also die Unmittelbarkeit des Erstaunens versperrt bleibt, suchen wir panisch die Besonderheit im kleinen Detail: Man hält es schon für verrückt, dass Jekaterinburg eine Millionenstadt ohne McDonald’s ist, die Schreibtische im Hotel sind aus Massivholz, im Erdgeschoss der Rüstungsfabrik eine Spielhölle. Jochen Schmidt geht spazieren, um dem Zufall auf die Sprünge zu helfen. Ich gehe schlafen, um meinen Jetlag auszugleichen.

(13.4.07)
Das hier angebotene Frühstück deutet darauf hin, dass die Hoteliers mit westeuropäischen Standards in Berührung gekommen sind, sogar ein probiotisch anmutendes Müsli lockt auf dem Büffet. Die vier Fernseher, auf denen Dauernachrichten dröhnen, sind so angeordnet, dass man ihnen nicht ausweichen kann, und so muss ich es zulassen, dass mir die morgendliche Mahlzeit mit Bildern vom Anschlag auf das irakische Parlament gewürzt wird. Vielleicht ist man das als Frühstücksfernsehgucker gewöhnt, aber ich habe keinen Fernseher mehr und reagiere morgens auf solche Bilder wie ein Kleinkind, das man mit Thrash-Metal-Doppelalbum weckt.
In der Jekaterinburger Universität sollen wir vor den Deutsch-Studenten einen Vortrag über die Berliner Lesebühnen halten. Das können sie dann im Studienbuch unter "Landeskunde" verbuchen. Zunächst hatte ich Jochens Einstiegsreferat, das er mir per Mail zugeschickt hatte, für etwas speziell gehalten: Würde eine 19jährige russische Studentin verstehen, was es für einen wendegebeutelten Ostdeutschen im Jahre 1998 bedeutete, den Humor launiger Kurzgeschichten zu entdecken? Würden sie die Anspielungen verstehen, die Bedeutung von Steins Gebet gegen die Arbeit, dass wir uns an der Tatsache aufgegeilt hatten, dass Tube mit kaputten Schuhen auf die Bühne ging? Kurz vor Beginn des Seminars wärmen wir uns im Institutsbüro auf. Ich beäuge die Lehrbücher in den Regalen. "Zeitungsdeutsch verstehen" klingt gut. In diesem Buch von 1968 wird sogar mit Wörtern wie Omnibusschimmel jongliert. Wenn man hier sogar Vokabeln benutzt, die nicht einmal ich kenne, dann werden sie wohl auch Jochens Vortrag verstehen. Notfalls werde ich die Sache mit ein paar Fotos und Filmen von unseren Lesebühnen auflockern.
Endlich auf der richtigen Seite des Hörsaals stehen – auf der Seite der Wahrheit. Nicht einmal die Professorinnen dürfen uns hier kritisieren, denn wir sind die Experten, die Spezialisten. Jochen beginnt den Einstiegsvortrag mit der Binsenweisheit, überall in der Welt glaube man, die Deutschen hätten keinen Humor. Die Studentinnen schauen ihn angesichts dieser Neuigkeit an wie einen Senegalesen, der dasselbe von seinem Volk behauptet. Jochens Einsamkeit, Tubes kaputte Schuhe, die Studentinnen in der hintersten Reihe beginnen, Käsekästchen zu spielen, eine Bemerkung darüber, wie witzig es doch war, wie Ahne damals 1998 eine Serie über seine Möbelstücke vorlas – von der hinteren bis zur mittleren Reihe machen die Studentinnen nun ihre Hausaufgaben für die nächste Stunde oder schicken SMS. Die Freude, die Wahrheit gepachtet zu haben, verfliegt, wenn sich für die Wahrheit niemand interessiert, außer ein paar Professorinnen.
Ein Wort zu den Männern: Ihre Aufgabe in diesem Hörsaal besteht darin, den Beamer zu installieren, dann verschwinden sie. Der einzige männliche Student hier, wird wohl entweder der Hahn im Korb sein oder der schwulste Mann westlich von Wladiwostok. Fragen zu Jochens Vortrag gibt es keine. Ich versuche, mit einem kleinen Chaussee-der-Enthusiasten-Filmchen aufzulockern. Leider ist der Film auf der Riesenleinwand nur so groß wie eine Postkarte und man kann wegen des schlechten Tons nichts verstehen. Ich erkläre, was man da jetzt sehen könnte.
Ich spreche langsam.
In Hauptsätzen.
Damit alle Studentinnen verstehen.
Das sind Jochen und ich.
Bei einer Lesung.
Wir sprechen da gerade über Gewalt.
Über Gewalt von Frauen gegen Männer.
Die Studentinnen lachen.
Ich notiere auf einem Zettel: "Gewalt-Witze gegen Männer funktionieren."
Und? Gibt es jetzt Fragen?
Warum schreiben Sie? – Weil wir es in der Schule gelernt haben?
Kennen Sie russische Autoren? – Ja.
Haben Sie schon mal Probleme mit der Polizei gehabt? – Nur, wenn Stephan Zeisig die Diskothek zu laut aufgedreht hat.
Für das Referat würde ich uns eine Drei Plus geben, aber hinterher kommen ein paar achtzehnjährige Studentinnen an, die so aussehen, als hätten sie ihre Pubertät noch vor sich und begehren Autogramme. Wir zieren uns nicht.

***

Nachdem der Maure seinem angeblichen Neffen Alâ ed-Dîn die Sehenswürdigkeiten und sogar den Sultanspalast gezeigt hat, verspricht er ihm, ihn am Freitag nach dem Gottesdienst zur Stadt hinauszuführen – zu den Gärten und Lustplätzen.

In welcher chinesischen Stadt sollte den ein Sultan über ein muslimisches Volk geherrscht haben?
Was nicht besonders für Gallands Erzähltalent spricht: Die Handlungen werden angekündigt, ausgeführt und berichtet, so dass wir sie drei Mal lesen müssen.

Die beiden gehen also vor die Tore der Stadt, wo

die Wasser flossen aus Mäulern von Löwen, die von gelbem Messing waren.

Es dauert mehrere Stunden, und Alâ ed-Dîn verliert allmählich die Geduld,

bis sie zu der Stätte gelangten, die das Ziel des maurischen Zauberers war.

Alâ ed-Dîn holt auf Geheiß des Mauren Brennholz, und dieser entfacht ein Feuer, zaubert ein bisschen, und der Erdboden öffnet sich. Alâ ed-Dîn versucht zu fliehen, doch der Maure schlägt ihn nieder. Im Boden ist eine Platte eingelassen, in die ein Ring eingefasst ist, den nur unser Held Alâ ed-Dîn zu heben vermag. Dies tut er und steigt auch hinab, da ihm der scheinbare Oheim verspricht, er könne ihn reich machen. Alâ ed-Dîn möge in den hinteren Saal gehen und von dort die Lampe holen. Erst auf dem Rückweg dürfe er sich die Taschen mit Juwelen, Gold und Silber vollstopfen, die er in den dorthin führenden Gärten finden würde. Zur Sicherheit steckt er ihm einen Siegelring an den Finger, den man nur in der Not zu drehen bräuchte.
Alâ ed-Dîn tut wie ihm befohlen wurde. Als er mit der Lampe zurückkommt, ist die letzte Stufe der Treppe zu hoch, und Alâ ed-Dîn bittet seinen "Oheim", ihm zu helfen, doch dieser verlangt zuerst die Lampe. Da Alâ ed-Dîn aber die Lampe unter all den Juwelen hat, vermag er nicht an sie zu gelangen.
Vor Zorn wirft der Maure Weihrauch ins Feuer, und die Platte schließt sich über Alâ ed-Dîn.

