298. Nacht

Hans Magnus Enzensberger: "Das Deutsche-Bahn-Kritisieren – noch so ein Volkssport, an dem ich nicht teilnehme. Der Zug ist ja, im Gegensatz zum Flugzeug, immer noch ein relativ zivilisiertes Verkehrsmittel. Leibesvisitationen finden dort nicht statt. Mann wird nicht angeschnallt. Man kann aus dem Fenster schauen."

Hans Magnus Enzensberger: "Heiterkeit ist eine moralische Frage. Mürrische Leute, die andere mit ihren Problemen behelligen, die halte ich für rücksichtslos." (aus Zeit-Magazin 12.8.2010)

Heiterkeit ist trainierbar, klar. Wieviel Training braucht man, bis man dahin kommt, morgens entscheiden zu können, am heutigen Tage glücklich zu sein.

*

Es gab niemanden in Basra, weder Mann noch Weib, der nicht gekommen wäre, um sich die Bestrafung jenes Jünglings anzusehen.

Der Kadi räumt ihm noch eine Chance ein:

"Vielleicht hast du weniger als das Mindestmaß gestohlen?" 298

Weder auf dieses Angebot noch auf die Frage, ob er vielleicht ein gemeinsames Anrecht auf einen Teil der Sachen habe, geht er ein.
Chalîd erzürnt über die Verstocktheit des Jünglings dermaßen, dass er ihn mit der Peitsche schlägt.

Dann rief er den Schlächter, damit er ihm die Hand abschlage.

Man beachte, dass diese Aufgabe hier vom Schlächter übernommen wird. Ob sein Beil nun Menschen- oder Rinderknochen zerteilt, ist wohl einerlei.

Ein schönes junges, aus Trauer in Lumpen gehülltes Mädchen, tritt im letzten Moment hervor und übergibt Chalîd ein Gedicht, in dem sie ihre Liebe zum jungen Mann bekennt und dessen Unschuld beteuert.

Sind Im-letzten-Moment-Szenen eigentlich per se ein Zeichen für Kitsch?

Sie bekennt, dass sie und der Jüngling Geliebte seien. Und als dieser sie besuchte, kamen überraschend ihre Brüder und ihr Vater nach Hause. Er behauptete, ein Dieb zu sein, um ihr die Schande zu ersparen.
Chalîd, gerührt von der Geschichte wie der Tyrann in Schillers Bürgschaft, gibt sowohl dem Jüngling als auch der Maid zehntausend Dirhems unter der Bedingung, dass der Vater der Ehe zustimmt. Dieser tut es.

Chalîd aber lobte und pries Gott und hielt eine schöne Predigt.

 

298 Mindestbetrag des gestohlenen Gutes beträgt einen Viertelgolddinar.

297. Nacht

Es genügt dem Kalifen nicht, dass der clevere Richter ihm soeben aus der Patsche geholfen hat:

"Ich möchte sogleich bei ihr ruhen; ich kann es nicht ertragen, mich ihrer zu enthalten, bis die gesetzliche Frist verstrichen ist."

Die gesetzliche Frist, die er-Raschîd erwähnt, besagt, dass, wer eine Sklavin kauft, eine Frist abwarten muss, bis klar wird, ob sie von ihrem früheren Eigentümer schwanger ist. Man beachte die beiläufige Demütigung des Wesirs Dscha’far, der sie ja gar nicht hergeben wollte.

Abu Jusûf rät, die Sklavin einem der Mamluken des Kalifen zur Frau zu geben; dieser solle sich sofort von ihr scheiden lassen, und dann könne der Kalif unverzüglich "zu ihr eingehen".
Gesagt, getan. Aber der Mamluk macht Schwierigkeiten: Er will sich nicht scheiden lassen, egal, wieviel Geld der Kalif ihm bietet.

Dieser Widerspruch gegenüber er-Raschîd, der ja bekanntlich sein Schwert nicht zögerlich bedient, ist bemerkenswert.

Der Mamluk holt sich obendrein Beistand beim Kadi:

"Steht die Ehescheidung in meiner Hand oder in deiner oder in der des Beherrschers der Gläubigen?" Als der Kadi antwortete: "In deiner Hand!", rief der Mamluk: "Bei Allah, ich tu es nie und nimmer!"

Aber Abu Jusûf weiß auch hier zu helfen:

"Gib diesen Mamluken der Sklavin zum Eigentum."

Der Kalif tut es.

Dann fuhr der Kadi fort: "Ich spreche die Scheidung aus über die beiden dort; denn er ist ihr Besitz geworden, und also ist die Ehe ungültig!

Der Kadi wird vom Kalifen für diese schönen Lösungen reich belohnt. Und zuhause schlaumeiert er gegenüber seinen Freunden:

"Es gibt keinen leichteren und kürzeren Weg zum Glauben und zu den Gütern dieser Welt als den Weg der Wissenschaft; denn diese große Menge Goldes habe ich allein für die Beantwortung von zwei oder drei Fragen erhalten."

Im Grunde führt der Kadi das Recht, indem er es dem Buchstaben nach anwendet, ad absurdum, und der Kalif scheint es zu wissen. Aber weiß es der Erzähler? Im kurzen Nachwort lobt er

das feine Benehmen des Wesirs gegen er-Raschîd, die Weisheit des Kalifen und die noch größere Weisheit des Kadis.

Gewitztheit führt zu Reichtum. Schläue hilft, sich die Mächtigen günstig zu halten. Macht bricht Recht.

***

Die Geschichte von Châlid ibn Abdallâh und dem Liebhaber, der sich als Dieb ausgab

Zu Châlid ibn Abdallâh el-Kasri, dem Emir von Basra, führte man einen Jüngling, dem man vorwarf, ein Dieb zu sein. Aber angesichts der Schönheit des jungen Mannes hat der Emir Zweifel an der Geschichte. Und so fragt er ihn, was ihn zu dieser Tat veranlasst habe.

"Mich trieben die Gier nach irdischem Gut und der Ratschluss Allahs, des Gepriesenen und Erhabenen."

Zu fromm, um wahr zu sein.

Châlid hakt nach, aber der junge Mann bleibt bei seiner Geschichte, und so wird bekannt gegeben, dass ihm am nächsten Tag die Hand abgehauen werden soll. Sich unbeobachtet wähnend, improvisiert er im Kerker folgende Verse:

Es drohte Châlid mir mit dem Verlust der Hand,
Mach ich mit dem Geheimnis von ihr ihn nicht bekannt.
Doch ich sprach: Das sei ferne, dass ich die Lieb verrat,
Die tief im Herze mein für sie verschlossen hat.
Ja, der Verlust der Hand für das, was ich gestehe,
Ist leichter mir, als dass ich sie in Schande sehe.

Die Wächter hören dies, führen in zu Châlid und dieser rät ihm, vorm Kadi zu leugnen, denn der Prophet habe gesagt:

"In zweifelhaften Fällen vermeidet die Strafen." Darauf ließ er ihn in das Gefängnis zurückbringen.

296. Nacht

9.8.2001: Schöner Verführungstrick. Ö. schreibt scheinbar eine Mail an mehrere Freunde, in der sie sie fragt, ob nicht jemand mit ihr für zwei Wochen nach Griechenland fliegen will. In Wirklichkeit geht die Mail nur an mich.
9.8.2002: Entscheide mich, doch nicht in die USA zum Schriftstellertreff zu fliegen.
9.8.2003: Wladimir letztmalig beim Kantinenlesen
9.8.2005: Erkältet. Werde vorm King Kong Club gewarnt
9.8.2007: Der Designer schickt mit dem Entwurf auch noch eine ankumpelnde Laber-Mail mit dem augenzwinkernden Hinweis, er und sein Kollege hätten während der Arbeit in den letzten Stunden nur gekifft. Da hat er ja gleich einen Stein bei mir im Brett. Was hier beginnt und in den nächsten Tagen eskaliert, ist eines jener Kommunikationsereignisse, bei dem die Teilnehmer sich mit jedem Kommunikationsakt in einen Strudel nach unten ziehen (nach unten eskalieren? Ja, ich glaube, das kann man sagen.). Er nervt mich mit seiner frotzelnden und witzelnden Art (die ich im übrigen überhaupt nicht witzig finde) dermaßen, bis ich ihm am Telefon sage, dass ich nicht von ihm verulkt werden will. Er entschuldigt sich, macht einen Rückzieher, nicht ohne noch mal zu witzeln. Vermutlich war schon der Hinweis aufs Kiffen ein Versuch, soziale Nähe herzustellen. Ich bin am Ende nur genervt über jede Minute, die ich mit ihm am Telefon verbringen muss und versuche, ergebnisorientiert zu kommunizieren. Er hält das offenbar für gefühlskalt und außerdem für unangemessen; denn schließlich erweist er uns ja nur einen Gefallen, einen Freundschaftsdienst, und keine bezahlte Dienstleistung. Für mich wäre es Freundschaftsdienst genug, wenn die Telefonate nur halb so lang dauern würden.
9.8.2009: Kein Vorwort und keine Danksagungen im neuen Chaussee-Buch, wird entschieden; normale Bücher hätten das auch nicht.
7.8.2010: Schlauchbootfahrt zu viert über den Schermützelsee im warmen Regen. Die Schirme schützen uns gut, aber die vorbeifahrenden Dampferbootgäste scheinen uns für verrück oder für Pechvögel zu halten. Die letzten 500 Meter zur Fischerkehle schwimme ich. Der Wirt scheint schon sauer, weil wir am falschen Steg anlegen.
"Wat wird’n dit?"
"Tut uns leid. Ist das der falsche Steg? Wir haben erst jetzt das Schild gesehen."
"Und jetze?"
"Wir würden bei Ihnen einkehren."
"Aber bei mir nur angezogen. Wir sind ein Speiserestaurant"
"Ich weiß, drei von uns haben die Schuhe auf der anderen Seite des Sees gelassen. Wir bleiben einfach auf der Cafeteria."
"Na, Sie werden ja nicht den ganzen Weg von Berlin so jekommen sein!"
"Nein, wir haben, wie gesagt, die Schuhe auf der anderen Seite des Sees gelassen."
"Na, Sie werden ja nicht den ganzen Weg von Berlin so jekommen sein!

*

Alî der Perser fährt fort, aufzuzählen, was sich im umstritten Sack befände:

"ein Panzer und Schwerter und Kammern, mit Waffen angefüllt, […] ferner Schafe in ihren Ställen, und tausend Hunde, die laut bellen; […] Bildwerke und Malerein, Flaschen und Becher im Verein […] liebe Freunde und traute Gesellen, Strafgefangene und Genossen, die sich zum Umtrunk einstellen; eine Mandoline, Flöten, Fahnen und Standarten, Knaben und Mädchen und Bräute, die auf ihre Entschleierung warten, Tigris und Euphrat, ein Fischernetz und Feuerstahl, Iram die Säulenstadt, Lustknaben und Kuppler, tausend an der Zahl […], Holz und ein Nagel dabei, […] alle Reiche von Indien bis zum Sudan […]und tausend scharfe Messer, um den Bart des Kadi abzuschneiden, sollte er meinen Groll nicht fürchten und nicht entscheiden, dass der Sack mir gehört."

Bemerkenswert:
1. Die Beleidigung des Kadis, die einen Spruch zu Gunsten Alîs ziemlich unwahrscheinlich machen.
2. Das Nebenher der Aufzählung aller Reiche, von denen alles andere ja dann ohnehin eine Teilmenge ist.
3. Die Mandoline, die Strafgefangenen, die Kuppler.

Der Kadi lässt den Sack öffnen, darin befinden sich Brot, Zitronen, Käse und Oliven.

Dann warf ich den Sack dem Kurden vor die Füße und ging meiner Wege.

***

Die Geschichte von Harûn er-Raschîd, der Sklavin und dem Kadi Abu Jûsuf

Dscha’far und Harûn er-Raschîd beim Zechen. Der Kalif:

"Dscha’far, mir ist berichtet worden, dass du die Sklavin Soundso gekauft hast. […] Verkauf sie mir."

Der Name der Sklavin wird auch im Weiteren keine Rolle spielen, obwohl es die ganze Zeit nur um sie allein geht.

"Ich will dreimal von meinem Weibe geschieden sein, wenn ich sie dir verkaufe oder schenke."

Auch der Kalif schwört diesen Eid im Suff.

Im Islam wäre die Scheidung nun rechtskräftig.

Zu Sinnen gekommen, rufen sie den Kadi Abu Jûsuf herbei, der ihnen aus der Patsche helfen soll.
Dessen erster Rat:

"Dscha’far verkauf dem Beherrscher der Gläubigen ihre eine Hälfte und schenk ihm die andere Hälfte, dann seid ihr beide eures Eides ledig!"

 

295. Nacht

Die ZEIT berichtet, pubertierende Jungen seien inzwischen das schwache Geschlecht. Da sie von Frauen unterrichtet werden, verstünden sie die Codes nicht mehr. Es gebe aber eine Reihe alternativer Ansätze, z.B. dass man die Jungen Verantwortung erfahren lasse: In der Potsdamer Montessori-Schule lässt man Jungen selbständig Ställe bauen. So werde ihr Aktionismus in konstruktive Richtungen geleitet und es gebe keinen Grund mehr zu rebellieren. Wenn ich gegen etwas in dem Alter rebelliert habe, dann waren es Aktionen wie Ställebauen. Gebt mir ein Buch, einen lockeren Sport, ein kleines mathematisches Problem, ein Musikinstrument, aber schickt mich bitte nicht zum Zeichnen, Basteln oder Bauen.

6.8.2001: Diskutieren bei der Chaussee der Enthusiasten über ein neues Mikrofon. Volker empfiehlt SM58.
6.8.2002: Einladung von Z., nach Würzburg mit dem Auto zu fahren.
6.8.2003: Fotosession fürs Dunkeltheater organisieren
6.8.2004:
6.8.2005: Diskutiere mit Tube letzte Fragen für den Surfpoeten-Wahlomat anlässlich der Bundestagswahl
6.8.2006: Ziehe erstmals in Erwägung, einen Yoga-Kurs zu belegen. Es wird dann eine der besten Körper-Seele-Geist-Entscheidungen, die ich in den letzten Jahren getroffen habe.
6.8.2007: Absurder Marketingplan einer Kulturmanagerin fürs Dunkeltheater
6.8.2008: Bekomme wieder einmal Texte zur Beurteilung zugeschickt. Wie immer sträube ich mich, sie zu lesen, vor allem wenn sie von einer Ex stammen.
6.8.2009: Welche Danksagungen sollen ins neue Chaussee-Buch?
6.8.2010: Paul als Gaststar bei Foxy Freestyle. Erstaunlich gut.

