Vor ziemlich genau fünfzehn Jahren begann ich den Lektüre-Blog. Damals hatte ich mir vorgenommen, jeden Tag 20 Seiten aus den „Erzählungen aus den Tausendundein Nächten“ (Übersetzung von Enno Littmann in der sechsbändigen Insel-Ausgabe) zu lesen und launisch zu kommentieren. Meine
Streits
Die Streits unsrer Zeit – wie entnervend und doch, wie banal, wie banal, das Denken, die Sinne entschärfend, dem Zuhörer nur eine Qual, ich halt mich bereit.
Freude
Freue dich des Miteinanders. Es werden Tage kommen, da streitet ihr um ein Ei. Freue dich der Musik. Bald sind die Klänge nur schurfiges Gerüll und Kinderwimmern. Freue dich, denn bald wird’s Ärger geben.
Forellenlied neu (zur Schubert-Melodie)
Aus einem Bächlein helle da wurde rausgefischt die schmackhafte Forelle und mir dann aufgetischt. Ihr Schicksal war bestimmet, bevor sie war gebor’n. Sie lebte stets am Limit – unfrei doch ohne Zorn.
Zwecke
Vor Jahren die Kette der Tür erneuert und dann nie benützt. Im Business der schönen Kunst angeheuert, wo man auch nur schwitzt. Sie haben bei mir noch nie eingebrochen, soweit ich es weiß. Es wurden Jahrzehnte, was einst nur zehn
Kann man Impro-Talente früh erkennen?
Gibt es unter Impro-Anfängern ausgesprochene Talente und kann man sie erkennen? Diese Frage wird mir manchmal von Schülern gestellt und manchmal unter Impro-Kollegen diskutiert. Die kurze Antwort lautet: Ja, es gibt Talente. Und nein, man kann sie nicht immer erkennen.
Übergang
Der Spätsommer bleibt noch im Ungefähren, fährt der Schwänin unters Federkleid, so dass sie sich noch einmal räkelt und zappelt. Gnädig spendet er warme Tage wie Kleingeld, die Mücken, wie aus dem Halbschlaf erwacht, zu unmotiviert, mich beherzt zu stechen.
5-4-3
Von vier Eiern aus dem Schwangelege sind vier Küken doch geblieben. Noch ging keines seiner Wege, keins erlegt von fiesen Dieben. Glück gehabt. Übern Griepensee sie leise gleiten wie ein Wasserhelikopter, lernen Schwimm und Gründeln schon beizeiten. Mutter Schwan noch
Erleichterung
Sie war auch eine von denen, die, von Neid geplagt, stets sich nur nach anderm sehnen und blieb stets die Magd ihrer düstren Emotionen. Und es stimmt mich froh, dass ich nicht mit ihr muss wohnen oder leben oder so.
Isabel Allende: Ein unvergänglicher Sommer
Beim parallelen Lesen von drei Büchern hat schließlich Allende ihre Konkurrentinnen Kathrin Passig und Camille Paglia überholt. Es war genau das Buch, was ich eben gebraucht habe. Vielleicht wäre es schon 2020 genau die richtige Corona-Lektüre gewesen: Draußen der schlimmste
Über die Spree spaziert
Vom Palast, den jeder hasst, ist so gut wie nichts geblieben. Das alte Schloss ist jetzt der Boss. Ich wird’s wohl niemals lieben.
Was fehlt? – Drehtür versus Möwe
(Dieser Artikel ist ein Auszug aus dem Buch „Improvisationstheater. Band 3: Die Magie der Szene“) Im Off sollten wir uns fragen: Fehlt etwas in der Szene? Und wenn ja, kann und soll ich helfen? In den bereits genannten Beispielen
Bahnfahrt nach Süden
Ungebremst rasen wir auf grauschwarze Wolkenberge, die vorn sich drohend erheben, zu. Hängende Köpfe der Sonnenblumen, als hätten sie resigniert. Vorbei. Die Zweijährige tritt gelangweilt in die Rückenlehne mir.
Seltsame Sehnsucht
Ach, die Belgier sind fort, und die Russen sind’s auch. Und ich bin mit den Deutschen allein. Ja, ich feir’ ihre Feste und ich pfleg ihren Brauch. Doch ich will bei den Belgiern und Russen jetzt sein.
Nachbarschaft am frühen Abend
Glocken klingen kurz vor Sieben. (Werd’n vom Automat geschlagen.) Wie an allen andern Tagen ist die Kirch’ heut leer geblieben. Während Jesus bleibt allein, guckt der junge Kirchenchef Nachrichten im ZDF. Doch am liebsten würd er schrein.