Das Motiv ist eindeutig das vom "Blauen Licht" bei Grimms bzw. der Version von Andersen "Das Feuerzeug". Unklar bleibt, wer hier von wem abgekupfert hat. "Das Blaue Licht" erschien in der Grimmschen Sammlung 1814, es ist durchaus denkbar, dass "Aladin" oder Motive dieser Geschichte zu jener Zeit in popularisierter mündlicher Form durch Europa geisterten.… Weiterlesen

269. Nacht a) – Jekaterinburg – Betrug fängt im Kopf an

(12.4.07)

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Jekaterinburg – Betrug fängt im Kopf an

Am Jekaterinburger Flughafen empfängt uns Irina. Ich habe noch nie eine russische Reisebegleiterin erlebt, die nicht Irina hieß. Wahrscheinlich eine zwingende Voraussetzung bei der Bewerbung um diesen begehrten Job Womöglich legen russische Eltern per Namensgebung den beruflichen Weg ihrer Nachkommen fest. Gennadis werden Metro-Rolltreppen-Reparateure und Irinas Reisebegleiter für deutsche Touristen.
Der vom Goethe-Institut angeheuerte Fahrer wirkt wie einer jener Schlägertypen des KGB aus amerikanischen Spionagefilmen. Schweigsam, aber irgendwann, wenn er von oben das Kommando bekommt, wird er uns umlegen und seinem Kommissar Bericht erstatten. Bis dahin verhält er sich zugeknöpft und korrekt. Das früher Swerdlowsk genannte Jekaterinburg ist, so berichtet uns der Fahrer-Agent, nach Moskau, Petersburg und Nishni-Nowgorod die viertgrößte Stadt Russlands. Allerdings wird man das in den Städten Omsk, Nowosibirsk und Krasnojarsk, die wir in den nächsten Tagen besuchen, ebenfalls behaupten.
Jekaterinburg scheint sich in der Phase der ursprünglichen Akkumulation zu befinden (s. Karl Marx: Das Kapital Band I): Holzhäuschen, Beton-Glas-Stahl-Konstruktionen und Sowjetfassaden wechseln sich ohne Sinn und Verstand ab. Die Hauptstraßen sind, wie uns auch auch aus anderen russischen Städten bekannt ist, dermaßen breit, dass man als Fußgänger einen halben Tag braucht, um auf die andere Straßenseite zu gelangen. Dabei fuhr zur Zeit ihrer Entstehung höchstens alle zwei Stunden ein PKW den Leninprospekt herunter. Jochen Schmidt argumentiert, es läge an den extrem breiten Flüssen Russlands. Doch warum sind dann die Straßen des am Mississippi-Delta gelegenen New Orleans so wurschtelig schmal? Ich vermute eher, dass die russischen Architekten nach der Oktoberrevolution alle erschossen wurden und man das Relaunch einer Kindergarten-Werkstatt übertrug: Patsche-patsche – fertig ist die Straße. Der weitblickende Stalin ließ die Verantwortlichen erschießen, aber die Straßen wurden dennoch gebaut, denn die seherischen Fähigkeiten des Generalissimus ließen ihn schon damals erahnen, dass der zu hochprozentigem Alkohol neigende Russe als Autofahrer ein großzügig angelegtes Manövrierfeld benötigt.
Das Hotel gehört zu den besten der Stadt. Falko Hennig, der vor kurzem ebenfalls in Russland aufgetreten war, hatte berichtet, dass man ihm die Rezeption per Anruf ein paar Abendhäppchen anbot, die nicht nur aus Kaviar, Wodka und frisch gezapftem Bier sondern auch aus frisch bezopften russischen Mädchen bestanden. Sollte man, nachdem man so oft derartige Angebote auf der Oranienburger Straße abgelehnt hat, sich nicht wenigstens mal nach dem Preis erkundigen. Aber was, wenn es nachher bloß 2,99 Euro kostet? Dann kann man sich schlecht rausreden, das es einem zu teuer wäre. Man könnte ja auch nur mal mit dem zu einer derart erniedrigenden Arbeit gezwungenen Mädchen reden, und das unter “Recherche” verbuchen, wobei ich natürlich nichts dagegen hätte, wenn mir das arme Mädchen während unseres Gesprächs den Nacken massiert. Oder die Füße, oder den Bauch, oder die Schläfen, den Rücken, die Oberschenkel. Ab welcher Art von Massage würde ich meine Freundin betrügen? Doch eigentlich nur, wenn das Mädchen einen Körperteil berührt, der von meinem Slip eingefasst wird. Aber heißt das, dass Beziehung, Treue und Liebe nur auf Hintern und Genitalien beschränkt sind. Treue oder Betrug – das fängt doch im Kopf an. Und wenn es alles nur eine Frage des Kopfes ist, dann könnte ich auch gleich die Hose runterlassen. Angstvoll schiele ich nach 23 Uhr immer wieder auf das Telefon, aber es bleibt still. Glück gehabt.

***

Die Geschichte von Alâ ed-Dîn und der Wunderlampe
(Aladin)

In einer Stadt in China lebt ein armer Schneider, dessen Sohn Alâ ed-Dîn heißt.

Und dieser Knabe war von seiner Jugend auf ein Tunichtgut und Taugenichts.

Schon dieser Anfang ist anders konstruiert als die bisherigen Erzählungen, und es ist unglaubwürdig, dass Galland die Geschichte woanders als in seinem Kopf “gefunden” hat:

  • Der Held ist bei 1001 Nacht in der Regel noch gar nicht geboren.

  • Warum hat er einen arabischen Namen, wenn er in China lebt?

  • Warum heißt er genau so wie der Held der vorherigen Geschichte?

  • Tunichtgut und Taugenichts scheinen auch eher vom europäischen Ethos geprägte Bezeichnungen zu sein als typische zu überwindende Eigenschaften.

Alâ ed-Dîn spielt nun auch lieber

mit den anderen Buben, Lehrlingen,

als seinem Vater zu helfen, welcher dann auch stirbt.

Seine arme, unglückliche Mutter aber musste ihn von dem ernähren, was sie durch Spinnen mit eigener Hand verdiente, bis er fünfzehn Jahre alt war.

Spinnen als Handwerk der Ärmsten – auch ein europäisches Motiv?

Eines Tages kommt ein maurischer Derwisch in die Stadt, der Alâ ed-Dîn beobachtet:

“Dieser Knabe da ist ja der, den ich suche.”

Dass der Derwisch ein Maure sein soll, scheint mir ebenfalls eine europäische Projektion. In der Figur des Mauren sammelt sich das Unheimliche, das Exotische, das Dunkle, das Afrikanische verbindet sich mit dem Orient. Der Derwisch wäre eher im persischen Raum zu vermuten, bestenfalls in Ostafrika.

Der Derwisch gibt sich als Oheim Alâ ed-Dîns aus und beklagt den “Tod seines Bruders”. Er erklärt, Alâ ed-Dîn solle nun wie sein Sohn sein, gibt ihm zehn Dinare und kündigt seinen Besuch bei ihm und seiner Mutter an. Die Mutter scheint einigermaßen verwundert über den nie gekannten Oheim, kocht aber am nächsten Tag, als Alâ ed-Dîn wieder mit zwei Dinaren heimkommt ein gutes Essen, um den Mauren zu empfangen.
Langwierig erzählt der Maure (man könnte auch sagen Galland) eine dürre Geschichte, wie er von seinem angeblichen Bruder getrennt wurde und nun nach vierzig Jahren wieder zurückkehrte. Er fragt nach dem Handwerk Alâ ed-Dîns und die Mutter klagt:

“Mühsam spinne ich Baumwolle Tag und Nacht.”

Der Derwisch verspricht Alâ ed-Dîn, ihn zu einem feinen Kaufherrn zu machen. Da

freute er sich sehr; denn er wusste genau, dass diese Herren alle immer feine und saubere Kleider tragen.

Ich kann mir nicht helfen – auch das klingt für mich europäisch.

Am nächsten Tag führt der Maure Alâ ed-Dîn zum Basar, kleidet ihn ein, geht mit ihm ins Badehaus, trinkt mit ihm Scherbett und

zeigte ihm die Stadt, die Moscheen und alles Sehenswerte, was es in dem Orte gab.