*

Alî. der Perser, fragt den Kalifen, ob dieser eine Geschichte hören wolle, die Alî gehört, gesehen oder selber erlebt habe. Harûn er-Raschîd entscheidet sich für letzteres. Und so berichtet Alî, er sei einmal in einer Stadt gewesen, um zu verkaufen. Und ein Bursche trug seinen Reisesack, als ein Kerl über ihn herfiel,

ein frecher Kurde,

und behauptete, der Sack gehöre ihm. Der Streit eskaliert, und man bringt die beiden zum Kadi, der dem Kurden befiehlt, den Inhalt des Sackes zu beschreiben. Dieser beginnt eine lange Aufzählung, u.a.:

"In diesem meinem Sacke sind silberne Schminkstifte zwei, und Augenschminke ist auch dabei, […] zwei goldene Becher und einen Leuchter […], der Zelte zwei, […] ein Kissen und lederner Decken zwei […], eine Sacknadel und der Vorratsbeutel zwei, eine Katze und der Hündinnen zwei, […]eine Jacke und der Pelzmäntel zwei, eine Kuh und der Kälber zwei, […] eine Säulenhalle und der Wohnzimmer zwei, eine Küche mit der Türen zwei, und eine Kurdenschar, die mir bezeugen kann, dass dieser Sack mir gehört."

Alî antwortet darauf, im Sack befänden sich:

"ein zerfallenes Häuslein und ein anderes ohne Türlein […], eine Schule für die Kindlein, auch Jünglinge, die sich am Würfelspiel erquicken, ferner Zelte samt den Stricken, die Städte Basra und Baghdad und das Schloss von Schaddâd ibn Âd, […] Knaben und Mägedelein und – tausend Lumpe obendrein, die bezeugen, dass der Sack mir gehört."

Der Kurde setzt noch einen drauf:

"Burgen und Schlösser, Kraniche und Leuen sowie Männer, die sich am Schach und am Brettchenspiel erfreuen, […] eine Dirne und schlauer Kuppler zwei, einen Kinäden und der Lustknaben zwei, einen Presbyter und der Diakonen zwei, […] einen Kadi und zwei Zeugen dabei, die bezeugen, dass der Sack mir gehört."

Kinäden??

294. Nacht

Der junge Mann Mohammed wird von Dscha’far zum Kalifen geführt. Er kniet nieder und spricht die Verse

Dein Tor sei alle Zeit ein heil’ger Wallfahrtsort,
Und seine Erde schmücke die Stirnen immerfort;
Dann wird der Ruf erschallen in einem jeden Land:
Dies ist die Stätte, du bist Abraham genannt. 294

Der Kalif fordert Mohammed auf, seine Geschichte zu erzählen.

Uns wird die Wiederholung erspart.

Nun lässt der Kalif Dunja, die Schwester des Dscha’far herbeibringen, welche um Verzeihung bittet.

Nun lächelte der Kalif Harûn er Raschîd, ließ den Kadi und die Zeugen kommen und erneuerte die Urkunde der Ehe zwischen ihr und ihrem Gemahl Mohammed Alî, dem Sohne des Juweliers; das geschah ihnen beiden zur Freude, den Neidern aber zu bitterem Leide.

Na, Mohammed wird sich für die Erneuerung des Bundes mit einer solchen Furie schön bedankt haben.

294 Abraham soll nach islamischer Überlieferung die Kaaba gebaut haben.

 

 

 

***

Die Geschichte von Alî dem Perser

Wieder einmal kann Harûn er-Raschîd nachts keine Ruhe finden, und Dscha’far lässt den Geschichtenkenner Alî, den Perser, kommen.

 

293. Nacht

Nachbarschaftshilfe

Ich habe ein ungebrochenes Selbstbild als Nachbar meiner Nachbarn. Ich bin freundlich und grüße selbst die Unfreundlichen, halte Müttern und Alten die Tür auf, musiziere nur in Zimmerlautstärke und nur zu den angemessen Zeiten. Und es gab sogar eine Zeit, in der ich für meine Nachbarn gern Päckchen annahm, wenn diese gerade nicht zuhause waren. Doch irgendwann nahm es überhand – Päckchen, Pakete, sperrige Gegenstände und Frachtgut, für dessen Transport man auch einen Container zumindest in Erwägung hätte ziehen können, stapelten sich in meinem Korridor. Wenn man eine Wohnung bezieht und die Einrichtung plant, ist es von alters her Sitte, Schnipsel der Möbel auf Millimeterpapier hin und herzurücken, um effizienter Raumaufteilung, frischer Atmosphäre und gutem Geschmack zu huldigen. Aber nie bedenkt man bei so etwas, dass Nachbarschaftspakete dieses sensible Arrangement zerstören könnten. Ich nehme an, es lag an der Urlaubssaison. Die Nachbarn waren zu fein, ihr Frachtgut abzuholen. Ich klingelte tags und nachts. Stapeln genügte nicht mehr, ich musste Kartons ins Schlafzimmer verfrachten. Nach zwei Wochen begann es zu stinken. Aber welche Kiste mochte es sein? Da ich mich auf dem Boden des Grundgesetzes bewege, welche das Postgeheimnis heiligt, so wie die Christen den Namen ihres Vaters, der da ist im Himmel, durfte ich nicht prüfen. Nachdem schließlich alle Nachbarn aus dem Urlaub zurückgekehrt waren und ihr Ladungen in Empfang genommen hatten, und ich festgestellt hatte, dass der Geruch von einer toten Maus rührte, die wir mit einem der schwereren Pakete unabsichtlich erschlagen hatten, beschloss ich, dass ab sofort jemand anders als Paketannahmestelle unseres Hauses fungieren sollte. Ich würde einfach nicht mehr die Tür öffnen, wenn es zwischen 10 und 12 klingelte.
Ab sofort musste ich meine Körperreflexe neu justieren. Nicht mehr aufspringen, sobald es klingelt, sondern einfach entspannen und das das Klingeln yogimäßig wegatmen. Doch auch diese Methode hatte ihre Nachteile, schließlich erreichten mich nicht nur die Nachbarpakete nicht mehr, sondern auch die eigenen. "Wir haben Sie am Freitag um 12 Uhr nicht angetroffen. Holen Sie sich Ihre Sendung ab morgen in der Filiale ab." 5 Minuten zur Filiale latschen, 10 Minuten warten und 10 Minuten die unhandliche Lieferung von 500 Postern zurückschleppen. In der Postschlange traf ich drei Nachbarn, die mich böse anstarrten – es schien sich herumgesprochen zu haben, dass ich den Job als Subfilialleiter der Treptower Post hingeworfen hatte. Und ich verstand – ich hatte die Pakete für die Nachbarn angenommen, obwohl sie zuhause waren. Niemand wollte den Annahme-Deppen spielen. Andererseits war das Anstehen bei der Post noch belastender. Dann lieber einen Tag lang Pakete bei sich herumstehen haben, aber nur wenn es sich nicht vermeiden ließe.
10.50 Uhr. Es klingelt an der Tür. Der Postbote. Aber ist er es auch wirklich. Um die Haustür zu sehen, muss ich auf den Balkon. Auf dem Nachbarbalkon steht mein Nachbar und beobachtet die Haustür. Unter mir beobachtet ein Pärchen die Haustür. Ich wage es nicht, nach oben zu schauen, aber ich weiß, dass alle die Haustür beobachten. Und ja – es ist der Postbote. Und ja, er hat einen Haufen Pakete dabei. Wer wird als Erster schwach?
Der alte Herr Fleischhauer aus dem Parterre erbarmt sich und öffnet. 10 Minuten später trifft sich die Mietergemeinschaft zur Paketabholung an seiner Tür. Es geht uns gut.

*

Die Sklavinnen können die Herrin Dunja davon überzeugen, dass Auspeitschen eine dem Vergehen des Unerlaubtwegbleibens angemessenere Strafe ist als Köpfen.
Mohammed lässt sich anschließend von einem Wundarzt behandeln, geht ins Bad und verkauft seinen Besitz, für den er vierhundert Mamluken erwirbt, sich ein Boot bauen lässt und den Kalifen spielt.

"So habe ich nun schon ein ganzes Jahr getan, aber von ihr habe ich noch nie wieder eine Kunde vernommen, noch bin ich ihr auf die Spur gekommen."

Das wirkt nun, mit Verlaub, ein wenig abstrus. Mohammed weiß doch, wo seine Gattin wohnt. Er könnte sie leicht mit einen vierhundert Mamluken aufsuchen und zur Rede stellen. Und welchen Sinn hat das Verkleiden als Kalif?

Harûn er-Raschîd aber ist von der Story gerührt:

"Preis sei Allah, der für jedes Ding eine Ursache geschaffen hat."

Deutet eine solche Aussage auf die Angst, für irgendetwas keine Ursache zu kennen? Erfüllen die deistischen Religionen auch dieses Bedürfnis: Ursachen benennen zu können, für das, was sonst nicht deutbar bleibt? Liegen dann nicht der Astrologie und ähnlichem Aberglaube ähnliche Motive zugrunde, wie Islam und Christentum? Haben sie die gleiche (Knick-knack) "Ursache"?

Harûn und seine beiden Begleiter Dscha’far und Masrûr, immer noch in Kaufmannsverkleidung, bitten um Erlaubnis, gehen zu dürfen. Wieder im Palast, kleiden sie sich um, und der Kalif befiehlt dem Wesir:

"Lass den jungen Mann zu mir kommen."

292. Nacht

Peinliche Bundespräsidentschaftskandidaten

1954: Karl Dönitz
1964: Heinrich Lübke
1979: Karl Carstens
1994: Johannes Rau (heult nach der verlorenen Wahl)

 

Und noch während er sie entjungfert, improvisiert Mohammed ibn Alî die Verse:

Mein Arm umschloss ihren Hals wie der Ring die Ringeltaube;
Und meine Hand erhob den Schleier vor ihrem Gesicht.
Dies war das höchste Glück; und wir umarmten einander
Ohn Unterlass und sehnten uns nach dem Ende nicht.

Ist das etwas, das man mal ausprobieren sollte – Beim Sex Gedichte erfinden?

Dann blieb ich einen ganzen Monat bei ihr, während dessen ich Laden und Sippe und Heim ganz im Stiche ließ.

Eines Tages zieht sich Dunja ins Badehaus zurück und befiehlt ihrem neuen Gatten, auf sie zu warten. Doch kaum ist sie auf der Straße, da kommt eine Alte herein:

"Mein Herr Mohammed, die Herrin Zubaida lässt dich rufen; denn sie hat von deiner Bildung, deinem feinen Wesen und deiner Sangeskunst gehört."

Zur Erinnerung: Zubaida ist die Erstfrau des Kalifen Harûn er-Raschîd, den diese Wendung – er hört sich ja diese Geschichte gerade an – zumindest erstaunen dürfte. Woher, so fragen wir uns allerdings, hat Zubaida von Alî ibn Mohammed erfahren? Etwa über Teilnehmerinnen am Hochzeitsgelage?

Mohammed eilt nun zu Zubaida, um ihr vorzusingen. Und anschließend hurtig zurück zu seiner Gattin Dunja. Leider ist sie schon zurückgekommen und schläft auf ihrem Lager. Er weckt sie mittels Fußreflexzonenmassage. Sie aber versetzt ihm im Aufwachen einen Tritt:

"Du hast dein Versprechen nicht gehalten und bist zu der Herrin Zubaida gegangen. Bei Allah, fürchtete ich nicht das Gerede, so risse ich ihr Schloss über ihrem Haupte nieder! (…) Sawâb, auf, schlag diesem treulosen Verräter den Kopf ab."

Sollen wir diese Reaktion auf unverschuldete Unpünktlichkeit als überzogen werten?

291. Nacht

Auch Alî ist der körperlichen Liebe nicht abgeneigt.

Doch sie sprach zu mir: "Mein Gebieter, willst du mir in unerlaubter Weise nahen? Bei Allah, der soll nicht leben, der eine solche Sünde begeht!"

Aber ihn an die Brust ziehen ist erlaubt?

Doch sie hat noch eine Überraschung parat:

"Ich bin die Herrin Dunja, die Tochter des Barmekiden Dscha’far, der Wesir des Kalifen."

Ob Dscha’far auf diese Nachricht gefasst reagiert, erfahren wir leider nicht. Doch wir können davon ausgehen, dass das Zusammenleben mit einem impulsiven Kalifen wie Harûn er-Raschîd ihn doch trainiert hat, die Gefühle zu kontrollieren.

Ruckzuck werden Kadi und Zeugen gerufen. Und der Ehevertrag ist geschlossen.

Es folgt das bekannte Ritual: Wein, Weib, Gesang.

Stellvertretend das Lied der Sklavin, das mir doch recht originell und gelungen erscheint.

Es kam: ein Reh, ein Zweig, der Mond erschien dem Auge.
Verwünscht, ein Herz, das nicht bei Nacht an ihn nur denkt,
Den Schönen! Durch sein Antlitz wollt’ Gott die Qualen heilen;
Da ward das arme Herz von neuer Qual getränkt.
Ich täusche meine Tadler, wenn sie von ihm erzählen.
Ich stelle mich, als ob ich von ihm nicht hören will.
Ich lausche auf, wenn sie von einem andren sprechen;
Und dennoch – ich vergehe, gedenk ich seiner still!
Er ist ein Prophet der Anmut; an ihm ist alles Wunder
Der Schönheit; doch das größte Kleinod ist sein Gesicht.
Das Mal auf seiner Wange ruft wie Bilâl zum Beten;
Vom Glanze seiner Stirn schaut es das Frührotlicht.
Die Tadler wollen töricht, dass ich vergessen soll.
Ich will kein Ketzer werden, seit ich des Glaubens voll.

Es folgen ein Lied der Dunja und eines von Alî. Schließlich werden die Sklavinnen entlassen und man bettet sich zur Ruhe.

"Sie begann, ihre Gewänder abzulegen, und ich durfte mit ihr der Heimlichkeit der Liebenden pflegen. Da fand ich die Maid an Ehren reich, einer undurchbohrten Perle und einem ungebrochenen Füllen gleich. Und ich hatte meine Freude an ihr, ja, nie in meinem Leben habe ich eine schönere Nacht verbracht."

290. Nacht

Zur Abwechslung mal ein bisschen Kabarett:

Top Ten der Betätigungsfelder für Roland Koch nach seinem Abtritt als Ministerpräsident von Hessen und Vizevorsitzender der CDU
10. Vize-Zensor des Zweiten Chinesischen Fernsehens
9. Beauftragter für brutalstmögliche Aufklärung im Team von Lance Armstrong
8. Vize-Chef der Antikorruptionsbehörde in Turkmenistan
7. Mediator zwischen Hells’ Angels und Bandidos
6. Beim Oderhochwasser werden gerade Bulldozer benötigt
5. Vize-Trainer der Klitschkobrüder, um ihnen zu brutalstmöglicher Schlagkraft zu verhelfen
4. Vize-Chef der Einwanderungsbehörde von Birma
3. Vize-Chef von Google Street View
2. Datenschutzbeauftragter bei Facebook
1. Schleimabsonderer für BP (Oder war das Schlamm, was die brauchten?)