Tarantino: Storytelling & characters
(Deutsche Übersetzung unten) (From the Joe Rogan Podcast. 0:56:00) Quentin Tarantino: „Normally, when I do a movie, I have more or less the story worked out. (…) I’m dealing in genre and sub-genre that even dictates a bit. If I’m
Im Off – Wie man eine Szene rettet
Der folgende Text ist ein Abschnitt aus dem Buch „Improvisationstheater. Band 3. Die Magie der Szene“. Als Impro-Spieler ist es deine große Aufgabe, deinen Mitspielern aus der Patsche zu helfen. Wenn du also aus dem Off bemerkst, dass eine Szene
Burg am Morgen
August. Und eine erste Kühle lässt das Ende schon erahnen einer kurzen heißen Zeit. Falken kreisen, und ich spüle aus dem Aug mein kleines Leid. Muss zu Gleichmut mich ermahnen.
Im Café gegenüber
Lächelnd schaute sie ihn an, liebend-int’ressiert – den Mann. Er sprach weiter in die Runde. Heiter blieb sie Stund um Stunde. Als sie sprach, blinkt’ er: Genau, ich dein Mann, du meine Frau. Liebende, die sich verstehn, kann man in
Übergang
Alte Freunde, neues Lachen, die Erkenntnis: Brauchst, um wen vertraut zu machen, Einverständnis. Auf die freien, neuen Zeiten zaghaft hoffen. Bin vom durch die Halb-Zeit gleiten schier besoffen.
Schwimmen auf eigene Gefahr
Hoch knattert die gelb-rote Fahne über den Dünen und mahnt die Schwimmer. Wenn’s Tröpfeln beginnt, ich schon ahne, das Wogen und Brausen verschärft sich immer. Gesalzene Tropfen ins Näschen. Die Möwen stellen sich gegen den Wind. Und wie zwei verschreckte
Im Off – Die gute Szene laufen lassen. Oder nicht?
Der folgende Text ist ein Abschnitt aus dem Buch „Improvisationstheater. Band 3. Die Magie der Szene“ Bei einem Festival sah ich folgende Szene innerhalb einer Langform: Maja und Johannes spielen eine Szene am Park. Sie sind ein Paar, das sich
Darß am Abend
Glatte See auf der der Mond heut nicht spiegelt. Ich gleite hinein wie schon Hunderte Male zuvor. Doch nie bereicherten beim Schwimmen das Meer meine Tränen.
Im Schwimmbad
Kerze, Köpper, Tauchersprung. Langer Anlauf und mit Schwung. Bauch geklatscht und Arsch gebombt. Vorsicht! Bademeister kommt. Rückwärts, Starter und – auweia! Jason schubst den Max vom Dreier. Erst springst du, dann springen wir. Morgen sind wir wieder hier.
Reise nach Amsterdam
Sechse saßen in dem Bus, der einst als Leichenwagen diente, nach Amsterdam (Stadt mit Genuss), wo unser aller Hoffnung grünte. Der Wagen war dem Ulf ein Graus. Er stieg schon in Hannover aus. Fünfe saßen in der Karre, und leicht
Zwei auf Reisen
Manchmal schien’s uns wie ein Wunder, als wir durch die Länder tobten. Und die Erde schien uns runder, wenn wir unsre Jugend lobten in den Hier-und-Jetzt-Gesängen, die man liebt als junge Männer, die sich mit sich selbst vermengen und so
Im Off – Die Paukisten-Haltung
(Dieser Artikel ist ein Auszug aus meinem Buch „Improvisationstheater. Band 3: Die Magie der Szene„) Ich bin immer wieder beeindruckt von den Paukisten in Sinfonie-Orchestern, die manchmal eine halbe Stunde auf ihren Einsatz warten müssen. Am Klang der Aufführung würde
Einen Schlusspunkt setzen
Seit Ende Juni / Anfang Juli steigen in Deutschland wieder die Corona-Inzidenzen. Bei den letzten „Wellen“ folgte diesem Anstieg üblicherweise auch mit zwei bis drei Wochen Verzögerung ein Anstieg der Sterbezahlen. Dieser blieb aber diesmal aus. Seit dem vierzehnten Juli
Was war
Geschwommen, getaucht. Gevögelt, geraucht. Gesehen, geliebt. Geschrien, gepiept. Vergessen, verbrannt. Verlor’n, nie gekannt.
Wien 21
Dem Land meiner Dutzend Halbaufenthalte gilt nun ein neuer Versuch, auf dass sich meine Neugier entfalte bei einem ernsthaften Vollwertbesuch. Von der Historie angelockt, die Innenstadt vollständig zubarockt. Die Oper, die Kirche, das Parlament, ich seh die Fiaker rumpeln. Die