Das sollte Alâ ed-Dîn, der Herumtreiber noch nicht gesehen haben?… Weiterlesen

269. Nacht – Strickkleider und Schnarch-Lacher

(12.4.07)

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Strickkleider und Schnarch-Lacher

Angeblich sind die Zwischenansagen des Kapitäns und der Stewardessen auch auf Deutsch. Erkennen kann man es nicht, der Tonfall und der Klang sind dieselben.
Als wir in Moskau ankommen, jammert Jochen, er habe im Flugzeug nicht schlafen können. Somit ist Jochen Schmidt der einzige Mensch, den ich kenne, der auch im Wachsein schnarcht, von ein paar Schnarchlachern abgesehen, deren Vorkommen in meiner unmittelbaren Umgebung in den letzten Monaten zugenommen hat. Ein Schnarchlacher ist ein Mensch, dessen Lachen zwar einigermaßen verhalten klingt, der dann aber beim Luftholen kräftig grunzt. Haben die dafür zuständigen Ärzte den Grund für dieses Phänomen schon mal untersucht? Ich glaube nicht.
Passkontrolle. Jochen wird angeschnauzt, weil er unverschämterweise kein Einreiseformular ausgefüllt hat. “Ot kuda?”, fragt er und will wahrscheinlich wissen, woher man diese Papiere bekommt, ich vermute aufgrund der barschen Reaktion der Flughafenaufpasserin einen Vokabelfehler. Willkommen in Russland.
In der Nähe des Flughafencafés, von dem wir abgeholt werden sollen, legen wir uns auf die Wartebänke zwischen die jemand Videosäulen gebaut hat, auf denen ein Drei-Minuten-Video des World Wildlife Funds läuft. Ein Jaguar und ein Hirsch. Der Hirsch, dann wieder der Jaguar. Der Jaguar im Schnee, der Hirsch im Schnee. Der Hirsch bei Nacht, der Jaguar bei Nacht. Wie in einem Liebesfilm fragt man sich: Kriegen sie sich oder kriegen sie sich nicht? Oder anders gefragt: Unter welchen Umständen kriegen sie sich? Aber der Zuschauer wird enttäuscht. Wie in einer Liebeskomödie aus den 50er Jahren sieht man das Paar erst am Morgen danach. Der Jaguar kaut schon etwas übersättigt an den Hirschresten. Hab ich etwas verpasst? Ich habe in den nächsten 5 Stunden genug Gelegenheit, meine Filmanalyse zu verifizieren, denn der dreiminütige Jaguar-Hirsch-Clip läuft hier als Endlos-Schleife.
Unsere deutsche Begleiterin Dana, die man uns für die nächsten Tage als Beschützerin zugeordnet hat, können wir gar nicht erkennen, so russisch ist sie gekleidet. Aber das ist ein Schicksal, das anscheinend jedem widerfährt, der länger als ein halbes Jahr hier lebt. In der Schule konnte man früher auch die Russischlehrerinnen, die ein Jahr lang in Moskau studiert hatten, an ihrer Vorliebe für unvorteilhafte Strickkleider, altmodische Tropfenformbrillen, unzweckmäßige Plastegürtel und eigenwilliges Naschwerk identifizieren.
Der Binnenflughafen Scheremetjewo 1, zu dem uns Dana lotst, wirkt, als hätten ihn russische Leibeigene vor der Erfindung der zivilen Luftfahrt erbaut. Die slawische Rustikalität des Gebäudes und der hier angebotenen Nahrung kontrastiert auf beeindruckende Weise mit der distinguierten Preisgestaltung der Cafeteria.
Ein gleichzeitig geschäftsmännisch aber auch polit-mafiös wirkender Bartträger, den ich instinktiv-rassistisch als Armenier einordne, setzt sich, drei Russen nehmen neben ihm Platz, und ein Sonnenbrillenträger baut sich ostentativ als Personenschützer am Eingang des Cafés auf. Die drei Russen sind die Idealtypen des russischen Mannes:
1. der fette Alkoholiker-Macho á la Jelzin
2. der fetthaarige Funktionär á la Karpow
3. der Bodybuilder á la Iwan die Kampfmaschine in Rocky IV
Um ein Binnenflugzeug in Russland zu besteigen, muss man sich beim Sicherheits-Check fast bis auf den Leoparden-Schlüpper ausziehen. Ich vermute, dass sie nur von ihrer mangelhaften Durchleuchte-Technik ablenken wollen. Wenn man kein Messer mitnehmen darf, warum gibt es dann in der Ersten Klasse Stahlbesteck und Glasflaschen?
Die Sitzreihen sind diesmal so eng, dass sogar Jochen Probleme hat. Falls sich mein Vordermann anlehnt, werde ich mir die Kniescheiben brechen. Jochen hat den Gangsitz, aber sobald er seine Beine etwas rausschiebt, pfeifen ihn die Stewardessen zusammen. Müssen die eigentlich auch einen Freundlichkeitskurs belegen. Der Umstand, dass sie auf diesem Flug nur sachlich und nicht mürrisch sind, scheint das zu belegen.
Ankunft Jekaterinburg. Die übliche Hektik bei der Landung. Diesmal ist das Flugzeug gerade erst einmal aufgedetscht und noch nicht mit dem Bremsen fertig, als schon einige Eifrige aufstehen. Es nutzt ihnen nichts. Beim Warten aufs Gepäck sehen wir uns alle wieder. Eine Gruppe Kaukasier hat Pech gehabt. Das Gepäck ist auf dem Rollfeld vom Laster gefallen, aber jetzt ist leider Mittagspause in Jekaterinburg, da könne man nichts machen. Kaukasier sind in Russland eben nur Kaukasier und stehen in der sozialen Hierarchie irgendwo zwischen Dieb und Hund. Und so müssen die Kaukasier bis zum nächsten Flug warten und der kommt in fünf Stunden.

Als genuesische König erwacht,

sah er Alâ ed-Dîn und seine eigene Tochter auf seiner Brust sitzen,

die ihn auch noch mit Waffengewalt überreden wollen, zum Islam zu konvertieren.

So könnte im Jahre 2008 ein Horrorfilm beginnen: Ein Staatsoberhaupt wacht auf, und auf seiner Brust sitzt seine plötzlich zum Islam konvertierte Tochter, begleitet von einem grimmigen Moslem.

Da zückte Alâ ed-Dîn den Dolch und durchschnitt ihm die Kehle von Ader zu Ader. Dann schrieb er auf ein Blatt, was sich zu getragen hatte, und legte es ihm auf die Stirn.

Die Prinzessin ist in der Lage, den Zauberstein zu bedienen, den sie reibt. Es erscheint ein Ruhelager, mit dem sie sich in die Lüfte erheben und fliehen. Der Stein versetzt sie außerdem in die Lage,

  • in einem öden Tal Bäume wachsen und einen Fluss fließen zu lassen, an dem sie die religiöse Waschung vollziehen können

  • einen Tisch mit Speisen erscheinen zu lassen

  • einen Ritter erscheinen zu lassen, der die Truppen bekämpft, die der Bruder der Prinzessin ihnen hinterhergeschickt hat

vgl. Tischlein-deck-dich bei Grimms, wo der Reiter seine Entsprechung im Knüppel-aus-dem-Sack hat

Man reist weiter nach Alexandrien, wo sie Ahmed ed-Danaf treffen. Mit dem fliegenden Ruhelager reisen sie über den Umweg Kairo, wo Alâ ed-Din seinen Vater wiedertrifft, nach Bagdad, wo er seinen nun zwanzigjährigen Sohn Aslân zum ersten Mal sieht. Der Kalif führt den Erzdieb Ahmed Kamâkim vor.

Sofort zog Alâ ed-Dîn sein Schwert und schlug ihm den Kopf ab.

Der Kalif lässt den Ehevertrag für Alâ ed-Dîn und die genuesische Prinzessin Husn Marjam schreiben.

Als er dann zu ihr einging, fand er, dass sie eine undurchbohrte Perle war.

Aslân wird zum Hauptmann der sechzig ernannt.

Hier endet die Geschichte, und man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass am Ende Zauberstein und Dämonen quasi hervorgezaubert wurden, um die Handlungsstränge zusammenzuknoten. Die Idee von einer erzählenswerten Geschichte ist hier völlig anders – es geht viel mehr ums Erzählen selbst, die Geschichte von Alâ ed-Dîn ist die einer seltsamen Biografie, weniger die von einer seltsamen Begebenheit.

Ende

Die 269. Nacht wird zwar fortgesetzt, ist aber außergewöhnlich lang, da Galland hier die (wahrscheinlich von ihm selbst erfundene) Geschichte von Alâ ed-Dîn und der Wunderlampe eingefügt hat.… Weiterlesen

268. Nacht – Eigenwilliges Naschwerk und Leopardenschlüpper für österreichische Experimental-Oboistinnen

Helge Schneider: "Ich bin kein Kirchist."

**

Im April 2007 durfte ich mit Jochen Schmidt nach Sibirien reisen. Den Bericht darüber habe ich bisher bei der Chaussee der Enthusiasten vorgelesen, aber sonst noch nicht veröffentlicht. Es ist an der Zeit.