*

Als sich beim vierten Kleiderzerreißen des falschen Kalifen der Vorhang wieder über ihn senken soll, um das intime Umkleiden zu verbergen, versagen die Schnüre

und da Harûn er-Raschîd gerade einen Blick dorthin warf, sah er auf dem Leibe des jungen Mannes Spuren von Geißelhieben.

Er wendet sich an Dscha’far und meint:

"Bei Allah, er ist ein Jüngling schön und zart, aber doch ein Räuber von gemeiner Art."

Wieder bemerkt der falsche Kalif das Tuscheln der beiden und hakt nach, und Dscha’far gelingt es, die Kurve zu kriegen, indem er meint, man bewundere ihn, da er in solchem Überfluss Gewänder zerreiße. Der falsche Kalif entgegnet, die kaputten Gewänder schenke er seinen Tischgenossen, und sie seien immer noch fünfhundert Dinare wert.
Harûn er-Raschîd drängt aber Dscha’far, sich nach den Narben zu erkundigen. Dieser meint, man solle einen geeigneten Zeitpunkt abwarten. Harûn darauf:

"Fragst du ihn nicht, so lösche ich dein Lebenslicht."

Der falsche Kalif seufzt und beginnt, ein Gedicht zu improvisieren, in dem es unter anderem heißt:

Doch mir sagt des Herzens Stimme, unter euch ist der Imâm,
Der Kalif, den wir verehren, der aus edlem Hause kam.
Und der zweite unter euch dort, Dscha’far ist der Man genannt;
Er ist sein Wesir und ist als Herr und Herrensohn bekannt.
Ein dritter ist Masrûr, er, der das Schwert der Rache führt, (…)

Als sie solche Worte aus seinem Mund hörten, schwor Dscha’far einen zweideutigen Eid, dass sie nicht die genannten seien.

Und nun beginnt der junge Mann seine Geschichte.

"Ich heiße Alî, der Sohn des Goldschmieds Âlî."

Sein Vater hinterließ ihm ein großes Vermögen. Und als er eines Tages vor seinem Laden sitzt, kommt, wir ahnen es bereits,

eine junge Dame auf einer Mauleselin dahergeritten, begleitet von drei mondengleichen Mädchen.

Dies ist nun eigentlich schon als eigenes Motiv der 1001 Erzählungen zu erkennen. Aber wie sollen wir es deuten? Als eine männliche Sehnsucht, sozusagen "unschuldig" in eine wilde Romanze zu stolpern. Die Konventionen des Frauen-Kennenlernens sind strikt. Als Alternative bleiben sonst die Prostituierten. Mit diesem Motiv kommt der Mann als der Verführte aus der Geschichte.
– Händler wartet vor dem Basar.
– Dame erscheint und kauft für viel Geld ein.
– Sie bittet ihn, ihr die Ware nach Hause zu tragen, ein Zuhause, das sich in der Regel als enormer Palast entpuppt.
– Dort wird gegessen, Wein getrunken, gesungen, sich umarmt.
– Es folgen entweder Turbulenzen, Prüfungen oder (selten) ein Happy End.

Diese Dame nun wünscht ein teures Halsband zum Preis von hunderttausend Dinaren:

"Lieber Herr, begleite mich, damit du den preis in Empfang nehmen kannst! Denn dieser Tag mit dir ist für uns weiß wie Milch."

Von der Vorhalle lädt sie ihn in den Saal, wo sie auf einem Thorn sitzt, das Geschmeide bereits angelegt:

"Oh Juwelier, wisse, ich liebe dich, und ich kann es noch gar nicht fassen, dass ich dich wirklich zu mir gebracht habe!" Darauf neigte sie sich zu mir und ich küsste sie; und sie küsste mich und zog mich an sich und riss mich an ihre Brust."

289. Nacht

Über eine Woche krank. Eine gute Gelegenheit, einen neuen Hausarzt auszutesten. Die beiden anderen, die sich gleich nebenan eine Praxis teilten, wirkten mir etwas inkompetent, und das Wartezimmer roch nach DDR und Angina.
Beim Neuen ist das Wartezimmer leer. Nach 30 Sekunden werde ich hineingebeten. Noch bevor ich sagen kann, was ich auf dem Herzen habe, ja, noch bevor ich überhaupt sitze, fragt er mich, ob ich überhaupt gegen Tetanus geimpft bin, holt aus zu einem Vortrag und starrt dabei fast durchweg auf seinen Computer. Kur abhören, krankschreiben, nach Hause schicken.
Und ich begehre auf. Das erste Mal beim Arzt. Warum wollen die nicht kommunizieren? Ist es ihnen egal, dass sie den Eindruck vermitteln, es ginge ihnen gar nicht um den Patienten. Ich werde meine Hausarztsuche auf Kreuzberg erweitern.

*

Harûn er-Raschîd antwortet dem falschen Kalifen, er habe geflüstert, weil er die Musik zum Wein vermisse. Man lässt eine Sklavin und eine indische Laute holen. 24 Weisen stimmt die Musikerin an und singt dann, bei der Wiederholung der ersten Melodie:

Der Liebe Zunge spricht zu meinem Innern;
Sie bringt von mir die Kunde, dass ich dich so lieb hab.
Mein Zeuge ist die Glut in dem gequälten Herzen,
Mein wundes Aug, das mir der Strom der Tränen gab.
Ich wusste nichts von Liebe, eh ich dich lieb gewann;
Doch Gottes Ratschluss tritt an alle Welt heran.

Als der falsche Kalif dies Lied aus dem Munde der Sängerin vernahm, schrie er laut auf und zerriss das Gewand, das er trug bis zum Saume hinab; da wurde der Vorhang über ihn herabgelassen, und man brachte ihm ein neues Kleid.

Hatten die ständig einen Vorhang dabei, weil der Chef sich andauernd die Klamotten zerstört? Oder war diente der Vorhang auch für die Chef-Abschirmung zu anderen Angelegenheiten, die eher im Verborgenen stattfinden?

Eine zweite Musikerin singt ein Lied, und das Schauspiel wiederholt sich.
Und noch mal.
Und noch mal.

 

288. Nacht

Ich hatte immer den Eindruck, dass sich Luhmann, sobald er auf das Wirtschaftssystem zu sprechen kam, doch zu sehr von seinen persönlichen politischen Präferenzen leiten ließ: Mit der Diagnose, die Politik könne das Wirtschaftssystem nicht steuern, schüttete er das Kind mit dem Bade aus. Die Politik hat letztlich, so Luhmann, so gut wie gar keinen Einfluss auf das Wirtschaftssystem. Der Kern dieser soziologischen Beobachtung: Das politische System kann die Wirtschaft nicht anweisen, besser zu wirtschaften. Die überbordende Bürokratisierung und Verplanung der Wirtschaft im real existierenden Sozialismus ist ein schönes Beispiel dafür, wie die Allesplanung die Wirtschaft letztlich lähmte.
Und doch werden im politischen System verbindliche Entscheidungen getroffen, wie gewirtschaftet wird. Das beginnt natürlich mit der Vertragsfreiheit und deren Kehrseite – der Haftung. Das Wirtschaftssystem ist außerdem nicht in der Lage, sein eigenes Kommunikationsmedium – nämlich das Geld – bereitzustellen. Das muss die Politik tun, und zwar mit gehörigem Augenmaß, sprich genauer Beobachtung der wirtschaftlichen Kommunikation, also der Zahlungen in Industrie, Geldmärkten, Arbeitsmarkt usw.
Aber kann das Funktionssystem Wirtschaft derzeit überhaupt angemessen seine Funktion erfüllen? Und kann es das in Zukunft? Wirtschaften beginnt, wenn der Weizen nicht heute aufgefressen wird, sondern man anfängt zu kalkulieren: Der Weizen wird heute schon an den verkauft, der ihn nächstes Jahr braucht. Die Funktion des Systems besteht darin, trotz allgegenwärtiger Knappheit Versorgung sicherzustellen. Dafür eignet sich Geld, wie wir es heute kennen, eigentlich ziemlich gut, denn es hat seinen Eigenwert verloren, d.h. es nutzt nichts, es zu horten, wie man es mit den Golddukaten noch tat. Nicht Haben/Nichthaben ist die Leitcodierung, sondern Zahlen/Nichtzahlen.
Und was die kurz- und mittelfristige Versorgung betrifft, macht der Kapitalismus seine Sache zumindest dort einigermaßen gut, wo auch die politischen und rechtlichen Systeme einigermaßen stabil sind. Was aber die langfristigen Knappheiten betrifft, so muss man sagen, erscheinen sie schlicht nicht auf den Monitoren des Wirtschaftssystems oder nur undeutlich als Rauschen. Die Zukunft ist insgesamt zu unsicher, als dass sich lohnen würde, über Investitionen zu spekulieren, die sich vielleicht in fünfzig Jahren auszahlen. Oder anders gesagt: Warum sollte ich nicht in ein Kohlekraftwerk investieren, wenn es in den kommenden Jahren Rendite abwirft? Warum sollte ich in energiesparende Autos investieren, wenn das a) die Konkurrenten nicht tun und b) sich Dreckschleudern schneller verkaufen lassen?
Es gilt als umstritten, wie lange die Erdölvorräte noch reichen – 30, 50 oder 150 Jahre. Aber es ist klar, dass sie in einem absehbaren Zeitraum äußerst knapp werden. Das spiegelt sich aber ebensowenig in den heutigen Preisen wieder wie die Begrenztheit berechenbaren Klimas. Für diese Art von Knappheiten ist das Wirtschaftssystem nicht ausgerüstet. Und hier stimme ich wieder mit Luhmann überein: Da nützen auch keine wohlmeinenden Appelle. In 100 Jahren etwas zu verdienen, lohnt sich einfach nicht. Die Aufgabe der Politik bestünde nun darin, die Sensoren für diese Knappheiten neu zu justieren. Oder anders gesprochen: Die Systeme Wissenschaft, Politik, Recht und Wirtschaft brauchen neue Kopplungen. Das politische System muss die wissenschaftliche Erkenntnis, dass wir einigen enormen globalen Gefährdungen gegenüberstehen, für die Wirtschaft übersetzen. Harte Steuerpolitik, wo dem Ökologischen System die Puste ausgeht. Wirtschaftliche Anreize, wo es sich bisher noch nicht lohnt (denn die Pioniere scheitern fast immer).

*

Tatsächlich rudert das Boot mit Harûn er-Raschîd, Dscha’far und el-Masrûr an der Seite des Boots mit dem falschen Kalifen. Man geht auf der anderen Seite des Ufers an Land und die drei versuchen, sich unter den Mamluken hindurchzuschmuggeln, werden aber von den Leuchtenträgern gefasst und vor den falschen Kalifen geführt, vor dem sie sich damit rechtfertigen, sie seien Fremde.

"Euch soll kein Leid widerfahren, da ihr fremdes Volk seid. Wäret ihr von Bagdad, so würde ich euch die Köpfe abschlagen lassen!" Dann wandte er sich an seinen Wesir mit den Worten: "Nimm sie da mit dir; sie sind heute nacht unsere Gäste!"

Seltsam, dass er die drei nicht erkennt, hat er sich doch seinen falschen Wesir und seinen falschen Schwertträger nach den Äußerlichkeiten der Originale ausgesucht.

Man kommt an ein Schloss,

einem Bau auf festem Fundament, wie ihn kein Sultan sein eigen nennt.

Nicht einmal der Kalif?

Die drei werden zum Gelage eingeladen.

Nachdem die Schüsseln abgetragen und die Hände gewaschen waren, wurde das Weingerät gebracht.

Weinkaraffen oder -kannen?

Aber Harûn er-Raschîd weigert sich zu trinken, mit der Begründung, lange nicht getrunken zu haben. Man bietet ihm stattdessen Apfelwein an.

So blieben sie beieinander in Fröhlichkeit und widmeten sich den Bechern der Seligkeit, bis der Wein ihnen zu Kopfe stieg und ihrer Sinne Herr ward.

 

287. Nacht

Zumindest kann man dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten nicht vorwerfen, er sei so eitel, sich in den für ambitionierte Politiker doch so wichtigen Geschichtsbüchern einen Namen machen zu wollen. Röttgens Erwägungen – ob aus wahltaktischen Motiven oder aus ethischen Überlegungen heraus -, für eine deutliche Laufzeitverlängerung der AKW den Bundesrat einzubeziehen, hält Mappus für Eskapaden.

*

Deutsche Großstädte, in denen ich noch nicht war (nach Größe geordnet): Deutsche Großstädte, in denen ich schon war (nach Größe geordnet):

Düsseldorf
Essen
Bremen
Duisburg
Bochum
Wuppertal
Bielefeld (?)
Augsburg
Gelsenkirchen
Mönchengladbach
Braunschweig
Kiel
Krefeld
Oberhausen
Lübeck
Kassel
Hagen
Hamm
Saarbrücken
Mülheim
Ludwigshafen
Herne
Solingen
Leverkusen
Oldenburg
Neuss
Paderborn
Ingolstadt
Recklinghausen (??)
Pforzheim
Offenbach
Bottrop
Bremerhaven
Fürth
Remscheid
Reutlingen
Moers
Koblenz
Bergisch Gladbach
Trier
Salzgitter
Hildesheim (??)

Berlin
Hamburg
München
Köln
Frankfurt am Main
Stuttgart
Dortmund
Hannover
Leipzig
Dresden
Nürnberg
Bonn
Mannheim
Karlsruhe
Wiesbaden
Münster
Aachen
Chemnitz
Halle an der Saale
Magdeburg
Erfurt
Rostock
Mainz
Osnabrück
Potsdam
Heidelberg
Darmstadt
Regensburg
Würzburg
Heilbronn
Ulm
Göttingen
Wolfsburg
Erlangen
Siegen
Jena
Cottbus
Gera

"Was?? Du warst noch nicht in Lübeck?"

Ich klicke mich durch Wikipedia, das unter den Großstädten auch die ehemaligen auflistet, so auch Prag, dass nach der Okkupation de facto zum Deutschen Reich gehörte.
Die Reihenfolge der Annexionen – Sudetenland und dann Böhmen/Mähren – war mir immer unklar geblieben. Auch heute noch ist mir nicht ganz klar, warum diese bewaffnete Annexion noch nicht zum Zweiten Weltkrieg gerechnet wird. Werde hier nicht schlau.
-> Münchner Abkommen
-> Hitlers Diktate an Martin Bormann: Bormann hatte als Heß’ Nachfolger in der Funktion des Sekretärs durch seine Nähe zu Hitler teilweise größeren Einfluss und größere Macht als Himmler und Göring. Er versuchte, aus Berlin zu fliehen und nahm sich, einer Zeugenaussage des Reichsjugendführers Axmann zufolge, am 2. Mai das Leben.
-> Blutorden Orden für die Teilnahme am Münchner Hitlerputsch 1923.

*

Der Kalif bittet den alten Fährmann, auch in der folgenden Nacht bereitzustehen.

"Unsere Wohnung ist im Quartier el-Chandak."