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Eigenwilliges Naschwerk und Leopardenschlüpper für österreichische Experimental-Oboistinnen

 

Man hatte die Hoffnung ja schon längst aufgegeben, dass sich ein Goethe-Institut-Knecht finden würde, der die Chaussee der Enthusiasten auf eine Lese-Tour nach Russland einladen würde. Dabei lag es ja auf der Hand: Kurze, leicht übersetzbare, aber anspruchsvolle Geschichten, vorgetragen von anmutigen Autoren, die aus ihrem Russland-Faible nie einen Hehl gemacht hatten, sondern ihn wie einen Pionierwimpel vor sich hertrugen. Was hatte ich nicht alles getan: Ich hatte dem Institut ein Chaussee-der-Enthusiasten-Buch und einen ganzen Stapel unserer Hefte geschickt, auf unsere erfolgreichen Auftritte in Amsterdam und Lille verwiesen, meine Scham überwunden und schlechten Gewissens eine von mir einmal verlassene Freundin wieder angerufen, von der ich wusste, dass sie jemanden kannte, der jemanden kannte, der im russischen Goethe-Institut arbeitete, wir hatten uns sogar nach einer Moskauer Straße benannt. Stattdessen setzte man in Moskau lieber darauf, Dichterinnen, die vor 10 Jahren mal bei einem Provinz-Poetry-Slam den dritten Platz belegt hatten, oder gar österreichische Experimental-Oboistinnen wieder und wieder ins Russenreich zu karren, weil das ja die anderen Goethe-Institute auch so praktizierten. Und so kam die E-Mail mit der Einladung nach Sibirien etwas unerwartet. Sie hatten den Zeitpunkt gut abgepasst. Ich war knapp unter Vierzig, und so konnten sie mich noch unter der Kategorie “Junger Schriftsteller” ankündigen, aber dieses Etikett gilt in Deutschland vielleicht für jeden, bei dem man sich noch keine Gedanken machen muss, mit welchen Vorrichtungen man den Rollstuhl auf die Bühne gehievt kriegt.
Ich arbeitete an einer Übersetzung, trat viermal pro Woche auf, unterrichtete 2 Improvisationsheaterklassen, ermunterte meine an Frühschwangerschaftskotzerei leidende Schwester, und vertröstete meine Gefährtin Woche für Woche, Regale, Lampen, Lichtschalter, Vorhänge und Bilderrahmen anzubringen, die seit unserem Einzug vor 3 Monaten immer noch vorwurfsvoll im Korridor standen. Kein günstiger Zeitpunkt, um sich nach Sibirien zu verpissen. Aber Russland war ein Magnet für mich, es zog mich an und stieß mich ab. Ich hatte mich Anfang der 90er mit jungen Moskauer Punkbands befreundet, wir waren viermal auf die Krim gereist, ich hatte 1991 den Putsch gegen Gorbatschow live vom Fenster eines Freundes miterleben dürfen, und ebenso die Beschießung des Parlaments zwei Jahre später, ich hatte eine russische Patentochter, die ich fast nie sah, meine Mutter war in russischer Kriegsgefangenschaft entstanden, ich liebte russische Musik und das raue russische Essen, und ich verabscheute die “russische Seele”, die die russischen Rohlinge immer dann aus dem Sack ließen, wenn sie ihre Grobheit in Wodka ertränkt hatten, dann aber nicht etwa zärtlich wurden, sondern schlicht zur allergröbsten Grobheit nicht mehr in der Lage waren. Kurz gesagt: Ich musste nach Sibirien.
***
Als ich in der Abreisenacht rucksackbeladen und wegen eines Auftritts leicht verspätet, um 23.30 Uhr vom Bahnhof Treptower Park meinen Reise- und Lesebegleiter Jochen Schmidt auf dem Handy anrufe, damit er die Damen auf dem Flughafen davon abhalten möge, das Check In zu früh zu beenden, ich würde mich schon beeilen, wundere ich mich über die fehlenden Flughafen-Hall-Geräusche am anderen Ende der Leitung. Schmidt ist noch nicht einmal aus seiner Wohnung gegangen, und so bleibt es mir überlassen, die Damen auf dem Flughafen zur Verlängerung des Check In zu Jochens Gunsten überreden.
Wir sind die letzten Passagiere, bei der Sicherheits-Überprüfung nimmt man uns schon nicht mehr ernst und schäkert untereinander, nicht wissend, dass aufmerksame Schriftstellerohren die Metalldetektorpforte durchqueren. Der Dialog in diesem Setting zwischen der einen Politesse an der Durchleuchtmaschine und der anderen mit der ulkigen Detektorlupe könnte der Beginn eines Tarantino-Films sein:
“Wat willste denn da nach Thailand extra nô Hemden mitnehmen?”
“Na, een T-Shirt dô wenigstens!”
“Nö, da loofen wa dô alle nackee rum! Ne Zahnbürschte und ‘n Leoparden-Schlüppa, dit muss reichen.”
“‘n Leoparden-Schlüppa? Du hast ‘n Leoparden-Schlüppa! Ick fasset nich!”
Wir müssen weiter, dürfen nicht mehr mitlauschen, aber im Geiste drehe ich den Film weiter: Nach uns letzten beiden Passagieren kommt noch der Sky-Marshall angehetzt, bei dem (wie immer) der Alarm piept. Er lässt (wie immer) einen flotten Spruch fallen, man kichert. Im Flugzeug stellt er sich heraus, dass der Sky-Marhall selber ein Entführer ist. Cut! Zeitsprung. Er wurde von seinem sadistischen SM-Partner dazu gezwungen. Cut! Der Pilot vertuscht seit Jahren seine starke Sehbehinderung, aber er hängt an dem Job wegen der nymphomanischen Stewardessen. Als der kriminelle Sky-Marshal droht, dem Piloten die Augen auszustechen, lacht der nur, da das für ihn ja keinen Unterschied mehr macht. Das Flugzeug landet nun immer wieder auf verschiedenen Flughäfen in aller Welt, kein Land fühlt sich zuständig, und kein Innenminister nirgends will die Befreiung der Geiseln unternehmen, da das Risiko zu klein ist, und man sich somit keine Lorbeeren als harter Bulle verdienen kann. Inzwischen ist der sadistische Partner des Sky-Marshalls in Thailand angekommen, wo er sich zu seiner eigenen Überraschung, nicht mit einer Thai-Prostituierten, sondern einer deutschen Touristin vergnügt, in die er sich verliebt hat. Sie belustigen sich im Swimmingpool des Hotels, doch als er sie dort für seine Sado-Spielchen ausnutzen will, wehrt sie sich. Am nächsten Morgen findet das Personal seine Leiche auf dem Grund des Swimmingpools. Sie stellen fest, dass er mit einem Leoparden-Schlüppa erwürgt wurde.
***
Wir heben ab, Jochen setzt sich seine Schlafmaske auf und klemmt sich Ohropax in die beiden dafür vorgesehenen Körperöffnungen. Mit diesen Utensilien, die für ihn so wichtig sind wie für Asthmatiker ihr Spray, eliminiert er zwei wichtige Wahrnehmungsformen, und glaubt irrigerweise, ihre Benutzung garantierten ihm Schlaf.
Um drei Uhr nachts wird das Frühstück serviert. Und während ich wieder einmal meine Knie abwechselnd in den Gang, in Jochens Magengrube und gegen die Rückenlehne meines Vordermanns platziere, frage ich mich, ob diese Nahrungsersatzverabreichung auf kurzen Flügen nicht lediglich dazu dient, die Fahrgäste bei Laune zu halten, da sie sich sonst wie Kinder benehmen: Ich muss mal, ich will was zu trinken, mir ist warm, ich muss mal, wann sind wir endlich da, nein der da hat angefangen, wieso darf ich mir denn keine Mütze aus dem Security-Prospekt basteln?
 

***

Die Prinzessin spricht zu einer Begleiterin

"Du hast mich aufgeheitert, Zubaida!"

Und so erkennt Alâ ed-Dîn, dass diese Zubaida seine Gattin ist, die doch eigentlich tot sein müsste.
Die Prinzessin fährt fort, Zubaida zu trösten, Alâ ed-Dîn sei

in dieser Kammer dort und hört, was wir reden."

Sie rennen auf einander zu und sinken ohnmächtig zu Boden. Es stellt sich heraus, dass eine im Dienst der Prinzessin stehende Dämonin in den Körper von Zubaida gefahren war und Zubaida auf diese Weise zur Prinzessin gelangte.

Deus ex machina.

Dieser Prinzessin war durch ihre Großmutter geweissagt worden, sie würde eines Tages Alâ ed-Dîn heiraten.
Alâ ed-Dîn geht auf das Angebot ein, vorausgesetzt, sie ist Muslimin. Das ist sie tatsächlich, denn sie

las die vier Bücher, die Tora, das Evangelium, die Psalmen und den Koran.

Das hat sie bekehrt. Zubaida nimmt das neuerliche Eheversprechen ihres Gatten klaglos hin.
Außerdem klärt ihn die Prinzessin über die Vorgänge in Bagdad seit seiner Abreise auf. Den fünfeckigen Zauberstein habe sie übrigens von ihrer Großmutter, und sie hatte ihn Alâ ed-Dîn zukommen lassen Der Kapitän war einer ihrer Verehrer, den sie losschickte, um Alâ ed-Dîn nach Genua zu holen. Ihr Vater wiederum hat eine große Angst vor Alexandriern, die er alle hinrichten lässt, da ihm durch seine Mutter geweissagt wurde, er würde durch einen Mann aus Alexandrien getötet.

Man ahnt schon, wer ihres Vaters Mörder sein wird.

Am Abend betäuben sie den König mit Wein und Bendsch, fesseln ihn und geben ihm

das Gegenmittel gegen Bendsch.

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267. Nacht – Angeostetwerden und Karl der Dicke

Text der Woche:

Wie ich mal vom ewigen Angeostetwerden die Nase voll hatte

Mal wieder auf den Fernsehturm gehen müsste man. Warum lässt man sich als Berliner den Aufenthalt in den hier doch in üppiger Zahl verteilten annehmbaren Sehenswürdigkeiten vermiesen durch die Gegenwart Bekannter dritten Grades, die meistens über eine Nervigkeitswucht ersten Grades verfügen? Ich war noch nie ohne Begleitung von Touristen oder Berlin-Neulingen am Brandenburger Tor oder auf eben auf dem Fernsehturm. Ich besitze gar keinen Fernseher mehr. Bekommt von dem Fernsehturm-Eintrittsgeld das Fernsehen womöglich etwas ab? Dann spare ich mir den schönen Ausblick. Nicht dass ich auch noch schuld bin an dem Dreck, der da produziert wird. Hinterher will wieder keiner etwas gewusst haben. Wenn mich dereinst meine Enkel fragen: Großvater, was hast du damals getan, gegen den TV-Wahn, dann werde ich mich outen müssen, auf dem Fernsehturm gewesen zu sein. Und mehr noch – dass ich selber ein Kulturschaffender gewesen bin, der diesen ganzen Wahnsinn mit am Laufen gehalten hat. Die Kulturindustrie wurde von den Herrschenden geschaffen, um am Abend das erstarrte Grinsen der Verkäuferinnen aufzulockern. Hoppla, da habe ich mich wohl ein bisschen veradornoisiert. Horkheimer, Adorno, Brecht, Eisler – die ganze deutsche 40er-Jahre-Emigranten-Truppe – sie alle waren deutsche Angepisstheit gewohnt und konnten sich nicht vorstellen, warum Verkäuferinnen freiwillig lächeln könnten. Sie versuchten, mit ihren Dramen, Gedichten und theoretischen Abhandlungen den amerikanischen Kapitalisten die Lächel-Maske vom Gesicht zu zerren, die Verhältnisse zu enthüllen. Doch die Amis zuckten nur mit den Schultern – das wussten sie schon lange, und lächelten trotzdem.
Die Oberlächler sind bekanntlich die Ost-Asiaten, die einen hierzulande Geborenen oft regelrecht wahnsinnig machen mit ihrer Lächlerei. Der West-Asiate hingegen wohnt im Iran und in Afghanistan und wirkt auf uns grimmig, weil wir in ihm den Islamisten vermuten, der er manchmal auch ist. Der Ex-Vietnamese Thich Nhat Hanh – einer der Chef-Lächler und auch im Westen populären Zen-Meister – meint, dass das Lächeln einerseits, wenn man glücklich ist, von selber komme. Andererseits könne man auch sein eigenes Glück herbeiprovozieren, einfach in dem man lächle. Die Mitteleuropäer – von schlechtem Wetter und einer leidenden Religions-Ikone geprägt, wollen immer nur heulen. Und wenn man einem von ihnen sagt: "Du bist lustig", nippt der an seinem Bier und sagt: "Bin ich nicht."

 

Jetzt sieht es so aus, als wolle ich Lächelei auf religiöse Ursachen zurückführen. Schnickschnack! Die größten Lächler leben auf den Philippinen und in Indonesien – Katholiken und Moslems also. Also was nun? Ist der Wohnort das entscheidende Kriterium, oder wirken die Asiaten womöglich nur so, als ob sie lächeln, und in Wirklichkeit haben sie nur ein breites Gesicht? Auf diese Rutschbahn, die direkt in die Rassistenvorhölle führt, möchte ich mich auch nicht setzen.
Auf eine Rutschbahn der etwas anderen Art hätte mich kürzlich beinahe ein Experiment geführt. Improvisationstheater, mit dem ich mich nun schon seit einigen Jahren beschäftige, macht sich die Klarheit einer einfachen Regel zunutze: "Sag einfach Ja." Dahinter steckt die Idee: Wer Nein sagt, gewinnt Sicherheit. Wer Ja sagt, gewinnt Abenteuer. Was geschieht nun, so mein Gedanke, wenn man mal eine Woche lang übermäßig oft bejaht statt verneint. Ein kleines Spiel mit mir selbst: Jasagen in Situationen, die ich sonst instinktiv verneinen würde. Erstaunt hat mich dabei eigentlich, wie selten ich Angebote verneine. Immerhin war ich netter als sonst, und zwar auch zu Grobianen und hatte Glück, dass mich meine Freundin nicht darum bat, ihre Putzarbeiten zu übernehmen. Und doch gab es ein Ansinnen, auf das ich trotz meines Experiments nicht einging: Einer Dame, von der ich auf einer Party eine halbe Stunde lang angeostet wurde, meinen Personalausweis zu zeigen, um die Echtheit meines Vornamens zu beweisen, da im Osten ihrer besoffenen Meinung nach dieser Name nicht existierte. Überhaupt muss die Anosterei ein Ende haben. Ich will:
– keine Komplimente dafür, dass ich aus dem Osten bin und schon gar nicht dafür dass man mir das ansieht
– keine Vorwürfe dafür, dass ich eine Band, einen Film, einen thüringischen Dichter oder Liedermacher nicht kenne, weil ich den doch kennen müsse, wenn ich aus dem Osten käme.
– nicht darüber belehrt werden, wie man dies oder jenes früher im Osten genannt habe und ob ich denn nun schon völlig verwestlicht sei, weil ich Führerschein sage
– nicht, dass man mir unterstellt, ich hätte gern "Als ich fortging" von Karussell gern gehört, das hätten wir doch alle gern gehört.
– nicht hören, die NVA sei doch eine lustige Truppe gewesen.
– nicht, dass man mir sagt, im Osten hätte keiner Ost-Jeans getragen, das sei peinlich gewesen.
Ich musste Ost-Jeans tragen, weil ich zu den wenigen Ostlern gehörte, die weder Westverwandte hatte noch Ostverwandte, die in der Partei waren. Weder hatte ich was mit der Opposition zu schaffen, noch ging ich drei Jahre zur Armee. Ich war nicht in der Kirche und trotzdem sangen wir zuhause nicht die Ost-Weihnachtslieder, sondern die religiösen. Ich war in der FDJ, aber nicht in der DSF. Ich habe nie Urlaub in Bulgarien gemacht. Ich war weder Fan von Kurt Demmler, noch von Stephan Krawczyk. Obwohl wir nur 300 Meter von der Hauptzentrale der Staatssicherheit wohnten, habe ich von deren Aktivitäten nie etwas mitbekommen. Ich bin einmal wegen Verdacht auf Republikflucht verhaftet worden, wäre aber trotz meines extremen DDR-Frusts nicht einmal im Herbst 89 auf die Idee gekommen zu flüchten.

***

Alâ ed-Dîns Laden indessen scheint weniger gut zu laufen:

Der hatte inzwischen alles verkauft.

Als besonders cleverer Händler wurde er uns auch nicht eingeführt.