Unklar, wo das sein soll.

Der Kalif begibt sich mit seinen beiden Begleitern zurück zum Schloss, man kleidet sich um,

und ein jeder setzte sich auf seinen Platz. Dann traten die Emire und Wesire, die Kammerherren und die Statthalter ein, und die Regierungshalle füllte sich mit Volk.

Am Abend aber gehen sie wieder an den Tigris, um den falschen Kalifen zu beobachten.

Anscheinend ohne zwischendurch zu schlafen? Manche Herrscher wollen ja offenbar dieses Bild verbreiten: Dass sie niemals schlafen. So ja auch Stalin, der wohl tatsächlich nachts arbeitete. Als Image wirkt ein solches Bild tief: Wir sind die Kinder, die vom wachenden Vater beschirmt werden. Diesem Impuls spürte der Kommunismus-Kitsch-Dichter Erich Weinert in seinem Gedicht nach:

Im Kreml ist noch Licht

Wenn du die Augen schließt, und jedes Glied
und jede Faser deines Leibes ruht –
dein Herz bleibt wach; dein Herz wird niemals müd;
und auch im tiefsten Schlafe rauscht dein Blut.

Ich schau’ aus meinem Fenster in der Nacht;
zum nahen Kreml wend ich mein Gesicht.
Die Stadt hat alle Augen zugemacht.
Und nur im Kreml drüben ist noch Licht.

Und wieder schau’ ich weit nach Mitternacht
zum Kreml hin. Es schläft die ganze Welt.
Und Licht um Licht wird drüben ausgemacht.
Ein einz’ges Fenster nur ist noch erhellt.

Spät leg’ ich meine Feder aus der Hand,
als schon die Dämmrung aus den Wolken bricht.
Ich schau’ zum Kreml. Ruhig schläft das Land.
Sein Herz blieb wach. Im Kreml ist noch Licht.

Und natürlich ähnelt das Bild auch dem des Allwissenden Gottes und erzeugt ein Gefühl von Paranoia, das sich schließlich auch erfüllte: Der NKWD hämmerte um drei Uhr nachts an die Tür.

Aber selbst im letzten US-Präsidentschafts-Wahlkampf spielte Schlaflosigkeit eine Rolle: Eines von Obamas Lieblingsworten war "tireless" – unermüdlich. Er forderte seine Unterstützer auf, weniger zu schlafen. Und schließlich versuchte Hillary Clinton, ihn als Penner darzustellen, während sie um drei Uhr nachts, wenn das Telefon klingelt, die Dinge im Griff hat.

 

Allerdings stehen die Dinge um Harûn er-Raschîd ein wenig anders. Schließlich werden seine nächtlichen Eskapaden explizit durch Schlaflosigkeit initiiert.

Wieder in Begleitung von zweihundert Mamluken schwebt der falsche Kalif im Boot vorbei. Und er-Raschîd bietet dem Bootsführer 10 Dinare, wenn dieser im Schatten mitfährt.… Weiterlesen

286. Nacht

Der Bootsmann warnt den verkleideten Kalifen und seine Begleiter:

"Wer kann denn noch eine Lustfahrt machen, wo der Kalif Harûn er-Raschîd jede Nacht in einer kleinen Schaluppe den Tigris hinunterfährt und ein Ausrufer bei ihm ist, der verkündet: "(…) Einem jeden, der jetzt ein Schiff besteigt und auf dem Tigris fährt, dem schlage ich den Kopf ab, oder ich hänge ihn am Maste seines Fahrzeugs auf!"

Sie legen dem Alten einen Dinar drauf, um unter einem Tuch versteckt, das Boot des falschen Kalifen zu beobachten, welches auch gleich vorbeikommt.
Zweihundert Mamluken bewachen das Boot, das Feuer wird von sumatranischer Aloe gefüttert, der Jüngling auf dem Thron ist

schön wie der Mond (…), gekleidet in ein schwarzes Gewand, das mit gelbem Golde bestickt war. Vor ihm stand ein Mann, der sah aus, als ob er der Wesir Dscha’far wäre und hinter ihm ein Eunuch, der sah aus, als ob er Masrûr wäre.

Auch die Zechgenossen des Jünglings wirken wie Ebenbilder. Der Kalif vermutet hinter diesem Schauspiel zunächst einen seiner Söhne. el-Mamûn oder el-Amîn, verwirft jedoch ob der Ähnlichkeit der Zechngenossen und der Begleiter diesen Gedanken. Der Kalif dazu:

"Über das alles bin ich ganz verwirrt."

285. Nacht

Von seiner Kammer aus beobachtet der Abortreiniger, dass sich der Gatte der jungen Herrin mit dieser versöhnt und so

ruhte er die Nacht bei ihr über.

Es ist, wie zu erwarten war, der Gatte, der am nächsten Tag verschwindet. Die Schöne gesteht dem Abortreiniger, dass sie sich mit ihrem Mann gestritten hatte: Die beiden saßen im Garten, der Gatte steht auf, um sich kurz zu entfernen, bleibt aber verschwunden.

"Schließlich wurde ich es müde, auf ihn zu warten, und da ich mir sagte, dass er wohl im Aborte sei, so begab ich mich zu dem stillen Örtchen, fand ihn aber nicht dort. Darauf ging ich in die Küche, und als ich dort eine Sklavin sah, fragte ich sie nach ihm. Die zeigte ihn mir, wie er bei den Küchenmägden lag. Nun schwor ich einen feierlichen Eid, ich wolle mit dem schmutzigsten, ekelhaftesten Manne Ehebruch treiben. Und an dem Tage, an dem der Eunuch dich festnahm, war ich schon vier Tage lang in der Stadt umhergezogen auf der Suche nach einem solchen Kerl; doch ich fand niemanden, der schmutziger und ekelhafter gewesen wäre als du. (…) Wenn mein Gatte sich noch einmal der Magd naht und bei ihr liegt, so will ich dir wiederum gewähren, was du bei mir genossen hast."

Diese Spannung zwischen höchstem Genuss und Aufstieg einerseits und extremster Demütigung andererseits haben wir wohl so bisher in diesen Erzählungen noch nicht gefunden.

Dem Abortreiniger fließen die Tränen, und anzüglich antwortet er in Versen:

Gewähre mir zehn Küsse auf deine Linke Hand,
Der noch mehr Ehre als der rechten Hand gebührt!
Denn deine Linke hat ja noch vor kurzer Zeit,
Als du dich säubertest, an dein Gesäß gerührt.

Einen spontan dichtenden Klomann würde ich auch gern mal erleben.

Als der Emir des Pilgerzuges die Geschichte jenes Mannes vernommen hatte, ließ er ihn frei und sprach zu den Umherstehenden: "Um Allahs willen, betet für ihn; denn er ist entschuldbar!"

Ferner wird erzählt

*

Die Geschichte von Harûn er-Raschîd und dem falschen Kalifen

Wieder einmal geht der Kalif Harûn er-Raschîd des Nachts in Begleitung seines Wesirs Dscha’far und seines Schwertträgers Masrûr – alle drei verkleidet als Kaufleute – durch die Stadt Bagdad.
Als sie an das Ufer des Tigris kommen, bieten sie einem Alten einen Dinar für eine Lustfahrt.

284. Nacht

Sonnenschein. Ich sitze im Park mit meinem Laptop und designe unsere Workshopflyer. Neben mich setzt sich eine alte Frau, die einen Rollstuhl mit ihrem Mann schiebt. Ich habe ihn immer für einen Türken gehalten, aber sie spricht ihn auf Russisch an. Ich frage sie, ob sie aus Russland seien. Nein, aus Tadschikistan, lautet die Antwort auf Deutsch. Ich werde hellhörig. Ihr Akzent ist nicht typisch für Russen. Vielleicht deutschsprachige Minderheit, vielleicht sogar jiddischer Einschlag? Frage, wie sie denn nach Tadschikistan gekommen sei. Sie deutet auf ihren Mann, der habe im Afghanistankrieg gekämpft. Er stammelt auf Russisch, wie von einem Schlaganfall gelähmt. Berichtet von grauenhaften Kämpfen, seine emotionale Mimik wirkt wie ein Zitat einer fernen Erinnerung an ein Gefühl. Wie bei jemandem, der eine Geschichte immer und immer wieder auf dieselbe Art erzählt hat. Oder liegt es an der Lähmung, die ihn beschränkt. Seine Frau dolmetscht simultan. Ihre Aussprache wird durch das kaputte Gebiss verstümmelt, aber ihr Timing ist so perfekt, als habe sie das früher professionell gemacht. Wo sie denn herkomme, frage ich. Ukraine. Und, hake ich noch mal nach, warum Tadschikistan? Sie berichtet, dass sie in der Nähe von Dnepopetrowsk geboren sei, dann als kleines Mädchen im Krieg nach Polen geschickt, dann wieder von den Deutschen in die Ukraine, dann nach Deutschland…
"Und gutt. Bekamen wir zu essen. Wurden wir gefittert. Dann auf einmal nach Hause. Mutter gesagt: Ich kann nikt merr. Gutt. Alle zurick in Ukraine Kriwoi Rog. Dann auf einmal die Deutschen saggen: Alle nach Deitschland. Und ikh warr nur kleine Mädchen. Barfuß. Berlin. In Krieg. Bekamen wir zu essen. Wurden wir gefittert. Dann auf einmal nach Hause. Mutter gesagt: Ich kann nikt merr. Gutt. Alle zurick in Ukraine."
Nach drei Mal hin und her Ukraine/Deutschland, scheint klar zu sein: Sie hat sich in ihrer Geschichte verlaufen. Ich versuche zu helfen, ohne die Story anzuzweifeln: "Da ging es wohl viel hin und her, oder?"
"Ja, viel hin und her. Und dann sagen die Deitschen. Zurick Ukraine. Gutt. Wir in Garten gesessen. Mutter hat geweint. Dann nach Deitschland."
Sie kommt aus der Schleife nicht heraus. Ich versuche noch einmal: "Und dann mussten Sie nach Tadschikistan?" Aber sie bleibt in ihrem Ukraine/Deutschland-Pendel gefangen.

***

Nicht nur wäscht und füttert man den armen Abortreiniger, er darf sich neben die Schönheit setzen und mir ihr Wein trinken und mit ihr im Bett ruhen.

Dort legte sie sich nieder, und ich ruhte bei ihr bis zum Morgen; und so oft ich sie an meine Brust drückte, sog ich den Duft des Moschus und der anderen Wohlgerüche ein, und ich glaubte nicht anders, als dass ich im Paradiese wäre, oder dass ich schliefe und träumte.

Sie entlässt ihn am nächsten Morgen mit 50 Goldstücken. Für zwei Heller kauft er sich Brot und Zukost.

Die Übersetzung "Heller" scheint mir ziemlich ungeschickt. Denn der Heller – abgeleitet von Hall (dem heutigen Schwäbisch Hall) – war als Münze nur im süddeutschen Raum verbreitet: Deutschland, Österreich, Tschechoslowakei, Ungarn (Filler).

Den Rest vergräbt er. Eine Sklavin holt ihn am Abend, und das Spiel wiederholt sich nun acht Tage lang, bis ihr Gatte nach Hause kommt, und der Abortreiniger sich versteckt.

Ich erblickte einen jungen Man zu Ross, gleich dem Monde, der in der Nacht seiner Fülle aufgeht; eine Schar von Mamluken und Kriegern zu Fuß begleitete ihn.

Der junge Herr tritt auf die Dame zu, küsst den Boden vor ihr und ihre Hände, entschuldigt sich bei ihr, doch sie würdigt ihn keines Blickes.

283. Nacht

Wiki-Wissen per Zufall Nummer 3:

1. Fritz Markwardt isolierte das blutgerinnungshemmende Hirudin aus Blutegeln.

2. Der schwedische Politiker Felix Hamrin wurde im Zuge der Zündholzmonopolistenkrise Ministerpräsident.

3. Die Amateur-Motorsportserie NASCAR AutoZone Elite Division, Southwest Series fuhr ausschließlich auf kurzen Ovalen im Südwesten der USA.

4. Unternehmen verfolgen aus steuerlichen Gründen gegenüber dem Staat eher eine konservative Bilanzpolitik, Banken eine progressive.

5. Der englische Chemiker John George Children konstruierte 1813 die bis dahin größte galvanische Batterie.

6. Im Finale der Handball-Weltmeisterschaft der Frauen 2001 besiegte Russland Norwegen mit 30:25.

7. Ron Hornaday jr. ist der einzige Fahrer, dem es gelang, in zwei aufeinanderfolgenden Jahren in der NASCAR Southwest Series die Meisterschaft zu gewinnen.

Ich schwöre, ich habe auf "Zufälliger Artikel" geklickt. Warum also spuckt er mir so kurz hintereinander zwei Ergebnisse zu diesem hierzulande völlig unbedeutenden Ereignis aus? Ähnlich beim Winamp Shuffle. Wenn er einmal in Händels Werken hängt, kommt der Player da nicht so schnell wieder raus. Oder sind heute zufällig NASCAR Southwest Series Promo Days?

8. Der Schwerpunkt des Internationalen Film Festivals Innsbruck liegt auf Filmen aus Afrika, Asien, Lateinamerika und Osteuropa.

9. Roberto Pecceis Arbeiten trugen zur Durchsetzung der Quantenchromodynamik als Theorie der starken Wechselwirkung bei.

10. Die schwache Hyperladung ist in der Teilchenphysik eine erhaltene Quantenzahl.

Nun akzeptiere ich die Zufälligkeit der Artikel wirklich nicht mehr. Auf den Artikel über einen Teilchenphysiker folgt ein Artikel über eine teilchenphysikalische Größe?

***

Der Schlachthofreiniger erkennt von seiner Gasse aus die Dame;

die war einem Weidenzweig oder einer durstigen Gazelle gleich und an Schönheit und Anmut und Liebreiz vollkommen.

Auf Geheiß der Dame wird unser Held nun von einem der Eunuchen gepackt, gefesselt und verschleppt. Das Volk immerhin hat soviel Zivilcourage, dagegen zu protestieren:

"Das ist nicht von Allah erlaubt! Was hat euch denn dieser arme Abortreiniger getan, dass er mit Stricken gebunden wird?"

Der Reiniger erklärt sich seine Festnahme damit, dass sich die Dame vor ihm ekelt:

"Vielleicht ist sie auch schwanger oder ihr ist sonstwas passiert."

Man führt ihn zu einem feinen Hause, wo man ihn von drei Sklavinnen waschen lässt, ihn umkleidet und ihn in eine Halle führt, wo die Dame bereits auf einem Lager aus Bambusrohr auf ihn wartet.

Dieses Motiv – ein Mann gerät in das Haus einer einsamen lüsternen schönen Dame – scheint hier fast ein eigenes Sujet zu werden.