Das Letzte, was ihm bleibt, ist ein geschliffener fünfeckiger Stein mit Zaubernamen und Zeichen. Reiben bringt hier allerdings gar nichts. Und so verkauft er das Ding einem europäischen Konsul.

Anscheinend war "Konsul" zeitweise im arabischen Raum eine allgemeine Bezeichnung für reiche Europäer.

Der Konsul bittet Alâ ed-Dîn, mit auf sein Schiff zu kommen, wo er das Geld aufbewahre. Dort betäubt er ihn mit Scherbett, in welches Bendsch gemixt wurde.
Das Schiff legt ab und der "Konsul" ist in Wahrheit ein Kapitän, der auf der Reise auch noch

ein Schiff mit vierzig muslimischen Kaufleuten

plündern lässt. Sie erreichen Genua.

Was wiederum ein Hinweis dafür sein könnte, dass es sich doch um einen Konsul handelt, da dies in Genua ein Titel von Staatsbediensteten war.

Der Kapitän/Konsul schenkt einer verschleierten Dame den Stein. Die vierzig muslimischen Kaufleute werden zum "König der Stadt" geführt.

Völlig unklar, wer hier gemeint ist. Ich halte es für unwahrscheinlich, dass Karl der Dicke(römischer Kaiser zur Zeit Harûn er-Raschids) als König von Genua bezeichnet wird. Wahrscheinlicher ist ein bürgerliches Stadtoberhaupt oder eben die reine Phantasie beim Zurechtspinnen dieser Geschichte.

Man fragt jeden der muslimischen Kaufleute, woher er komme. Und jeder antwortet:

"Aus Alexandrien."

Daraufhin lässt man sie köpfen.

Seltsam, dass sich niemand bemüht, die Antwort zu variieren. Auch Ala ed-Dîn nicht,

der auch hingerichtet werden soll, doch da greift eine Alte ein, die den König daran erinnert, er habe ihr einen Gefangenen zur Klosterarbeit versprochen. Der König überlässt ihr nun Alâ ed-Dîn, und dieser soll übermäßig Frondienste für die Kirche tun. Dies überlastet ihn dermaßen, dass er sich fast lieber hinrichten lassen will. Aber die Kloster-Chefin gibt ihm den Rat, mit einem Kreuzstab durch die Stadt zu ziehen und durch diese Autorität könne er reich und arm, hoch und niedrig zur Arbeit für die Kirche verdonnern.
Dies geht eine Weile gut. Eines Tages beurlaubt ihn die Alte, da die Tochter des Königs zur Kirche wallfahren möchte und ihr niemand im Wege stehen soll. Aber Ala ed-Dîn  verbirgt sich hinter einer Mauer, um die Prinzessin Husn Marjam zu beobachten. Er verliebt sich in sie.

Vergessen sind Zubaida und Jasmin. Letztere immerhin der Grund, warum er in dieser Situation steckt.
Als König von Genua wird nun "Johannes" genannt.… Weiterlesen

266. Nacht – Negativismus oder Granaten?

Robert M. Bramson rät, “schwierige Menschen” weder zu ignorieren noch sie ändern zu wollen, sondern mit ihnen umzugehen. Er teilt sie ein in:

  • Die Feindlich-Agrressiven: Sherman Tanks, Scharfschützen, Granaten

  • Die Ich-weiß-alles-Experten

  • Nörgler

  • Negativisten

  • Die Unempfänglichen

  • Die Super-Angenehmen

  • Die Unentschiedenen

Und wie “schwierig” bin ich?

***

Nachdem seine Mutter ihm dazu rät, bittet Aslân den Hauptmann Ahmed ed-Danaf Blutrache zu nehmen. Dieser wiederum rät Aslân dazu, an den Spielen zu Ehren des Kalifen teilzunehmen, eine tapfere Tat zu vollbringen und den Kalifen, falls dieser eine Bitte gewährt, um Blutrache zu bitten.
Aslân setzt diesen Rat in die Tat um. Seine tapfere Tat besteht darin, einen Spion, der den Spielball mit einem Schlegel dem Kalifen ins Gesicht schleudern will, zu Fall zu bringen. Um diesen Spion wird nicht viel Aufheben gemacht. Er gesteht, ein Ketzer zu sein und wird hingerichtet.
Der Erzdieb Ahmed Kamakîm wird verhaftet, und man findet die Juwelenlampe des Kalifen bei ihm. Auch dem Präfekten Emir Chalîd soll das Leben verkürzt werden, aber dieser kann sich herausreden, der Plan sei

zwischen der Alten und Ahmed Kamakîm und meiner Frau ausgeheckt

Er schiebt sogar seine eigene Frau vor!

Da legte Aslân Fürbitte ein,

da es immerhin der Präfekt war, der ihn aufzog.
Auch Ahmed ed-Danaf kommt ins Spiel und verkündet Harûn er-Raschîd, er wisse, wo sich Alâ ed-Dîn befinde:

“Bei deinem Haupte, meine Rede ist wahr!”

Auch nett: Beim Haupt des Gesprächspartners zu schwören.

Nun sagte der Kalif: “Ich befehle dir, ihn zu bringen.”

265. Nacht – Video Trainingslauf Tips

Trainingslauf durch den Plänterwald für den Berlin-Marathon 2008. Joggingtips zu

  • Schlüsselmitnahme

  • Starttempo

  • Hunden

  • Brennnesseln

  • Sowjetisches Ehrenmal

  • Plänterwald-Ganoven

  • Tempo-Erhöhung

Video zu lang? Zu verwackelt? Ja.

 

***

 

Ahmed ed-Danaf beschließt, Alâ ed-Dîn nach Alexandrien zu bringen:

"Das ist eine gesegnete Stadt, ihre Schwelle ist grün, und das Leben in ihr ist angenehm."

Sie verlassen die Stadt und begegnen außerhalb zwei jüdische Steuereintreiber des Kalifen, von denen Ahmed Danaf je hundert Dinare Schutzgeld fordert. Sie geben sie ihm,

danach erschlug Ahmed ed-Danaf die beiden, nahm die Mauleselinnen und bestieg die eine, während er Alâ ed-Dîn auf der anderen reiten ließ.

Dieser Mord erscheint völlig selbstverständlich und die Lakonie der Erwähnung ist eigentlich nur durch puren Judenhass zu erklären. Denn immerhin müsste Ahmed ed-Danaf davor zurückschrecken, Diener des Kalifen zu ermorden. Selbst die Beute rechtfertigt die Tötung nicht: Zwei Maulesel und zweihundert Dinare hätte Ahmed ed-Danaf sicher leicht selbst besorgen können.

Sie erreichen Ajâs und reisen von dort aus mit dem Schiff nach Alexandrien weiter. Auf dem dortigen Markt ersteigern sie einen Altwarenladen, und Alâ ed-Dîn wird so zum Händler,

"denn Allah der Erhabene hat den Handel gesegnet."

Als Ahmed ed-Danaf nach Bagdad zurückkehrt, wird er Zeuge einer Unterredung zwischen dem Kalifen und dem Wesir Dscha’far. Harun er-Raschîd will die Leiche des gehängten Alâ ed-Dîn sehen. Man geht zum Galgenfelde, und dem Kalif kommen Zweifel an der Identität des Toten, die Dscha’far auszuräumen versucht:

  • Die Leiche ist ja länger als Alâ ed-Dîn

  • "Ein Gehängter wird länger."

  • "Dieser da hat ein dunkles Antlitz."

  • Der Tod macht schwarz.

  • Auf den Fersen des Toten stehen die Namen der ersten beiden Kalifen 265

  • "Preis sei Allah, der die verborgenen Dinge kennt. Wir wissen nicht, ob dieser da Alâ ed-Dîn ist oder ein anderer."

Großmutter, warum hast du so große Augen?

Man verscharrt die Leiche und Alâ ed-Dîn gilt fürderhin als verschollen.
Ebenso verscharrt man Habzalam Bazzâza, der aus Liebeskummer stirbt. Jasmin aber bringt einen Knaben zur Welt, den sie Aslân nennt.

Sie säugte ihn zwei volle Jahre.

Zur Vorbeugung gegen Allergien wird derzeit für die ersten 6 Monate ausschließliches Ernähren durch Muttermilch empfohlen.

Als der Knabe laufen lernt, rennt er eines Tages davon und dem Polizeipräfekten in die Arme, der die Ähnlichkeit mit Alâ ed-Dîn erkennt. Er rät der Mutter aus Sicherheit für das Kind auf etwaige Nachfragen zu behaupten, es sei der Sohn des Präfekten.
Er lässt den Knaben beschneiden, lehrt ihn lesen, schreiben und den Koran auswendig lernen, das Kriegshandwerk, bis er mit vierzehn Jahren den Rang eines Emirs erreicht.
Eines Tages trifft dieser den Erzdieb Ahmed Kamâkim, der die gestohlene Juwelenlampe des Kalifen mit sich führt und ihm, ohne Namen zu nennen, die Geschichte des Diebstahls und des Todes von Habzalam Bazzâza und der Hinrichtung des falschen Diebs berichtet.
Auf dem Heimweg begegnet er Ahmed ed-Danaf.

Welch ein Zufall! Von diesem war ja jetzt vierzehn Jahre lang keine Rede mehr.

Nun berichtet seine Mutter Jasmin ihm die ganze Wahrheit.

 

 

 

265 D.h. Abu Bakr und Omar. Dies impliziert, der Tote sei Schiit, da Schiiten sich angeblich die Namen der ersten Kalifen auf die Fersen tätowieren lassen um auf ihnen herumtrampeln zu können.

 

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264. Nacht – Marathonvorbereitungen

Immer noch weiß ich nicht, ob ich wirklich am 28.9.08 den Marathon laufen soll. Wesentlich schlechter in Form als 2005 und 2006. (2007 konnte ich ja wegen der Zerrung gar nicht mitlaufen.) Den 30-km-Testlauf in 3:10 Stunden gelaufen. Da brauche ich mir für den Marathon kaum eine Zeit zu setzen, sondern kann froh sein, wenn ich durchhalte. Andererseits ist es auch Quatsch, von vornherein so defätistisch an die Sache zu gehen. Also werde ich mich wohl in der Nähe der 4:30-Stunden-Läufer aufhalten, solange ich es kann. 2005 haben diese mich kurz hinterm Wilden Eber abgehängt, 2006 auf dem Kurfürstendamm.
Ich melde mich ja überhaupt nur für den Marathon an, um einen Grund zu haben, regelmäßig laufen zu gehen, also könnte man sagen, dass ich ihn dann gar nicht mitzulaufen bräuchte. Aber dann wird mich das ja auch beim nächsten Mal nicht mehr motivieren. Eine Katze ohne Ende, die sich den Schwanz abbeißt.

***

Mit dem Firman des Kalifen ausgestattet durchsucht der Ex-Dieb und jetzige Hauptmann Ahmed Kamâkam die Häuser des Kalifen, Dscha’fars und die der anderen Statthalter und Kammerherren, bis er an Ala ed-Dîns Haus kommt, wo er zielgerichtet mit seinem Durchsuchungsstab die Marmorplatte zerstört, unter der er die Gegenstände versteckt hat.
Man nimmt Alâ ed-Dîn gefangen, sie

rissen ihm den Turban vom Haupte

und beschlagnahmen sein Vermögen, nicht ohne alles zu verzeichnen.
Jasmin, seine neue Frau, wird von Kamâkam dem Sohn des Präfekten zugeführt.

Sobald Habzalam Bazzâza sie erblickte, ward er wieder gesund, sprang rasch auf und wollte sich ihr hocherfreut nähern. Sie aber zog den Dolch aus ihrem Gürtel und rief: “Bleib mir fern! Sonst töte ich dich und mich!” Da schrie seine Mutter Chatûn zu ihr: “Du Metze, lass meinen Sohn sein Verlangen an dir tun!”

Da sich Jasmin weiter verweigert, wird sie gezwungen, in härenen Gewändern Küchendienst zu leisten.
Alâ ed-Din indessen wird vor den Kalifen geführt, der in seiner Wut Einwände nicht gelten lässt und Alâ ed-Dîn zum Galgen fortschaffen lässt.

Es fragt sich, ob dies eine Geschichte ist, die auch zu Harûns Lebzeiten geschrieben wurde. Besonders weise scheint er nicht zu sein.

Ahmed ed-Danaf indessen, der Vater der verstorbenen Zubaida, der Gattin Alâ ed-Dins, erfährt durch den Wasserträger Hasan Schumân vom Schicksal Alâ ed-Dîns. Die beiden begeben sich zum Gefängnis und lassen sich einen Gefangenen, der Alâ ed-Dîn ähnlich sieht aushändigen. Sie kommen gerade noch rechtzeitig zur Hinrichtungsprozedur und handeln mit dem Henker den echten für den falschen Alâ ed-Dîn aus.

“Wir wollen Ismael durch den Widder loskaufen.”

Dies wird verständlich dadurch, dass im Islam Ismael (und nicht Isaak) von Abraham (Ibrahim) geopfert werden sollte.

Also nahm der Henker jenen Mann und hängte ihn an der Stelle Alâ ed-Dîns.

263. Nacht – Kurt Schwaens Miniaturen

Meine Lieblingsplatte zurzeit ist Kurt Schwaens späte Miniaturen.

Mit über 80 Jahren komponierte er ziemlich raffinierte kleine Klavierstücke, die andererseits voller Klarheit sind. Sehr tröstliche Musik.
Ich mochte Schwaens Musik schon immer recht gern, wenn ich über sie stolperte. Diese Platte war ein bewusster Risiko-Kauf. Großartig!

***

 

Man führt den Erzdieb vor den Kalifen, der ihn fragt, ob er bereut. Ja, macht er. Da aber die Fesseln laut Inschrift

nur auf der Bank des Leichenwäschers

gelöst werden dürfen, führt man ihn zum Leichenwäscher. Er betrinkt sich, und seine Mutter beauftragt ihn, den Tod von Alâ ed-Dîn herbeizuführen und dem Sohn der Präfektengattin die schöne Jasmin zuzuführen. Er willigt ein, es noch in dieser Nacht zu tun, denn in der ersten Nacht des Monats weilt der Kalif bei seiner Frau Zubaida, hinterlässt eine juwelenbesetzte Lampe und legt

den Rosenkranz, den Dolch und den königlichen Siegelring ab.

Bewaffnet mit Schwert und Fangkralle schleicht er sich durch eine Falltür des Saaldaches, betäubt die Eunuchen mit Bendsch und klaut die Wertsachen. Danach begibt er sich zum Hause Alâ ed-Dîns, welcher gerade mit seiner neuen Sklavin Hochzeit gefeiert und zu ihr eingegangen war. Der Erzdieb verbirgt das Eigentum des Kalifen unter einer Marmorplatte.
Als der Kalif seine Wertgegenstände nicht wiederfindet,

da ergrimmte er gewaltig; er legte das Gewand des Zornes an, das war ein rotes Gewand.

Anscheinend nur bildlich zu verstehen.

Der Kalif will nun den Polizeipräfekten hinrichten lassen, doch der neue Hauptmann und Ex-Ex-Erzdieb setzt sich für ihn ein und verspricht, sich auf die Suche zu machen, nicht ohne den Kalifenpalast und den Palast des Hauptmannes der Sechzig (Alâ ed-Dîn) zu durchsuchen.

262 einhalbte Nacht – Massenmord im Iran

Mal ein Wechsel der Tonart.
Schreibe hier seit über anderthalb Jahren Exzerpte über phantastische Märchen, aber lasse die Gegenwart der Region weitgehend außer acht.

Persien/Iran
Als sich 1982 die absoluten Hardliner in der iranischen Führungsclique durchgesetzt hatten, wurde keine Abweichung mehr geduldet. Selbst jene, die früher die Revolution unterstützt hatten, wurden nun verhaftet oder umgebracht. Tausende wurden unter absurden Anschuldigungen ins Evin-Gefängnis gesteckt und erlitten unglaubliche Folter.
Als sei das nicht genug, wurden sie 1988 noch einmal vor ein Tribunal gestellt, wo man ihnen Abtrünnigkeit vom Islam vorwarf. Beschuldigt zu werden bedeutete, verurteilt zu werden. Verurteilt zu werden bedeutete Tod.
Meine gute alte Freundin Lale Behzadi schrieb in der Online-Ausgabe der ZEIT einen anrührenden Artikel über den Tod ihres Vaters Manoutchehr Behzadi.
Einen Bericht über jene Zeit aus der Sicht seiner Frau, die aus der DDR in den Iran ging, findet sich auf Spiegel Online: “Du wirst sehen, Iran ist wunderschön!”
Im September jähren sich die bis heute unaufgeklärten Massenmorde zum zwanzigsten Mal.