282. Nacht

Wiki-Wissen per Zufall Nummer 2:

1. Die einfachste Formel der Formelsammlung der analytischen Geometrie – Der Einheitskreis – lässt sich so darstellen:, aber ich könnte nicht behaupten, ihn zu verstehen, obwohl ich fünf Tage Mathematik studiert habe.

2. Am Kaiserslautern-Saarbrücken Computer Science Cluster arbeiten mehr als 800 Mitarbeiter.

3. Der 1958 bei Marxen in Niedersachsen entstandene und in den 1970ern zunehmend linksradikale Ring Bündischer Jugend zerstritt sich mit dem Ring deutscher Pfadfinderverbände.

4. Das Cournot-Oligopol wurde von Antoine-Augustin Cournot 1838 beschrieben: Wie zwei Anbieter der gleichen Ware zu einem Preis finden, dessen Änderung – egal in welche Richtung für beide ökonomisch unvorteilhaft wäre.

5. Der in Platons sokratischen Dialogen als jugendlicher Heißsporn geschilderte Polos, hat mehrere Werke verfasst, darunter einen Schiffskatalog

6. Der konservative britische Schattenminister der Tories David Freud ist ein Urenkel von Sigmund Freud.

7. Die regionale Verwaltung einer Bahai-Gemeinde innerhalb eines Landes heißt Regionaler Geistiger Rat.

8. Dem englische Schauspieler Bob Peck gelang 1993 der Durchbruch mit Jurassic Park. 6 Jahre später starb er.

9. Les Friques in der Schweiz ist nicht an den öffentlichen Verkehr angebunden.

10. Millikan ist ein Einschlagkrater auf der nördlichen Hemisphäre des Mondes.

***

Wie zu erwarten war, ist der Kalif nicht amüsiert über die unerlaubte Abwesenheit Ishâks:

"Bedeutet dies, dass du mir den Gehorsam verweigerst?"

Die Freundschaft der Mächtigen, so haben wir hier nun mehrfach gelernt, ist ein zweischneidig Ding. So leichtfertig wie die Kalifen Ehrenkleider, Jahressolde und Ämter verleihen, so locker lassen sie einen auch köpfen. Ishâk muss also eine gute Rechtfertigung in der Tasche haben.

Unter vier Augen berichtet er dem Kalifen von seinem Erlebnis, und dieser ist begeistert. Sie verkleiden sich wieder als Kaufleute, gehen zu besagter Stelle.

Aber nun fanden wir zwei Körbe, setzten uns hinein und wurden zu der gewohnten Stätte emporgezogen.

Bisher ist völlig unklar:
1. Warum geht Ishâk nicht durch die Tür, die er ja schon kennt?
2. Warum hängt die Maid überhaupt Körbe aus dem Fenster? Um sich einen Mann zu angeln? Hätte sie auch jeden anderen genommen?

Wieder wird gegessen und getrunken, erzählt und gesungen, bis beide Herren ihre Konspiration vergessen.

Als el-Mamûn drei Maß getrunken hatte, kam Fröhlichkeit und Weinseligkeit über ihn und er rief: "Je Ishâk!" Ich antwortete: "Zu Diensten, o Beherrscher der Gläubigen!"

Und schwupps verschwindet die Maid. Ishâk sucht den Besitzer des Hauses, es ist el-Hasan ibn Sahl, der Bruder des Wesirs Fadl ibn Sahl. Für eine Hochzeitsgabe von 30.000 Dinaren heiratet der Kalif die Maid, deren Namen Chadîdscha wir nun endlich erfahren. Ishâk wird zu Stillschweigen verpflichtet. Und er beendet die Geschichte mit der Bemerkung:

Kein Mensch hat jemals so viel Glück erlebt wie ich es in jenen vier Tagen genossen habe, als ich tagsüber mit el-Mamûn und des Nachts mit Chadîdscha zusammensein durfte. Bei Allah, ich habe nie einen Mann gleich el-Mamûn gesehen und nie eine Frau gleich Chadîdscha kennen gelernt, ja nicht einmal eine, die ihr an Klugheit, Verstand und feiner Rede auch nur nahegekommen wäre. Doch Allah weiß es am besten.

Man fragt sich, ob es wirklich bei Wein und Gesang geblieben war. Wenn nicht, hätte der Kalif keine Jungfrau geheiratet. Und warum preist Ishâk immer noch diesen Kalifen, der ihm doch die Braut vor der Nase wegschnappt?
Über den Vater der Braut weiß Wikipedia zu berichten, dass dieser infolge seiner Intrigen am Hofe el-Mamûns inhaftiert wurde.

***

Die Geschichte von dem Schlachthausreiniger und der vornehmen Dame

Während der Wallfahrt ergreift ein Mann den Vorhang des heiligen Hauses und schreit:

"Ich flehe dich an, o Allah, lass sie wieder ihrem Gatten zürnen, damit ich mich mit ihr vereinigen kann!"

Die Pilger verprügeln ihn und schleppen ihn vor den Emir des Pilgerzugs, der ihn zur Rede stellt. Darauf berichtet der Mann:

Ich bin Abortreiniger und ich arbeite in den Schafschlächtereien, ich schaffe das Blut und den Unrat zu den Misthaufen.

Als er eines Tages mit seinem mistbeladenen Esel durch die Straßen geht, sieht er einen Haufen Leute weglaufen, di ihn warnen:

"Bieg in die Gasse dort ein, damit man dich nicht totchlägt! (…) Die Frau eines vornehmen Mannes kommt dort, und die Eunuchen treiben das Volk aus dem Wege; sie schlagen alle Leute, ohne Rücksicht auf irgendeinen zu nehmen" Ich bog also mit dem Esel in eine Seitengasse ein.

Auch hier fällt es nicht schwer, den Fortgang zu erraten. Das Motiv "Schöne Frau sucht einen Mann – und zwar irgendeinen" taucht in den 1001 Nächten immer wieder auf.

 

281. Nacht

Ich klicke 10 mal auf "Zufällige Seite" bei Wikipedia (der Trick ist, auch die scheinbar uninteressanten Seiten mitzulesen) und erfahre:

1. Das AK 725 ist ein doppelläufiges Geschütz, das in den Staaten des Warschauer Pakts verwendet wurde und sich durch eine hohe Kadenz – nämlich 200 Schuss pro Minute auszeichnet.

2. Bei einer Reklamation kann der Verkäufer (wenn AGB dem nicht entgegenstehen) wählen, ob er dem reklamierenden Käufer einen Umtausch, eine Reparatur, eine Wandlung (d.h. Geld zurück) oder eine Minderung gewährleistet.

3. In Rovinari, einer rumänischen Stadt im Kreis Gorj, ist die einzige Sehenswürdigkeit eine Holzkirche von 1840.

4. Der Name des Wasserlauf Kinchafoonee Creek in Georgia (USA) ist aus der Bezeichnung eines Nussknacker-Mörser aus Knochen in der Creek-Sprache abgeleitet.

5. Das Wappen der Tessiner Gemeinde Alto Malcantone zeigt ein goldenes Eichenblatt auf blauem Grund.

6. Einer der Forschungsschwerpunkte des in Deutschland lebenden schottischen Theologen Alexander Wedderburn war "Paulus und Jesus".

7. Der 1977 geborene Schauspieler Felix Rech spielte in Shakespeares "Romeo und Julia" den Mercutio.

8. Die deutsche Bezeichnung der tschechischen Kleinstadt Vroutek lautet Rudig.

9. Die dänische Sejlflod Kommune wurde 2007 mit anderen Kommunen zur neuen Aalborg Kommune zusammengelegt.

10. Der Thüringer SPD-Politiker Matthias Hey ist gelernter Drucker.

Erstaunlich – die Hälfte der Artikel in diesem Durchlauf geographische Bezeichnungen. 3 von 10 sind Persönlichkeiten.
In einem anderen von AK 725 ausgehenden Durchlauf treffe ich auf: Yak-Rassen, Heuristik, Wiesbaden-Westend, Nassauer Denkschrift, Conference, All About Eve, Mannō, Wittekindshof, Post Charlotte.

***

Ishâk el-Mausili verabschiedet sich und gelobt, über das Vorgefallene zu schweigen. Zu Hause

sprach ich das Frühgebet und legte mich nieder.

Den nächsten Tag verbringt er beim Kalifen el-Mamûn und abends setzt er sich hoffnungsvoll wieder in den Korb. Seine Hoffnungen werden nicht enttäuscht. Das Ganze wiederholt sich noch einmal, und das, obwohl am dritten Tag der Kalif ihn bittet, im Palast zu bleiben, solange er fort ist. Als er von der schönen Maid sich entfernt,

dachte ich daran, dass el-Mamûn mich sicher zur Rechenschaft ziehen würde; darum sagte ich zu ihr: "Ich sehe, du gehörst zu denen, die am Gesang ihre Freude haben. Nun habe ich einen Vetter, der ist schöner als ich von Angesicht, er genießt ein höheres Ansehen und hat eine feinere Bildung, und er kennt von allen Geschöpfen Alahs des Erhabenen den Ishâk am besten.

Sie willigt ein. Er geht heim.

Doch kaum war ich dort angekommen, so fielen die Abgesandten el-Mamûns über mich her und schleppten mich mit roher Gewalt fort.

280. Nacht

Der Beginn der 280. Nacht klingt, als sei Schehrezâd in Schwierigkeiten:

"Oh glücklicher König, was ist alles bisher Erzählte gegen das, was ich euch heute nacht erzählen könnte, wenn der König mich am Leben zu lassen geruht!" Der König antwortete ihr: "Beende deine Erzählung!"

Das wird sie in dieser Nacht nicht tun.

Ishak el-Masuli und die Maid essen und beginnen, sich mit Erzählungen zu unterhalten.

So begann ich denn zu erzählen, indem ich bald anfing: "Es ist mir berichtet worden, dass es also geschah", und bald "Es war einmal ein Mann, der also erzählte"

Da lässt sich Schehrezâd hübsch in die Trickkiste schauen.

Man bringt die Laute und die Schöne singt ein Lied, dessen Melodie von Ishak el-Masuli selber stammt.

Da kam eine Alte, die ihre Amme zu sein schien, und sprach: "Die Zeit ist gekommen!" Wie ich das hörte, erhob ich mich sofort.

279. Nacht

Noch bevor Schaddâd und sein Gefolge die Stadt erreichen,

sandte Allah auf ihn und auf alle die ungläubigen Ketzer, die bei ihm waren, eine Gottesstrafe vom Himmel seiner Allmacht herab, und die vernichtete sie alle mit gewaltigem Getöse. Weder Schaddâd noch irgendeiner von denen, die bei ihm waren, erreichte die Stadt, niemand sah sie. Auch verwischte Allah die Spuren der Straße, die zu ihr führte.

Dass die Verlassenheit der Stadt ein Zeichen für eine göttliche Strafe ist, hat man sich eigentlich denken können, aber eigentlich hatte ich auf den Frevel noch gewartet – meist sündigen die Bewohner zerstörter Städte durch Maßlosigkeit, Völlerei oder Abwendung von Gott. Hier aber scheint der Nachbau des Paradieses selbst die Sünde zu sein – ähnlich wie im Mythos des Turmbau zu Babel. Im Koran wird darauf gedeutet, dass die Bewohner der Stadt den Warnungen des Propheten Hud kein Gehör schenkten.

Die einzigen, die diese Stadt gesehen haben sollen, seien ein Gefährte Mohammeds und eben der seine Kamele suchende Abdâllah gewesen.
Ein weiterer Anwesender namens esch-Scha’bî fügt folgende Ergänzung ein: Der Sohn Schaddâds, nämlich Schaddâd der Jüngere, welcher als Statthalter in Hadramaut zurückgeblieben war und nun Nachfolger seines Vaters wird, ließ dessen Leiche zurückführen und in einer Gruft in einer Höhle auf einem goldenen Thronlager unter

siebenzig Tüchern, die aus Gold gewebt und mit Edelsteinen besetzt waren,

bestatten.

Zumindest bei Wikipedia werden die Schaddâds nicht als Herrscher von Hadramaut erwähnt.

Auf einer Tafel zu Häupten des Vaters ist zu lesen:

Sei gewarnt, du, den die lange
Lebenszeit betöret hat!
Ich, Schaddâd, von Âd entsprossen,
war der Herr der festen Stadt;
War der Herr der Kraft und Allmacht,
Voll von wildem Heldenmut.
Untertan war alle Welt mir,
Fürchtend meines Zornes Glut,
Ost und West hielt durch der Herrschaft
Festen Zwang ich in der Hand.
Auf den rechten Weg dann wies und
Der Prophet, zum Heil gesandt.
Doch wir trutzten ihm und riefen:
Gibt’s denn keine Zuflucht mehr?
Da kam über uns ein Unheil
Aus der Ferne weit daher.
Wie die Schwaden bei dem Mähen
Sanken wir zu Boden tot.
Und nun harren wir im Staube
Auf den Tag, der uns bedroht.

Fragt sich, wie sie sich auf den Propheten beziehen können, wenn der zu ihrer Zeit noch gar nicht lebte, oder ist der Prophet Hud gemeint?

Und auch ein Dritter, namens eth-Tha’âlibi meldet sich zu Wort und weiß weitschweifig von einer Plünderung des Grabs von el Schaddâd, inklusive Tafel, zu berichten

Nach neuster Forschung (begonnen mit Aufnahmen aus dem Space Shuttle) hat die Säulen-Stadt Imram tatsächlich existiert.

***

Die Geschichte von Ishâk el-Mausili

Ishâk el-Mausili berichtet, betrunken von einer Feier nach Hause zu torkeln. In einer Seitengasse

verrichtete ich mein Bedürfnis im Stehen, denn ich fürchtete, es könne mir etwas zustoßen, wenn ich mich an einer Mauer hinhockte.

Wenn einem als Stehpinkler partout keine Ausrede mehr einfällt…

Aus einem der Häuser hängt ein vierhenkliger mit Brokat gefütterter Korb, in den sich Ishâk el-Mausili aus einer Laune heraus setzt. Der Korb wird hochgezogen und vier Sklavinnen heißen ihn willkommen. Er befindet sich nun in einem Haus mit so schönen Räumen,

wie ich die nur im Palaste des Kalifen gesehen hatte.

Mädchen schreiten einher.

Die dürfen nicht fehlen.

die Wachskerzen und Räucherfässchen aus sumatranischem Aloeholz trugen.

Die Schönste von ihnen setzt sich zu ihm und man trägt einander Verse vor,

die allerdings ausnahmsweise nicht ausgeführt werden.

Darauf befahl sie, Speisen zu bringen.

Nun sprach Dinazâd zu ihrer Schwester Schehrezâd: “Wie köstlich ist doch deine Erzählung und wie entzückend, wie lieblich und berückend!” Aber die Schwester erwiderte: “Was ist all dies gegen das, was ich euch in der kommenden Nacht erzählen könnte, wenn der König mich am Leben zu lassen geruht.”

Nach vielen Nächten taucht Dinazâd mal wieder auf. Inzwischen sind zehn Monate nach Mondrechnung vergangen.

278. Nacht

Die Mülltonnen unseres Wohnblocks wurden immer über ein leerstehendes Nachbargrundstück abgeholt. Ein ödes Grundstück, wären da nicht die zwölf Pappeln, die einem die Illusion von Naturnähe spendeten. Seit zwei Monaten darf die Müllabfuhr dieses Gelände nicht mehr befahren, und die Mülltonnen werden durch unser Haus gebollert, so wie fast überall in Berlin. Schade um unseren Morgenschlaf. Aber was heißt das für das öde Grundstück? Für die Natunähe-Illusion? Soll hier gebaut werden? Aber was? Da müsste man ja schon die Pappeln fällen. Dürfen die das? Vorsicht! Ich hole aus zum Exkurs.

In Alt-Treptow atmet man schon mal auf, wenn in der Ödnis von Nagelstudio, Gräue, Netto und Schlecker kleine Sprenkelchen des guten Geschmacks auftauchen. Ein Kollege schrieb vor ein paar Jahren, dass sich hier kein Laden halten könne, nicht mal ein Bestatter. Man kann den Betreibern eines geschmackvoll eingerichteten Cafés oder Plattenladens regelrecht zuschauen, wie ihnen Monat für Monat die Kondition ausgeht, wie sie, einem Ertrinkenden gleich, ein letztes Mal wild mit den Beinen strampeln, und dann untergehen. Die Wohnhäuser sind solide in dem Sinne, dass sie DDR-Konservatismus verströmen. Und doch scheint sich in den letzten ein bis zwei Jahren etwas geändert zu haben.
Eigentlich hätte ich es wissen sollen. Ich bin die Vorhut des Booms. Das war in den 90ern schon einmal so. Ich war vermutlich der erste Student im Friedrichshain. Vorher hatte man hier von so etwas allenfalls gehört. Als ich 1997 exmatrikulierte, machten es mir alle nach. Selbst mein unnachahmliches Outfit “Billig-aber-trotzdem-hässlich” kopierten sie tausendfach. Es gab keinen Copy-Shop und keinen Kleintierpsychologen. Bis 1998 gab es in meiner unmittelbaren Nachbarschaft auch zwei Friseurläden, wo man sich für 20 Mark schnell mal die Mähne kürzen lassen konnte. Wegen ihrer mangelnden Anpassungsfähigkeit schlossen sie. Vier Jahre keine Friseure. Dann in fast genau denselben Läden zwei neue Coiffeurs, aber hier schnip-schnappt die Schere im Takt zum Drum & Bass, es kostet 10 Euro und man hat schon ein schlechtes Gewissen, wenn man die Haare nicht selber wegfegt.
In einem Radius von 10 Minuten Laufweite gab es kaum eine Kneipe, kaum ein Café, in das ich mich guten Gewissens mit einer Frau hätte verabreden können. Ein biederes Eiscafé oder Juhnkes Eck – das wäre die Wahl gewesen, wenn man von der ost-alternativen tagung absah. An einem heißen Sommertag 1994 saß ich mit einem Freund in der Eckkneipe Gleis 13, und fragte den Wirt, ob wir einen Tisch nach draußen stellen könnten. Er sah mich an, als hätte ich einen Cappuccino bestellt. Die Angestellten des nun an seiner Stelle befindliche Via Nova wundern sich auf ähnliche Art, wenn man im Sommer nicht draußen sitzt. Zwischen 1994 und 1996 beobachtete ich fünf vergebliche Versuche, in der Simon-Dach-Straße ein Café zu eröffnen. Alle mussten mangels Kundschaft schließen.
Doch 1997 tat sich etwas. In der Simon-Dach-Straße hatte das erste Café nicht nur einen Versuch gestartet, sondern diesen Versuch sogar überlebt. Von da an verdoppelte sich die Café-Dichte im Jahrestakt. Ein kleiner, aber feiner Buchladen eröffnete in der Wühlischstraße. Die Second-Hand-Läden boten nicht mehr nur Ramsch an, den man bei Humana nicht anzubieten wagte. Eine Öko-Coop entstand, die später dem Druck mehrerer Bioläden ausgesetzt war. Häuser wurden saniert – manche sanft, die meisten aggressiv.
Als schließlich in der Kopernikusstraße ein Hundefriseur öffnete, wusste man – die Gegend wird gentrifiziert. Das Haus, in dem ich wohnte, wirkte in der Libauer Straße wie ein Mitesser in einem hübschen Gesicht. Die Erbengemeinschaft konnte sich seit der Wende nicht einigen, und so beließen es die Verwalter beim Allernötigsten. Als ich 38 wurde, hatte ich schließlich die Nase voll vom Außenklo und zog mit Freundin nach Treptow. Eine putzige Glosse über meinen Umzug endete mit der Bemerkung, dass ich in Treptow mitnichten der einzige Schriftsteller sein würde, sondern lediglich der erste. Es scheint sich zu bewahrheiten. Die Biokette LPG hat eine Filiale in der Nähe eröffnet, und der Vollkornbäcker hat weniger Schwierigkeiten, sein Publikum zu halten als jener Imbissladen, in dem der Dönerspieß 10 Tage braucht, bis er – grau vom Zigarettenrauch – runtergebrutzelt ist.
An zwei Brachen nun haben sich ein paar Leute zusammengetan, ihr Gespartes zusammengelegt und bauen nun zwei Häuser – hell und transparent, mit Spielplatz und Wiese. Und doch werden sie bedroht, nicht von den Bullen, sondern von den Anti-Gentrifizierern, die die Häuser mit Farbbeuteln und Steinen angreifen. Ein wenig beneide auch ich die dort wohnenden um ihre schöne Aussicht auf den Kanal. Ich würde wahrscheinlich, wenn ich dort wohne, einmal täglich das Fenster aufdrehen und den Rauchhaus-Song von Ton-Steine-Scherben in voller Lautstärke abspielen:

“Und wir schreien’s laut:
Ihr kriegt uns hier nicht raus!
Das ist unser Haus!”

Ich spaziere weiter, der Boom der Investoren, so ein Flugblatt der Protestierer, nimmt aggressive Züge an. So sei der Obstgarten neben der Neuapostolischen Kirche plattgemacht worden, um dort zu bauen. Ich zähle 35 Baumstümpfe. Wer kann was gegen eine Verschönerung haben? Gegen Innenklos? Gegen Vollkornbäcker statt Gammeldöner? Und wann kippt es? Verdrängung ist nicht immer bösartig, fies, gewalttätig, durch dreiste Mieterhöhungen am Rande der Illegalität. Gentrifizierung und die ihr folgende Segregation funktioniert vor allem dadurch, dass weniger wohlhabenden Zuzugswilligen der Weg in den Bezirk versperrt bleibt.

Seit meinem Spaziergang bin ich mir sicher: Die Pappeln werden gefällt. Selbst wenn der Eigentümer dafür nicht die Genehmigung bekommt – die Ordnungsstrafe wird aus der Portokasse bezahlt. Auf dem RAW-Gelände in Friedrichshain geschah dasselbe. Gestern den Öko-Investor spielen, morgen Bäume fällen; wahrscheinlich ohne gravierende Selbstzweifel. Adé Pappeln! Adé Naturnähe-Illusion. Welcome to the next Caipirinha-Bezirk.

*

Der Kalif schickt nach dem Weisen Ka’b el-Ahbâr, der den Anwesenden die Geschichte der Stadt enthüllt:

“das ist Iram die Säulenstadt, die in allen Landen nicht ihresgleichen hat.”

Es beginnt also wieder eine jener berühmten Geschichten in der Geschichte.

Der König Âd hatte zwei Söhne, Schadîd und Schaddâd. Schadîd stirbt.

Wie hier so oft üblich bei solchen Einführungen wissen wir wieder einmal nicht, warum diese Figuren – nämlich Âd und Schadîd überhaupt erwähnt wurden.

Schaddâd wird nun der mächtigste König seiner Zeit.

Er hatte unter seiner Herrschaft hunderttausend Fürsten, und jeder Fürst gebot über hunderttausend Machthaber, und jeder Machthaber über hunderttausend Krieger.

Das macht nach Adam Ries 1.000.000.000.000.000, also eine Billiarde Menschen. Das müssen Zeiten gewesen sein! Und da sind die Kinder, Frauen, Bauern, Handwerker usw. sowie etwaige ihmnicht unterstehenden Völker noch gar nicht mitgerechnet.

Als Schaddâd einen Bericht vom Jenseits liest, beschließt er, das Paradies auf Erden zu errichten.

Was das für Konsequenzen hat, wissen wir.

“Ziehet also nach der schönsten und weitesten Flur der Erde und baut mir dort eine Stadt aus Gold und Silber, [Aufzählung weiterer wertvoller Materialien]…”

Das diese schönste Flur ausgerechnet im Wüstenland Jemen zu finden sein soll, erstaunt.

Die ihm untergebenen Fürsten sammeln nun zwanzig Jahre lang Material, suchen die Gegend, finden sie und beginnen mit dem Bau.
Sie arbeiteten an jenem Werk dreihundert Jahre lang, und als sie es beendet hatten, gingen sie zum König und berichteten ihm darüber.

Dreihundert Jahre? Das erinnert an mosaische Zeiten.

Schaddâd befiehlt seinem Gefolge, sich zum Aufbruch bereitzumachen (darunter 1.000 Wesire).

Und ich dachte immer, die DDR mit ihren 35 (?) Ministern wäre eines der ministerreichsten Länder gewesen.

277. Nacht

Wikileaks präsentiert "Collateral Murder". Das Schema ist dasselbe wie beim Stanford Prison Experiment – der Luzifer-Effekt. Die Menschen werden zu Objekten, es gibt kaum Möglichkeiten auszusteigen, die Kette der Brutalitäten verschärft sich. "Targets, haha."

 

 

J. bittet mich um einen Text, an dem ich nun seit Tagen laboriere. Zwischendurch träume ich, er würde mich durch seine Connections zum Militär als Oberbefehlshaber der Landstreitkräfte der Bundeswehr einsetzen, sie wollen nun endlich mal einen Zivilisten. Wer würde da besser passen als Dan Richter? Prompt setzen sie mich in Afrika ab, wo gerade Truppen stationiert sind. Mein Traum-Director sagt "Afrika", ohne das Land zu bezeichnen, dieser Chauvinist.

*

Abdallah ibn Abi Kilâba legt seiner Kamelin die Fußfessel an und durchschreitet das mit Hyazinthen und Edelsteinen besetzte Tor und betritt die Burg, die

lang und breit war und an Ausdehnung der Stadt Medina gleichkam.

Die Festung ist allerdings menschenleer, aber dafür aus Gold und Silber erbaut, auf dem Kies liegen Edelsteine und im Staub Moschus.

"Dies ist sicherlich das Paradies, das uns im Jenseits verheißen ist."

Er steckt sich die Taschen voll Edelsteine und Moschus, kehrt

in die Heimat zurück und erzählte den Leuten davon.

Die Kunde verbreitet sich bis zum Kalifen Muâwija ibn Abi Sufjân,

der damals Kalif in Hidschâz war.

D.h. im Gebiet von Mekka und Medina. Sufjân führte als erster Umajaden-Kalif die Erbfolge ein und zog später nach Damaskus.

Der lässt Abdallah zunächst beim Statthalter und schließlich bei sich selbst antanzen, um die Geschichte zu wiederholen. Als Beleg hat er nur noch ein paar Gewürzkugeln dabei.

In ihnen war noch etwas Wohlgeruch, aber die Perlen waren verblichen und hatten ihren Glanz verloren.… Weiterlesen

276. Nacht

Nun fresse ich mich durch den dritten Teil der Gulag-Trilogie von Solschenizyn; jede Restsympathie für den Kommunismus wird gnadenlos getilgt. Aber ich habe mich den 1001 Nächten verschrieben. Auf die Suche nach der verlorenen Zeit anspielend, meint Solschenizyn irgendwo sinngemäß, die Westler schrieben über Kekse, die Russen über den Tod.

*

Wie wir bereits geahnt haben, ist ein Vers der beste Weg, um um Gnade bei einem Kalifen zu bitten. Dieser antwortet:

Mein eigner Stamm erschlug, Umaima, meinen Bruder;
Drum, schieß ich auf den Stamm, trifft mich mein eigner Pfeil.

Man wirft sich noch eine Weile gegenseitig Verse das Thema Großzügigkeit betreffend an den Kopf. Und um das Momentum dieser Story in Gänze zu verstehen, müsste man wohl noch tiefer in die religiös bis sektiererisch anmutenden Streits über die Kalifennachfolge eindringen.

Unser Flüchtling vergisst aber auch nicht, von seinem Helfer als auch von seinen Feinden zu berichten. Die Freigelassene, die ihn verriet, gesteht, auf die Frage, warum sie das getan habe:

"Aus Geldgier." (…) Weiter fragte der Kalif: "Hast du ein Kind oder einen Gatten?" Als sie das verneinte, befahl er ihr hundert Peitschenhiebe zu geben und sie auf Lebenszeit einzukerkern.

Der Bader wird zum Lohn für seine Hilfe zum Krieger und der Krieger zum Bader.

Ferner verlieh er ihm [dem ehemaligen Bader] ein Ehrengewand und dazu noch einen jährlichen Sold von fünfzehntausend Dinaren.

Die Verleihung des Ehrengewandes steht, wie wir wissen, meist am Ende der Geschichte. Und so folgt nun:

*

Die Geschichte von Abdallah ibn Abi Kilâba und der Säulenstadt Iram

Abdallah ibn Abi Kilâba sucht in den Wüsten der Länder von Jemen und des Landes von Saba seine Kamele, die ihm fortgelaufen waren.

Guter Einstieg. Wie groß muss eine Herde sein, damit man sich auf eine solche Suche macht?

Auf seiner Suche trifft er auf eine verlassene Festung, die von Burgen umgeben ist.… Weiterlesen

275. Nacht

Seltsam muten die Versuche der Industrie an, technologische Möglichkeiten zurechtzustutzen. Die Kopierschutz-Idiotie bei CDs haben sie schließlich hinter sich gelassen. Für DVDs gibt es einen Area-Code, der verhindert, dass man US-Filme überhaupt gucken kann, ohne sich einen neuen PC zuzulegen. Der neuste Trick – und man kann kaum umhin, als die Aktion kartellesk zu nennen – besteht darin, die Videodauer von Digitalkameras auf 29 Minuten zu begrenzen. Hintergrund sind angeblich höhere Zölle für Camcorder. Aber das kann man kaum glauben, dass das der Grund für alle Firmen wäre, diese technische Einschränkung einzubauen. Vermutlich wollen sie, dass die Kunden sowohl die Digitalkameras als auch die Videokameras kaufen.
Schön finde ich aber auch die von Kunden akzeptierten Einschränkungen. Die Qualität des öffentlichen mp3-Handygekrächzes ist jedem 60er-Jahr-Transistor-Radio unterlegen, ganz zu schweigen vom fetten 80er Ghettoblaster. Aber sie wissen nicht, was sie tun, und diesmal sogar zum Wohle der älteren Mitbürger. Die Fotos sind völlig unakzeptabel, vom Festnetz telefonieren klingt immer noch besser und ist fast immer noch billiger. Aber macht ruhig.