******

Keine Nacht heute.

262. Nacht – Gedicht, in dem ein Kuckuck auftaucht, aber nur als Symbol

Gedicht des Tages

Statt Kuckuck sagte ich Good-bye.

In einem kleinen Nestlein,
da wohnten einst drei Vöglein.
Zwei Amseln und ein Kuckuck,
gar drollig anzuschaun.

Der Kuckuck war geschlüpfet
aus einem Kuckuscks-Eie,
das seine Mutter legte
den Amseln in die Wohnung.

Sie fütterten ihn fleißig.
Instinkt ihr Kompass war.
Wärn Amseln Säugetiere,
sög Kuckuck aus den Zitzen.

Wir Menschen bémitléiden
die Amsel-Eltern gern,
denn ihre Liebe, scheint uns,
wird schamlos ausgenutzet.

Warum versetzen wir uns
nur ungern in den Kuckuck,
der ohne Amseln stürbe?
Wie kurzsichtig von uns!
*
Dies bedenkend schritt ich neulich
durch die U-Bahn-Unterführung,
als ich ein Akkordeon
mit Zigeuner sah.

Obwohl – man muss ja Sinti sagen.
Oder Roma. Kommt drauf an.
Davon wird die Músik aber
auch nicht angenehmer.

Abwärtsterzen deuteten
jenen Kuckucksruf an. “Hä?”
dachte ich, “ich hab doch
grad an Kuckucke gedacht!”

Doch um wieviel wuchs mein Staunen
als der greise Sinti plötzlich
ein gekochtes Ei verspeiste.
Ein Vogel hätt draus werden können!

Andrerseits besaß er keinen
gelben Schnabel wie die Amseln.
Vögeln nur gebühret diese
smarte Laune der Natur.

Als ich später mit dem Omni-
busse heimfuhr, da bemerkt’ ich
keine weitren Gleichnisse,
denn ich hielt ein Nickerchen.

Fatalerweise fuhr ich deshalb
bis zum Busbahnhofe mit,
wo man meinen Omnibus
pflichtgemäß polierte.

Stämmig war der Busputzér.
Zierlich seine Buskollegin,
die, als ich sie fragte, wie
ich denn jetzt nach Hause käme,

ohne sich noch lang zu zieren,
mich nach Weißensee mitnahm,
wo sie ein Apartment hatte.
Ich zögerte nicht lange.

Und gleich einem Kuckucks-Ei
wurde ich von ihr bebrütet.
Öko-Futter fand ich reichlich
in ihrem Kühlschrank. Mnjam-mnjam!

Flügge wurd ich Stunden später.
Statt Kuckuck sagte ich Good-bye.
Und mit einer Kuckucksfeder
schrieb ich dies Gedicht.

Oder nicht.

***

Da Alâ ed-Dîn nicht zur Sklavin eingegangen war, lässt ihm der Kalif Harûn er-Raschîd vom Wesir Dscha’far eine neue Sklavin für zehntausend Dinar auf dem Sklavenmarkt kaufen. Die beiden begeben sich dorthin und ahnen nicht, dass auch der Polizeipräfekt beauftragt wurde, eine Sklavin zu kaufen, denn er und seine Frau haben einen hässlichen Sohn namens Habzalam Bazzâza 262, der

hatte noch nicht reiten gelernt.

In welchem Sinne?

Polizeipräfekt und Alâ ed-Dîn überbieten sich gegenseitig, als sie eine schöne Sklavin namens Jasmin entdecken.
Schließlich erhält Alâ ed-Dîn den Zuschlag, und Habzalam wird liebeskrank.

Wie [die Mutter] so in Trauer um ihren Sohn zu Hause saß, da trat plötzlich eine Alte zu ihr ein, die bekannt war als die Mutter des Erzdiebes Ahmed Kamâkim. Dieser Erzdieb pflegte mitten durch die Wand zu bohren und oben auf eine Mauer zu klimmen und die Schminke von den Augenwimpern zu stehlen.

Dieser Erzdieb war zuvor Wachhauptmann gewesen, ließ sich aber beim Klauen erwischen, wird zum Tode verurteilt, aber zu lebenslanger Haft begnadigt, auf seine Fesseln wird geschrieben:

“Bestimmt, bis zum Tode an ihm zu bleiben und erst auf der Bank des Leichenwäschers zu lösen.”

Die beiden Frauen gehen nun einen Deal ein: Chatûn, die Mutter des hässlichen Habzalam, legt bei ihrem Mann, dem Präfekten ein gutes Wort für den Erzdieb ein, und umgekehrt soll der Erzdieb dem Habzalam helfen.
Chatûn soll sich nun schöne Gewänder anlegen, und

“wenn er dann von dir verlangt, was die Männer von den Frauen verlangen, so versage dich ihm und sei ihm nicht zu Willen!”

Durch den Schwur der Scheidung soll sie ihm einen Wunsch abringen – die Freilassung des Erzdiebs.

262 deutsch: Schwarzbeule Dickwanst

261. Nacht – Hate Comments

Bemerkenswert: Mit dem am Dienstag hier geposteten kleinen, ziemlich albernen Video kann man die Emotionen der Amis auf die Spitze treiben. Wie kann ich es wagen zu behaupten, Waffen seien zum Töten gedacht! Die empörten Kommentare haben dazu geführt, dass eines meiner Videos erstmals auf Platz 1 einer Youtube-Statistik schoss: Das am heißesten diskutierte Video des Tages in Deutschland.

Auszüge aus den Kommentaren:

"There is no right to life if you can’t defend that life. Killers love defenseless victims!"

"I’m sorry your daddy raised you to be such the sissy that you have a fear of firearms and I suppose seeing Palin handle the cold steel makes you feel like even less of a man. Just vote for Obama like the other 50,000 gun fearing queers on the internet who eat up bandwith with these tired old Olbermann style commentaries."

"I may not like to hunt but I do realize that the second amendment is NECESSARY ino order for the citizens of the United States to defend themselves, and the Supreme Court decided the exact same thing."

***

Zum Trost für die verlorene Frau schenkt der Kalif Alâ ed-Dîn eine Sklavin namens Kût el-Kulûb, in dem er ihr samt Dienern und Eunuchen befiehlt, bei ihm einzuziehen. Alâ ed-Dîn, einigermaßen verwirrt, nickt den neuen Dienern zu, verspricht aber, niemals ihre Gemächer zu betreten, denn

"was des Herren war, darf nicht des Dieners sein."

Unklar: Damit könnte er praktisch jedes Geschenk des Kalifen zurückweisen.

Täglich "überweist" Alâ ed-Dîn ihr hundert Dinare.
Als der Wesir Dscha’far ihn fragt, ob er schon zu ihr eingegangen sei, antwortet er:

"Ich weiß weder, wie hoch noch wie breit sie ist."

Auch dem Kalifen gibt er diese Antwort, als dieser verkleidet, aber erkannt, sich nachts zu Alâ ed-Dîn begibt.

260. Nacht – Sarah Palin: Pro Gun + Pro Death

Mit zwanzig Ideen morgens aufgewacht, nachdem ich am Abend zuvor im Wikipedia-Artikel über Bipolarität gelesen hatte, dass sich in der Phase der Manie die Gedanken überschlagen…
Die scheinbar unaufwändigste versuche ich dann umzusetzen, aber dieser kleine billige hat mich doch mehrere Stunde gekostet. Ach was, ich will mich gar nicht beklagen.

 
Pro Death

***

Alâ ed-Dîns Aufstieg schreitet fort. Der Hauptmann der Sechzig stirbt kinderlos, und der Kalif macht ihn zu seinem Nachfolger und Erben:

"Begrab ihn in der Erde, und nimm alles was er an Sklaven, Sklavinnen und Dienern hinterlassen hat."
Darauf schwenkte er das Taschentuch.

Womit die Versammlung beendet ist.

Kurze Zeit darauf verlässt Zubaida, die Lautnerin, ihn nachts,

um ein Bedürfnis zu verrichten,

sie schreit kurz auf und stirbt.

Praktischerweise kurz nachdem er vom Schwiegervater offiziell anerkannt wurde.

Der Handlungsverlauf wird wieder einmal unübersichtlich. Eben dachte man noch, eigentlich sei mit der Hochzeit alles aus, aber anscheinend hatte Schehrezâd noch nicht genug vom Rumspinnen…

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