*

Die für die Seele nur schwer erträgliche Gute-Nacht-Lektüre "Der Archipel Gulag" von Solschenizyn, an dem ich seit August las, verringerte auch die Frequenz dieser Blogeinträge. Dann hatte ich es endlich beendet und wunderte mich, dass über das Lagerleben selber so wenig drin gestanden hatte. Bis ich verstand, es war nur der erste von drei Teilen. Nun bin ich beim dritten (ich vermute der zweite ist der schlimmste), hangle mich vom Kapitel Entlassung über Aufstände und Ausbrüche und weiß nicht, ob es moralisch koscher ist, das Ausbruchskapitel wie einen Abenteuerroman zu lesen. Als ich es beendet habe, stoße ich beim Youtube-Surfen zufällig auf die russische Version des Grafen von Monte Christo. Ob die Macher sich darüber im Klaren waren, wie hoch der Anteil der Zuschauer mit Gefängnis- oder Lagererfahrung war? Im Übrigen wirkt die Zelle von Edmond Dantès in der ja geradezu putzig im Vergleich zu dem, was Solschenizyn beschreibt.

 

*

Ibrahîm ibn el-Mahdî will dem schwarzen Bader nicht weiter zur Last fallen und so flieht er verkleidet:

Ich hüllte mich in Frauenkleider, zog gelbe Stiefelchen an, warf mir einen Schleier über und ging aus seinem Hause fort.

Einen Soldaten, der ihn erkennt und verraten will, stößt Ibrahîm ibn el-Mahdî in den Dreck, und er findet im letzten Moment Zuflucht im Hause einer Frau, die ihm ein Ruhelager gewährt. Unglücklicherweise ist sie die Gattin des Soldaten.

Alsbald holte sie Zunder, legte den in ein Stück Zeug und verband ihm damit den Kopf; dann bereitete sie ihm ein Lager und er legte sich krank darnieder.

"Zunder zum Verbinden? Oder ist dies ein Übersetzungsfehler und eigentlich Leinen gemeint?", achte ich zunächst. Aber nein, Zunderschwamm (d.h. der Pilz) wurde tatsächlich als Verband benutzt.

Die Frau des Hauses warnt Ibrahîm und lässt ihn bis zum Abend im Haus ruhen. Dann flieht dieser weiter und sucht Unterkunft bei einer inzwischen freigelassenen Sklavin, doch verrät sie ihn.

Plötzlich sah ich Ibrahîm el-Mausilî mit seinen Dienern und Kriegern kommen. (…) da sah ich dem Tod ins Angesicht.

Man führt ihn vor den Kalifen. Und Ibrahîm ibn el-Mahdî versucht, sich mit Versen aus der Affäre zu ziehen.

Und er wäre ja hier nicht der Erste, dem dies gelänge:

Meine Schuld vor dir ist wahrlich groß;
Aber du bist größer als die Schuld.
Also nimm dein Recht dir, oder nicht.
Und verzeihe mir in deiner Huld!
Und war ich auch nicht in meinem Tun
Edelmütig – sei du es nun.

Der Kalif antwortet mit einem ähnlich banalen Gedicht, und da

witterte ich den Hauch der Gnade in seinem Wesen.

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274. Nacht – Regeln

Mühsam hat man sich in Kindheit, Jugend und jungem Erwachsenendasein emanzipiert von allen möglichen willkürlichen Regeln. Und dann spielen einem Hirn und Psyche einen Streich – man verfängt sich in Regeln, die man auch nicht selbst gewählt hat, miesen Angewohnheiten. Und je freier man das eigene Leben zu gestalten in der Lage ist, umso näher liegen die Verführungen der schlechten Gewohnheiten, die man durch eigene Rituale, durch Ratgeberliteratur und bekanntlich im härtesten Fall mit Therapie wieder zurechtrücken muss. Ordnung/Unordnung, Umgang miteinander in Beziehungen, Ernährung, Süchte, Arbeit, Umgang mit dem eigenen Körper (Hygiene, Sport, Bewegung, Krankheiten), Familie, Umgang mit Fremden. Man studiert das Feng Shui Buch, und sagt sich am Ende: "Räum auf!"

*

Auf den Kopf von Ibrahîm ibn el-Mahdî ist eine Belohnung von hunderttausend Dinaren ausgesetzt.

Von seinen Erlebnissen erzählte Ibrahîm folgendermaßen: "Als ich von dieser Belohnung hörte, fürchtete ich um mein Leben."

Der Sprung in die Ich-Perspektive erscheint fast ein bisschen willkürlich.

Verkleidet zieht er von Haus zu Haus, landet in einer Sackgasse und fürchtet, Verdacht auf sich zu ziehen, falls er umkehrt. Da

sah ich am oberen Ende der Straße einen Schwarzen vor der Tür des Hauses stehen.

Das Auftauchen eines Schwarzen bedeutete in den bisher erzählten Geschichten praktisch immer Unglück.

Ibrahîm bleibt nichts anderes übrig, als ihn zu bitten, dort ein wenig verweilen zu dürfen. Tatsächlich gestattet es ihm der Schwarze, bietet ihm eine Raststatt in einem

sauberen Raum mit Decken und Teppichen und Lederkissen

Doch er verschwindet und verriegelt die Tür.

"Der da ist sicher fortgegangen, um mich zu verraten!"

Doch er kommt mit Speisen und Getränken zurück,

"…die noch von keiner Hand berührt sind."

Doch es bleibt nicht bei diesen Diensten:

"Ich will mein Leben für dich dahingeben! Ich bin ein Bader, der das Blut schröpft, und ich weiß, dass du dich vor mir ekelst, weil ich von einem solchen Gewerbe lebe."

Außerdem serviert er Wein

und sprach zu mir: "Kläre ihn dir, wie du es wünschest."

Wein klären = Filtern?

Damit nicht genug – es stellt sich heraus, dass der Schwarze die Identität seines Gastes kennt, und dennoch zu ihm steht.

Als er solche Worte sprach, stieg er hoch in meiner Achtung, und ich war überzeugt, dass er von edler Art war. Darum erfüllte ich seinen Wunsch, nahm die Laute zur Hand, stimmte sie und sang ein Lied, in dem ich der Trennung von meinen Kindern und von den Meinen gedachte.

Er, der dem Joseph einst die Seinen wiederschenkte
Und ihn in Kerkers Banden zu Ehren hat gebracht,
Er kann auch uns erhören und wiederum vereinen;
Denn Allah ist der Herr der Welt in Seiner Macht.

Die Erzählerin wechselt kurz wieder in die 3. Person:

Es heißt ja auch, dass die Nachbarn Ibrahîms, wenn sie nur hörten, wie er rief: "He Knabe, sattle die Mauleselin!" schon durch den Klang dieser Worte in Entzücken gerieten.

Auch der Bader, dessen Namen wir immer noch nicht wissen, singt ein Lied, und er weist das Geld, dass Ibrahîm ihm geben will, zurück.

1. Wird hier eine Fallhöhe aufgebaut, und der Bader am Ende sein wahres Gesicht zeigen? Oder bleibt dieser Schwarze die rühmliche Ausnahme?
2. Offensichtlich haben wir es mit einer politisch motivierten Geschichte zu tun. Man ist auf Seiten Ibrahîms. Aber wie sich das genau historisch einordnet, bleibt mir unklar.

 

273. Nacht

Man würde es kaum glauben, wenn man es nicht selbst sähe: Das Pflegeheim wirbt mit individueller Betreuung, medizinischer Kompetenz und ausgeklügeltem Qualitätsmanagment. Und nun leidet R. dort seit einem halben Jahr nicht nur an ihrem Alter, ihrer Gebrechlichkeit und ihren Krankheiten, sondern auch an der Schlampigkeit des Personals, der Ignoranz, dem fehlenden Mitgefühl, und der groben Fahrlässigkeit, die sie in den sechs Monaten schon drei Mal an den Rand des Todes geführt haben. "Das kann doch mal passieren", ist die Reaktion, als habe man ihr nur mal versehentlich auf den Fuß getreten und sie nicht um ein Haar vergiftet. "Versuchen Sie’s doch mal mit Beten", als sie sich vor Schmerzen kaum mehr halten kann, weil man vergessen hat, ihr das Schmerzmittel zu geben. "Was meinen Sie denn, um wieviele Leute wir uns hier kümmern müssen?", als sie darum bittet (!), doch auf ihre Diät zu achten, statt ihr mies zubereitete Lebensmittel zu servieren, die sie nicht verträgt. Kleine Vorfälle täglich, große Vorfälle jede Woche. Man fragt sich, was mit den Menschen geschieht, deren Verwandte nicht täglich auf der Matte stehen. Oder gar mit den Dementen, die nicht verstehen, wer ihnen dieses Leid zufügt.
Das Peter-Prinzip in seiner grausamen Form: Inkompetente Menschen als Leiter eingesetzt, die ihre Autorität nicht in vernünftige Planung umsetzen können, sondern Chaos herrschen lassen. Und wenn was passiert, werden die Pflegerinnen angebrüllt. Schwestern, denen die Achtlosigkeit von den Vorgesetzten vorgelebt wird und die nicht gelernt haben, mit ihren Klienten zu kommunizieren, geschweige denn, sie angemessen zu pflegen.

***

 

 

Der neue König lässt sich von seinem Vorhaben nicht abbringen. In der Burg findet man

Bildnisse von Arabern: die waren beritten auf Rossen und Kamelen, trugen Turbanbinden, die lang herabhingen, waren mit Schwertern gegürtet und hielten die langen Lanzen in der Hand. Auch fand er dort ein Schriftstück, auf dem geschrieben stand: "Wenn dies Tor geöffnet wird, so wird eine Araberschar das Land erobern, die so aussieht wie auf diesem Bildnisse." (…) In eben jenem Jahre (…) fiel die Stadt in die Hände des Târik ibn Zijâd.

Dazu heißt es in der Anmerkung:

Der arabische Feldherr Târik, nach dem Gibraltar benannt ist, setzte im Jahre 711 nach Spanien über und besiegte den Westgotenkönig Roderich. Der byzantinische Befehlshaber von Ceuta hatte bereits vorher den Arabern die Tore der Stadt geöffnet. Der Usurpator Roderich war wohl im Jahre 710 auf den Thron gekommen. An diese Dinge bewahrt obige Erzählung eine dunkle Erinnerung.

Die Stadt wird geplündert. Man findet unter anderem

den Speisetisch des Gottespropheten Salomo

und

einen großen, runden, wunderbaren Spiegel aus gemischten Metallen, der für Salomo gemacht worden war, und in dem jeder beim Hineinschauen die sieben Klimate der Welt mit eigenen Augen sehen konnte.

Vielleicht eine bronzene Weltkugel?

Und die Araber breiteten sich in den Städten Andalusiens aus, das eines der herrlichsten Länder ist.

***

Die Geschichte von Hischâm ibn Abd el-Malik und dem jungen Beduinen

Der Omaijaden-Kalif Hischâm ibn Abd el-Malik jagt eine Gazelle und befiehlt einem in der Nähe Kleinvieh weidenden jungen Beduinen, die Gazelle für ihn zu fangen. Mit beachtlicher Chuzpe antwortet der Beduine:

"O du, der du nicht weißt, was der Vornehme beanspruchen kann, du schaust mich mit Geringschätzung an; du wirfst mir verächtliche Worte ins Gesicht, du redest, wie ein tyrannischer Herrscher spricht, und du handelst an mir wie ein Eselstier."

Der Kalif lässt den Beduinen festnehmen, aber seine Impertinenzen gegen Diener, Kammerdiener, Kalif und Henker hören nicht auf.

Und immer hübsch gereimt.

Erst als der Henker zum dritten Mal ansetzt und der Beduine lachend ein Gedicht rezitiert, lässt der Kalif lächelnd von ihm ab:

"Bei meiner Verwandschaft mit dem Propheten Allahs – Er segne ihn und gebe ihm Heil – , hätte er von Anfang an diese Worte gesprochen, so hätte ich ihm, ausgenommen das Kalifat, alles gegeben, um das er mich gebeten hätte."

Bemerkenswert ist die Banalität des Gedichtes – im Grunde eine kleine Tierfabel, die die Situation zwischen den beiden widerspiegelt.
Wichtiger jedoch: Den Omaijaden-Kalifen wurde ja, vermutlich zu Recht, vorgeworfen, gerade nicht mit Mohammed verwandt zu sein. So wurden sie ja auch eine Generation später von den Abbasiden abgelöst.

Der Beduine wird mit Edelsteinen beschenkt und geht (vermutlich wortlos) seiner Wege.

***

Die Geschichte von Ibrahim ibn el-Mahdî

Nach dem Tode Harûn er Raschîds ging der Thron auf dessen Sohn el-Mmaûn über. Allerdings beanspruchte auch Harûns Bruder Ibrahim ibn el-Mahdî den Thron. So ging er nach er-Raij (in der Nähe des heutigen Teheran), wo er sich zum Gegenkalifen ausrufen ließ und dort fast zwei Jahre residierte. Harûns Sohn zieht nun zum Feldzug gegen ihn, und Ibrahim ibn el-Mahdî geht nach Baghdad, um sich dort zu verstecken.

Ausgerechnet in die Heimat- und Residenzstadt seines Widersachers?

 

272. Nacht – heute ist heute anders

Da ich Fernsehnachrichten eigentlich nur noch schaue, wenn ich mal in einem Hotel übernachte, also vielleicht fünf bis zehn Mal im Jahr, will sich dieses moderne Bild der ständig in den Teleprompter guckenden Models nicht richtig in meinen Kopf einprägen. Der Prototyp des Nachrichtensprechers wird für mich wahrscheinlich der Sprecher der heute-Nachrichten Gerhard Klarner bleiben. Ein dicker, gutmütig wirkender Onkel mit Schnurrbart und Brille, der mit sonorer Stimme die Nachrichten vom Blatt las. Wir waren ja, vor allem als Kinder, eher heute-Gucker, wahrscheinlich wegen der kinderkompatibleren Sendezeit. Aber der konservativere Touch des ZDF blieb auch mir nicht verborgen.
Schön, das mal wiederzufinden:

 

An einem einzigen Tag über 100 Tote durch Anschläge, aber nicht in Bagdad oder Kabul, sondern in London, Madrid und Amsterdam. Man schreibt das Jahr 1983, und die Themen scheinen dieselben wie die der letzten Jahre zu sein: Terrorismus und Palästinenser-Frage. Die Regierung und die Arbeitgeber fordern die Gewerkschaft zur Mäßigung auf. Der Gewerkschafts-Chef meint, von der 35-Stunden-Woche hinge Sein oder Nichtsein der Gewerkschaften ab – eine seltsame Logik im Übrigen: Als ob es nicht um die Zwecke der Organisation ginge sondern um die Organisation an sich. (Ob da das ZDF dahintersteckte, dass den Kanzler als bedächtig und den Gewerkschafts-Chef als Jammerlappen darstellte.) Kann man mit den Grünen koalieren? (fragte sich damals die SPD, heute die CDU.) Dass Hunderte Schriftsteller zur Wehrdienstverweigerung aufrufen (und damals gab es noch keine Auslandseinsätze der Bundeswehr!), darauf kann man heute lange warten.

*

Die Geschichte von Ma’n ibn Zâîda

Als Ma’n ibn Zâîda 272 eines Tages ausreitet, dürstet ihn, aber seine Diener haben kein Wasser. Drei Mädchen kommen des Wegs, die ihn aus ihren Wasserschläuchen trinken lassen. Da die Diener nicht nur kein Wasser haben, sondern auch kein Geld zum Bezahlen, vergilt er den Mädchen die gute Gabe mit den güldenen Spitzen der Pfeile aus seinem Köcher, woraufhin die Mädchen seine Identität erraten und jede einen Lobes-Vierzeiler improvisieren. Einer mag hier genügen

Er krönet die Pfeile mit Spitzen von Golde
Und sendet dem Feinde, was Großmut gewährt;
Verwundete finden durch ihn Heilung,
Ein Leichentuch, wer in die Grube fährt.

*

Die Geschichte von Ma’n ibn Zâîda und dem Beduinen

Ma’n ibn Zâîda wieder auf Jagd. Diesmal begegnet er einem Gurkenbauer, der ihm verrät, dass er gedenkt, die Gurken Ma’n ibn Zâîda zu verkaufen, und zwar für tausend Dinare.

"Wenn er dir aber sagt, das sei zuviel?"
"Dann verlange ich fünfhundert Dinare."
"Wenn er dann wieder sagt, zu teuer?"
"Dann verlange ich fünfhundert Dinare."

Usw. Der Emir führt die Verhandlung praktisch schon hier.
Und wenn dreißig Dinare dem Emir noch zuviel sind?

"Dann lasse ich die Füße meines Esels in den Harem treten und kehre enttäuscht und mit leeren Händen zu meinem Volke heim."

Die beiden trennen sich, und Ma’n ibn Zâîda befiehlt seinem Kammerherrn, den Gurkenhändler, sobald er auftaucht, zu ihm zu führen. Tatsächlich handelt er ihn auf unter dreißig Dinare runter, bis sich der Gurkenbauer über die Situation im Klaren ist und Ma’n ibn Zâîda erkennt:

"Hoher Herr, wenn du mir nicht die dreißig Dinare gibst, du weißt, da ist der Esel an die Tür gebunden, und da sitzt Ma’n!"

Der Kommentar zu dieser Stelle bemerkt:

Dem Ganzen liegt ein obszöner Witz zugrunde, der nach der Kalkuttaer und der Kairoer Ausgabe verschieden ausgelegt werden kann.

Aber weder die eine noch die andere Auslegung bietet man uns an. Also: Soll nahegelegt werden, dass in diesem Harem genausogut ein Esel statt Ma’n ibn Zâîda Recht auf die Frauen habe?

Ma’n ibn Zâîda gibt dem Bauern schließlich die Summer aller zwischenverhandelten Preise: 2180 Dinare.

Allah hab alle die großmütigen Männer selig!

*

Die Geschichte von der Stadt Lebta

Im Land der Romäer gab es in der Stadt Lebta eine Burg, vor diese ließ jeder König ein neues Schloss anbringen, bis schließlich vierundzwanzig Schlösser davorhingen. Als ein neuer König aus einem anderen Geschlecht gekrönt wird, will dieser die Burg öffnen lassen, das Volk versucht in jedoch mit Geschenken abzuhalten.

Gemeint sind die Oströmer. Lebta ist evtl. verfälscht Ceuta, das zurzeit der kriegerischen Auseinandersetzungen mit den Arabern noch in oströmischer Hand war.

Da bemerkte Schehrezâd, dass der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an.

 

272 Ma’n ibn Zâîda war ein wegen seiner Großzügigkeit berühmter Emir aus dem 8. Jh. u.Z.… Weiterlesen

271. Nacht – e)

Übe derzeit von Mozarts Klaviersonaten die langsamen Sätze aus:

– Sonate in F, KV 280
– Sonate in B, KV 281 (im Vibraphon-Sound)
– Sonate in Es, KV 282

Alle drei Sätze der

– Sonate in C, KV 545

Die Allegro-Sätze der

– Sonate in B, KV 333 (fast aufgegeben)
– Sonate in F, KV 332

Außerdem

– Mussorgskis Promenade aus "Bilder einer Ausstellung"
– Händels "Fantasie" G-Dur

*

Perî Banû lässt nach ihrem Bruder Schabbar schicken. Dieser trifft ein:

Ein Männlein von Zwergengestalt, das nur drei Fuß hoch war, mit einem Höcker auf der Brust und einem Buckel auf dem Rücken; doch trotzdem trug er eine stolze Miene und ein geheimnisvolles Aussehen zur Schau. Auf seiner rechten Schulter lag eine Keule aus Stahl, die zweihundertsechzig Pfund wog. Sein Bart war dicht und zwanzig Ellen lang, aber so kunstvoll geflochten, dass er den Boden nicht berührte; auch trug er einen langen gedrehten Schnauzbart, der sich bis zu seinen Ohren hinaufkräuselte, und sein ganzes Gesicht war mit langen Haaren belegt. Seine Augen sahen ähnlich ie Schweinsaugen aus; sein Kopf, auf dem er einen kronenartigen Haarwulst trug, war ungeheuer groß und hob sich gewaltig gegen den winzigen Leib ab.

Als Ahmed und Schabbar nun in die Hauptstadt gehen, fliehen die Einwohner vor Schrecken in ihre Häuser und lassen Pantoffeln und Turbane fallen. Auch der König hält sich vor Grausen die Hände vors Gesicht, was den Zwerg erzürnt.

Und so hob der Dämon, ohne einen Augenblick zu zögern, seine stählerne Keule, schwang sie zweimal durch die Luft und traf, ehe der Prinz Ahmed den Thron erreichen konnte, den Sultan so gewaltig auf den Kopf, dass sein Schädel zerschlagen und das Hirn über den Boden gespritzt ward.

Den Großwesir kann Ahmed gerade noch so retten.

Warum eigentlich?

Doch die anderen Minister und die Hexe werden von Schabbar erschlagen.
Ahmed wird nun zum König, macht seinen Bruder Alî mitsamt Gattin Nûr en-Nahâr zum Statthalter einer großen Stadt und bietet dies auch Husain an, der aber das Derwischleben vorzieht.

Bemerkenswertes Happy End: Der Vatersmörder als neuer König.

 

Die Geschichte von Hâtim et-Tâi

Hâtim et-Tâi (ein für seine Großzügigkeit berühmter vorislamischer Held der arabischen Welt) wurde auf einem Berg bestattet, um ihn herum Statuen junger Mädchen.
Der König von Himjar Dhu el-Kurâ lagerte dort eines Nachts mit seinen Gefährten und spottet vorm Schlafengehen:

"O Hâtim, wir sind heute abend bei dir zu Gaste, und wir verschmachten vor Hunger."

Des Nachts erscheint ihm Hâtim et-Tâi im Traum und erschlägt die Reitkamelin, die tatsächlich stirbt, als Dhu el-Kurâ erwacht und gebraten wird.
Als sie am nächsten Tage weiterreiten begegnet ihnen Âdi, der Sohn des Hâtim et-Tâi und bietet ihnen eine Reitkamelin an, da ihm dies sein Vater im Traum befahl. So war Hâtim et-Tâi selbst im Tode noch großzügig.

Der Weise

271. Nacht – d)

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Gebrauchsanweisung für Großstädte

1. Das Dörfchen in der Stadt
Glaube nicht, die ganze Stadt bewohnen zu müssen. Nutze ein paar wenige Orte, in denen du arbeitest, wohnst, dich erholst. Vor allem junge Kleinstadtbewohner, die in die Großstadt ziehen, sind zunächst vom kulturellen Überangebot fasziniert, dann gestresst und irgendwann überfordert. In deiner Kleinstadt gab es alle 10 Wochen eine Theaterpremiere. Hier gibt es 10 Theaterpremieren pro Tag! Vergiss das "Das muss man gesehen haben", das dir deine neuen Freunde einzureden versuchen. Gar nichts muss man. Behalte die Übersicht über deine Gegend.

2. Behalte die innere Ruhe inmitten der Hektik.
Hektik steckt an. Behalte deine innere Ruhe. Vor allem im Straßenverkehr. Bedenke, dass jeder sein eigenes Timing hat. Lass es ihnen.
Wenn dich die Hektik erfasst hat, tu weniger und das richtig.

3. Ignoriere das Ignorierbare.
Wie du schon bemerkt haben dürftest: Die Stadt ist voller Freaks und Verrückter. Aber du bist einer von ihnen. Lass dich nicht vom Wahnsinn in die Irre oder in den Ärger treiben. Kleine Regelverstöße sind Teil des Großstadtalltags.

4. Bewahre dir Empathie und Zivilcourage
Ignoriere nicht das, was man nicht ignorieren darf. Dutzende mögen an einem Mann der auf einer Treppe zusammengebrochen ist, vorübergehen. Hilf ihm!
Schreite ein, wo man einschreiten muss. Du kannst den Hundebesitzer, der den Dreck seines Tieres nicht beseitigt, ignorieren, nicht aber jemanden, der einen anderen bedroht.

5. Natur
Großstädte sind Betonwüsten. Großstadtbewohner leben tendenziell kürzer. Suche Luft, Licht, Natur und Bewegung. Täglich.

6. Sei ein guter Nachbar.
Je mobiler wir sind, umso distanzierter wird unser Verhältnis zu unseren Nachbarn. Baue zu ihnen ein gutes Verhältnis auf. Gegenseitige Hilfe und Rücksichtnahme ist wichtiger als Recht behalten.

7. Nimm Übles nicht persönlich
Der blökende Busfahrer, die betrunkene Radfahrerin, der fiese Fahrkartenkontrolleur – sie scheinen es alle auf dich abgesehen zu haben. Haben sie nicht. Sie leiden heute lediglich an der Großstadt. Es hat nichts mit dir zu tun.

8. Entdecke die Stadt
Wohne in deinem Viertel, aber suche von Zeit zu Zeit immer wieder ungewöhnliche Orte in deiner Stadt auf.

9. Tu Gutes, aber erwarte es nicht.

10. Sieh das Ganze
Eine Großstadt ist ein ungeheuer komplexer Prozess. Mach dir die Mühe und versuche, sie dir vorzustellen, als von dir geschaffenes Räderwerk, in dem alles seinen Platz hat. Sei jedem dankbar für seine Arbeit hier.

11. Genieße die Freiheit.

 

***

 

Man hätte es sich denken können, aber die Hexe rät nun dem trübsinnigen König, den Sohn eine weitere Aufgabe lösen zu lassen:

"Du brauchst dem Prinzen Ahmed nur zu befehlen, dir Wasser aus dem Löwenquell zu bringen. Er muss notgedrungen um seiner Ehre willen deinen Wunsch erfüllen."

Tatsächlich wünscht sich der Vater dies, und Ahmed trägt Perî Banû diesen Wunsch vor, die Böses ahnt, aber ihn instruiert, wie Egon Ohlsen einst seine Gefährten. Um die wilden Löwen, die das Wasser hüten, zu besänftigen, braucht er:
– einen Garnball
– Zwei Rosse
– ein in vier Teile zerlegtes, frisch geschlachtetes Schaf
– eine Phiole
Statt zu Bang Johansen reitet Ahmed nun zur Löwenquelle, besänftigt die Löwen mit dem geschlachteten Schaf, die ihn, nachdem er das Wasser geschöpft hat, auch noch in die Stadt seines Vaters begleiten.

 

Das Wasser der Löwenquelle hat übrigens dieselbe allheilende Wirkung wie der Apfel, den Ahmed zu Beginn der Geschichte bereits besorgt hatte und welcher Nur en-Nahâr geheilt hatte.
Doch auch ein drittes Mal setzt die Hexe dem König einen Floh ins Ohr, und er verlangt nun von seinem Sohn:

"Ich möchte, dass du mir einen Mann bringst, der an Wuchs nicht mehr als drei Fuß misst, aber einen Bart von zwanzig Ellen Länge hat; der soll auf seiner Schulter einen kurzen stählernen Stab, zweihundertsechzig Pfund schwer, tragen, den er mit Leichtigkeit hebt und, ohne die Stirne kraus zu ziehen, um seinen Kopf wirbelt, so wie die Menschen hölzerne Keulen schwingen."

Einen solchen Mann gibt es – den Bruder von Perî Banû.… Weiterlesen

271. Nacht – c)

Was ich dann alles doch nicht oder nur mal kurz geworden bin:

– Mathematiker
– Informatiker
– Mathe/Physik-Lehrer
– Filmregisseur
– Filmschauspieler
– Großhandelskaufmann
– Leichtathlet
– Opernsänger
– Jurist
– Sozialwissenschaftler
– Rockmusiker
– Stand Up Comedian
– Entwicklungs-Consultant
– Linguist
– Politiker
– Ruderer

***

Mein Jahr 2009
Januar – April

 

Mai – August

 

***

Tatsächlich wünscht sich der König ein derart gigantisches Zelt:

"Sollte es dir etwa nicht gelingen, und solltest du mir die gewünschte Gabe nicht bringen, mein Sohn, so möchte ich dein Antlitz niemals wiedersehen. Dann wärest du fürwahr ein trauriger Gatte, wenn deine Gemahlin dir ein so geringfügig Ding abschlagen würde."

Wer hört so etwas nicht gern vom eigenen Vater?

Perî Banû willigt traurig ein, denn sie weiß sicher,

"dass sein Ende nahe ist (…) und dass dein Vater, der von dem kommenden Unheil nichts ahnt, seinen eigenen Untergang betreibt."

Auf Ahmeds Erschrecken hin, klärt sie ihn auch über die alte Zauberin auf:

"Jenes Weib ist eine Hexe aus Satans Brut."

Der Wunsch wir allerdings flugs von Perî Banûs Schatzmeisterin Nûr Dschehân erfüllt. Prinz Ahmed überreicht seinem Vater das Wunderwerk, und gleich einem Kinde, das einen unverschämten Wunsch erfüllt bekommen hat, reagiert auch er:

Es ist seltsam aber wahr, dass im Herzen des Sultans, als er dies seltene Geschenk von dem Prinzen erhalten hatte, Furcht und Zweifel, Neid und Eifersucht auf seinen Sohne, die von der Hexe und dem boshaften Wesir und seinen anderen üblen Beratern in ihm erregt waren, nur noch größer und lebhafter wurden.… Weiterlesen